Mutter der Relativitätstheorie

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Sie war seine Gefährtin. Als er den Nobelpreis bekam, waren sie schon getrennt, doch überließ er das gesamte Preisgeld ihr. Die Ehre behielt er. So konnte in Vergessenheit geraten, was beide nur zu gut wussten: Die Relativitätstheorie hatte einen Vater – und eine Mutter.

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Das Schönste ist das Geheimnisvolle. Genau das sagte sich in den 60er Jahren auch eine Wissenschaftlerin, die Belgrader Professorin für Mathematik, Physik und Astronomie, Desanka Trbuhovic-Gjuric. Stets hatte sie, die 1897 Geborene, sich für das Leben ihrer berühmten Vorgängerinnen in der Wissenschaft, für Frauen wie Marie Curie und Sonja Kowalewskaja, interessiert. Nun, nach ihrer Pensionierung, hatte sie endlich Zeit, einem „Geheimnis“ nachzugehen,einem Rätsel, das sie seit langem beschäftigte: Sie fragte sich, „warum das hochbegabte Mädchen Mileva Maric nach so großen Schulerfolgen keine entsprechende Stelle in der Wissenschaft errang“.

Wer war Mileva Maric? Sie war eine Landsfrau von Desanka Trbuhovic-Gjuric, eine Serbin wie sie. Eine Generation vor ihr geboren, im Jahre 1875, hatte sie als eine der ersten Frauen in Europa überhaupt Physik und Mathematik studiert. Dann heiratete sie einen Kollegen, der es später zu höchstem Ruhm brachte – Albert Einstein. In mühsamen Recherchen fand Trbuhovic-Gjuric heraus: Mileva war in Einsteins wissenschaftlich fruchtbarster Zeit seine engste und wichtigste Mitarbeiterin. Sie war die Frau, von der das Jahrhundert-Genie selber sagte: „Ich brauche meine Frau. Sie löst alle meine mathematischen Probleme.“ Sie war, was Eingeweihte immer wussten, die „Mutter der Relativitätstheorie“.

Wer Albert Einstein ist, weiß jedes Kind. Er ist der Gelehrte mit dem wehenden Haarschopf und der herausgestreckten Zunge, das Sinnbild des unkonventionellen Genies. Albert Einstein – das Symbol für Geist in der Moderne. Und Mileva Einstein? Sie starb im Jahre 1948 einsam und unbekannt in einer Züricher Klinik.

Das Geheimnis dieses Frauenlebens versuchte die Belgrader Professorin für Physik und Mathematik, Desanka Trbuhovic-Gjuric, 20 Jahre nach Milevas Tod zu ergründen. Ihre Pionierarbeit, die erste und bisher umfassendste Mileva-Biographie („Im Schatten Albert Einsteins“), wurde 1969 in kyrillischer Schrift in Jugoslawien veröffentlicht und zunächst kaum beachtet. Als 1983 die deutsche Übersetzung herauskam, wurden ihre Ergebnisse als „feministische Übertreibung“ abgetan.

Für die Einstein-Biografen war Mileva, Einsteins erste Frau, lange nur ein dunkles Kapitel in seinem Leben: die „unattraktive slawische Bauerntochter“, hinkend, von „durchschnittlicher Intelligenz“, „düster, wortkarg und misstrauisch“, „nicht gerade eine Schweizer Musterhausfrau“, die zu allem Überfluss auch noch „auf ihr Äußeres allzuwenig Wert legte“.

Erst seit den 80ern beschäftigt die Wissenschaftlerin Mileva Einstein-Maric endlich auch die Fachwelt. 1990 stand die Frau an Einsteins Seite im Zentrum des Interesses bei einem Kongress über den „jungen Einstein“ in New Orleans. Eingeladen war auch die deutsche Linguistin Prof. Senta Trömel-Plötz. „Warum nur wird Mileva Einstein-Maric so hartnäckig unsichtbar gemacht?“, fragt sie. Trömel-Plötz’ Vortrag, bei dem sie sich auch auf den Briefwechsel des jungen Einstein mit Mileva Maric stützt, machte in den USA Furore. „War Einsteins erste Frau das eigentliche Genie in der Familie?“, titelten Zeitungen Anfang der 90er. Die deutsche Zeit witterte gar einen neuen „Historikerstreit“.

