Ganz schön teuer! Was Männer kosten
Was kostet das Patriarchat? Frauenglück, Frauenchancen und im schlimmsten Falle – Frauenleben. Genau. Aber es kostet auch: Geld. Sehr, sehr viel Geld. Feministinnen sagen das schon lange, aber die Aufmerksamkeit für dieses Argument hielt sich bisher in Grenzen. Jetzt aber sagt es Boris von Heesen. Und da der sowohl ein Mann als auch Ökonom ist, stehen die Chancen gut, dass man die Summe, die er ausgerechnet hat, diesmal zur Kenntnis nimmt: 63,5 Milliarden Euro. Pro Jahr. Das entspricht dem Volumen des gesamten dritten „Entlastungspaketes“ der Ampel-Koalition, das wiederum einem Siebtel des gesamten Bundeshaushaltes entspricht. Es ist also verdammt viel Geld.
Bevor wir uns anschauen, welche Rechnung Boris von Heesen in seinem Buch „Was Männer kosten“ aufgemacht hat, lassen wir ihn kurz erklären, warum er das überhaupt getan hat. „Wahrscheinlich liegt es an der ungewöhnlichen Kombination meiner Ausbildungen und beruflichen Erfahrungen, dass ich überhaupt auf dieses Thema gestoßen bin und es mich bis zum heutigen Tag nicht mehr losgelassen hat“, erklärt der Autor. „Ich bin Wirtschaftswissenschaftler, arbeite als Vorstand eines Jugendhilfeträgers und engagiere mich nebenberuflich als Männer-, Jungen- und Gewaltberater.“
Als solcher ist er nicht nur in der Theorie, sondern auch ganz praktisch mit den menschlichen und eben auch monetären Folgen der sogenannten „toxischen Männlichkeit“ konfrontiert. Allen voran natürlich die Gewalt, die prügelnde Männer gegen Frauen und Kinder ausüben. Aber auch „der spielsüchtige junge Familienvater, der seiner Partnerin, seinen Kindern und sich selbst das Leben zur Hölle macht. Die Eltern, die mit einem pflegebedürftigen Sohn zurückbleiben, weil er bei einer Schlägerei auf den Hinterkopf gestürzt ist. Die junge Mutter, die sich mit ihren Kindern allein durchs Leben kämpfen muss, weil ihr Mann dem Temporausch mit dem Motorrad zum Opfer gefallen ist.“ Und dann sind da noch: Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung, Kriminalität. Alles Auswüchse der Geschlechterbilder, die in unserer Gesellschaft immer noch wirken.
Allen, die denken, dass „doch schon so viel geschehen sei in Sachen Geschlechtergerechtigkeit und wir es langsam mal gut sein lassen könnten, müssen jetzt ganz stark sein. Es hat sich nämlich viel weniger verändert, als wir denken.“ Vieles ist immer noch beim Alten. Zum Beispiel die Tatsache, dass in Deutschland 94 Prozent aller Väter in Vollzeit arbeiten, 94 Prozent aller Gefängnisinsassen männlich sind und 83 Prozent aller eingezogenen Führerscheine Männern gehören.
„Damit aber endlich Bewegung in die Sache kommt“, sagt der Ökonom von Heesen, „habe ich entschieden, für dieses Buch die Sprache des Patriarchats und des ihm eng verbundenen Kapitalismus zu wählen: Geld.“ Also: Was kosten Männer?
Da sind zunächst einmal die direkten Kosten. Angeführt wird das Ranking vom Preis für die Folgen exorbitanten Alkoholkonsums, und der ist überwiegend männlich. Drei von vier Menschen, die an einer alkoholbedingten Lebererkrankung sterben: Männer. Drei von vier Menschen, die an einer alkoholbedingten psychischen Störung leiden: Männer. Drei von vier Menschen, die ambulante wie stationäre Angebote gegen Alkoholsucht in Anspruch nehmen? Männer. Kostenpunkt: 26 Milliarden Euro. Auch bei anderen Süchten sind Männer Spitzenreiter. Allein die Kosten für „pathologisches Glücksspiel“ (88 % Männer) schlagen mit 300 Millionen Euro zu Buche.
Nächster Posten: die Männergewalt gegen Frauen. Da sind zunächst die Kosten für: Polizeieinsätze, Gerichtsverfahren, Behandlungen in Arztpraxen und Krankenhäusern. Und natürlich die Frauenhäuser, die ohnehin unterfinanziert sind und viele Millionen mehr gebrauchen könnten. Und die indirekten Folgekosten wie: Die Arbeitsausfälle der Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden; ihre beruflichen Wege, die sie nicht gehen, weil auch ihr Selbstwertgefühl zerstört ist. Die Opfer sexuellen Missbrauchs, die die Aufarbeitung ihres Traumas so viel Kraft kostet, dass für ein Berufsleben nicht mehr viel übrigbleibt. Abgesehen vom menschlichen Leid: Wie viele Steuern entgehen dem Staat dadurch? Insgesamt kommt Boris von Heesen auf 2,7 Milliarden Euro.
