Guter Journalismus ist nie sexistisch!

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Immerhin vier! denke ich noch. Vier Teilnehmerinnen, das ist doch gar nicht so schlecht für einen Workshop über Sexismus im Journalismus. Denn es gibt bestimmt deutlich coolere Themen auf den Jugendmedientagen in Bonn. Bei denen jedeR sofort an die Zukunft denkt, die Zukunft des Journalismus! „Mobile Reporting“ zum Beispiel! Aber Sexismus ... Interessiert das Menschen zwischen 15 und 25 Jahren?

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Sexismus, in-
teressiert das junge Menschen überhaupt?

Es ist 14.30 Uhr und mein Workshop „Awesome & Aware – Warum guter Journalismus nie sexistisch ist!“ beginnt jetzt. Vor mir, in dem Seminarraum der Deutschen Welle, sitzen eine junge Frau aus Österreich, eine junge Frau aus Albanien und zwei junge Frauen aus Deutschland. „Dann legen wir mal los, was?“ frage ich aufmunternd in den quasi leeren Raum. In diesem Moment öffnet sich die Tür. „’Tschuldigung, wir sind zu spät!“ - „Ist das hier der Sexismus-Workshop?“ – „Gibt es hier irgendwo noch mehr Stühle?“ Eine große Gruppe junger Frauen schlängelt sich in den Seminarraum. (Erst im Verlauf des Seminars sollten drei Männer hinzukommen.) Zwo, vier, sechs, acht, zehn ... Über 20!? Na, dann legen wir mal los, was?

Ziemlich unterschiedliche Typen sitzen da vor mir, das ist schon nach der Vorstellungsrunde klar. Von 17 bis 27. Von schüchtern bis vorlaut. Von der Amerikanistin bis zur Computer-Spiele-Forscherin. Die eine hat bis vor kurzem noch die Schülerzeitung gemacht, die andere ist beim Hamburger Bürgerfunk. Eine schreibt über Sport, eine ist Social-Media-Editorin bei einem Nachrichtenportal, die nächste kommt aus Brasilien und hospitiert gerade bei einem deutschen Radiosender, wieder eine andere analysiert für ihre Bachelor-Arbeit die Serie „Game of Thrones“.

Und es dauerte auch nicht lange, bis klar ist: Hier sitzt so manche erklärte Feministin. Als eine Teilnehmerin darüber berichtet, dass sie schon in der Schule als „die Emanze“ verschrien war und sich die MitschülerInnen deswegen oft über sie lustig gemacht haben, schwirrt ein zustimmendes Raunen durch den Raum. Manche Dinge ändern sich scheinbar nie ...

Da sitzt sie also, diese angeblich selbstsüchtige, gleichgültige, karrierebesessene und internetsüchtige Generation Y, zu der ich ganz am äußersten Rand ja auch noch irgendwie dazu gehöre, denke ich. So viel also zum Klischee ...

„machtWorte“ – so lautet dieses Jahr der Titel der #JMT15, wie es im Netz kurz und knapp heißt. „Freiheit//Vielfalt//Verantwortung“, so geht der Titel weiter. „Wir hätten die EMMA gerne dabei!“, hatte Mit-Organisatorin Pauline Trueck im Sommer gemailt. Klar wollten wir dabei sein. Mit Worten kennen wir uns schließlich aus, mit der Analyse der Machtverhältnisse ebenso. Wie übrigens auch die meisten der Workshop-Teilnehmerinnen, die erstaunlich vertraut waren mit der Frage, die an diesem Nachmittag diskutiert wurde: Wie kann ich Sexismusfallen durch einfache handwerkliche Tricks in meiner eigenen Berichterstattung vermeiden – von geschlechtergerechter Sprache über die Auswertung von Informationen und Statistiken bis hin zu der Bilderauswahl.

Nackte Frauen in der Bild kritisieren - das ist einfach!

