AKK im Gespräch mit Alice Schwarzer
Alice Schwarzer Frau Kramp-Karrenbauer, Sie haben in Ihrer Bewerbungsrede für den Parteivorsitz „Neue Köpfe und neue Antworten“ angekündigt. Über diese neuen Antworten möchte ich mit Ihnen reden. Aber erst mal ein Wort zu den Frauen. Es fällt auf, dass Sie mit den Frauenrechten in die Offensive gehen. Das macht Sinn. Aber haben Sie bei dem Thema auch eine ganz persönliche Motivation?
Annegret Kramp-Karrenbauer Ja, sehr persönlich. Darum bin ich ja in die Politik gegangen! Der Frauenparteitag 1985, organisiert von Generalsekretär Geißler, war etwas ganz Faszinierendes für mich. Ich hatte drei Jahre vorher Abitur gemacht und war der festen Überzeugung, mir steht die Welt offen. Aber als ich dann mit 22 geheiratet habe, habe ich sehr schnell gemerkt, dass sich die Frage Studium oder Beruf und Familie für mich nochmal ganz anders stellt als für meine Kommilitonen. Das fand ich im Höchstmaß ungerecht. Frauenrechte sind mir also ein echtes Herzensanliegen.
Sie haben es gewagt, das umgekehrte Modell zu leben. Ihr Mann, ein Bergwerksingenieur, ist, als Sie durchgestartet sind, erst Hausmann geworden und hat später Teilzeit gearbeitet, um sich um die Kinder kümmern zu können.
Ja, ab 1998, als ich in den Bundestag ging. Er war der Held in jeder Krabbelgruppe. Das hat ihm Spaß gemacht, denn er ist wirklich ein Familienmensch.
Und die anderen Männer?
Klar kamen da dumme Bemerkungen. Aber er ist sehr gelassen. Außerdem lief zu dem Zeitpunkt der Bergbau aus. Für immer mehr Bergleute war es also normal, dass auch ihre Frauen berufstätig wurden – was in unserer sehr konservativen Region nicht selbstverständlich ist. Bis heute nicht. Das Saarland hat eine der niedrigsten Raten berufstätiger Frauen. Und den geringsten Anteil von Vätermonaten.
Und Sie, wie haben Sie sich mit der Umkehrung gefühlt?
Ich habe mit meinem schlechten Gewissen gekämpft – trotz alledem. Zum Beispiel bei Schulfesten. Da fühlte ich mich natürlich verpflichtet, trotz voller Berufstätigkeit den besten Kuchen zu backen und den häufigsten Standdienst zu machen. Und bei jeder schlechten Note eines Kindes ging das Kopfkino los … Mein Sohn hat mal in einem Klassenaufsatz geschrieben: „Morgens, wenn ich zur Schule gehe, geht meine Mama zur Arbeit und mein Papa geht ins Bett.“ Dabei hatte der Nachtschicht gemacht, damit immer einer bei den Kindern sein konnte.
Sie haben jüngst erklärt: „Ich bin eine stolze Quotenfrau.“ Und Sie reden sogar über Parität. Aber wie wollen Sie das durchsetzen, liebe Frau Kramp-Karrenbauer, in einer Partei, in der nur jeder fünfte Bundestagsabgeordnete eine Frau ist? Nur die AfD und die FDP haben noch weniger Frauen im Parlament.
Es muss sich ändern! Entweder wir sorgen selber dafür, dass der Frauenanteil deutlich steigt – oder wir bekommen eine gesellschaftliche Debatte und die Forderung nach gesetzlichen Regelungen. Die CDU hat spät damit begonnen. Aber jetzt machen wir auch mit der Frauenunion Netzwerke und Mentoring, um die Frauen zu ermutigen, zu motivieren, auch zu schulen und damit nach oben zu kriegen. Auch bei den Landesverbänden muss etwas passieren. Sachsen zeigt, dass es geht. Da ist die Kandidatenliste für die Landtagswahl schon im Reißverschlussverfahren aufgestellt: ein Mann, eine Frau … Das Hauptproblem sind die Direktwahlkreise. Da hilft die Quote nicht. Da werden gerade viele Modelle diskutiert, z. B. dass eine Partei immer zwei Kandidaten aufstellen muss: einen Mann und eine Frau. Einen ersten kleinen Schritt in die Richtung habe ich schon als Generalsekretärin gemacht. Wir haben alle Fachausschüsse mit einer Doppelspitze besetzt, jeweils ein Mann und eine Frau. Gerade auch in klassischen Männerdomänen. Damit wir diesen Satz „Wir hätten ja gerne eine Frau genommen, aber leider keine gefunden“ nicht mehr hören müssen.