Schützenhilfe bekam die Feministin von einem Mann. Der Amerikaner Evan Harris-Walker, der die intellektuelle Entwicklung Albert Einsteins vor und nach seiner Ehe mit Mileva verfolgt hat, behauptet in New Orleans Unerhörtes, nämlich: „Die gemeinsamen Jahre brachten Einstein seine größten Erfolge. Seine Physik war damals voll gewagter Ideen. Aber nachdem seine Ehe mit Mileva zu Ende war, wurde seine Physik konservativer. Er wurde nicht, wie zu erwarten war, zur Leitfigur einer physikalischen Avantgarde, sondern allmählich zum Außenseiter, der sich gegen die neue Quantenmechanik sträubte.“ Walkers Fazit: „Ich kann darum nicht anders als anzunehmen, dass das Hintergrundmaterial, die Literaturrecherchen, die entscheidenden Daten und vor allem jene grundlegenden, originellen Ideen, die Dreh- und Angelpunkt der Relativitätstheorie waren, von Mileva kamen.“

Der veröffentlichte Briefwechsel zwischen Mileva und Albert ist das Zeugnis einer Studentenfreundschaft, die im Oktober 1897 in Zürich beginnt. Mileva Maric und Albert Einstein studieren beide an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Physik und Mathematik, sie sind im ersten Semester. In den ersten Briefen sagen sie noch „Sie“ zueinander, dann wird der Ton vertrauter, aus Freundschaft wird Liebe. Er schreibt an seine Geliebte: „Ohne dich fehlt mirs an Selbstgefühl, Arbeitslust, Lebensfreude – kurz ohne dich ist mein Leben kein Leben.“ Albert nennt sie zärtlich „mein Doxerl“, „meine Hex“, „mein Gassenbub“. Zugleich aber dienen diese Briefe dem wissenschaftlichen Austausch.
Mileva-Biografin Inge Stephan: „Unvermittelt neben den leidenschaftlichen Geständnissen der Liebe finden sich Reflexionen über Differentialrechnungen, Doppelintegrale oder elektromagnetische Lichttheorie. Wissenschaft und Liebe gehörten für Einstein untrennbar zusammen.“ So schreibt Albert Einstein im September 1900 Mileva in die Ferien nach Serbien: „Dass Du recht viel bummelst & recht verbrannt bist, das freut mich – wie will ich mein Negermädel verdrücken! Ich freu mich auch sehr auf unsere neuen Arbeiten. Du musst jetzt deine Untersuchungen fortsetzen – wie stolz werd ich sein, wenn ich gar vielleicht ein kleines Dokterlein zum Schatz hab & selbst noch ein ganz gewöhnlicher Mensch bin!“. Und im Brief davor klagte der Verliebte: „Zur Untersuchung des Thomson-Effekts hab ich wieder zu einer anderen Methode meine Zuflucht genommen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Deinen (...) hat und welche eine solche Untersuchung auch voraussetzt. Wenn wir nur gleich morgen anfangen könnten.“

Am 27. März 1901 geht es in dem billet doux um ein anderes Thema: um die entstehende Relativitätstheorie. Albert an Mileva: „Wie glücklich und stolz werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben! Wenn ich so andre Leute sehe, da kommt mir’s so recht, was an Dir ist!“ Wir beide. Zusammen. Siegreich. 13 der 43 Briefe, die Einstein in den Jahren 1897 bis 1902 an Mileva schreibt, enthalten Hinweise auf gemeinsame Forschungsarbeiten.

Zwischendurch werden, mal von ihr, mal von ihm, Lehrbücher von Zürich nach Milano oder von Schaffhausen nach Novi Sad geschickt, je nachdem, wo sich die beiden gerade aufhalten. Albert bittet Mileva um Literaturrecherchen, sie löst mathematische Gleichungen für ihn. Tatsächlich werden die meisten der in den Briefen erwähnten gemeinsamen Forschungsarbeiten bald „siegreich zu Ende geführt“ und in den „Annalen der Physik“ publiziert. Allerdings nur unter einem Namen, dem seinen: Albert Einstein. Allein im Jahre 1905 erschienen von dem späteren Nobelpreisträger fünf große Arbeiten, darunter „Elektrodynamik bewegter Körper“ (sie enthält die spezielle Relativitätstheorie) und „Ein die Erzeugung und Verwandlung des Lichts betreffenden heuristischen Gesichtspunkt“. Diese Arbeit über den sogenannten „photoelektrischen Effekt“ wird Albert Einstein 16 Jahre später den Nobelpreis einbringen.

Doch noch schreiben wir das Jahr 1905. Zu dieser Zeit sind Albert und Mileva seit zwei Jahren verheiratet; sie leben und forschen in Bern. Von den Arbeiten, die in dieser Zeit erschienen, behauptet der bekannte russische Physiker Abraham Joffe, sie seien im Original nicht nur mit „Einstein“, sondern mit „Einstein-Maric“ gezeichnet gewesen. Genauer: mit „Einstein-Marity“! Marity, das ist die ungarische Umschrift von Milevas Mädchennamen, so unterzeichnete die in Öster- reich-Ungarn geborene Serbin ihre Briefe; so erscheint ihr Name auf der Heiratsurkunde und auf ihrem Grabstein in Zürich.

