Ruhrpott: Albus trifft Goosen

Artikel teilen

Frank Goosen Der kleine Frank erinnert sich sehr gut, wie sein Vater ihn mit in die Kneipe geschleppt hat. Also in den genuinen Lebensbereich des Ruhrgebiets-Mannes. Ab und zu auch zum Frühschoppen. Ich würd ja heute nicht auf die Idee kommen, meine Söhne Sonntags mittags inne Kneipe zu schleppen. Aber das Motiv, dass man schon tagsüber Alkohol trinken kann, ist mir dadurch sehr früh vertraut. Genauso wie derbe Sprüche und Späße. Et wurde nämlich auch viel gelacht. Früh gelernt hab ich auch, dass der Mann auszieht, um zu sammeln und zu jagen. Der Plan funktionierte allerdings nicht, weil mein Vater sehr früh sehr krank wurde: Dem ist von der Schichtarbeit aufm Stahlwerk ein Magengeschwür geplatzt. Und dann musste meine Mutter eben alles am Laufen halten. Mein stärkster Einfluss war aber meine Omma. Die war sehr handfest und hat immer gesehen, wo sie bleibt und war trotzdem ne sehr herzliche und positive Frau. Der Wunsch zu erzählen und zu quasseln, der kommt von meiner Omma.

Anzeige

Lioba Albus Ich bin ja mit Anfang 20 nach meiner Schauspielausbildung in München ins Ruhrgebiet gekommen und war mir ganz sicher, dass es mir hier nicht gefallen wird, weil ich die typischen Bilder vom Ruhrpott im Kopf hatte. Aber ich war noch nicht ganz da, da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Ich hab ein Rudel gefunden! Ich war frauenbewegt und hatte bis dato entweder die Extremen getroffen, die mich abgestoßen haben, oder die Tussen, mit denen ich nix anfangen konnte. Und im Ruhrgebiet hab ich dann bei den Frauen dieses Gelebte gefunden. Das hat mich total begeistert. Und darum wollte ich schon nach ganz kurzer Zeit nicht mehr weg. Meine erste Ruhrgebiets-Freundin war Inspizientin am Dortmunder Theater, wo ich mein Engagement hatte, und die war für mich eine Galionsfigur. Die hat in alles reingepackt und gesagt: „Dat iss Schlamm, da wühlen wir jetzt drin!“ Das hat mich super geprächt. Mit den Ruhrgebiets-Männern war es so: Als ich ans Theater kam, waren da drei oder vier Laiendarsteller und das waren so richtige Ömmese. Ich war noch nicht ganz im Ensemble, als ich mitkriegte, dass die um ne Kiste Bier gewettet hatten, wer mich als erster flachlegt. Das fand ich sehr rustikal und dachte: Aha, interessantes Männerbild. Da hab ich mich dann erstma nicht so rangetraut und mich ein bisschen ferngehalten.

Goosen Ich hab die typische Geschichte serieller Monogamie hinter mir. Und ich hab mich immer gefragt: Warum funktioniert dat nicht, die Frau iss doch ganz toll!  Im Nachhinein weiß ich: Die Frauen waren einfach zu abgehoben. Und dann hab ich die Richtige kennen gelernt. Meine Frau ist Schauspielerin, aber auch sehr handfest. Sie kommt zwar nicht aus dem Ruhrgebiet, aber sie ist die Enkelin einer fränkischen Bäuerin. Als ihre Omma mich zum ersten Mal gesehen hat, hab ich noch 130 Kilo gewogen, und sie hat gesagt: „A scheener Moo!“ Ich sah wohl so aus, als könnte ich den Pflug zur Not alleine ziehen.

Albus Irgendwann hab ich gemerkt, dass dieses ständige Sich-auf-die-Brust-klopfen und diese Behauptung von Männlichkeit eher Fassade ist. Und wenn ich dann zu den Kerls vorgedrungen bin, haben sie mir unheimlich gut gefallen. Ich hatte dann auch lange einen Ruhrgebiets-Freund, der mich auch ins Stadion mit - geschleppt hat. Da bin ich dann fußballmäßig angefixt worden. Und ich hab wirklich sofort Wurzeln geschlagen, als wäre das mein Boden. Als wäre ich nur versehentlich im Sauerland geboren, aber eigentlich gehör ich ins Ruhrgebiet. Und so fühl ich mich jetz noch.

Goosen Wat is für dich denn ein typischer Ruhrgebiets-Mann?

Lioba Albus anhören.

