Widernatürlich oder feministisch?
Die Debatte ist, wohl inspiriert von ihrem Gegenstand, gespickt mit deftigem Vokabular. Eine "weibliche Stierabstecherin" und "Tiermörderin" sei die Torera Christina Sanchez, merkten empörte Leserinnen an, nachdem in der Emma ein informativer Text darüber erschienen war, wie erstmalig eine Frau in die Eliteliga der spanischen Stierkämpfer aufstieg.
Doch es ist nicht allein Christina Sanchez, die eine machistische Tabuzone betreten hat. Auch Boxerinnen oder Rennfahrerinnen müssen es sich gefallen lassen, danach gefragt zu werden, ob es tatsächlich ein Schlag in die Magengrube des Patriarchats sei, wenn Frauen in den Boxring steigen? Ob es sich nicht um postmodernen Feminismus handele, wenn sich statt Michael Michaela im Cockpit des Ferrari die Knochen bricht? "Frauenhände weg!" also vom sportlichen Macho-Firlefanz?
Das würde bedeuten, dass Frauen nun auch noch selbst den Ausschluss fordern, dessen Opfer sie so lange waren! Boxen beispielsweise war bis zum Sommer 95 laut der deutschen Verbands-Wettkampfbestimmung eine "Zweikampfsportart von männlichen Partnern im Ring". Doch warum sollten nicht auch Frauen das Recht haben, sich einen Hauch vom "I am the Greatest"-Touch dieser Disziplinen zu erobern?
Sicher, ob derartige Riten generell archaisch, primitiv und pervers sind und daher abgeschafft gehören, das ist durchaus eine Debatte wert. Diese Debatte aber sollte unabhängig vom Geschlecht der daran Teilnehmenden diskutiert werden.
Lehnen wir uns also zurück und betrachten das ganze aus einem anderen Blickwinkel. Was verrät uns eigentlich die oft heftige Ablehnung von Frauen in Ring oder Corrida über eine Gesellschaft, in der mit ähnlicher Intensität behauptet wird, dass es auf "den kleinen Unterschied" heutzutage nicht mehr ankäme? Schließlich ist Calvin Kleins Unisex-Duftmarke "One" nicht zufällig ein Verkaufsschlager, oder?
Welche Rolle können Frauen nun tatsächlich bei Leistungsschauen spielen, deren Reiz - unisex hin oder her – noch immer elementar auf der Huldigung all dessen beruht, was sich unter dem Etikett "Machismo" zusammenfassen lässt. "Frauen in Männersportarten" - bedeutet das tatsächlich nur die "Übernahme männlicher Verhaltensweisen", wie der Titel eines Hamburger Seminars zum Thema nahelegte? "Ein kleiner Schlag für die Frau, ein großer Schlag für die Frauenbewegung", kommentierte Stefan Aust, damals noch ausschließlich Frontmann von Spiegel-TV, im November 1994 sachlich und doch betroffen den ersten Frauen-Amateurboxkampf in Hamburg. In diesem Seitenhieb auf die Frauenbewegung schwingt die Feststellung mit, dass es un- bzw. überemanzipiert sei, wenn Frauen derart ur-männliche Riten "nachahmen". Plädiert wird hier für eine Frauenbewegung light, Motto: Immer schön Frau bleiben.
Eine Frau, die boxt, kann deshalb nicht ernstgenommen werden, "sie ist eine Parodie, ein Witz, sie ist monströs. Stünde sie für eine Ideologie, wäre es die des Feminismus", schreibt Joyce Carol Oates in ihrem Essay "Übers Boxen". Die amerikanische Autorin von "Fox-fire" und vielen anderen klarsichtigen Romanen meint hier freilich einen Feminismus, den der deutsche Journalist nun gerade nicht meint: jenen nämlich, der sich keineswegs mit einer fixierten "weiblichen Natur" abfinden will.
"Monströs" scheinen erfolgreiche Frauen auf Machos und Weibchen vor allem im Stierkampfund Autorennsport zu wirken. Denn diese beiden Disziplinen erlauben ihnen, direkt und chancenreich mit den Männern zu konkurrieren, und das in zwei der kerligsten Domänen schlechthin.
Nicht umsonst wurde das sportliche Reglement akribisch auf das zugeschnitten, was mann gut kann. Frauen können da lange trainierter maskuliner Stärke hinterherlaufen. Da, wo die Sportlerinnen den männlichen Kollegen überlegen sind, treten die erst gar nicht an: Bis heute lässt sich kein Mann bei bedeutenden Wettkämpfen auf dem Schwebebalken blicken. Warum auch, die Leistung in Disziplinen wie Fußball zum Beispiel wird ja ohnehin unvergleichlich viel stärker honoriert.
"Es ist schon toll, die Männer besiegen zu können", gesteht Rallye-Profi Isolde Holderied, 32, aus Bayersoien. Sie fährt in der A-Klasse, der "Königsdisziplin" des Rallyesports. Und wenn Holderied so weitermacht, könnte dieser Disziplin in naher Zukunft eine Königin vorstehen. Im Serienwagen, eine Klasse tiefer, gelang es 1994 nämlich nur einem einzigen Mann, sich zwischen Isolde Holderied und die Weltmeisterschaft zu schieben. Bei der renommierten Rallye Monte Carlo fuhren Holderied und ihre Beifahrerin im letzten Frühjahr als achtes von 150 Teams durchs Ziel.
