Fettes Brot

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Die beiden Zahnspangenträgerinnen stoßen vor dem Kölner Gloria-Theater auf allgemeines Kopfschütteln. Niemand der Passanten hat je von der Band Bette Frost gehört. Drinnen hantieren Roadies derweil auf und vor der Bühne mit schwerem Gerät. Kraftausdrücke bleiben ungehört. Aus gutem Grund. Maggie ist die Tourmanagerin von Fettes Brot, die an diesem Abend unter dem Anagramm Bette Frost eines ihrer raren und wie immer ausverkauften Club-Konzerte geben. Maggie ist für Fettes Brot nicht nur in Sachen Logistik eine Geheimwaffe. „Weil wir mit ihr arbeiten, hält sich die Crew auffallend angenehm zurück mit testosterongeschwängerten Sprüchen“, sagt Björn Warns alias Björn Beton. So weit, so überraschend für eine Rap-Band.

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Zwei Stunden später, beim Konzert, wird das Genderbewusstsein von Fettes Brot phonstark. Die drei Mittdreißiger haben schon mehrfach gezeigt, dass HipHop nicht zwangsläufig mit misanthropischen Brunfttönen daherkommen muss. Der Beste sein, den Längsten haben, kurzum das genretypische Kräftemessen findet bei ihnen bestenfalls als Satire statt. „Wir freuen uns, wenn Frauen feministische Ansätze in unserer Musik entdecken. Wir wollen einen respektvollen Umgang zwischen Männern und Frauen propagieren. Alles andere finden wir ekelhaft“, sagt Boris Lauterbach alias König Boris.

Nihilistisch durchs Leben stapfen – das erscheint den Broten „krank“. „Strom und Drang“ heißt die neue Langspiel-Offerte aus dem Hause Fettes Brot, die an diesem Abend erstmals live aufgeführt wird. „Bettina, pack’ deine Brüste ein – Bettina zieh’ dir bitte etwas an“, schreien die Brote von der Bühne. Und sie meinen das so unironisch, dass das Mitgrölen jedem Ballermann garantiert im Halse stecken bleibt. „Bettina“ basiert auf einem unmittelbar elektrisierenden Dancehall-Groove, auf Bums-Beats wird verzichtet.

In ihren besten Momenten vereinen die drei Bühnenakteure Ausgelassenheit, Sensibilität und Tiefe mit einem grundempathischen Gesellschaftsbild. Dafür mussten sie in ihren 15 Jahren Bandgeschichte trotz wiederholter Hitparadentauglichkeit immer wieder mal Prügel von der Rap-Polizei einstecken. Als „Pop-Schweine“, „Weicheier“, „Muttis Lieblinge“ und „Profeministen“ werden die Fetten Brote beschimpft.

Das selbsternannte Alphamännchen des neuen deutschen Rap, Bushido, schimpft sie in jedem seiner Album-Intros als verachtenswürdige Verräter. Das hat sie früher geschmerzt, gestehen Dokter Renz, Björn Beton und König Boris. Heute haben sie aus ihrer Sonderposition innerhalb der Rap-Fraktion längst eine Tugend gemacht. Denn so wenig Fettes Brot vom Boulevard zu vereinnahmen ist, so wenig hat die Rap-Meute es geschafft, die Drei einzugemeinden. Ihre brillante Antwort auf die Spießigkeit ihrer Kollegen war „Schwule Mädchen“. Dieser Hit von 2001 markierte für die Brote gleichzeitig die Manifestation eines neuen Selbstbewusstseins und die unwiderrufliche Abgrenzung vom allgegenwärtigen HipHop, der mit den drei Machismo-Grundsäulen – Sex, Gewalt und Frauenverachtung – längst seine Seele verloren hatte.

Weil es sich für die Drei seither viel ungenierter lebt, zählen für sie mehr denn je die Adelsprädikate der HipHop-Pioniere De La Soul und Grandmaster Flash: soziales Bewusstsein und Verwundbarkeit. „Die Menschlichkeit in unseren Texten ist ein Abbild unserer Haltung dem Leben gegenüber“, erklärt Martin Vandreier alias Dokter Renz.

Im Landkreis Pinneberg geboren, wurden die drei schon in ihren Kinderjahren vom alternativen Gesellschaftsbild ihrer Eltern geprägt, das auf Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern basierte. Im Hause Warns gab es politische Liedermacher statt Pop, und Lauterbachs Kindheit wurde mit Reinhard Mey und Cat Stevens beschallt. Als ihr erstes Album erschien, hatten die Brote gerade die Abiturprüfung und den Zivildienst absolviert und wohnten allesamt noch zu Hause. Den Anspruch, Kopf und Bauch gleichermaßen zu unterhalten, haben die Brote in ihren 15 Karrierejahren nie aus den Augen verloren.

Entsprechend wird das Publikum im Kölner Gloria gefordert, wenn Sätze wie „Ich weiß noch genau, es lief nur Scheiße im TV“ über die Rampe gejagt werden und ihnen im Song „Hörst du mich?“ Sophie Scholl begegnet, die „durch ihren Mut und ihre beispiellose Menschlichkeit ein Vorbild dafür sein kann, eine andere Lebensform auszuprobieren, als die der vorgelebten TV-Konformität.“

Auf die zielt auch punktgenau die barsche Aufforderung an Bettina, ihre Brüste einzupacken. „Ich finde den allgegenwärtigen Sexterror, das Verkaufen von Produkten via nackte Haut und die undelikate regelrechte Pornografisierung unserer Alltags-Logos schlichtweg zum Kotzen“, sagt Björn Beton. Und das nicht nur, weil sich Fettes Brot zu zwei Dritteln aus verheirateten Familienvätern rekrutiert.

Schließlich hat Pop, mal direkt, mal peripher, immer auch etwas mit Poppen zu tun. Oder zumindest geht seine Relevanz mit dem ersten Entdecken der Libido einher. Da ist es gut, dass es mit Fettes Brot eine HipHop-Alternative gibt. Den Zahnspangen- trägerinnen hat das so viel Durchhaltevermögen verliehen, dass sie an diesem Abend in Köln schließlich doch noch in den Genuss der „schwulen Mädchen“ kommen.

www.fettesbrot.de

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