Ulrike: Die Brückenbauerin (Nr. 3)

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„Seit dem Frühjahr wissen wir, dass hier in Burgkunstadt eine Wohngruppe für sogenannte unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge eingerichtet werden soll. Bei uns stand ein Gasthof leer, der wurde hergerichtet. Im Juni kamen dann 16 Jungen zwischen 13 und 17 Jahren. Es gab eine große Begrüßungsveranstaltung mit dem Landrat, der Bürgermeisterin und Vertretern von Träger und Regierung. Und mit mir, ich war da schon die Koordinatorin der ehrenamtlichen Unterstützung des Projekts.

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Ich bleibe so lange, bis die Menschen mir etwas anbieten

Hauptberuflich arbeite ich in der Verwaltung der Uni Bayreuth. Ich gebe zu: Ich habe mich kurz gefragt, wie das wohl so ist für einen 16-jährigen aus Eritrea, wenn er plötzlich in einem Städtchen mit Fachwerkhäusern in Oberfranken steht und dann spielt auch noch eine Blaskapelle auf. Einer hat mir später erzählt, er sei völlig fasziniert gewesen, dass Frauen so große Blechblasinstrumente spielen. Es gibt übrigens so gut wie keine Mädchen, die in dem Alter alleine flüchten. Die Schleuser verlangen 3.000 Euro und mehr. Und da setzen die Familien meistens auf den ältesten Sohn. 

Zu meinen Aufgaben zählt es, den Jungen Brücken in die Gesellschaft zu bauen. Kleinere Orte bestehen ja meistens aus vielen geschlossenen Kreisen. Ich klopfe also bei Sport-Vereinen oder der Musikgruppe der evangelischen Gemeinde an und bleibe so lange stehen, bis sie mir etwas anbieten. Bisher habe ich auch immer Unterstützung bekommen, das finde ich großartig. Fünf der Jungs sind jetzt im örtlichen Fußballverein. Als die Feuerwehr gefeiert hat, haben wir beim Aufbau geholfen und sind auch aufs Fest gegangen. Klar werden die Jugendlichen dann beäugt. Aber in solchen Momenten bieten auch viele ihre Hilfe an. Letztens haben wir eine längere Wanderung durch den Wald gemacht. Einer hat erzählt: ‚Das erinnert mich an Mazedonien, da bin ich drei Wochen durch den Wald geflüchtet – nachts, tagsüber habe ich geschlafen’. Ein anderer hat zugegeben, dass er jede Nacht träumt, dass ihn jemand umbringt. Die Jugendlichen waren bis zu fünf Jahre unterwegs. Es ist also für mich gar nicht so einfach, ihr Vertrauen zu gewinnen.

Ich glaube, es gelingt mir deshalb ganz gut, weil ich selbst die Fremde in Burgkunstadt war. Ich komme aus Thüringen und habe meinen Mann beim Studium in Jena kennengelernt. Er hatte damals schon das Haus seiner Oma in Bayern geerbt und nach meinem Studium haben wir entschieden, hier eine Familie zu gründen. Neigschlaafde’ haben sie mich genannt – die Reingeschleuste. Promovierte Juristin, nicht in der Kirche und auch noch aus dem Osten! Am Anfang stand jeden Tag eine alte Dame vor meiner Tür und hat gesagt: ‚Du kommst in die Hölle, wenn du dich nicht taufen lässt!’. Wir haben zwar zusammen darüber gelacht – aber sie hat es ernst gemeint. Ich hatte damals auch einen Brückenbauer.

Fünf der Jungs
spielen jetzt
im örtlichen
Fußballverein

Natürlich sind die Ressentiments gegen die Flüchtlinge heute noch größer. Als klar war, dass das Wohnprojekt kommt, gab es Protest auf Facebook, weil angeblich die Grundstückspreise sinken würden. Und manchmal rede ich mit Jugendlichen, die sagen: ‚Denen kann es gar nicht schlecht gehen, die haben doch Handys!’ Diese Idee, dass Menschen auf Knien angekrochen kommen müssen, damit sie Hilfe verdienen, ist leider sehr verbreitet.

Dabei teilen die jungen Oberfranken und die Jugendlichen in der Wohngruppe ein Problem: Sie fühlen sich auf dem Land etwas abgemalt. Ist doch klar, als Teenager. Die meisten kommen aus größeren Städten im Irak oder in Afghanistan und würden auch gerne wieder in einer leben. Am liebsten da, wo ihre Freunde untergekommen sind. Aber jetzt bleiben sie erst mal hier, bis sie 18 sind. Im September beginnt der Deutschkurs. Und ich werde als nächstes Bewerbungen für eine Ausbildung oder Praktika mit ihnen schreiben. Immer nur Rumsitzen finden sie nämlich sehr langweilig, haben sie mir erzählt." 

