Free Pussy Riot!
Was von der Punk-Gruppe Pussy Riot übrig geblieben ist, überträgt ein Monitor im Gerichtssaal. Maria Aljochina lehnt an den Gitterstäben eines Käfigs. Sie trägt schwarz, ihr langes lockiges Haar sieht zerzauster aus als auf den vielen Fotos in den Zeitungen. Aljochina schiebt einen Zettel durch die fingerdicken Stäbe, hält ihn in die Kamera. „Für unsere und eure Freiheit“ steht drauf. Sie sagt nichts. Das Rascheln ihrer papierenen Botschaft über die Lautsprecher im Saal ist Klage genug.
Das Moskauer Stadtgericht zeigt sich an diesem Tag im Mai wieder einmal unbeeindruckt. Die Beschwerde von Maria Aljochina und zwei weiteren Frauen – Nadja Tolokonnikowa und Jekaterina Samutsewitsch – wird abgelehnt. Die mutmaßlichen Mitglieder der Pussy Riot bleiben bis mindestens Ende Juni in Untersuchungshaft.
Pussy Riot war mal eine Punk-Gruppe, die mit feministischen Slogans – oder wie sie selber sagen „mit der feministischen Peitsche“ – Moskau aufmischte. Jetzt sind sie nur noch flackernde Fernsehbilder. Drei Frauen im Gefängnis, die anderen aus der Gruppe halten sich im Moskauer Umland versteckt. Seit Anfang März sitzen die Frauen in Untersuchungshaft. Gegen sie wird wegen Verstoßes gegen den Paragraph 213 des Strafgesetzbuches ermittelt – „schweres Rowdytum“. Darauf steht eine Gefängnisstrafe von bis zu sieben Jahren. Eine Richterin sprach von einem „gut geplanten Verbrechen“.
Dieses „gut geplante Verbrechen“ ereignete sich Ende Februar in der Moskauer Christi-Erlöser-Kathedrale, Russlands größter und wichtigster orthodoxen Kirche. Fünf Mitglieder von Pussy Riot schlichen sich in den weißen Sakralbau. Wie immer bei ihren Auftritten trugen sie neonfarbene Kleider und grelle Häkelhauben über ihren Köpfen. Sie tanzten vor dem Kaisertor des Altars und knieten auf dem Boden, als beteten sie. Es dauerte ein paar Minuten, bis das Kirchenpersonal die Gruppe bändigen konnte und hinauswarf.
Ein paar Tage später ging auf YouTube das neueste Werk der Pussy Riot online. Die Bilder aus der Kathedrale unterlegt mit harten E-Gitarren-Riffs. Dazu grölender Gesang: „Um den Heiligsten nicht zu betrüben, müssen Frauen gebären und lieben. Mutter Gottes, Jungfrau, werde Feministin. Mutter Gottes, Jungfrau, vertreibe Putin.“
Kurz darauf wurden drei Frauen festgenommen, die in der Kirche getanzt haben sollen. Maria Aljochina, 24 Jahre alt, Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Sie studiert Journalismus und schreibt Gedichte. Vor den Pussy Riot kämpfte sie für sauberes Wasser im Baikalsee und ein Naturschutzgebiet am Schwarzen Meer. Nadja Tolokonnikova, 23 Jahre, die mit ihrem trotzigen Blick aus dunklen Augen die Massen fasziniert. Ein Video zeigt sie vier Tage vor der Geburt ihrer Tochter Hera beim Sex im Biologischen Museum. Wann immer es in Moskau um die Rechte von Lesben, Schwulen oder Transsexuellen geht, Tolokonnikowa ist dabei. Und Jekaterina Samutsewitsch, 29 Jahre alt, Medienkünstlerin. Freunde bezeichnen sie als den „Bodyguard“ von Tolokonnikowa. Im Gefängnis trat sie zwei Mal in Hungerstreik. Alle drei Frauen verweigern gegenüber den Behörden jede Aussage.
Zu den Pussy Riot gehören etwa fünf bis zehn Frauen, genau lässt sich das nicht sagen, weil sich jede Frau, die eine Häkelmütze überzieht, als Mitglied bezeichnen darf. Diejenigen aus dem engeren Kreis, die eine Verhaftung befürchten, sind untergetaucht. Sie verweigern Treffen, brechen Tele fonate aus Angst vor Spitzeln ab. Auf E-Mails antworten sie – wenn auch nur auf ausgewählte Fragen.