Albus Ein typischer Ruhrgebiets-Mann, das ist einer, der einen auf Ömmes macht, also auf harten Kerl, aber beim zweiten Bier schon anfängt zu weinen. Ne typische Ruhrgebiets-Frau ist eine, die sich in bestimmten Situationen durchaus eher weich gibt, aber wenn’s darauf ankommt, total hart sein kann. Also eine, die beim Foul schon mal nachtritt und sehr pragmatisch ist. Operation am offenen Herzen – das ist ihre Spezialität.

Frank Goosen anhören.

Goosen Dem würd ich absolut zustimmen. In unserer Familie waren die Rollen ja ziemlich klassisch verteilt. Aber als die Männer dann krank wurden, sowohl mein Vater als auch mein Oppa, waren die Frauen diejenigen, die den ganzen Scheiß zusammenhalten mussten. Und da kam dann diese Härte und dieser Pragmatismus zum Tragen. Phänotypisch bin ich damit aufgewachsen, dass die Ruhrgebietsfrau ganztägig im Haushaltskittel rumlief und die Kerle auch im Winter im Unterhemd. Einen auf hart machen, weil: Et iss ja noch nich kalt genuch.

Albus Das ist so, weil der Ruhrgebiets-Mann ein Malocher war und sich in Männerkreisen in harten Berufen total behaupten und bewähren musste. Aber irgendwo bleibsse ja auch mit deiner eigenen Sentimentalität, und die hamse dann eben eher zu Hause und unter Alkoholeinfluss ausgelebt. Und die Frauen wiederum mussten das verwalten, was eigentlich gar nicht zu verwalten geht: Die mussten das Haus, das Kleinviech und alles versorgen und dabei dem Mann das Geld rechtzeitig ausser Tasche ziehn, bevor es inner Kneipe gelandet ist. Das heißt: Die mussten da ne gewisse Härte zeigen, wo die Männer unter sich gelassen haben. An meiner Bühnen-Figur Witta, die in der Pommesbude arbeitet, ist zum Beispiel typisch Ruhrgebiet, dass die sich nie lange in die Opferrolle sacken lässt. Die kommt sofort wieder hoch und behauptet sich als Siegerin, auch wenn sie das gar nicht ist.

Goosen Darin erkenn ich meine Omma wieder. Die behauptet sich auch immer als Siegerin. Ein Beispiel: Sie ist mal vor ihrer Haustür überfallen worden. Sie kam  von der Selterbude und hatte für meinen Oppa Bier geholt. Und da springt einer aus dem Gebüsch, entreißt ihr die Handtasche und stößt sie zu Boden. Die Omma ist aufs Gesicht gefallen und hat sich eine Gesichtshälfte ganz aufgeschürft.  Dann geht sie nach oben und muss erstmal selber die Polizei rufen, weil mein Oppa zu aufgeregt war und erstmal ne Pulle Bier aufmachen musste. Dann kommt die Polizei und fragt sie, während sie da mit ihrem blutenden Gesicht sitzt und der Notarzt an ihr rumfummelt, wie viel Geld denn in der geklauten Hand - tasche war. Und meine Omma sagt: „400 Mark!“ Tatsächlich waren es so 80 Mark.  Wie clever! Denn wenne blöd biss, dann sachsse 2 000 Mark. Aber dat glaubt dir doch keiner! Bei 400 kannze aber sagen: „Ich war nachmittachs bei der Sparkasse.“ Und ich sach: Omma, dat war aber cool, die Polizei so kurz nach dem Überfall zu belügen. Da sacht sie: „Die finden den Kerl doch sowieso nich. Und wenn, dann steht mein Wort gegen seins.“ Die 400 Mark hat se dann von der Versicherung wiedergekriegt. Motto: Wenne einen vorn Kopp kriss, dann willze auch wat davon haben!

