"Simone de Beauvoir fehlt mir sehr."
Sie spricht zunächst zögernd. Sie ist schüchtern. Doch zunehmend wird sie freier, bestimmter, ja leidenschaftlich. Sylvie Le Bon de Beauvoir spricht über Simone de Beauvoir, von der sie wenige Jahre vor ihrem Tod adoptiert wurde („Damit sie die Rechte an meinem Werk hat.“). Gerade hat Sylvie in der legendären Reihe „Bibliothèque de la Pléiade“ die autobiografischen Schriften von Beauvoir herausgegeben: von den Tagebüchern über die Briefe bis hin zu den Memoiren. Sie ist die Letzte, die die Schrift von Beauvoir noch entziffern kann.
Die autobiografischen Texte sind in der Tat der Schlüssel zu Beauvoirs Denken und Handeln. Beauvoir selbst hat einmal gesagt: „Mein Leben ist mein Werk.“ Doch es geht darin nicht nur um ihr Leben, sondern prototypisch um das aller Frauen – über alle Generationen und Grenzen hinweg. Das belegt die weltweite Rezeption ihres Werkes, in dem sich bis heute Millionen Frauen wiedererkennen.
Sylvie, Philosophie-Professorin wie einst Beauvoir, spricht allerdings nicht nur aus der profunden Kenntnis der Schriften, sondern auch als Frau, die über zwanzig Jahre lang das Leben der 35 Jahre Älteren begleitet hat. „Der Altersunterschied zwischen uns hat nie eine Rolle gespielt“, sagt Sylvie.
Und: „Sie hat gelebt, wie sie gedacht hat.“ Will heißen: Sie war extrem offen, neugierig und risikobereit. Bei Reisen mit Sylvie war Simone keine Sehenswürdigkeit zu weit, kein Pfad zu schmal und kein Berg zu hoch. Einmal stapfte die passionierte Wanderin mit der erschöpften Jüngeren bis zu 2.500 Meter Höhe, in Straßenschuhen. „Sie hatte einfach nicht daran gedacht, Bergschuhe anzuziehen.“
Sylvie zeichnet das Bild einer extrem unangepassten, lebensfrohen Frau mit einem unstillbaren Hunger nach Unbekanntem und Herausforderungen. Und einem extremen Gerechtigkeitssinn. „Sie hatte einfach Vertrauen in die Welt“, sagt Sylvie. Und: „Sie fehlt mir schrecklich.
Warum hat Simone de Beauvoir eigentlich gerade Sie als Freundin gewählt?
Sylvie: Wir haben uns gewählt. „Weil sie es war, weil ich es war!“ Es gab tiefe Gemeinsamkeiten. Und sie wollte wiederfinden, was sie einst mit Zaza hatte: eine Intimität mit einer Frau. Sie hat immer wieder von dieser Jugendfreundin gesprochen, deren Tod eine große Tragödie war (Anm. d. Ü.: Zaza hatte unter dem Druck der bürgerlichen Konventionen Selbstmord verübt). Sie hat mehrere Male versucht, ähnliche Beziehungen mit jungen Frauen aufzubauen. Aber das lief sehr schief. Mit mir hat es dann geklappt.
Wollte sie eigentlich Ihre Meinung wissen über das, was sie schrieb?
Ja! Worüber ich fassungslos war. Ich erinnere mich an ein Mittagessen im Raspail Vert, kurz nach dem Tod ihrer Mutter. Sie fragte mich: „Finden Sie, dass ich darüber schreiben sollte?“ Da war ich Philosophiestudentin an der École Normale. Sie erwartete, dass ich sie so scharf wie möglich kritisierte. Und ich legte los. Sie war das mit Sartre so gewohnt.
Welchen Aspekt von Beauvoirs Persönlichkeit halten Sie für bis heute unbekannt?
Sie war extrem herzlich. Und sehr lustig. Sartre übrigens auch, er war überhaupt nicht trist. Sie strahlte so, dass man davon immer ein wenig über sich selbst hinausgehoben wurde. (....)
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