Auch eine Frau wie Christina Sanchez droht, ihre männlichen Kollegen auf die Plätze zu verweisen. Der spanische Spitzentorero Manuel Diaz jedenfalls musste im ersten direkten Vergleich mit der Torera wegstecken, dass nicht ihm, sondern ihr nach dem Zweikampf in der Corrida die Ohren des Stiers überreicht wurden.
Kann der Matador aus einem solchen Mann/Frau-Zweikampf noch unbeschadet als Mega-Held hervorgehen, so wie die Kämpfergenerationen vor ihm? Oder hat die Männlichkeit des Helden Risse bekommen, wenn eine Frau, ohne mit der Wimper zu zucken und deutlich sichtbar, das gleiche vollbringen kann? Manuel Diaz gab der Siegerin öffentlich brav Küsschen, doch das ist nicht immer so. "Normalerweise fährt bei uns jeder gegen jeden. In der Endphase der Weltmeisterschaft fuhren jedoch alle gegen mich", beschreibt Isolde Holderied die männlichen Seilschaften im Rallye-Sport. Die Verbandsfunktionäre gehen noch einen Schritt weiter: Für sie scheinen Rennfahrerinnen erst gar nicht zu existieren. So klärt beispielsweise die Oberste Nationale Sportkommission für den Automobilsport in Deutschland (ONS) in offenherzigstem 70er Jahre-Jargon darüber auf: Die echte Rennatmosphäre ist nun mal eine Melange aus "Boxen-hektik und ein wenig Glitzerwelt um Fahrer-Stars, tolle Autos, heiße Typen und nette Mädchen" (O-Ton). Doch wenn es beim Autorennen tatsächlich wie im Adriano-Celentano-Film zugeht, wo ist dann in den Augen der Herren eine Fahrerin wie Isolde Holderied einzuordnen? Heiße Type oder nettes Mädchen?
Obwohl normalerweise streng getrennt aufgespielt wird, gab es auch im Fußball bereits Situationen des direkten Vergleichs zwischen Kickerinnen und Kickern. Erinnern wir uns an die Inszenierung um eines jener vier legendären Tore des Monats, das von einer Frau geschossen wurde. Zur Ehrung der Schützin Heidi Mohr hatte sich die Redaktion der ARD-Sportschau im Sommer 1991 etwas ganz besonderes einfallen lassen. Man überreichte Frau Mohr die fällige Medaille in einer Konservendose, welche die Stürmerin pragmatisch mit einem Dosenöffner öffnete. Das inspirierte den Moderator zu der erleichterten Bemerkung, dass bei Heidi Mohr neben den fußballerischen auch die hausfraulichen Qualitäten stimmten.
Eine Athletin muss jedoch nicht unbedingt erfolgreich in einer sogenannten Männersportart sein, um die bestehende Ordnung ins Wanken zu bringen. Es reicht, wenn sie sie ausübt. Blumenkohlohren, gebrochene Nasenbeine und zusammengeflickte Oberschenkel sind "weiblicher Schönheit" nämlich sehr, sehr abträglich. Und Boxerinnen, Stierkämpferinnen oder Rennfahrerinnen setzen sich freiwillig dem Risiko der Verunstaltungen ihres konsumierbaren Bodys aus - und verstoßen damit gegen das Diktat der Körperkontrolle, das erwartet, dass das Leben keinerlei Spuren auf Frauenkörpern hinterlässt.
Frauen haben sich das Recht, in sportlichen Männerdomänen mitzumischen, schwer erkämpft. 1993 erzwang die US-Boxerin Dallas Malloy zivilgerichtlich das Recht auf Frauen-Amateurboxen in Amerika. Hierzulande war es die Theologin Ulrike Heitmüller, die sich für das Faustrecht der Amateurinnen stark machte, und es waren Frauen und keine Verbandsfunktionäre, die den ersten Frauen-Amateurboxkampf in der Bundesrepublik organisierten.
Ellen Lohr ist nach sechs erfolgreichen Jahren im Tourenwagen ans Steuer der Macho-Kutsche schlechthin gewechselt: Sie startet seit einem Jahr beim Truck-Racing. Doch damit nicht genug. Bereits 1994 hat die Rennfahrerin die Förderung "Frauen in den Motorsport" ins Leben gerufen. Da es sonst keiner tut, hatte die 33jährige beschlossen, jungen Frauen und Mädchen mit dem Faible für den Speed-Sport selbst unter die Arme zu greifen. Heute ist Ellen Lohr die einzige Frau in Europa, die ein eigenes Rennteam managt. Noch starten zwei Männer im Formelwagen für das Team, doch wenn sich junge Frauen finden, die schnell genug für diese Klasse sind, sei das "umso besser", befindet Lohr.
Derartiges Engagement hat nichts mit der "Nachahmung männlichen Verhaltens" zu tun. Wer will es den Frauen verübeln, wenn auch sie Lust haben, im Rampenlicht die Muskeln spielen zu lassen? Zumal Frauen wie Christina Sanchez, Isolde Holderied und Ellen Lohr gut bis sehr gut von ihrer sportlichen Leidenschaft leben können. Und Spaß macht es außerdem. Sowas ist kein Beruf, das ist eine Passion.
"Den ganzen Tag bis nach Italien" ist zum Beispiel Isolde Holderied an ihrem 18. Geburtstag gefahren, allein. Formalien und Autokauf hatte sie selbstverständlich schon zuvor erledigt. Schließlich wollte sie Punkt acht Uhr ihren Führerschein in Empfang nehmen.