Es steht die Reform des Wahlgesetzes an. Der Frauenrat hat gerade eine Initiative für Geschlechter-Parität gestartet, also halbe-halbe. Würden Sie sich dem anschließen?
Ich bin auf jeden Fall dafür, dass im Zusammenhang mit der Wahlrechtsreform die Frage der Frauen-Repräsentanz entsprechend ihres Anteils an der Bevölkerung diskutiert wird. Über Parität müssen wir heute reden, ganz wie einst über die Quote. Die Parität ist aber komplizierter als die Quote, nicht zuletzt juristisch. Meine Partei muss unabhängig von dieser Debatte ihre Hausaufgaben machen in Sachen mehr Frauen in den Parlamenten.
In Ihrer Rede zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“ bei der Adenauer-Stiftung haben Sie zustimmend den Begriff „Wahlfreiheit“ erwähnt. Ist das nicht zynisch, wenn man bedenkt, dass die Frauen, denen man suggeriert, sie könnten problemlos auch volltags Mutter sein, später nicht selten die Gefahr droht, in der Depression zu landen oder in der Altersarmut?
Es wird dann zynisch, wenn man von Wahlfreiheit spricht, aber die Frauen nicht darauf hinweist, was die Konsequenz bei unserem heutigen System ist.
Aber genau das ist ja der Fall: Wir haben eine moderne Rechtslage, die davon ausgeht, die Eheleute seien gleich – die Realität aber ist von gestern. Im Namen der Liebe stecken viele Frauen noch immer zurück.
Jeder Mensch ist erstmal frei, eine eigene Lebensentscheidung zu treffen. Aber in der Tat: Bei unserem System, bei dem die Hauptabsicherung über den Beruf läuft, muss darauf hingewiesen werden, was das bedeutet, wenn man große Unterbrechungen hat, bzw. in Teilzeit arbeitet oder sehenden Auges einen so genannten „klassisch weiblichen“ Beruf wählt, bei dem ganze Branchen en bloc niedriger entlohnt werden.
Da ist es doch auch an der Politik, zusammen mit den Gewerkschaften darauf hinzuwirken, dass diese traditionellen Frauenbranchen – wie Dienstleistungen und Pflege etc. – genauso hoch bewertet werden wie Männerbranchen, Arbeiten am Bau zum Beispiel.
Das ist richtig. Und auch die Familienarbeit muss angemessen bewertet werden. Deswegen war mir das Thema Mütterrente immer so wichtig.
Das Problem ist doch, dass heute in Deutschland die Gesetze moderner sind als die Sitten. Müsste da nicht auch die Politik ehrlicher und offensiver aufklären, statt mit der Lüge von der „Wahlfreiheit“ die Köpfe zusätzlich zu vernebeln?
Echte Wahlfreiheit ist für mich ein Anspruch, an dessen Verwirklichung ich seit langem arbeite. Dazu gehört eine genaue Information über die eigene Lage, auch unabhängig vom Geschlecht. In anderen Ländern ist es zum Beispiel ganz einfach, in jeder Lebensphase zu erfahren: Wie hoch wird meine Rente sein, wenn ich so weitermache? In Deutschland ist das unnötig kompliziert. Ich will niemanden bevormunden, aber ich will, dass jeder und jede seine Lebensentscheidungen auf der Grundlage von Fakten treffen kann.
Sie haben ein „Dienstjahr“ bzw. „Gesellschaftsjahr“ für beide Geschlechter ins Gespräch gebracht: also ein Jahr, das junge Männer wie Frauen leisten sollen und bei dem sie wählen können zwischen Bundeswehr und Zivildienst.
Es geht dabei um die Frage: freiwillig oder verpflichtend? Wenn wir über ein Pflichtjahr reden, müsste das für Männer und Frauen gelten. Und auch nicht nur für deutsche Staatsangehörige, sondern für alle, die hier leben. Auch für die mit einem längeren Aufenthaltsrecht. Das könnte zur Integration beitragen. Im Kern steckt die Frage dahinter: Was hält uns zusammen? Was sind unsere Rechte und Pflichten? Aber ich kann noch nicht einschätzen, wie die Gesamtheit meiner Partei dazu steht. Wir müssen darüber reden. Interessanterweise scheinen die Jüngeren eher dafür zu sein, die Älteren aber, die noch das Pflichtjahr bei den Nazis erlebt haben, dagegen.