Die Originale der Arbeiten des Ehepaars Einstein aus dem „großen Jahr“ 1905 sind verloren. Nicht einmal eine von der Washingtoner Kongress-Bibliothek ausgesetzte Belohnung von 11,5 Millionen Dollar brachte sie ans Licht. Doch ist Joffes Wissen um die Schreibweise „Marity“ Indiz genug, dass er die Kollegin Einstein-Maric nicht nur gekannt, sondern tatsächlich ihren Namenszug auf den Manuskripten gesehen hat. Wäre ihr Name damals mitpubliziert worden, gäbe es heute gar keine Zweifel daran, daß die Relativitätstheorie nicht nur einen Vater, sondern auch ein Mutter hat. Ihr Name: Mileva Einstein-Maric (Marity).

Im ersten Ehejahr, 1903, hatte Mileva neben der Hausarbeit und den mathematischen Berechnungen, die sie für Albert erledigte, eine Erfindung gemacht. Mit dem gemeinsamen Freund Paul Habicht zusammen hatte sie eine sogenannte „Influenzmaschine“ zur Messung kleiner elektrischer Spannungen konstruiert. Albert Einstein, der damals eine Stelle als kleiner Beamter im Berner Patentamt innehatte, ließ sie unter dem Namen Einstein-Habicht patentieren und veröffentlichte später noch zwei Arbeiten über die Methode unter seinem Namen. Habicht fragte Mileva, warum sie im Patentgericht nicht ihren eigenen Namen angegeben habe. „Wozu?“, antwortete sie, „wir sind ja beide nur ein Stein.“

Diese Bescheidenheit, diese Unterordnung, die sie in der Ehe mit Albert Einstein an den Tag legte, waren nicht immer Milevas Art gewesen. Als Studentin hatte sie noch ganz anders geredet. „Ich glaube, dass eine Frau Karriere machen kann wie ein Mann“, hatte sie im Gespräch mit FreundInnen gesagt. Und: „Ich glaube, dass ich ein ebenso guter Physiker wäre wie meine männlichen Kollegen.“ Um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren, ging sie 1897 sogar für ein Semester alleine nach Heidelberg. Drei Jahre später stürzt sie sich „begeistert“ (wie sie der Freundin Helene Savic schreibt) in die Diplomarbeit bei Professor Weber. Wie Albert forscht sie auf dem Gebiet der Wärmelehre. Aus der Diplomarbeit soll eine Doktorarbeit werden.

Doch bald verliert sie Tritt. Im Sommer 1900 fällt sie, die einzige Frau unter fünf Prüflingen, durchs Examen, erreicht „nur“ eine Durchschnittsnote von 4 (die beste Note ist 6). Einstein besteht knapp mit 4,9. Ein Jahr darauf, im Sommer 1901, versucht sie es noch einmal; wieder ohne Erfolg. Im August desselben Jahres bricht sie alle Zelte ab: Sie zieht ihre Diplomarbeit zurück, stellt die Forschungen ein, tritt aus der ETH Zürich aus, fährt nach Hause, nach Novi Sad zu ihren Eltern.

Warum? Die 1987 veröffentlichten Briefe brachten es an den Tag: In diesem Sommer 1901 ist Mileva schwanger. Sie erwartet ein uneheliches Kind von Albert Einstein. Und niemand darf es wissen, selbst die beste Freundin Helene nicht. Denn Alberts Eltern, der deutsch-jüdische Unternehmer Herrmann Einstein und seine wohlhabende Frau Pauline, sind gegen die Verbindung mit „der Serbin“.

Schon im Sommer 1900, als der Sohn ihr erstmals eröffnet, dass er die Kommilitonin heiraten will, macht ihm die Mutter eine Riesen-Szene: „Mama warf sich auf ihr Bett, verbarg den Kopf in den Kissen und weinte wie ein Kind: ‚Du vermöbelst dir deine Zukunft und versperrst dir deinen Lebensweg‘. ‚Die kann ja in gar keine anständige Familie’. ‚Wenn sie ein Kind bekommt, dann hast du die Bescherung.‘“ Obwohl Albert solche Verdächtigungen „mit aller Energie“ zurückweist, schimpft seine Mutter weiter: „Sie ist ein Buch wie du – du solltest aber eine Frau haben.“ – „Bis du 30 bist, ist sie eine alte Hex.“ Mileva ist drei Jahre älter als Albert.

