Die Töchter kommen!

Unternehmerin Nicola Leibinger-Kammüller mit ihrem Vater Berthold. Foto: Martin Storz
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Zwischen uns ist abgesprochen, dass sie nicht die Nummer 1 wird, weil ich ihr das als vierfache Mutter gar nicht zumuten möchte“, diktierte Firmenpatriarch Reinhold Würth Autoren in den Block, die eine Biografie über den „König der Schrauben“ aus dem schwäbischen Künzelsau schrieben. Auch erklärte er ferner hin und wieder öffentlich, dass Frauen sich um „Küche und Kinder zu kümmern“ hätten und sich „eigentlich aus dem Geschäftsleben heraushalten“ sollten.

Doch dann kam Bettina, seine Tochter. Ihr Start war holprig. Bettina rebellierte gegen den Vater, brach die Schule ab, arbeitete in München als Kindergärtnerin und tauschte erst mit 23 Jahren die Latzhose gegen ein Kostüm. Von der Lehre zur Industriekauffrau arbeitete sie sich zur Konzernspitze hoch.

Ihr größtes Talent: andere Menschen motivieren und Talente herauskitzeln.

Bettina Würth sitzt an der Schaltstelle ihres Konzerns für Montagetechnik mit 52.000 MitarbeiterInnen.
Bettina Würth sitzt an der Schaltstelle ihres Konzerns für Montagetechnik mit 52.000 MitarbeiterInnen.

Kurzum: Bettina Würth führte eine völlig neue Unternehmenskultur ein und war damit so erfolgreich, dass der Vater die Sache noch einmal überdenken musste. Heute sitzt sie an der Schaltstelle eines Konzerns mit 52.000 MitarbeiterInnen in 82 Ländern und einem Umsatz von knapp sieben Milliarden Euro pro Jahr. Aus dem „König der Schrauben“ ist eine „Königin der Schrauben“ geworden.

Bettina Würth blieb nicht allein. Seit gut zehn Jahren gibt es immer mehr regierende Töchter in Familienunternehmen. Sie machen in Mähdreschern, Gabelstaplern, Autos, Robotik, Hydraulik, Bier oder Beton.

„Das Schöne bei Familienunternehmen ist ja, dass sie einfach da sind“, sagt Daniela Jäkel-Wurzer. Die Unternehmensberaterin aus Nürnberg hat sich seit ihrer Dissertation auf Töchter in der Unternehmensnachfolge spezialisiert. 2012 ist sie für eine Studie mit Kollegin Kerstin Ott durch ganz Deutschland gereist und hat 50 Unternehmer-Töchter interviewt. Sie traf spannende Frauen, aber „da ging mehr“. Seitdem coacht sie Töchter aus großen Familienunternehmen und hat begleitend die Initiative „Generation Töchter“ ins Leben gerufen, ein Netzwerk für die Unternehmer-Töchter.

Deutschlandweit gibt es aktuell 678 Familienunternehmen, die jeweils einen Jahresumsatz von 300 Millionen Euro und mehr erwirtschaften. Jeder vierte Unternehmensnachfolger in Unternehmen dieser Größenordnung ist heute weiblich. Tendenz steigend.

Noch vor 15 Jahren war die Nachfolge in Familienunternehmen ein durchweg männlich geprägtes Feld, die Frauen sind absolut auf dem Vormarsch“, sagt Jäkel-Wurzer.

Wirtschaftswissenschaftlerinnen wie sie halten diese Entwicklung für weitaus bedeutsamer als jede Frauenquote in DAX-Unternehmen. „Dass große Arbeitgeber ihre Zukunft in die Hände der Töchter legen, hat eine Signalwirkung für alle Frauen! Alles ist möglich!“

Die Generation Tochter, die auf die Chefsessel strebt, hat gemeinsame Nenner. Meist sind es Frauen um die 30, die gut ausgebildet sind, sogenannte „Leistungsfrauen“. Sie haben schon Führungserfahrung in anderen Unternehmen gesammelt, oft in den entscheidenden Bereichen: Personal, Marketing und Strategie. Und sie fragen sich: „Ja, warum sollte ich das eigentlich nicht machen?“

Das fragte sich auch Cathrina Claas-Mühlhäuser. Ihr wird nachgesagt „Mähdrescher zu leben und zu atmen“. Als Aufsichtsratsvorsitzende führt sie seit rund zehn Jahren das Landmaschinen-Imperium Claas im westfälischen Harsewinkel, Weltmarktführer in Mähdreschern und selbstfahrenden Feldhäckslern mit einem jährlichen Umsatz von fast vier Milliarden Euro. Mit 28 stieg die studierte Betriebswirtin ins Geschäft ein, da war ihr Vater 78. Sie übernahm den Bereich „Traktor“, besuchte persönlich die Länder der Kunden und Händler von Kasachstan bis Brasilien, und richtete das Unternehmen strategisch für die Landwirtschaft vor Ort aus. Mit Erfolg. Claas beschäftigt heute über 9.000 MitarbeiterInnen in 30 Ländern. Für Cathrina Claas-Mühlhäuser ist die Unternehmensführung Herzensangelegenheit. „Unser Name steht schließlich auf jeder Maschine.“

Die Frauen, die Jäkel-Wurzer berät, darunter einige schon seit über zehn Jahren, haben ihre Unternehmen flexibler und gleichzeitig profitabler gemacht. Wie ist ihnen das gelungen?