Thema Flüchtlinge. Da ist ja einiges schiefgelaufen. Wenn Sie heute zurückblicken auf das Ereignis Silvester 2015 in Köln, wie schätzen Sie das ein?
Wir hatten zwei Ereignisse, die ein tiefer Einschnitt waren. Das erste, im September 2015, wo die Bereitschaft in der Bevölkerung sehr groß war zu helfen, und uns Vorwürfe gemacht wurden, zu engherzig zu sein. Silvester in Köln war dann wenige Monate später der entscheidende Moment, in dem sich dieses Klima gedreht hat. Denn was da passiert ist, war ein wirklicher Schock. Ich persönlich habe das auch als Angriff auf alle Frauen empfunden, nicht nur auf die, die dort waren. Und auch ein Angriff auf unsere offene Art zu leben. Köln hat sehr viel verändert.
Und welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Wie lauten Ihre neuen Antworten?
Wir haben die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen hart errungen. Und wir müssen dafür sorgen, dass der Respekt vor Frauen eingehalten wird. Ich habe als Ministerpräsidentin in dem Ankerzentrum im Saarland auch solche Diskussionen mit Flüchtlingen gehabt. Manche haben gesagt: Wenn eine Frau das Essen ausgibt, nehmen wir das nicht an. Unsere Antwort war klar: Dann gibt es eben kein Essen. Darüber wurde zwei Tage lang geredet, und dann war es erledigt. Ich erwarte von Menschen, die zu uns kommen, dass sie unsere Werte akzeptieren – und vor allem erwarte ich von uns selbst, dass wir dafür eintreten! Und dass wir das auch durchsetzen! Lehrerinnen, die in den Klassen mit Frauenverachtung konfrontiert werden, dürfen wir nicht alleine lassen. Sie brauchen eine ganz klare Rückendeckung von den Kultusbehörden. Wer mobbt, muss gehen. Egal, ob es sich um antisemitisches, rassistisches oder sexistisches Mobbing handelt.
Und was genau verstehen Sie unter „unseren Werten“?
Die Achtung der Würde des Menschen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Meinungs- und Religionsfreiheit – eben das, was das Grundgesetz in den Grundrechten an Grundwerten garantiert.
Was aber antworten Sie, wenn Ihnen vorgeworfen wird, rassistisch oder islamophob zu sein?
Ehrlich gesagt hat das für mich wenig mit dem Islam zu tun. Das gilt für alle. Wenn es christliche Fundamentalisten gibt, die ihre Töchter nicht zum Schwimmunterricht schicken, ist das ebenso wenig akzeptabel. Die Trennung von Jungen und Mädchen ist für mich ein Rückfall in alte Zeiten. Da ist mir ganz egal, woher jemand kommt oder was er glaubt. Für unsere Gleichberechtigung haben viele Frauen gekämpft. Und ich sehe es auch als Verpflichtung, keine Welt für meine Tochter zu hinterlassen, die unfreier ist, als sie es für mich ist.
Aber genau das propagieren ja die christlichen wie die islamischen Fundamentalisten. Die jüdischen auch, aber die missionieren nicht und machen nur Probleme in Israel. Und das Symbol dieser Geschlechter- Apartheit ist seit den 80er-Jahren, seit der Machtergreifung Khomeinis im Iran und der Politisierung des Islam, das Kopftuch. Es hat längst auch Einzug nach Europa gehalten. Wie stehen Sie also zu der Frage eines Kopftuchverbotes in den Schulen und im öffentlichen Dienst?
Das Kopftuch ist auch in meinen Augen ein höchst ambivalentes Symbol. Es steht ja nicht nur für Religiöses, sondern eben auch für die Politik der Geschlechtertrennung. Man hat auch immer den Eindruck: Die Frau mit einem Kopftuch ist eine unterdrückte Frau. Obwohl ich in den Flüchtlingslagern ganz tolle, starke Frauen aus muslimischen Ländern mit Kopftüchern kennengelernt habe …
… obwohl es ja etwas anderes ist: Ob eine Frau aus einem Land kommt, in dem es Sitte oder gar Zwang ist, ein Kopftuch zu tragen – oder ob sie es mitten in Europa trägt, vielleicht sogar als Konvertitin …
Deswegen haben wir in meiner Zeit als Ministerpräsidentin im Saarland mit den Stimmen aller Parteien ein ganz klares Gesetz gemacht, das das Tragen des Kopftuches für Lehrerinnen und auch Richterinnen untersagt. Das gilt bis heute.
Und die Schülerinnen?