Fast die gleiche Summe kosten Männer im Strafvollzug: drei Milliarden Euro. Wer beim Thema Kriminalität an Männer aus der bildungsfernen Unterschicht denkt, liegt nur teilweise richtig. Denn was ist mit der Wirtschaftskriminalität? Cum-Ex, Wirecard, Diesel-Skandal? Auch diese männerbündischen Geschäfte kosten den Staat Milliarden. „Das Feld der Wirtschaftskriminalität und ganz besonders der Fall Cum-Ex zeigen, wie eng das Patriarchat und neoliberaler Turbokapitalismus miteinander verwoben sind“, sagt Autor von Heesen. „Männer, jahrzehntelang davon geprägt, sich in einem aufreibenden Wettbewerb gegen andere Männer und inzwischen auch Frauen durchzusetzen, gewinnen Macht und Einfluss. Darüber verlieren sie Maß, Anstand und Orientierung. Sie verbünden sich mit anderen Männern, nutzen schamlos Lücken im System aus, um ihr eigenes Vermögen auf Kosten des Gemeinwohls sinnlos aufzublähen. Die Ignoranz und Skrupellosigkeit dieser Herren verdeutlicht ein Satz, der während eines Meetings der Betrüger gefallen sein soll: ‚Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass in Deutschland weniger Kindergärten gebaut werden, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hier falsch.‘“
Und dann sind da auch noch die Rowdy-Kosten, zum Beispiel durch überwiegend männliche Hooligans, die die SteuerzahlerInnen durch zusätzliche Polizeiansätze pro Fußball-Saison fast 165 Millionen Euro kosten. Oder durch Raser, die sich zwar in Umfragen für die besseren Fahrer halten, de facto aber für vier von fünf Fällen von in Flensburg aktenkundigen Geschwindigkeitsübertretungen verantwortlich sind. Sie verursachen sechsmal so viele Unfälle unter Alkoholeinfluss und so viele Unfälle mit Personenschaden, davon etliche mit extrem PS-starken Autos, dass sie das Gemeinwesen mit 5,2 Milliarden Euro belasten. Und natürlich auch das Klima, das Männer auch mit ihrem mehr als doppelt so hohen Fleischkonsum belasten. So weit, so berechenbar.
Und dann sind da noch die nicht berechenbaren Kosten des Patriarchats, die ebenfalls immens sind, aber weitaus schwerer zu beziffern.
Boris von Heesen nennt hier zwei Auswüchse, die beides sind, Produkt des Patriarchats und Mittel zu seiner Verfestigung: Pornografie und Prostitution. Speziell bei der Prostitution wäre es ein aufschlussreiches Rechenexempel zu beziffern, was es kosten würde, den Zehntausenden Frauen aus den Armenhäusern Europas die gesundheitliche Versorgung angedeihen zu lassen, die sie eigentlich bräuchten, wenn sie nach Tausenden „bedienten“ Freiern seelisch und körperlich zerstört in ihre Heimatländer zurückkehren. Wie praktisch, dass der deutschen Volkswirtschaft diese Kosten erspart bleiben. Aber allein dadurch, dass Pornografie und Prostitution zum Erhalt des so kostspieligen Systems beitragen, so die Kalkulation des Autors, schlagen auch sie kostenmäßig zu Buche.
Bleibt die Frage: Was ist zu tun? „Eine erste Maßnahme wäre die systematische Veröffentlichung von Statistiken, die die Belastungen abbilden“, fordert der Ökonom. „Ich frage mich zum Beispiel, warum das Bundeskriminalamt, die Polizeibehörden der Länder, das Kraftfahrtbundesamt oder die Statistikbehörde Destatis ihre alarmierenden Zahlen nicht regelmäßig und prominent ins Zentrum der Öffentlichkeit rücken.“ Gute Frage.
Diese geschlechterbewussten Zahlen wären ein Anfang, um das (selbst)schädigende Verhalten von Männern ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Das wäre ein erster Schritt auf einem langen Weg: Rollenmuster ändern, und zwar auf allen Kanälen: in Kindergärten und Schulen, in der Jugendarbeit und in der Verkehrserziehung, in der Werbung und in den Medien. Hauptziel: Der Indianer muss seinen Schmerz erkennen. „Der fehlende Zugang zu den eigenen Gefühlen, zur eigenen Innenwelt ist in vielen Fällen die Ursache für ungesundes männliches Verhalten“, weiß Boris von Heesen.
Dass es anders geht, zeigen ermutigende Beispiele. So belegt eine deutsch-österreichische Studie, die die Lebenserwartung von Nonnen und Mönchen vergleicht, dass sich die beiden Geschlechter kaum voneinander unterscheiden – während außerhalb von Klostermauern Männer im Schnitt fünf Jahre früher sterben als Frauen. Doch Nonnen und Mönche hatten sich in Sachen Stress, Ernährung und Bewegung einander angeglichen – und lebten gleich lang. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie, die die „beschwerdefreien Altersjahre“ ab 65 untersuchte. Ergebnis: In Ländern wie Schweden, Norwegen und Island haben die Menschen mehr beschwerdefreie Altersjahre als in Deutschland, nämlich im Schnitt 16. Aber es gibt noch einen Unterschied: Anders als in Deutschland (Frauen: 12,8 Jahre und Männer: 11,5 Jahre), liegt der Unterschied zwischen den Geschlechtern bei null. Kein Wunder: Es sind die gleichberechtigsten Länder der Welt.
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