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Birte: Die Informantin (Nr. 1)

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„Angefangen hat alles im Oktober 2014. Ich hatte mich als Journalistin schon länger über den zündelnden Ton gewundert, in dem eine Lokalzeitung über Flüchtlinge berichtet und habe das Thema deshalb sehr genau verfolgt. Und schließlich wollte ich selbst etwas darüber schreiben, am liebsten sogar mithelfen in einer Flüchtlingsorganisation. Also habe ich mich auf die Suche nach einem Projekt in meiner Umgebung gemacht. Und nichts gefunden. Ich habe mich bei Bekannten und KollegInnen umgehört. Und die hatten alle das gleiche Problem: Sie wollten helfen – wussten aber nicht wie und wo. Also habe ich entschieden: Ich schaffe diese zentrale Informationsstelle. Ich habe einen Wordpress-Blog aufgesetzt und so „Wie kann ich helfen?“ ins Leben gerufen. Um Projekte in ganz Deutschland vorzustellen, die Flüchtlingen helfen. Menschen, die ebenso helfen wollen, finden auf dem Blog die Infos, die sie brauchen. Das ist in dieser Form bisher einmalig.

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Die pauschale Ablehnung des Ostens finde ich beunruhigend

Innerhalb von wenigen Tagen sind die Zugriffzahlen explodiert. Obwohl anfangs gar nicht so viel drauf stand auf meinem Blog. Die ersten Projekte musste ich mir noch mühsam zusammensuchen. Heute gibt es eine Übersichtskarte, auf der ich über 350 verlinkt habe. Initiativen aus ganz Deutschland schreiben mich an. Und ich suche selbst gezielt weiter. Zurzeit in genau den Orten, in denen es Aktionen gegen Flüchtlinge gibt, in Leipzig und in Nauen zum Beispiel. Denn auch in diesen Städten gibt es ja Leute, die in der Flüchtlingshilfe engagiert sind. Die kommen bloß in den Medien nicht vor. Da sehen wir gerade dauernd die Bilder von den brennenden Flüchtlingsheimen und der angeblich schweigenden Masse. Das führt leider auch zu einer pauschalen Ablehnung des Ostens, was ich ähnlich beunruhigend finde. 

Ich selbst bekomme gelegentlich E-Mails von Männern und Frauen, die mir die Sache mit den Flüchtlingen mal ganz grundsätzlich erklären wollen. Oft auch in diesem typischen Pegida-Ton. Ich erhalte auch Hilferufe von Flüchtlingen, die Probleme bei ihren Asylverfahren haben oder abgeschoben werden sollen. Aber da kann ich natürlich nichts tun. Das ist manchmal sehr bedrückend. Dafür bin ich oft beeindruckt von den vielen schönen Ideen, die Menschen haben. Was mir allerdings fehlt, sind mehr Projekte für Frauen. Klar, für viele ist es schwierig, nachzuvollziehen, was diese Frauen auf der Flucht erleben: Sexuelle Gewalt oder die vielfache Belastung. Sie müssen sich ja trotzdem um alles und jeden kümmern: die Kinder, die Männer, die Versorgung der Familie. Für sich selber haben sie keine Zeit. Viele kommen völlig traumatisiert hier an.

Was mir fehlt, sind mehr Projekte für Flüchtlingsfrauen

Ich wünsche mir deshalb mehr Solidarität von Frauen mit den Flüchtlingsfrauen. Damit sie hier frei leben können. Ich kämpfe selbst eigentlich schon seit der Schulzeit für Gleichberechtigung und führe auch noch ein zweites Blog: „Thea“. Darin geht es um feministische Themen: geschlechtergerechte Sprache und die Darstellung von Frauen in den Medien. In meinen Zwanzigern habe ich in Neuseeland am Theater gearbeitet, ich weiß also selbst, wie es sich anfühlt, die Ausländerin zu sein. Heute verdiene ich mir meinen Lebensunterhalt als Texterin, vor allem in den Bereichen Kultur, Tourismus, Natur und Umweltschutz. Gerade nimmt mich die Flüchtlingssache aber ganz schön in Anspruch. Mein Ziel? Alle Projekte in Deutschland erfassen. Dann erst höre ich auf!“

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