Der Mann in EMMA: Holger Fuß

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Sie wollen erfahren, warum es gefährlich ist, als Mann in der EMMA zu schreiben? Das ist verständlich. Aber dazu muss ich etwas ausholen. Vor 32 Jahren war ich für ein paar Tage in der EMMA-Redaktion zu Gast. Gemeinsam mit sechs Kollegen als Mitglied einer improvisierten „Männer-Redaktion“. Alice Schwarzer hatte bei Thomas Gottschalk eine Wette verloren, wir waren der Wetteinsatz und durften das halbe Heft füllen.

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Es war das Jahr 1988, wir kannten damals nur zwei Geschlechter und mit etwas Glück hatten Frauen und Männer eine Menge Spaß miteinander. Ich war ein junger Schwengel, Mitte 20, der Frauen sehr mochte, aber immer erraten musste, was sie wollten. Angst hatte ich nie vor ihnen, dazu küssten viele einfach zu gut.

In der Luft hingen Parolen, die einen jungen Menschen mit Verheißung erfüllen konnten. „Die Zukunft ist weiblich“, so hieß es. Oder: „Die Zukunft heißt Frau“. Mir gefiel die Aussicht. Ich empfand mich als links, kapitalismuskritisch und als einen radikalen Feministen.

Aus unerklärlichen Gründen hielten mich die EMMA-Redakteurinnen für einen Macho. Trotzdem mochten sie mich und ich wiederum war hingerissen von ihnen. Wo ich zickige, frustrierte, ja vertrocknete Weibsbilder wähnte, empfingen uns charmante, humorvolle Ladies, die erkennbares Vergnügen an uns hatten und mich, den Jüngsten, bald als Toyboy entdeckten. Ich wurde fürs Titelbild fotografiert, allfällig umgarnt, und Alice, die Chefin, fuhr mir durchs Haar und kiekste: „Wie verletzlich unser junger Chauvi doch ist! Ist das süüß!“

Kurzum, meine Begegnung mit dem real existierenden Feminismus der 1980er Jahre in der EMMARedaktion hatte flirtenden Charakter, und ich bin noch heute der Meinung, dass die Befreiung beider Geschlechter in erotischer Gestalt zu finden ist.

Wie sehr uns die Praxis eines erotischen Umgangs mit der Welt inzwischen abhanden gekommen ist, hat uns die Metoo-Kampagne vorgeführt. Denn all die stumpfen Übergriffigkeiten, die unsortierten Begehrlichkeiten, die bei Männern wie bei Frauen zutage kamen, führten vor Augen, wie dramatisch eine Kultur wie die unsrige verfällt, wenn die Kunst des Erotischen weder überliefert noch gepflegt wird.

Heute sind Frauen ganz selbstverständlich im öffentlichen Leben präsent. Als Bundeskanzlerin, EU-Kommissionspräsidentin, Vorstandschefin. Die Zukunft ist weiblicher geworden. Aber sie ist auch brutaler geworden. Die soziale Kälte, die unser Land durchdringt, wäre vor 30 Jahren unvorstellbar gewesen. Das ist nicht allein die Schuld von Frauen. Allerdings haben es die Frauen auch nicht zu verhindern vermocht.

Natürlich ist es gefährlich, weil unerhört, so etwas als Mann in der EMMA zu schreiben. Ich weiß aber auch, dass nicht nur Männer wie ich, sondern auch viele Frauen sich vom zeitgenössischen Feminismus im Stich gelassen fühlen. In ihrem Selbstverständnis können Frauen in westlichen Gesellschaften strukturell als befreit gelten. Ein junges Mädchen weiß heutzutage, dass ihm alle Welt offensteht, wenn es sich gut bildet und willensstark durchsetzt. Im Zweifel reicht ein bekritzeltes Pappschild, um vor der UNOGeneralversammlung sprechen zu können.

Neu verhandelt werden muss hingegen die Frage, was es im Zeitalter der Augenhöhe bedeutet, eine Frau und ein Mann zu sein. Und: Wie die Familie der Zukunft konstruiert ist, um Kindern ökonomische Stabilität, emotionale Geborgenheit und gesellschaftliche Wertschätzung zu bescheren. Wir werden die Menschen nicht nur zu geschlechtlichen Fantasyfiguren neutralisieren können, wie es auf dem Genderticket derzeit stattfindet. So etwas mag in urbanen Akademikermilieus populär sein, die Wirklichkeitserfahrung der meisten Menschen bleibt hiervon unberührt.

Viel zu lange schon hat der Begriff Sexismus einen üblen Leumund. Doch eine spielerische, heitere Alltagserotik ist ohne Sexismus nicht möglich. Und auch kein tänzelnder Flirt mit der Welt und dem ganzen Rest. Wenn die Zukunft wirklich weiblich sein soll, kann das nur bedeuten: Mehr Sexismus wagen!

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