Statt Reform Großbordelle

Artikel teilen

"Wir müssen endlich Schluss machen mit dem Oh-là-là-Mythos von der Prostitution – und aufklären über die bittere, verzweifelte Realität von Frauen in der Prostitution", antwortete Alice Schwarzer am 31. Oktober in einem Interview mit SpiegelOnline in Bezug auf die fatalen Folgen des rot-grünen Prostitutionsgesetzes (ProstG). Prompt schlugen die Wellen hoch, besonders im Internet. Im SpiegelOnline-Forum wurde hitzig diskutiert: pro und contra Prostitution; ebenso auf der Polit-Debatten-Plattform www.dieGesellschafter.de, auf Erotik-Websites und in Blogs.

Anzeige

Auch die taz, seit 30 Jahren das zentrale Propagandablatt der Prostitution-ist-ein-Beruf-wie-jeder-andere-Ideologie, war prompt zur Stelle. Eine "gelernte Filmproduktionsleiterin", früher Gelegenheits-Callgirl, durfte den taz-LeserInnen erklären: Prostitution sei in unteren Schichten schon immer ein legitimes Mittel zum Überleben gewesen, ja, mehr noch: "Eine Rebellion gegen das Patriarchat" mit seiner Hausfrauen-Ehe. Das leugne Alice Schwarzer. "Sie vertritt einen Oberschichten-Feminismus. Darin wirkt die verordnete Keuschheit der bürgerlichen Frau aus vergangenen Jahrhunderten nach."

Dass die EMMA-Herausgeberin "bei den Konservativen stets ganz vorne mit dabei ist", weiß auch die Grüne Irmingard Schewe-Gerigk. Die Geschäftsführerin und frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion ist eine der Initiatorinnen des ProstG, das am 1. Januar 2002 in Kraft trat und angeblich "die Rechtsverhältnisse" der Minderheit von so genannten "freiwilligen Prostituierten" (Deutsche oder Ausländerinnen mit Aufenthaltsberechtigung) verbessern wollte.

Schewe-Gerigk konterte in SpiegelOnline: "Die immergleichen Horrorstories über die Auswirkungen des Gesetzes, die uns Alice Schwarzer erzählt, finde ich fast schon peinlich. Egal ob freiwillig oder nicht: Frauen (und Männer) gehen dieser Tätigkeit nach. Es gibt eine große Nachfrage nach Prostitution. Sie ist Realität." So ist das nun mal. Wer will die Welt schon noch verändern? Grüne jedenfalls nicht. Im Gegenteil.

Bereits 1990 hatten sie auf einem Hearing zum Thema "Beruf: Hure" verkündet: "Alles ist käuflich und verkäuflich: körperliche und geistige Arbeitskraft, Ideen, Kreativität, Engagement. Was hindert dann – in dieser Logik – anzuerkennen, dass eben auch Sexualität käuflich und verkäuflich ist?" Doch ganz so zynisch, die Prostitution zu einem "staatlich anerkannten Beruf mit Ausbildungsrichtlinien" zu machen, wollte der Koalitionspartner SPD dann doch nicht sein. Darum steht im rot-grünen ProstG, dass Prostitution zwar als legal angesehen, aber nicht als "Beruf wie jeder andere" anerkannt wird.

Das noch immer geltende, fatale rotgrüne ProstG legt fest: Prostitution ist nicht mehr "sittenwidrig" und damit auch kein "unwirksames Rechtsgeschäft" mehr. Die "Förderung der Prostitution" ist nicht mehr strafbar. Prostituierte können sich als Arbeitnehmerinnen anstellen lassen, und die Arbeitgeber haben ein "eingeschränktes Direktionsrecht".

Vor den praktischen Folgen des rot-grünen Prostitutionsgesetzes hat EMMA bereits vor der Verabschiedung gewarnt und immer wieder berichtet: Die im ProstG zugesicherten Vorteile – Sozialversicherung, Arbeitsverträge als Festangestellte, Klagen gegen zahlungsunwillige Freier – werden aus nachvollziehbaren Gründen quasi nie statt. Dafür brachte das Gesetz neue Nachteile, für die Prostituierten: eingeschränkte Zugriffsmöglichkeiten der Polizei zur Befreiung von Menschenhandelsopfern und im Rahmen des neuen "Direktionsrechts" der Bordelliers Nacktgebote im Kontaktraum, Videoüberwachung, vorgeschriebene Arbeitszeiten, Handy-Verbote, Taschenkontrollen und "Strafgelder" bei Nichteinhaltung der Regeln. Auch der "Spiegel" monierte im Februar 2005: "Die Ziele wurden verfehlt, das Gesetz ist eine Luftnummer."

Im Januar 2007 schließlich stellte die CDU-Frauenministerin Ursula von der Leyen den Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des ProstG auf einer Pressekonferenz in Berlin vor und kündigte eine Kehrtwende in der Prostitutionspolitik an: "Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere – Ausstieg ist das Ziel!" Ausstiegswillige Prostituierte sollen es künftig leichter haben, in Qualifizierungs- und Förderprogramme zu kommen. Freier, die wissentlich Zwangsprostituierte kaufen, sollen bestraft werden. Sexualkontakte mit minderjährigen Prostituierten unter 18 Jahren (bislang 16 Jahre) werden ebenfalls unter Strafe gestellt. Das so genannte "Vermieterprivileg", wonach die Ausbeutung einer Prostituierten durch den "Wohnungsinhaber" milder bestraft wird als die Ausbeutung durch Zuhälter, soll gestrichen werden. (Damit sind vor allem Tagesmieten von 100 bis 130 Euro pro Zimmer in so genannten "Laufhäusern" gemeint.)

