Sonia Mikich: Miss you, Maggie
"Und wie hältst Du es mit Thatcher, findest Du sie etwa gut?" Das war in den 1980er Jahren die Gretchen-Frage an Feministinnen, Karrierefrauen und andere unheimliche Ehrgeizlinge weiblichen Geschlechts. Dahinter stand unausgesprochen: ,,Soo willst Du doch wohl nicht werden, soo eine schadet doch nur den Frauen."
Maggie? Fand ich gut. Ich war froh, daß es sie gab. Weil Thatcher der schlagende Beweis dafür ist, daß der Besitz von Eierstöcken weder Nestwärme noch gütiges Gluckentum garantiert. Weil ihre Biologie an Machtverhältnissen und Machtausübung nichts veränderte. Sie war genauso raffiniert, eitel, herzlos und machtbesessen wie ... ein Mann - wie ein Mann in dieser Position. Ihre Ideologie war mir zuwider, ihre Entscheidungen fand ich oft genug gefährlich oder zynisch. Aber wenn die nächsten Bilder von Gipfeltreffen um die Welt gehen, wird mir die Dame beim Gruppenfoto fehlen. Anzüge unter sich - oh dröge 90er Jahre!
Als Regierungschefin und Parteiführerin Margaret Thatcher zurücktrat, gab es - nicht nur in den britischen Medien - ungewöhnlich starke, emotionalisierte Worte für den Abgang der Eisernen Lady. Von Coup war die Rede, von Putsch, von Königs(!)mord. "Matrieide" - Muttermord war das Schlüsselwort der KommentatorInnen.
Für Thatchers Getreue brach eine Welt zusammen. "Maggie, Maggie, Maggie - ten more years", skandierten sie trotzig, noch eine Dekade. Der Boss war in bester Gesellschaft und in den besten Jahren, hatte drei Wahlen glänzend für die Tory-Partei gewonnen. Es hatte keine Verfassungskrise, keinen Skandal gegeben.
In der ersten Abstimmungsrunde gegen den Herausforderer und politischen Widersacher Michael Heseltine hatte Thatcher mit 204 zu 152 Stimmen nur knapp die notwendige Mehrheit verfehlt. Und dennoch mußte die "größte Premierministerin in Friedenszeiten" abdanken. Eine Hundertschaft "suits", "Anzüge", wie die grauen Eminenzen der Konservativen Partei genannt werden, sah in der EG-Feindin Thatcher ein überholtes Modell. Da nutzte es kaum, daß sie in die Geschichtsbücher eingehen wird als Großbritanniens größter Polit-Star seit Churchills Zeiten. Vergleichbar nur noch mit Gorbatschow und Reagan.
Sie war ein Star ohne geliehenen Glanz. Sie war nicht die Tochter von (Gandhi, Bhutto) oder Witwe von (Aquino, Bandaranaike) einem Politiker. Sie war Meritokratin. Eine, die aus eigener Kraft und eigenem Verdienst nach ganz oben kam.
In elfeinhalb Regierungsjahren machte diese Frau aus einer kränkelnden Insel in einer obskuren Ecke Europas wieder einen politischen Faktor auf der Weltbühne. Und im Inneren krempelte sie die verkrustete britische Klassengesellschaft um. "Revolution von oben" nannte Thatcher die Vision, aus Großbritannien eine Nation der Leistungswilligen und Ehrgeizigen zu machen. Daß Klasse, Rasse oder Geschlecht niemanden auf dem Weg nach oben behindern müssen, davon war die Krämerstochter aus der tiefsten Provinz zutiefst überzeugt.