Denn klar, nackte Frauen in der Bild zu kritisieren ist einfach. Aber was ist mit subtileren Formen von Sexismus, besonders in den als seriös geltenden Medien? Zum Beispiel beim Stern, der das Thema Gesundheit mit einer nackten Frau auf dem Titel aufmacht. Oder die Süddeutsche Zeitung, die in einer vergleichsweise kleinen Meldung über eine Gruppenvergewaltigung in Tübingen schreibt: „Zwei Frauen fanden die Leichtverletzte und brachten sie zum Sicherheitspersonal der Party.“ Und: Wie bebildere ich eigentlich Themen wie Prostitution, wenn es im Prinzip fast nur Abbildungen von Prostituierten gibt, die aussehen wie Bordellwerbung. Und so ein verfälschtes Bild der Realität in der Prostitution vermitteln? Dass es auch anders geht, zeigen die wenigen Gegenbeispiele, zum Beispiel die Arbeit „Prostituierte“ von Bettina Flitner. Sie porträtierte Frauen in der Prostitution am deutsch-tschechischen Straßenstrich. Und zeigt die Realität.

Zurück nach Bonn: Selbst die Workshop-Teilnehmerinnen, die offen zugaben, vorher noch nie darüber nachgedacht zu haben, wieso zum Beispiel der Gender-Gap bei Wahlergebnissen eine Rolle in der Berichterstattung spielen sollte, haben sich an der ziemlich leidenschaftlichen und mitunter auch turbulenten Debatte beteiligt.

Nehmen wir also die Landtagswahl 2014 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, bei der die AfD aus dem Nichts bis zu über zwölf Prozent der Stimmen bekam. Ein Blick auf den Gender-Gap verrät: Diese Stimmen bekam die AfD vor allem von männlichen Wählern. Was bei der frauenpolitischen Haltung nicht wundert: Die damalige Spitzenkandidatin in Sachsen, Frauke Petry, ist Abtreibungsgegnerin und warb unverhohlen mit einer „Drei-Kind-Politik“. Petry ist heute Parteivorsitzende. Für Journalistinnen ist das auch deshalb interessant, weil sich hinter solchen Beobachtungen ganze Geschichten verbergen.

Wie auch bei der Berichterstattung über Amokläufe. Als der 17-jährige Tim K. 2009 in Winnenden in einer Schule zwölf Menschen erschoss lasen wir im Spiegel: „Gegen 9.30 Uhr betrat ein 17-Jähriger die Albertville-Realschule und suchte das Obergeschoss auf. Dort schoss er mit einer Pistole, 9mm, auf Lehrer und Schüler. Hierbei verletzte er neun Schüler und drei Lehrer tödlich.“ Bloß: Tim K. erschoss acht Schülerinnen, drei Lehrerinnen und einen Schüler. Das heißt: Durch die konsequente Verwendung des sogenannten generischen Maskulinums fiel in einem Großteil der Berichterstattung über den Amoklauf in Winnenden ein wesentlicher Fakt einfach unter den Tisch: Tim K. schoss vor allem auf Mädchen und Frauen. Mehr noch: Frauenhass ist ein Motiv für Amokläufer.

Wie sieht es mit geschlechter-
gerechter Sprache und dem Gender-Gap aus?

So erklärte fünf Jahre später der 22-jährige Elliot Roger aus Santa Barbara vor seiner Tat im Internet: „Ich bin der perfekte Mann und ihr werft euch trotzdem diesen ganzen anderen dämlichen Typen an den Hals. Am Tag meiner Rache werde ich ins Gebäude der schärfsten Studentinnenverbindung meiner Uni gehen und ich werde jede einzelne blonde, verwöhnte Schlampe abschlachten, die ich dort sehe.“ Diese Absicht setze Roger kurz darauf in die Tat um. Sein Motiv für den Amoklauf allerdings blieb in der Nachberichterstattung allzu oft unerwähnt.

Bei der Vorrecherche zum Workshop war ich auf Informationen zu Frauen im Journalismus gestoßen, die mich in ihrer Drastik selbst ein bisschen überrascht haben. Was hat sich getan, seit mein „Chef“ Alice Schwarzer im Januar 1977 im Editorial der ersten EMMA schrieb: „Egal ob ‚links‘ oder ‚rechts’, ob Boulevardblatt oder Polit-Magazin, ob Funk oder Fernsehen - überall haben Männer das Sagen und nutzen dies weidlich aus. Die existierende Presse ist eine Männerpresse.“? - Offensichtlich nicht genug.

Nehmen wir zum Beispiel die Ergebnisse des "Media-Monitorings", die der Journalistinnenbund alle fünf Jahre veröffentlicht. Die zeigen: Auch im neuen Jahrtausend sind Frauen in den Medien unterrepräsentiert. Die Berichterstattung dreht sich zu 80 Prozent um Männer. Frauen werden nur in rund 20 Prozent der Fälle als Expertinnen oder Sprecherinnen eine Partei oder Gruppe zitiert.