„Weil Frauen anders führen“, erklärt Daniela Jäkel-Wurzer. „Ihr Führungsstil ist in der Regel von Offenheit, Modernisierung und Social-Skills geprägt. Das, was früher als „typisch weiblich“, also eher negativ konnotiert war, ist heute gefragt.“ Es herrscht ein anderer Zeitgeist und gleichzeitig auch Fachkräftemangel, große Unternehmen müssen ihre MitarbeiterInnen an sich binden.

Es läuft nicht mehr über Druck durch drohenden Arbeitsplatzverlust, sondern über Verantwortung und Identifikation mit dem Unternehmen. Nicht alle müssen alles können. Es geht darum, Talente zu erspüren, Posten richtig zu besetzen. „Die Frauen haben verstanden, dass sie nicht jeden Fitzel in der Produktion beherrschen, aber das große Ganze in Blick haben müssen, um die richtige Strategie für das Unternehmen zu erspüren“, weiß Jäkel-Wurzer.

Was daraus wachse, sei eine neue Unternehmenskultur. Die Expertin: „Frauen wollen kein Haifischbecken. Sie wollen ein harmonisches Umfeld, das von Vertrauen und gegenseitigem Respekt geprägt ist.“ Die neuen Chefinnen können abgeben, delegieren, schlicht: vertrauen. Die Devise: „Alles über meinen Schreibtisch“ finden sie antiquiert. Sie sind kommunikativer, arbeiten teamorientierter als Männer. Sie sind auch offener für flexible Arbeitsmodelle, oft aus eigener Erfahrung, weil sie wissen, wie schwer die Vereinbarkeit von Job und Familie für Frauen noch immer ist. „Die neuen Chefinnen können – und wollen – es selbst gar nicht so machen wie ihre Väter, die Patriarchen, die 70 Stunden in der Woche im Betrieb sind und nur wenig von der Familie mitkriegen“, weiß Jäkel-Wurzer.

Die Frauenquote in Führungspositionen ist inzwischen höher als in der Gesamtwirtschaft. „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern das Weitertragen der Glut“, hat Annette Roeckl mal gesagt. Sie leitet als geschäftsführende Gesellschafterin seit 2003 als erste Frau in sechs Generationen das Unternehmen „Roeckl Handschuhe & Accessoires“. Bis zum Alter von 20 Jahren trug sie aus Prinzip keine Handschuhe. Mit 21 Jahren wurde sie Mutter, hatte keine Berufsausbildung und fing aus pragmatischen Gründen eine Ausbildung zur Handelsfachwirtin bei Roeckl an. Und siehe da, auch diese Tochter startete bald durch, überzeugte auch ihren Vater.

Ganz nebenbei zeigt sich in den Familienunternehmen, was in jeder Art Betrieb gilt: Eine Frau zieht andere nach. „Sobald eine Frau die Führung übernimmt, wird der ganze Betrieb weiblicher, vom Zulieferer bis zum Rechtsberater. Frauen haben Frauen auf dem Schirm!“, so die Expertin.

Und noch etwas anderes haben sie, die Töchter, auf dem Schirm: Papas Gefühle. Ein Familienunternehmen ist nun mal eng mit der Familie verwoben, oft steht der eigene Name für das ganze Imperium. Es ist das Lebenswerk des Vaters.

Jäkel-Wurzer: „Die Töchter gehen sozialverträglicher an die Sache heran als Söhne. Sie sehen den Vater nicht als Konkurrenten, sie wollen ihn nicht entthronen und auch nicht sofort alles ganz anders machen, um zu zeigen, wer sie sind. Töchter sind vorsichtiger als ihre Brüder, hinterfragen sich selbstkritischer: Kann ich das wirklich? Will ich das? Und sie bereiten sich besser vor – weil für sie als Frau die Messlatte deutlich höher liegt. Aber genau dadurch handeln sie letzten Endes auch verantwortungsvoller.“

Laut ihrer Studie wählen 60 Prozent der Unternehmertöchter das Tandem-Modell, wenn ein Unternehmen übergeben wird. Das heißt: Vater und Tochter führen das Unternehmen mindestens zwei Jahre lang gemeinsam. Der Vater zieht sich nach und nach zurück und behält noch eine Zeit lang die beratende Funktion. Diese Strategie ist äußerst erfolgreich: Erfahrungen und Wissen werden weitergegeben, Positionen in Netzwerken übergeben, Väter müssen nicht von heute auf morgen loslassen.