Thatcher und die Weiblichkeit. Ein vielschichtiges Thema. "Wenn sie ein Mann wäre", so schrieb Germaine Greer 1985, "könnte sie sich niemals so viel erlauben. Ihr Schutzpanzer aus Perlenketten macht sie immun gegen die Konsequenzen ihrer eigenen Brutalität." Mrs. T. verstand sehr genau, den Faktor Geschlecht zu nutzen. Sie wärmte sich sichtlich in der Sonne männlicher Untertänigkeit, sie flirtete und schmeichelte, wenn's opportun war. Und wenn sie nicht Star oder Domina spielte, dann zumindest gütige Mutter. "Junge aufstrebende Männer" förderte sie gerne - bis hin zu guten Ratschlägen fürs Privatleben.
Medienleute erinnern sich, daß sie bei Staatsbesuchen schon mal ihre heizbaren Lockenwickler an Journalistinnen verlieh oder persönlich Mineralwasser für den Pressetroß organisierte. Ihr Kabinett durfte erleben, wie sie mitten in einer Sitzung aufstand, um Frühstücksspeck für Ehemann Denis zu kaufen. Reichlich weiblich.
Dann gab es aber auch noch das Kontrastprogramm. Sie bellte ihre Gefolgschaft auf Parteikonferenzen an, stutzte jeden Kritiker klein. Sie unterbrach rüde, hatte keine Skrupel. Sie demütigte die Mächtigsten und entließ jeden, der ihr in die Quere kam. Das gab oft genug Anlaß zum Aufheulen. Das Hodenkartell fühlte sich vom "weiblichen Dschingis Khan" (O-Ton Maggie) durchschaut und kastriert.
Thatcher wußte genau, daß sie auch wegen ihres Geschlechts im Rampenlicht stand. Also hütete sie sich, Müdigkeit oder Unkenntnis zu offenbaren. Also lernte sie, mit vier Stunden Schlaf auszukommen und auch nach Mitternacht Aktenberge zu bewältigen. Eine Super-Frau eben. Aber als sie sich allzu selbstsicher und tough präsentierte, als sie ihren ungeheuren Appetit auf Aktionismus (Privatisierung der Staatsunternehmen), dramatische Entscheidungen (Massenentlassungen in ihrem Kabinett) und Hasardspiele (Falklandkrieg) demonstrierte, da war es auch nicht recht. "Der einzige Mann in der Regierung" - so flüsterte man über sie. Mit beleidigtem Unterton.
Ihr Kabinett führte sie wie die Aufseherin eines Knabeninternats. Sie setzte dabei Sex-Appeal und eine Prise Sadismus ein. Margaret habe eben "biquality", flüsterten sich ihre Anhänger angeregt zu. Wie sie den Konsens verachtete, die Übereinstimmung! Politisch zu führen hieß für sie: überzeugen, überrumpeln, überfahren. Harmonie war ihre Sache nicht, und sie widerstand auch leichten Herzens jeglicher Gefallsucht, auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Ob die Kollegen Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt sie als Hausfrau und Krämerstochter diskreditierten, war ihr herzlich egal. Wenn sie nur wieder ein paar EG-Millionen für ihr Land herbeizetern konnte.
Ein Paradox? Wahrscheinlich. Ein Profi? Ganz sicher. Eine von uns? Hmm, nun ja. Sie konnte "Feministinnen nicht ausstehen" und holte nur ein einziges Mal eine Frau in ihr Kabinett. Sie machte ganze Regionen arbeitslos, entmachtete die Gewerkschaften, schwächte die Pressefreiheit.
Und dennoch ist sie wichtig für die weibliche Legendenbildung: Es war einmal eine brave Tochter aus kleinbürgerlichem Hause, die von ihrem Vater gefördert wurde, Chemie in Oxford studierte, einen netten Mann heiratete, Zwillinge zur Welt brachte und sich entschlossen für das entschied, was sie wirklich konnte: die Politik. Die attraktive Blondine wurde reich, einflußreich, erfolgreich. Lange nach der Menopause verliebte sie sich in die Macht und wurde noch schöner und stärker dabei. Ihr größter Verdienst? Daß sie als Frau auf der Bühne des Weltgeschehens "ich" zu sagen wagte. Immer unbescheiden. Immer eindeutig.
Miss you lots, Maggie.