In Kürze erscheint die neue Fassung - die zitierten Zahlen sind aus dem Jahr 2010. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich das Verhältnis Mann/Frau in den Medien seither verändert hat – schließlich hat Deutschland mittlerweile nicht mehr nur eine Kanzlerin, sondern auch eine Verteidigungsministerin. Und frauenpolitische Themen wie die Quote, die rezeptfreie „Pille danach“, sexuelle Gewalt und Prostitution waren häufig Gegenstand der Berichterstattung der letzten Jahre. Nicht zu vergessen die Nachrichten zur Familienpolitik, allen voran das Betreuungsgeld, die sich ja ebenso meistens um Mütter drehen - auch wenn es genauso um Väter geht.

Und wie mit den Fotos, mit denen Prostitution bebildert wird?

Und der Sexismus selbst war Thema. Als Stern-Reporterin Laura Himmelreich im Januar 2013 in ihrem Porträt „Der Herrenwitz“ das sexistische Verhalten des damaligen FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle zur Kategorie erklärte, um ihn nicht nur als Menschen, sondern auch als Politiker einzuschätzen, ging im wahrsten Sinne des Wortes ein Aufschrei durch Deutschland. „Brüderles Blick wandert auf meinen Busen. ‚Sie können ein Dirndl auch ausfüllen’“, schrieb Himmelreich. Zeitgleich begannen junge Frauen im Netz unter dem Hashtag #Aufschrei über die sexistischen Übergriffe zu twittern, die sie tagtäglich erleben. Was eine wochenlange Debatte über Sexismus nach sich zog. Das Sensationelle: In Deutschland brachen die Frauen ihr Schweigen. Und die Medien griffen das auf.

Was habe ich selbst gelernt auf den Jugendmedientagen? 1. Ja, Sexismus ist ein Thema, das junge Frauen brennend interessiert – sie werden wissen warum. 2. Um journalistischen Nachwuchs müssen wir uns keine Sorgen machen. Das werden solche Mädels schon rocken.

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Alice Schwarzer schreibt

Im Land des Herrenwitzes

Szene aus der US-amerikanischen Erfolgsserie "Mad Men".
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Natürlich ist ein Flirt etwas eindeutig Anderes als sexuelle Belästigung. Das weiß jede Frau. Und das könnte auch jeder Mann wissen, so er nur will. Ein Flirt ist gegenseitig und auf Augenhöhe. Die sexuelle Belästigung ist einseitig und von oben nach unten. Doch sollte es tatsächlich immer noch diesen oder jenen Mann geben, dem es schwer fällt zu unterscheiden, habe ich einen ganz einfachen Tipp: Stellen Sie sich die Situation mal umgekehrt vor. Dass zum Beispiel eine ältere Politikerin mit einem jungen Journalisten über Slipgrößen und Jeansmarken scherzt und darüber, was er wie alles so ausfüllen könnte (so wie Brüderle mit Himmelreich über Körbchengrößen). Schockierend? Aber klar doch.

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Sexuelle Belästigung
im Beruf ist ein Massenphänomen

Kurzum: Sexuelle Belästigung hat rein gar nichts mit einem wahren erotischen Interesse zu tun, sondern ist ausschließlich eine Machtdemonstration. Sie will dem Gegenüber zeigen, dass es eben keines ist, sondern ein Drunter. Gerade in diesen Zeiten des Umbruchs und der Verunsicherung der Männer ist die sexuelle Belästigung von Frauen darum allgegenwärtig und auch im Beruf keineswegs eine Ausnahme, sondern ein Massenphänomen. Das sehen wir nicht zuletzt an der überraschenden Heftigkeit der Debatte. Auch belegen nationale wie internationale Statistiken, dass zwei von drei Frauen solcherlei Erfahrungen schon am eigenen Leibe machen mussten. Das überrascht nicht wirklich.

Warum? Zum einen waren Sexualität & Gewalt über Jahrtausende untrennbar. Frauen waren Besitz und hatten zur Verfügung zu stehen, was sich erst in den 1970er Jahren zu ändern begann. Dank der Frauenbewegung. Das Gesetz, das endlich auch in Deutschland sexuelle Gewalt gegen die eigene Ehefrau unter Strafe gestellt hat, ist erst 16 Jahre alt. Zur Verabschiedung war, nach jahrzehntelangen vergeblichen Debatten, ein Schulterschluss der Politikerinnen aller Parteien nötig, von rechts bis links. Und die sexuelle Belästigung im Beruf wird in Deutschland erst seit 2006 effektiv geahndet. Theoretisch.

