Plötzlich privilegiert!
So schnell kann’s gehen. Du legst dich gemütlich als verbitterte, männerfeindliche, brave Gattinnen abschreckende Emanze nieder und wachst als weiße, privilegierte, bürgerliche, transphobe Cis-Frau wieder auf. Da schaust du! Der Feminismus ist nämlich auch nicht mehr das, was er einmal war. Früher hat er sich gegen die Benachteiligung von Frauen gerichtet, und damit waren Frauen wie du und ich gemeint, solche, die sich zwischen Kindern, Haushalt und Beruf zersprageln und zu wenig oder gar kein Geld für viel Arbeit bekommen, während sie, zumindest in jüngeren Jahren, auch noch von alten Machos blöd angebraten werden. Jetzt gehört der Feminismus den bisher marginalisierten Gruppen, sagen die bisher marginalisierten Gruppen, und das wäre ja auch okay, würden sie sich nicht als Feindbild genau jene Frauen aussuchen, die, siehe oben.
Obwohl: So schnell ist es eh nicht gegangen. Du hattest ausgiebig Zeit, dich im vergeblichen Abwehren falscher Vorwürfe zu üben. Nein, ich bin gar nicht männerfeindlich, ich bin nur einkommensscherenfeindlich. Nein, ich will niemanden kastrieren, ich finde nur, Kinder gehen auch Väter was an. Nein, ich sage gar nicht, alle Männer sind gewalttätig, ich bestehe bloß darauf, dass das Umbringen von Ehefrauen oder Freundinnen kein Akt verzweifelter Liebe ist.
Wahrscheinlich warst du zu höflich. Wahrscheinlich hättest du wüten, kastrieren, Konten plündern, Vorstandsetagen anzünden sollen. Dein Ruf war eh schon schlecht, deine Zurückhaltung hat ihn nicht verbessert. Aber du bist ein Weichei, konsensorientiert, harmoniebedürftig, eine Frau eben, wie man früher gesagt hat.
Der Einkommensschere war deine Abneigung gegen sie total egal, die Care-Arbeit hat sich weiterhin an Cis-Frauen geklammert, die sich seltsamerweise nicht als privilegiert begriffen haben, und die sogenannte familiäre Gewalt hat sich Jahr für Jahr unbeirrt ihre Opfer gesucht, was man aber nicht so sagen sollte, weil der Opferfeminismus schon damals etwas Peinliches war. Schon damals hat das Umbenennen angefangen. „Frauen sollen endlich aufhören, sich als Opfer zu sehen!“ Na klar. Wenn du eine über den Kopf kriegst oder wenig Lohn für viel Arbeit oder eine Bettelpension im Alter, dann musst du nur leugnen, dass es so ist, und schon bist du kein armes Würschtel mehr, sondern strahlende Besitzerin dicker Aktienpakete. Oder ein vollfitter Surfer mit Penthouse und ausreichend Anteilen an einer Familienstiftung. Oder was du halt sein willst. Der Definition gehört die Realität, und wenn die Realität das nicht weiß, dann ist sie selber schuld.
War also nie einfach, gefälligen Diskursvorgaben mieselsüchtig gegenüberzustehen. Das Umetikettieren ist inzwischen weitergegangen (als Einziges, bist du versucht zu sagen), und du findest dich jetzt, im Internet und bei TV-Diskussionen zum Beispiel, in einer anderen Schmuddelecke. Jetzt bist du eine engstirnige, konservative, rassistische, christliche Vertreterin privilegierter Kreise, die an ihren Privilegien festhalten will. Warum? Darum.
Weil du alt bist. Alt ist gleichbedeutend mit abgelegt, überholt, verstaubt, vorbei. Grusel. Weil du nicht einsiehst, dass Frausein was frei Gewähltes sein muss, sondern an der Biologie hängst. (Ja, sagst du, aber darum geht es doch, dass Frauen wegen der bloßen Biologie benachteiligt werden, misshandelt, eingesperrt, verstümmelt, nicht in die Schule dürfen, aber wer will dir schon zuhören, laaangweilig!) Weil du ausschaust wie eine, die in Hietzing wohnen könnte oder in der Josefstadt, und zwar immer schon. Weil du gläubige Christin sein musst, wenn du aus einem katholischen Land kommst.
Sollst du jetzt versuchen, mit deiner Kindheit in Wien-Fünfhaus zu punkten? Oder mit deinem Kirchenaustritt? Oder die Schuld der Religionen generell an Ungleichheit und Unterdrückung ins Spiel bringen? Lass es bleiben. Du bist du, das genügt, damit du verdächtig bist. Siehst du jetzt, wie es den anderen geht, die ständig verdächtig sind für die Mehrheitsbevölkerung, der du angehörst? Ja, eh, beziehungsweise hast du es auch vorher schon gesehen – aber wem genau nützt deine Ausgrenzung jetzt? Die tatsächlich Engstirnigen, Stockkonservativen, Rassistischen etc. sehen dadurch nämlich gar nichts.
Das Patriarchat kichert sich ins Fäustchen, die Politik ist begeistert, weil sie untätig zuschauen kann, wie sich die Frauen an die Gurgel gehen, Flintas gegen Terfs, Trans gegen Cis, neue Vollzeitmütter
gegen Rabenmütter und so weiter.
Auch die Medien sind glücklich, das gibt was her, da geht was ab. Die Medien spielen dieses Spiel schon lange, Jung gegen Alt war schon immer beliebt, jetzt sind neue Varianten der Aufstellung da, umso besser.
Am liebsten den Old Boys Clubs angehören, das wär was. Vielleicht denken sich das so ähnlich die vielen jungen Mädchen, die sich plötzlich als männlich outen. Aber was ist die Konsequenz? Eine bessere Welt oder nur eine, in der ständig neue Fronten aufgemacht werden?
Mit ermüdender Eintönigkeit plärrst du Gender Pay Gap, Vereinbarkeitsdilemma, ungerechte Verteilung von Care-Arbeit – hör auf. Oder lieber doch nicht?
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