Schweiz: Dem Hass auf der Spur

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Die gestiegene Zahl der Femizide alarmiert auch die Frauen der Schweiz. Dort stirbt mindestens alle zwei Wochen eine Frau durch die Gewalt eines Mannes. Noch vor zehn Jahren war es eine Frau in drei Wochen.

Frauen, die sich bedroht fühlen, haben kaum Möglichkeiten, sich zu schützen. Auch in der Schweiz sind die Frauenhäuser überfüllt, es fehlt an Mitteln und Datenaustausch zwischen den Ämtern. Sexuelle Gewalt wurde lange bagatellisiert und das Sexualstrafrecht insgesamt hängt weit hinter Deutschland und Österreich zurück. Für den Schutz von Frauen wurde bislang kaum Geld zur Verfügung gestellt – und das in einem der reichsten Länder dieser Erde. Für die bislang größte Offensive gegen Frauenhass im Internet hat sich das nun erstmals geändert:  Alliance F, der größte schweizerische Frauendachverband, wurde mit einem Budget von über einer Million Franken aus der Wirtschaft und der Unterstützung von Kantonen und Gemeinden ausgestattet und nimmt nun den Kampf gegen Sexismus auf.

Der Auslöser war kein Zufall: Elisabeth Ackermann stürzte bei der Arbeit und fiel aufs Gesicht. Der Unfall der Basler Regierungspräsidentin ging in einer Meldung durch die Medien. Folge: In den Kommentarspalten und in den sozialen Medien brach eine Welle voll Hohn und Hass über die verletzte Ackermann herein. „Het die Tusse dr Tschüder agschlage?“ tönte es auf Facebook.

Auch in der Schweiz treffen Hass und Häme im Netz vor allem Frauen, besonders die Politikerinnen unter ihnen. Das Ziel der Hater: Dampf ablassen, Macht demonstrieren und Frauen mundtot machen.

„Die bislang herrschende Regel ‚Don’t feed the troll‘ – also Beschimpfungen ignorieren – funktioniert einfach nicht“, erklärt Sophie Achermann. Sie leitet das Projekt „Stop Hate Speech“ der ­Alliance F, das das bisher größte Schweizer Projekt zur Bekämpfung von Hass im Internet ist.

Zurzeit arbeiten 400 Mitstreiterinnen in der Deutsch- und Westschweiz dafür an einer „künstlichen Intelligenz“. Entwickelt wird ein Algorithmus, der Hasskommentare erkennen soll. Die Aktivistinnen füttern ihn mit den üblichen Beschimpfungen und Hasstiraden. Schon Ende November soll das Programm dann wie ein Spürhund in den drei Landessprachen durch Twitter, Facebook und die News-Portale der Medien laufen und Frauenhass aufspüren.

Die Aktivistinnen wollen sodann mit Counterspeech reagieren und die Hater in die Schranken weisen. Außerdem werden die Plattformen benachrichtigt, sie sollen die Hater zur Verantwortung ziehen. Betroffene Frauen, die Anzeige erstatten wollen, werden mit Informationen versorgt. „Trolle merken so, dass ihr Online-Leben sehr wohl das reale Leben ist“, hofft Achermann. Sie beobachtet seit Jahren, wie sich der Ton im Netz verschärft.

Es brodelt unter den Frauen. Eine halbe Million Schweizerinnen (bei insgesamt acht Millionen EinwohnerInnen) streikte und demonstrierte am 14. Juni im ganzen Land für mehr Gleichberechtigung, das waren mehr als beim legendären Frauenstreik 1991. Jede fünfte erwachsene Schweizerin ging also auf die Straße.

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