Mileva Maric flüchtet in ihre Heimat. Im Januar 1902 bringt sie in Novi Sad das gemeinsame Kind zur Welt. Es ist ein Mädchen, ein „Lieserl“, wie sie es sich gewünscht hat. Albert hatte von einem „Hanserl“ geträumt. 1903 heiraten die beiden dann doch – gegen den Willen beider Elternseiten. Albert hat endlich eine Stelle gefunden, beim Patentamt in Bern. Seine wissenschaftliche Karriere setzt erst in den Folgejahren ein. 1907 wird er Privatdozent in Bern, 1909 Professor in Zürich, 1911 bekommt er einen Lehrstuhl in Prag, 1912 geht er zurück nach Zürich. Mileva folgt ihm überall hin, sie bekommt noch zwei Kinder, Hans und Eduard, und erzieht die Söhne.

Von dem „Lieserl“ ist keine Rede mehr. Der Plan, das Kind nach Bern zu holen, wird aufgegeben. Mileva hat die Tochter wohl in ihrer Heimat zur Adoption freigegeben. Was aus ihr geworden ist, ist völlig unbekannt.

Obwohl die Ehe anfangs glücklich scheint, verdunkelt sich Milevas Stimmung immer mehr. Erst jetzt, nach der Heirat, wird sie so „düster, wortkarg und misstrauisch“, wie die Einstein-Biografen sie beschreiben. Ihre Züricher Freundinnen und auch der Kommilitone Albert kannten den „Gassenbub“ noch ganz anders, lustig, unbeschwert. Und erst jetzt, als Ehefrau, scheint die einst so ambitionierte Physik-Studentin ihre Leidenschaft für die Forschung gänzlich begraben zu haben.

Ihr weiterer, bedrückender Lebensweg ist in der Biografie von Trbuhovic-Gjuric nachzulesen. Die Ehe scheitert. 1914 geht Einstein nach Berlin und lässt Mileva mit den beiden Söhnen alleine in Zürich zurück. Er schickt nur unregelmäßig Geld. 1919 werden die beiden geschieden. Einstein heiratet wieder, seine Kusine Elsa in Berlin. Die ist zwar ebenfalls älter als er, fünf Jahre sogar. Doch sie ist eine Frau, die seine Familie akzeptiert, eine elegante Dame ohne wissenschaftliche Ambitionen. „Ich bin froh, dass meine zweite Frau von Physik nichts versteht“, wird Einstein eines Tages sagen. „Meine erste tat’s nämlich.“

1921 erhält Albert Einstein den Nobelpreis. Zum Erstaunen der Umwelt übergibt er das ganze Geld Mileva, seiner ersten Frau, die davon drei Häuser kaufen kann. Wie sich erst 1987 herausstellt, hat der Nobelpreisträger das keineswegs freiwillig getan. Schon 1919 hatte er Mileva dieses Geld im Scheidungsvertrag schriftlich zugesichert. Offensichtlich rechneten also beide damals schon mit dem Preis. Und ebenso offensichtlich blieb ihm nichts anderes übrig als ihr zumindest dieses Zugeständnis zu machen: Er den Ruhm, sie das Geld.

Die verlassene Mileva und die Söhne bekommen in Zürich noch ab und zu Besuch vom Ex-Ehemann und Vater. Albert Einstein berät sich gern mit Mileva, ganz wie einst. Der Faden zwischen ihnen reißt erst ab, als Albert Einstein 1930 vor den Nazis nach Amerika flieht. In den USA wird der deutsche Forscher mit offenen Armen empfangen. Mit einem Brief an den Präsidenten gibt er 1939 den Anstoß zum Bau der Atombombe (und bereut dies später öffentlich). Sein Ruhm steigt. Albert Einstein wird zur Legende.

Und Mileva? Sie bleibt in Zürich, verdient den Lebensunterhalt mit Mathematik- und Klavierstunden, erzieht die Söhne. Der jüngere, Eduard, erkrankt 1929 als Abiturient an Schizophrenie. 19 Jahre lang pflegt die Mutter den schwierigen, aggressiven Sohn. 1948 stirbt sie an einem Schlaganfall. Einziger überlieferter Kommentar von Albert Einstein zum Tode seiner einstigen Lebens- und Arbeitsgefährtin: „Nur ein für andere gelebtes Leben ist lebenswert.“
 

Der Beitrag erschien erstmals in EMMA Oktober 1990.

Weiterlesen
Desanka Trbuhovi´c-Gjuri´c: Im Schatten Albert Einsteins (Paul Haupt); Einstein/Mari´c: Am Sonntag küss ich dich mündlich (Piper); Michele Zackheim: Einsteins Tochter (List); Milan Popovi´c: In Alberts Shadow (Johns Hopkins University Press).
 

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