Bei Schülerinnen lassen wir es zu. Wenn ich aber Mädchen zum Teil schon im Kindergarten mit Kopftuch sehe, dann hat das nichts mehr mit Religionsfreiheit zu tun. Deswegen finde ich eine Debatte darüber wichtig, ob wir Kopftücher im Kindergarten verbieten und in der Schule erst ab der Religionsmündigkeit, also ab 14 zulassen, frühestens aber nach der Grundschule.
Genügt das?
Im Saarland haben wir den muslimischen Religionsunterricht an den Schulen eingeführt. Es wird Wert darauf gelegt, dass der von einer Frau ohne Kopftuch gegeben wird. Damit die Schüler sehen: Eine Frau kann über Religion reden – sogar auch eine ohne Kopftuch. Und das haben wir auch mit den Verbänden abgesprochen.
Mit den islamischen Verbänden? Das ist erstaunlich. Denn genau diese rückschrittlichen Verbände, in denen ja nur eine Minderheit der Muslime organisiert ist, sind seit rund 25 Jahren die Hauptpropagandisten der Scharia, einer Geschlechtertrennung in den Schulen, des Kopftuches.
Eine der entscheidenden Fragen für ein friedliches Miteinander in Europa wird die sein: Kann aus Europa ein Impuls kommen für die Weiterentwicklung eines Islams, der mit einer offenen Gesellschaft vereinbar ist? Ich möchte das auch bei den Europawahlen thematisieren. Und diese fortschrittliche Richtung des Islams müssten wir auch an den Universitäten fördern.
Aber da läuft es ja leider anscheinend genau umgekehrt. Bei der Besetzung der Lehrstühle zur Ausbildung von Imamen haben zurzeit vor allem die orthodoxen bis islamistischen Islamverbände, wie der „Zentralrat der Muslime“, das Wort. Siehe auch die FU Berlin, wo der Studierendenrat vergeblich protestiert hat. Und diese Verbände machen auch liberalen Muslimen, wie dem in Münster lehrenden Khorchide, das Leben schwer.
Aber genau das wäre mein Ansatz: Dass wir die liberalen Kräfte fördern! Und zwar in ganz Europa. Denn es ist doch auffallend, dass die Probleme mit dem politisierten Islam überall gleich sind – obwohl unsere nationale Geschichte ja sehr unterschiedlich ist. Frankreich zum Beispiel hat eine andere koloniale Vergangenheit, aber Deutschland hat exakt dieselben Probleme mit der Integration wie unsere Nachbarn. Ich frage mich schon lange, warum sich niemand über die Entrechtung der Frauen wirklich aufregt. Anfang der 80er-Jahre, als ich in die Politik gegangen bin, gab es internationale Sanktionen gegen rassistische Länder wie Südafrika. Und die haben viel erreicht. Eine solche Debatte mit Blick auf die Staaten, die sexistisch, also rassistisch gegen Frauen sind, hat es nicht gegeben.
Ein wahres Wort. Wir dürfen gespannt sein, was Sie in dieser Richtung tun werden. Kommen wir zur Prostitution. Hier geht Deutschland ja einen Sonderweg mit der uneingeschränkten Akzeptanz. Seither sind wir zu einem „Paradies für Freier“ und zu der europäischen Drehscheibe für Menschenhandel geworden. Sie sehen das kritisch und haben 2013 den EMMA-Appell zur Ächtung von Prostitution, zur Hilfe zum Ausstieg von Frauen in der Prostitution und Bestrafung der Freier unterschrieben. Wie sieht das 2019 die CDU-Parteivorsitzende?
Meine persönliche Meinung ist: Die Behauptung, Prostitution sei „ein Beruf wie jeder andere“ hat in keinem der Länder, wo das praktiziert wurde, zu einer wirklichen Verbesserung der Lage der Frauen geführt. Im Gegenteil. Die Liberalisierung hat in Deutschland der Exekutive, der Polizei die Instrumente aus der Hand geschlagen, das eng mit der organisierten Kriminalität verbandelte Rotlichtmilieu besser kontrollieren zu können und durchzugreifen. Das Saarland ist ja besonders betroffen, weil die Freier aus Frankreich, wo die Prostitution als „Verstoß gegen die Menschenwürde“ verboten ist, über die Grenze zu uns kommen. Deswegen haben wir scharfe Maßnahmen ergriffen wie Sperrzonen und regelmäßige Gesundheitskontrollen, um Kontakt zu den oft isolierten Frauen zu kriegen und sie da rauszuholen. Zusammen mit Organisationen wie Solwodi, die Ausstiegshilfen anbieten, haben wir Hilfsprogramme für die betroffenen Frauen entwickelt.