Um über polizeiliche Kontrollen hinaus auch Kontrollen mit den bestehenden rechtlichen Mitteln des Gaststätten-, Gewerbe- und Ordnungsrechts zu ermöglichen, sollten Bordelle, so von der Leyen, in Zukunft konzessionspflichtig sein. (Bislang muss ein Bordell bei den kommunalen Behörden lediglich angemeldet oder baurechtlich beantragt werden. Durch die Konzessionierung wird eine Eröffnungsgenehmigung nur unter bestimmten Bedingungen und Auflagen – vergleichbar mit der Gastronomie – erteilt, deren Einhaltung von den Behörden kontrolliert wird.)

Der Bericht der schwarz-roten Bundesregierung betont nun: Auch die so genannte freiwillige Prostitution sei "überwiegend eine physisch und psychisch belastende Tätigkeit, die nicht selten von besonders vulnerablen (verwundbaren) Gruppen ausgeübt wird". Einer umfassenden Untersuchung über Frauengesundheit in Deutschland zufolge seien Prostituierte von "deutlich mehr Belastung durch Gewalt in der Kindheit, sexuelle Gewalt, Gewalt in Beziehungen und am Arbeitsplatz" betroffen. "Es ist darüber hinaus eine soziale Realität, dass viele Prostituierte sich in einer Situation befinden, in der es fraglich ist, ob sie sich wirklich frei und autonom für oder gegen diese Tätigkeit entscheiden können."

Hört sich alles gut an. Doch inzwischen ist fast ein Jahr vergangen – und was ist seither passiert? Auf Nachfrage im Bundesfrauenministerium sowie im Bundesjustizministerium erhielt EMMA folgende Antworten:
Ausstiegshilfen Die seien "im Prinzip Ländersache", aber das Bundesfrauenministerium werde im Dezember zu einem "Praktikerinnenaustausch-Workshop zu den bundesweit unterschiedlich existierenden Modellen" einladen.

Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten "Es gibt einen Gesetzentwurf, der noch koalitionsintern abgestimmt werden muss", so das Bundesjustizministerium. Können wir den Entwurf haben? "Nein, der ist noch hausintern." Und wann wird die Abstimmung erfolgen? Das sei ungewiss.

Minderjährige Prostituierte Ein Gesetzentwurf über die Bestrafung von Sexualkontakten Erwachsener mit Minderjährigen unter 18 Jahren (bislang 16 Jahre) "gegen Entgelt oder unter Ausnutzung einer Zwangslage", was die EU seit Jahren fordert, werde "derzeit im Rechtsausschuss des Bundestages beraten".

Ausbeutung von Prostituierten und Zuhälterei "Die Bundesregierung wird prüfen, ob die Strafandrohungen für die verschiedenen Formen im richtigen Verhältnis zueinander stehen."

Vermieterprivileg Das federführende Bundesjustizministerium prüfe "derzeit, wie die Frage der Streichung geregelt werden kann".

Konzessionierung von Bordellen Die sei im Prinzip Ländersache, aber das Bundeswirtschaftministerium werde "im Benehmen" mit den Bundesländern "die Einführung einer Genehmigungspflicht für Bordelle, bordellartige Betriebe" prüfen.

Es ist also so gut wie nichts geschehen! Ist die Frauenministerin so machtlos? Und kennt die Justizministerin überhaupt das Problem?

Die andere Seite, die der wahren Profiteure der Prostitution, schläft nicht. In Berlin-Schöneberg, wo es traditionell Straßenprostitution gibt, fallen neuerdings immer mehr Mädchen aus Osteuropa auf. Die AnwohnerInnen klagen über Geschlechtsverkehr am hellichten Tage im Gebüsch und auf Parkplätzen, über aggressive Anmachmethoden und verschreckte Kinder. Und auch die alteingesessenen Prostituierten klagen: über die Dumpingpreise der osteuropäischen Konkurrentinnen, den Sex ohne Kondom – und über Freier. "Die warten immer auf eine, die noch weiter unten ist", so die deutsche Prostituierte Melanie zu SpiegelOnline.

Und nun soll in Schöneberg auch noch ein "Großbordell" eröffnet werden – die Legalisierung der Prostitution macht’s möglich. Die AnwohnerInnen wollen sich das nicht gefallen lassen. Sie haben inzwischen schon 2.400 Protestunterschriften beim Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg eingereicht. BürgerInnen-Initiativen sind die letzten Bollwerke gegen die fortschreitende Brutalisierung der Prostitution.

Schweden, du hast es besser: Die Nordländer verabschiedeten 1999 ein Anti-Freier-Gesetz. Dahinter steckt die Überzeugung, dass Prostitution Männergewalt und ein Verstoß gegen die Menschenwürde von Frauen ist. Und wie sieht es acht Jahre später in Schweden aus? Das Land hat deutlich weniger Prostitution und Frauenhandel als seine Nachbarländer. Zwar werden Freier relativ selten bestraft, aber das Anti-Freier-Gesetz hat zu einem Bewusstseinswandel bei der Bevölkerung geführt. Prostitution ist nicht mehr schick, sondern ein Verbrechen. Schon 2001 waren 80 Prozent der SchwedInnen für das Gesetz, seither ist die Akzeptanz gestiegen. Über die verharmlosende Pro-Prostitutions-Position einer Irmingard Schewe-Gerigk würden sich in Schweden auch die Grünen sehr wundern.

Artikel teilen
 
Zur Startseite