Albus Das ist dieses Überlebens-Training der Ruhrgebiets-Frauen. Immer gucken, wie man aus der vielen Scheiße, die passiert, doch noch was für sich rausholen kann. Meine Witta fängt ja zum Beispiel auch jede Nummer mit dem Satz an: „Boa, wat hab ich wieder ne Pisslaune!“ Damit verschafft die sich erstmal Platz.  Damit sagt die: „Erwarte nichts von mir! Ich bin zwar hier, aber ich hab Pisslaune. So! Und jetz könn wer reden. Worum geht´s?" Und dann kommt ja immer ihr Satz: "Als Frau inner heutiger Zeit musse ne Menge wegstecken können wennze nich schlucken kannz!“ Das iss ihr Lebensmantra. Meine Frau Mittelkötter aus dem Sauerland hingegen ist ein bisschen vorsichtiger in dem, was sie sich zugesteht. Die hat von ihrem Rollenverständnis her weniger Möglichkeiten. Frau Mittelkötter haut zwar auch auf den Putz, aber letztlich ist sie bei ihrem Sesselfurzer geblieben und verwaltet eine abgestorbene Ehe. Aber Witta hat ihren Ralle, der sich bei ihr auf dem Sofa eingenistet hatte, ja tatsächlich vor die Tür gesetzt und gesagt: „Nimm deine dreckige Wäsche mit!“

Goosen Aber isset nich auch so, dass sich die regionalen Unterschiede nivellieren, weil alle denselben Medien ausgesetzt sind? Besteht nicht die Gefahr, dass so ne spezifische Mentalität, die unter den veränderten Bedingungen im Ruhrgebiet sowieso schwierig zu vererben ist, dadurch komplett den Bach runter geht? Ich glaube schon, dass dadurch, dass die Massenmedien so globalisiert sind, eine Art Amerikanisierung stattfindet. Und ich glaube, da werden jetzt die Rollenvorbilder geprägt, die sich auch bei uns im Alltag niederschlagen.  Germany’s Next Top Model kommt ja auch aus Amerika.

Albus Die jungen Frauen im Ruhrgebiet sind jedenfalls noch vonner Sprache her selbstbewusst. Die Ruhrgebiets-Sprache, die natürlich auch die Frauen sprechen, ist ja ne sehr bodenständige und zupackende Sprache. Aber ich finde, dass sich auch bei den jungen Ruhrgebiets-Frauen das Tussen-Gen immer mehr durchsetzt und immer mehr Schlampen-Barbies unterwegs sind. Und das unterwandert das eigentlich ziemlich ausgeprägte Selbstbewusstsein der Ruhr-Mädels. Da verändert sich was. Und was für die jungen Frauen im Ruhrgebiet ein ausbremsendes Element ist, ist, dass die Männerwelt sehr stark durchwachsen ist von Ethniengruppen, die ein unheimliches Machobild reinbringen. Da mussten sich die Frauen unserer Generation so gar nicht mit aus einandersetzen. Wir haben hier nun mal nen sehr hohen Migrantenanteil. Und diese Türken, Marokkaner oder Russen haben ja für ihr Machotum gar keinen Boden mehr unter den Füßen. Die haben sich da was abgeguckt, was ganz brüchig ist und umso heftiger behauptet wird. Das hat überhaupt kein Fundament. Und deshalb hat das was sehr Aggressives, weil ja, was unsicher ist, gern besonders aggres siv daherkommt. Und mit diesen neuen Männern kommen die Mädels jetzt total ins Schwimmen.

Goosen Es wird ja momentan versucht, dat alte Ruhrgebiet so’n bisschen zu glorifizieren – und daran stricke ich ja bewusst mit. Denn früher hat man uns ja immer gesagt, wir dürften hier auf nix stolz sein. Wir wären nur doof und hier würden die Briketts durche Luft fliegen. Und jetzt gibt es eine Gegenbewegung. Die kommt jetzt nicht mehr damit, dass wir hier auch viele Bäume haben, sondern damit, dass sie die Arbeitswelt von früher verklärt. Aber das ist natürlich eine reine Verklärung der männlichen Vergan gen heit. Da kommt ja nur der Bergmann zum Zuge.

Albus Tja, wo will da ne junge Frau Heldenpotenzial entwickeln? Aber ich glaube: Wenn überhaupt eine Region die Chance hat, diesen immensen Bruch, den wir zu verarbeiten haben, zu verarbeiten, dann isses das Ruhrgebiet. Weil die Mädels zumindest versuchen, verbal rotzig zu bleiben und sich nicht alles gefallen zu lassen. Aber sie haben es unendlich viel schwerer als die Frauen vor ihnen. Und ich kann nur hoffen, dass die Ruhrgebiets-Mentalität den Mädels ein
bisschen Flankenschutz gibt.

Weiterlesen
Auf Spurensuche im Ruhrpott (3/10)
Mein Pott! (3/10)
Hömma, du Pannemann! (3/10)
Wat iss? fragt Uta Rotermund (3/10)

 

www.frauenruhrgeschichte.de

Artikel teilen
 
Zur Startseite