Warum die Gruppe ausgerechnet Pussy Riot – übersetzt etwa „Mösen-Aufstand“ – heißt? Keine Antwort. Die Idee zur Gründung sei im Jahr 2011 entstanden, nach dem Arabischen Frühling, schreiben sie. „Als klar wurde, dass in Russland politische und sexuelle Emanzipation, Wagemut fehlen und eine Frau als Präsidentin.“
Die Pussy-Riot-Mitglieder haben sich auf Moskauer Protestmärschen kennengelernt – für die Gleichberechtigung der Frau, für Versammlungsfreiheit, gegen die Abholzung eines Waldes, für die Rechte der Homosexuellen. Sie trafen sich schon in einer Zeit, als in Moskau bei Demonstrationen nur Hunderte Menschen zusammenkamen, nicht Zehntausende wie jetzt. Im Sommer vergangenen Jahres beschlossen sie, ihre politischen Aktionen mit Kunst zu kombinieren. Extremer Kunst.
Sie legten sich Pseudonyme zu: Serafima, Schuhmacher, Kater oder Blondi. Sie brüllten ihren Hass auf Russlands patriarchalisches System und den Macho Putin hinaus, sangen auf Dächern, Bussen, sogar auf dem Roten Platz: „Madonna wird uns den Nahkampf beibringen, die Feministin Magdalena bricht auf zur Demo. Aufruhr in Russland – Putin pisst sich in die Hose.“ Falls sie mit solchen Aktionen gegen die Gesetze des Landes verstoßen sollten, sei das nicht ihre Schuld, sagen Pussy Riot. „Das liegt dann an unserer gegenwärtigen kranken Gesellschaft.“
Mindestens zwei Frauen bei Pussy Riot kennen sich bestens aus mit radikaler Kunst, vor allem mit der Kunst, Aufmerksamkeit zu erregen. Nadja Tolokonnikowa und Jekaterina Samutsewitsch sind Mitglieder der Künstlergruppe Wojna (Krieg). Sie lassen Kakerlaken in einem Gerichtssaal frei, projizieren einen Totenschädel auf Putins Amtssitz, küssen ahnungslose Polizistinnen. Einer, der Wojna ein paar Mal bei Aktionen filmte, sagt: „Sie haben ein feines Gespür für die Themen, die gerade hochkochen, und jetzt ist eben Feminismus dran.“ Er meint das durchaus als Kompliment. Man tut den Frauen unrecht, wenn man vermutet, sie seien Krawallmacherinnen, die den Feminismus funktionalisieren.
Schon früher haben einzelne von ihnen klar gemacht, dass sie Russland umkrempeln möchten: Mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr Individualität. Aber dass sie mit ihrer Guerilla-Taktik ins Rampenlicht gerückt sind, ist den Pussy Riot sicherlich recht. Die Gruppe sieht sich in der Tradition der Riot Grrrls, einer US-amerikanischen Hardcore-Punk-Bewegung in den 1990er Jahren. Damals ging es vor allem um die männliche Dominanz in der Musik. In Russland werde das Rollenbild des „echten Mannes“ kultiviert, schreiben Pussy Riot. „Es gilt, Männer und Frauen vom Druck dieser Rollen zu befreien.“
Momentan geht es für drei Frauen von Pussy Riot erst einmal darum, aus dem Gefängnis rauszukommen. Als während der letzten Anhörung der Beschluss verlesen wird, dass die Untersuchungshaft vorläufig nicht aufgehoben wird, ist die Stimme der Richterin kaum zu hören, das Klicken der Fotoapparate und das Tuscheln der Kameramänner übertönt sie.
Maria Aljochina starrt vom Bildschirm an der Wand. Sie hat noch einen Satz auf ihren Zettel gekritzelt: „Dieses Gericht ist eine Farce.“ Jedes Mal, wenn Maria Aljochina, Nadja Tolokonnikowa und Jekaterina Samutsewitsch in den Gerichtssaal kamen, saß dort eine Richterin, eine Frau. Und die scheint wenig Verständnis zu haben für Frauen wie die Pussy Riot. Wann und ob der Prozess kommen soll, steht auch nach vier Monaten Haft noch nicht fest.
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www.freepussyriot.org