Die weder via direkter Gewalt noch via gönnerhafter Galanterie hierarchische  Sexualität, sondern die einvernehmliche Lust ist eine relativ neue Erfindung. Erotik auf Augenhöhe wird von SexualforscherInnen auf breiter Basis erst seit etwa einem Vierteljahrhundert registriert – also seit die Impulse der Gleichheit in den Herzen und Betten angekommen sind.

Sexualität & Gewalt waren Jahrtausendelang untrennbar

Das ist neu. Und gewöhnungsbedürftig. Und noch lange kein gesichertes Terrain. Genau so wenig wie die Präsenz von Frauen im Beruf. Doch jetzt sind sie angekommen, die Frauen. In den Schulen schreiben sie bessere Noten, an den Universitäten machen sie bessere Abschlüsse, und sie drängen in Aufsichtsräte und Kabinette, ja sind in Deutschland sogar Kanzlerin. Das ist nicht immer nur schön für die Männer. Die müssen liebgewordene Privilegien aufgeben und Posten räumen.

Eine zum Glück stetig wachsende Anzahl von Männern macht das Beste draus und erobert nun ihrerseits das Familienterrain. Auffallend ist auch in der aktuellen Sexismus-Debatte, wie viele Männer inzwischen auf Seiten der empörten Frauen sind. Gleichzeitig aber wächst der Widerstand. Denn wo Fortschritt ist, ist immer auch Rückschritt. Und dieser Widerstand scheint innerhalb der westlichen Welt ein Zentrum in Deutschland zu haben. Ich behaupte mal: Außer in Italien hätte man – oder auch frau – in keinem anderen aufgeklärten Land ungestraft öffentlich so joviale Herrenwitze reißen können, wie wir sie in den vergangenen Monaten hören durften.

Deutschland ist im Jahr 2013 nicht nur die europäische Drehscheibe für Prostitution und Frauenhandel, sondern auch das Land des Herrenwitzes. Vielleicht hängt das ja irgendwie zusammen?

Und die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? 70 Prozent aller Frauen in Deutschland sind heute berufstätig, davon knapp jede zweite allerdings in Teilzeit. Diese Frauen arbeiten in drei Kategorien: 1. in den so genannten „Lächelberufen“ (von der Verkäuferin über die Zimmermädchen bis zur Stewardess). 2. in den Malocherberufen (von der Kantinenmitarbeiterin bis zur Putzfrau). 3. in den Männerberufen (von der Polizistin bis zur Journalistin).

Ziel: das Eindringen von Frauen in Männerdomänen verhindern

Die Frauen in den Malocherberufen riskieren vermutlich noch die relativ geringsten Belästigungen. Sie sind in der Regel nicht  „nett“ genug. Die Frauen in den Lächelberufen sind zur Anmache prädestiniert, ja werden in den Augen mancher Männer doch dafür bezahlt. Und die Frauen in den Männerberufen? Die sind das wohl härteste Kapitel.

Nicht nur aus Studien im amerikanischen Militär wissen wir, dass sexuelle Demütigung und Gewalt zum klassischen Repertoire gehören. Ziel: das Eindringen von Frauen in Männerdomänen, also die weibliche Konkurrenz, verhindern. Das kann weit gehen. Im Extremfall bis zur Vergewaltigung oder gar Mord.

Wie aber sieht es bei den Journalistinnen aus? Das Besondere an diesem Beruf ist, dass wir Journalistinnen einerseits in ein männerdominiertes Terrain eingedrungen sind, andererseits aber gleichzeitig gerade die sozial so gut trainierten so genannten „weiblichen Fähigkeiten“ bestens gebrauchen können, wie: Einfühlungsvermögen in Menschen, Diskretion bei der Recherche etc. Auch ist es keineswegs immer auszuschließen, dass eine Journalistin selber auf die Karte „weibliche Attraktivität“ setzt, wenn sie mehr rauskriegen will als der Kollege.