„Entscheidend ist ein gemeinsam mit dem Vater verabschiedeter Fahrplan. Der Vater muss dann aber auch willig sein, wirklich zurückzutreten, wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Die Tochter darf nicht in einer ‚Prince-Charles-Schleife‘ verharren.“

In den Belegschaften gebe es heute zu 80 Prozent ein Aufatmen, wenn eine Tochter das Ruder übernähme. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen: Die Firma liegt ihr am Herzen, sie wird dafür kämpfen, dass es dem Unternehmen gut geht. Mit der kann man reden. Die hat neue Ideen. Gleichzeitig bauen die Töchter auf den vorhandenen Strukturen auf. Ich erlebe als Coach immer wieder, dass Frauen möglichst niemanden entlassen wollen. Selbst, wenn jemand gegen sie intrigiert.“

Bei aller weiblichen Empathie gibt Daniela Jäkel-Wurzer den Frauen für die ersten 100 Tage einige Basics mit auf den Weg, die in der Männerwelt wichtig sind: Kein Understatement! Nicht jedem das Du anbieten! Erstmal zurückhaltend die Lage sondieren, nicht so viel handeln, erst beobachten. Ein angemessenes Gehalt festlegen und ein ebenbürtiges Büro, sowie den Parkplatz in der ersten Reihe der Geschäftsführung!

„Frauen beharren nicht so auf Status. Aber jemand, der etwas zu sagen hat, muss sichtbar sein, so sind die Spielregeln. Noch werden die von Männern gemacht. Ich habe mal eine Nachfolgerin gecoacht, deren Vater plötzlich gestorben war. Sein Parkplatz wurde fortan leer gelassen. Ich habe sie bestärkt und gesagt: Du stellst dich jetzt auf diesen Parkplatz. Das ist deiner, du bist jetzt die Chefin. Es war schwer für sie, aber die Belegschaft hat dann sogar aufgeatmet, weil klar war: Jetzt geht es weiter.“

Daniela Jäkel-Wurzer berät die Töchter auch, wenn eine „Familien-Charta“ gewünscht ist, die die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens festlegt. Dabei hat sie auch viele der Väter kennengelernt. Ihre Erkenntnis: „Bei den meisten Vätern hat ein grundlegendes Umdenken stattgefunden. Diese Patriarchen merken durch ihre schlauen Töchter auf einmal, wie sich die Zeiten geändert haben.“

Auch beim Mechatronik-Spezialisten Wittenstein im baden-württembergischen Igersheim hat sich einiges geändert, seit 2016 eine Tochter die Geschäfte führt. Anna-Katharina Wittenstein ist Vorstandssprecherin der Wittenstein SE, einem Unternehmen mit weltweit 2.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 302 Millionen Euro. Ihr Vater Manfred ist der ehemalige VDMA-Präsident (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) und einer der prominentesten Vertreter des Typus Familienunternehmer. In seinen Fokus rückte die Tochter, als die Unternehmensstrategie in einer Familiencharta festgeschrieben wurde. Anna-Katharina brachte sie federführend auf den Weg.

Und, wer hätte das gedacht, auch Bier kann Töchtersache sein. Das „einzig wahre Warsteiner“ zum Beispiel wird von Eva-Catharina Cramer in der Brauerei iin Warstein gebraut. Sie ist die jüngste Tochter von Firmenpatriarch Albert Cramer und studierte Betriebswirtin. Sie erweiterte erfolgreich das sauerländische Repertoire bis hin zum Chili-Bier.

Und auch die Konkurrenz schläft nicht. Die zweitstärkste Braufrau in Deutschland ist Susanne Veltins. Sie führt das 1824 gegründete Unternehmen in Grevenstein in der fünften Generation und belegt mit dem Veltins-Bier Platz drei im Ranking der am meisten verkauften Biere in Deutschland.

Daniela Jäkel-Wurzer könnte noch stundenlang von erfolgreichen Töchtern erzählen. Vor allem habe diese Töchtergeneration ihrer Meinung nach eines sehr viel früher im Blick als die Väter: die NachfolgerInnen. „Im Schnitt sind Unternehmerinnen 56 Jahre alt, wenn sie die Nachfolge einleiten – also gut zehn Jahre früher als ihre Väter. Sie haben gut durchdachte Pläne in der Schublade, einen Plan A plus Alternative. Und ihre Töchter werden selbstverständlich Teil des Plans der Mütter sein.

ANNIKA ROSS

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