Ein zentrales Problem ist ja auch die durch die Liberalisierung des Sexgewerbes geförderte gesellschaftliche Akzeptanz der Prostitution.
So ist es. Menschen sind keine Ware. Wir dürfen nicht so tun, als sei es normal, dass Männer Frauen – oder Frauen Männer – kaufen.
Wäre es dann nicht konsequent, auch in Deutschland die Freier zu bestrafen? Wie man es unter anderem in Skandinavien, Frankreich, Israel tut?
Ich weiß, das ist ein vermintes Gelände. Doch für mich ist die Debatte darüber noch nicht beendet. Aber wer zieht da mit? Ich wundere mich schon lange darüber, dass unsere politischen Mit bewerber, die sich sonst immer so für die Frauenrechte engagieren …
… Sie meinen die Grünen und die SPD …
… sich bei dem Thema Prostitution so schwer tun. Ich kann das nicht nachvollziehen. Auf jeden Fall brauchen die Frauen mehr Hilfe zum Ausstieg!
Kommen wir zu den Differenzen. Zur Homo-Ehe haben Sie schon früher klar Position bezogen: Sie seien zwar für die Akzeptanz der Homosexualität und der eingetragenen Partnerschaft, aber die Ehe wollen Sie der heterosexuellen Verbindung vorbehalten wissen. Inzwischen ist die Homo-Ehe Gesetz. Wir müssen also darüber nicht mehr reden.
So ist es. Ich bin dafür übrigens nicht nur von Herrn Spahn kritisiert worden, sondern auch von meinen eigenen Kindern. Die sind pro Homo-Ehe.
Bleibt die Abtreibung. Sie haben gesagt: „Ich mache keine christliche Politik, ich mache eine Politik nach dem christlichen Menschenbild.“ Ist es für Sie christlich, Frauen nicht mindestens die Fristenlösung zuzugestehen, wie es quasi alle unsere westeuropäischen Nachbarn tun, auch die katholischen Länder? Und ist es für Sie christlich, Ärztinnen und Ärzte, die bereit sind, ungewollt Schwangeren medizinisch beizustehen, einzuschüchtern und zu bedrohen?
Für mich gibt es einen Konflikt zwischen dem Schutz des werdenden Lebens und der berechtigten Forderung nach Selbstbestimmung der Frauen. Wir brauchen einen Ausgleich zwischen diesen beiden Rechtsgütern.
Aber wann beginnt das so genannte „werdende Leben“? Selbst der Vatikan ist da wechselnder Meinung. Noch im 19. Jahrhundert befand er, dass das „werdende Leben“ bei einem männlichen Fötus am 40. Tag, das bei einem weiblichen Fötus am 80. Tag beginnt.
Ich stehe zu dem aktuellen Kompromiss, den wir ja sehr hart erstritten haben. Und ich möchte auf keinen Fall, dass der § 218 infrage gestellt, das heißt verschlechtert wird.
Das wäre ja noch schöner.
Ich will, dass Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, aus welchen Gründen auch immer, die bestmögliche medizinische Versorgung und die dafür notwendigen Informationen bekommen. Zum Beispiel über die Ärztekammern.
Wollen Sie allen Ernstes, dass Schwangere zu den Ärztekammern marschieren?
Ob und wie auch Ärzte informieren können, ist ja gerade Gegenstand eines Gesetzentwurfes. Darüber hinaus gibt es heute ja das Internet.
Sie glauben doch nicht wirklich, dass eine Frau, die eigentlich nicht abtreiben will, sich durch „Werbung“ zur Abtreibung verführen lässt?
Darum geht es nicht. Ich frage umgekehrt: Warum reicht Information nicht aus? Ich möchte auf jeden Fall nicht, dass durch die Debatte um den § 219a der § 218 infrage gestellt wird. Wohin das Aufkündigen eines solchen Kompromisses führt, sieht man in den USA, wo die militanten Abtreibungsgegner auf der einen Seite stehen und auf der anderen Seite der Staat New York plant, Abtreibungen bis zur Geburt zuzulassen.
Zu einer weiteren Diskussion über dieses Thema bräuchten wir mehr als eine Stunde. Darum die letzte Frage, Frau Kramp-Karrenbauer: Sie wären als kleines Mädchen gerne Messdiener geworden, wie Ihre Brüder. Damals aber durften die Mädchen das noch nicht. Heute fordern Sie, dass Frauen Priesterinnen werden können. Haben Sie schon mit dem Papst darüber gesprochen?
Persönlich noch nicht …
… noch nicht, aber bald?
(Lächelt) … aber der Amtskirche ist meine Position schon bekannt.