Und genau das ist heute auch die Krux der so gerne zitierten „jungen Frauen“. Man hat ihnen weisgemacht, es gäbe keine Probleme mehr. Hauptsache, sie seien so qualifiziert wie die Männer – aber, Achtung, blieben dabei dennoch ganz Frau. Was immer das heißen mag. Auf jeden Fall heißt es: Nicht so eine frustrierte, männerhassende Emanze sein wie Muttern, sondern trotz IQ und Diplom einen kurzen Rock tragen, Highheels und immer ein Lächeln auf den Lippen. Wir neuen Frauen sind so frei. Zu schön, wenn es wahr gewesen wäre. So aber wagten die neuen Frauen diese Gratwanderung – und fielen in den Augen gewisser Männer prompt ins alte Raster: weiblich gleich gefügig.

Müssen Journalistinnen Burka tragen, um mit Männern unterwegs zu sein?

Stern-Autorin Himmelreich, das belegen Fotos, hatte offensichtlich nicht auf diese Karte gesetzt. Selbst ihr kurzer Rock scheint eher sportlicher Natur. Dennoch steht sie jetzt auf der schwarzen Liste – und mit ihr alle emanzipationsverdächtigen Kolleginnen. Denn sie hat etwas Ungeheuerliches getan: Sie hat die Anmache nicht belächelt oder weggesteckt, sondern ernst genommen. Sie hat nicht schon vor Jahresfrist einen spitzen Schrei ausgestoßen und sich beklagt, dieser Herr Brüderle habe sie obszön angebaggert. Im Gegenteil: Sie hat einfach weiterrecherchiert und im passenden Moment – als Brüderle aktuell wurde – die Erfahrung, dass dieser Mann anscheinend ein notorischer Frauenanbaggerer auf Stammtischniveau ist, als einen Faktor von mehreren in ihrem Porträt verarbeitet.

Und genau das ist der Skandal! Dass ein Mann eine herablassende, sexistische Umgangsweise mit Frauen hat, das zählt nun plötzlich als Negativ-Kriterium in einem Politiker-Porträt. Seit Veröffentlichung des Stern-Textes ist klar: Dieser alte neue Spitzenkandidat der FDP ist ein Mann von gestern. Brüderles Partei-Kumpan Kubicki hat darauf eine wahrlich bedrohliche Antwort gegeben: Berufsverbot für Journalistinnen! Er wolle nun überhaupt keiner Journalistin mehr Rede und Antwort stehen, um gar nicht erst in Verdacht zu geraten, erklärte er. Müssen Journalistinnen also jetzt Burka tragen, um noch Männer interviewen zu können?

Der #aufschrei 2013 ist übrigens beileibe nicht der erste Aufschrei. Die sexuelle Belästigung im Beruf ist in Amerika seit den 1970er Jahren ein zentrales Thema und war in Deutschland in den 1980er Jahren im Gespräch (EMMA brachte die erste große Geschichte über sexuelle Belästigung im Dezember 1980). Doch die zu Recht empörten jungen Frauen fangen wieder einmal bei Null an. Was der systematisch betriebenen (angeblichen) Geschichtslosigkeit der Frauen zu verdanken ist, also der Spaltung der Generationen.

Immer mehr Frauen sind entschlossen, die Männer einzuklagen

Jetzt schlägt die Empörung also wieder hohe Wellen. Und interessanterweise teilen die Reaktionen sich auch unter Frauen in die zwei klassischen Lager: Hier die Biologistinnen, also die Frauen, die finden, „die Männer sind nun mal so“ und „die Frauen von einem anderen Stern“. Da die Universalistinnen, also die Frauen, die überzeugt sind, selbst Männer könnten sich ändern und selbst Frauen seien Menschen. Was auch, aber nicht nur, eine Frage der Generation ist.

Wenn manche Journalistinnen Männer mit Stieren und Frauen mit Kühen gleichsetzen oder den Erhalt des „kleinen Unterschieds“ beschwören, offenbart sich ein Männerbild, das man einfach nur noch krass sexistisch nennen kann. Freuen dürfen sich eigentlich noch nicht einmal die Brüderles und Kubickis über solche Sympathisantinnen.

Doch zum Glück gibt es immer mehr Frauen, vor allem unter den jungen, für die auch Männer Menschen sind. Und die entschlossen sind, diese Männer einzuklagen! Darunter viele Journalistinnen und die 31-jährige Kommunikations-Expertin Anne Wizorek, die den viel beachteten #aufschrei gegen sexuelle Belästigung bei Twitter initiiert hat. Auf den haben bereits in den ersten drei Tagen über 60.000 Menschen reagiert, überwiegend empörte Frauen. Das ist ernst zu nehmen. Sehr ernst.

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