Der Wahrheit ins Gesicht sehen

Filmemacherin Jasmila Zbanic. - Ⓒ Jasmin Fazlagic
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Am Ende war sie so gefragt, dass sie Mühe hatte, all die Einladungen, Interviews und Preisverleihungen zu schaffen. Für ihren Film ‚Esmas Geheimnis‘ hat die bis dahin weitgehend unbekannte Jasmila Zbanic auf der diesjährigen Berlinale überraschend den Goldenen Bären, den Friedensfilmpreis und den Preis der Ökumenischen Jury erhalten.

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Sie hat den plötzlichen Rummel um ihre Person für die Öffentlichkeit ihrer Botschaft genutzt. „Mit der Vergewaltigung wird die Frau vollständig vernichtet, und es ist beschämend“, sprach die bosnische Regisseurin vor der glamourösen Kulisse des Festivals in die laufenden Kameras, „dass elf Jahre nach Kriegsende die Kriegsverbrecher Karadzic und Mladic noch immer frei herumlaufen.“ Eben jene Serbenführer, die für die von ihr angeklagten Massenvergewaltigungen nicht-serbischer Bosnierinnen während des Krieges mit verantwortlich sind.

Dafür sollte Zbanic nur wenige Tage später schwer büßen. Während in Grbavica, jenem Stadtteil von Sarajevo, in dem die Geschichte um Esma und ihre Tochter spielt, die Menschen vor Freude über den Erfolg des Films auf den Straßen tanzten, ballte sich anderenorts Zorn zusammen. Die Medien der serbischen Teilrepublik Srpska überschütteten Jasmila Zbanic mit Häme und Hass, eine Testvorführung in Banja Luka wurde abgesagt, die Regisseurin erhielt Morddrohungen.

Das alles konnte die 1974 in Sarajevo geborene Künstlerin jedoch nicht davon abhalten, ihre Präsentationsreise durch das ethnisch zerfetzte Ex-Jugoslawien fortzusetzen. „Jetzt zu verstummen hieße, die Verbrechen zu dulden“, sagte sie nach der Premiere in Belgrad. Die Aufführung in der serbischen Hauptstadt wurde trotz befürchteter Proteste serbischer Nationalisten ebenso erfolgreich wie die im bosnischen Sarajevo Anfang März. In der serbischen Provinz jedoch wurde er flugs wieder abgesetzt: „Kein Interesse.“

Jasmila Zbanic war 17, als sie das erste Mal hautnah erlebte, wie der Krieg auf dem Balkan gegen Frauen geführt wurde. Aus dem Fenster ihrer Schule beobachtete sie unzählige Busse, aus denen Frauen stiegen, die gebrochen waren an Seele und Leib. So manche von ihnen hat neun Monate später ein Kind geboren.

Jasmila Zbanic, die mit dem Filmproduzenten Damir Ibrahimovic verheiratet ist, gebar ihre heute fünf Jahre alte Tochter aus Liebe. Irgendwann beim Stillen hat sie sich gefragt, wie wohl Frauen empfinden, die Kinder des Hasses geboren hatten.

Sie suchte Kontakt zu Hilfsorganisationen und recherchierte, sieben Jahre lang. Und sie begleitete die Frauen zu Ärzten und in Therapiezentren. Sie lernte die Töchter und Söhne kennen, hat sie aufwachsen gesehen und dem verborgenen Konflikt zwischen den Müttern und ihren ungewollten Kindern nachgespürt. Die Mütter selbst hatten keine Worte dafür.

Zunächst wollte Jasmila Zbanic eine Dokumentation drehen, doch letztlich entschied sie sich für einen Spielfilm. „Ich hätte es nicht verantworten können, die Frauen noch einmal ihre schlimmsten Erfahrungen durchleben zu lassen“, erklärt die Regisseurin. Es ist ihr erster Spielfilm.

In Interviews ist sie oft gefragt worden, ob sie ihrer Tochter den Film zeigen werde. Das Mädchen hat ihn schon gesehen, obwohl es längst nicht alles versteht. „Ich möchte, dass meine Tochter Fragen stellt, dass sie von Anfang an weiß, in welcher Zeit sie groß wird“, sagt Zbanic.

Die Traumata des Krieges und das Verstummen der Opfer waren und bleiben das Thema in Zbanics Werken. Ihr erster Kurzfilm heißt ‚Posilje, posilje‘ (Danach, danach, 1997) und handelt von einem Mädchen, das vom Krieg traumatisiert ist und sich in eine Phantasiewelt flüchtet. Mit dem Dokumentarfilm ‚Crvene gumene cizme‘ (Rote Gummistiefel, 2002) folgte die Fortsetzung. Zbanic begleitete die Arbeit der „Kommission für die Suche nach verschwundenen Personen“. Fast immer sind die Totgeglaubten in Massengräbern verscharrt und nach so vielen Jahren nur noch an Details identifizierbar, die nicht verwesen. Eine Mutter sucht nach ihrer entführten und ermordeten Tochter, das heißt, sie sucht nach den roten Gummistiefeln, die die Tochter getragen hatte.

Die Regisseurin mit dem jungenhaften Haarschopf und der modischen schwarzen Brille hat in Sarajevo Film- und Theaterregie studiert und modernes Puppentheater in Bosnien-Herzegowina und in den USA gemacht. Sie hat Theatertexte und Kurzgeschichten geschrieben und 1997 in Sarajevo die Filmfirma Deblokada gegründet, mit der sie ihre Filme produziert. In Deutschland fiel Zbanic zum ersten Mal vor zwei Jahren in Kassel in der Balkan-Trilogie auf, mit ihrer Werkschau ‚We light the night‘.

Und schon auf der Berlinale 2005 war Zbanic vertreten: mit ‚Der Geburtstag‘, einem Dokumentarfilm über zwei kleine Mädchen, die beide am 9. November 1993, dem Tag der Zerstörung der historischen Brücke über die Neretva in Mostar, geboren wurden. Die Mädchen wuchsen diesseits und jenseits des Flusses auf, auf der „kroatischen“ bzw. der „muslimischen“ Seite. Der Film endet am 23. Juli 2004, dem Tag der Wiedereröffnung der Brücke.

„Ich hoffe, der Bär ist von meiner armen Heimat Bosnien nicht enttäuscht“, sagte die Siegerin lächelnd auf der Berlinale-Bühne. Wohl kaum. Denn zuhause in Sarajevo erwarteten sie Hunderte von Journalisten und Tausende von Menschen auf den Straßen. Bei ihnen war der Film schon ein paar Tage vorher ein überwältigender Erfolg gewesen: allein zur Premiere waren über 4.000 Menschen gekommen. Dennoch hätte der Film in Deutschland wohl keinen Verleih gefunden ohne die Auszeichnung. Jetzt läuft er auch in Deutschland – und in zwanzig weiteren Ländern. Gut, dass es die Berlinale gibt und sie in diesem Jahr drei so mutige und politische Jurys hatte.

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