Prostitution: Sechs Jahre Hölle

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Sechs Jahre lang war ich nur eine von geschätzten 200.000 bis 1.000.000 Menschen in der Prostitution in Deutschland, meist Mädchen und Frauen. Der Einstieg in die Prostitution erfolgt unterschiedlich. Oftmals verläuft er über die Liebe. Die wird häufig ausgenutzt und als Druckmittel eingesetzt, um Mädchen und Frauen für die Prostitution gefügig zu machen und auszubeuten. Ich spreche von der so genannten „Loverboy-Methode“. Durch sie bin auch ich in die Prostitution gekommen. „Loverboys“ sind Männer, die Frauen Liebe vorspielen mit dem Ziel, sie in die Prostitution zu drängen und auszubeuten.

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Unsere Gesellschaft sagt, Prostitutin ist normal und ein Job wie jeder andere.

Als mich dieser „Loverboy“ das erste Mal in ein Bordell mitnahm, wollte ich am liebsten weg. Ich war jung, instabil und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte und auch nicht, in welch gefährlicher Situation ich mich befand. Er sagte, es sei ja alles ganz normal. Das ist das Schlüsselwort: Normalität. Prostitution sei normal und ein Job wie jeder andere.

Das ist auch die Ansicht unseres Staates, der Prostitution in unserem Land als Job versteht. Zuhälter und Bordellbetreiber treten in „seriösen“ Talkshows auf und werden wie Geschäftsleute behandelt, statt als Kriminelle. Das Milieu wird als nicht so schlimm beschrieben. Ich konnte also, wie viele andere Frauen, nicht sehen, dass ich auf dem Weg war, mitten in ein kriminelles Gewaltmilieu abzurutschen.

Hätte man mir damals gesagt: „Prostitution ist gefährlich, gewalttätig und eine Verletzung der Menschenwürde“, hätte dieser Menschenhändler es viel schwerer gehabt, mich in die Prostitution zu locken. Ich wäre gewarnt gewesen.

Als junge Frau brachte mich mein Zuhälter in ein Flatrate-Bordell, wo ich in vier Wochen 400 bis 500 Sexkäufer zu bedienen hatte. Aber auch in anderen Bordellen und im Escort mit nur einem Sexkäufer war die Prostitution zerstörerisch für mich. Sie macht etwas mit einem. Egal, ob ein Mensch vermeintlich einwilligt oder nicht. Diese Einwilligung ändert nichts an den Gefühlen, es ändert nichts daran, dass man gerade von einem fremden Menschen berührt und penetriert, zu einem Objekt degradiert wird. Es ist ein Stillhalten und Unterdrücken von Gefühlen wie Schmerz, Widerstand, Trauer und Ekel.

Die Fähigkeit, Widerstand zu leisten, geht bei jedem Sexkäufer ein Stück mehr verloren. Denn diese ungewollte Penetration bedeutet eine permanente Demütigung und Entmenschlichung. Man hört irgendwann auf, sich als fühlender Mensch wahrzunehmen. Es ist eine Art Zerstörung der eigenen Identität – ein Grund, warum viele in der Prostitution bleiben. Man hat sie dort oder auch zuvor schon durch Gewalt gebrochen; man hat ihnen ihre Würde, ihre Seele, ihr Menschsein genommen.

Von diesem Zustand profitieren Zuhälter, Menschenhändler und Sexkäufer, denn in diesem Zustand wehrt man sich nicht mehr. In diesem Zustand kann man auch nicht einfach in ein normales Leben wechseln, als wäre nichts passiert. Denn man trägt diese Demütigungen, die Überzeugung, nichts wert zu sein und den Verlust von Würde und Seele in sich, man ist psychisch in dieser Welt gefangen.

Es ist der Verlust von Würde und Seele. Man ist psychisch in dieser Welt gefangen.

All das sind auch Faktoren, die die Frauen in der Prostitution halten, was dann oft als „Freiwilligkeit“ verkauft wird. Dass diese Menschen in ihrem Schmerz, ihrem Trauma und der Gewalt von Freiern, Zuhältern und Menschenhändlern gefangen sind, wird nicht gesehen. Sie sind in dem Gefängnis der Prostitution eingesperrt und unser Staat akzeptiert mit seiner Gesetzgebung ihre Gefangenschaft – anstatt zu versuchen, die Opfer zu befreien!

Die Mai/Juni-EMMA 2019 mit einem Schwerpunkt zur Prostitution - und Sandra Norak auf dem Cover.
Die Mai/Juni-EMMA 2019 mit einem Schwerpunkt zur Prostitution - und Sandra Norak auf dem Cover.

Als ich damals in einem Bordell mit Nacht­betrieb war, war ich nicht nur allein mit Sex­käufern auf dem Zimmer, wo der sexuelle Akt passierte, sondern auch öfter zusammen mit anderen prostituierten Frauen. Manchmal wusste ich nicht, was schlimmer war: Es selbst zu ertragen oder zu sehen, wie Menschen schwer sexuell missbraucht werden, während man daneben sitzt und nichts tun kann, weil ja alles „legal“ ist und „ein Beruf wie jeder andere“. Ich habe oft erlebt, wie prostituierte Frauen, voll mit Alkohol und oft auch anderen Drogen, um das ertragen zu können, leblos auf dem Bett gelegen und die schlimmsten, unmenschlichsten Dinge durch die Sexkäufer über sich ergehen lassen haben. Weil sie die Hoffnung und sich selbst bereits aufgegeben oder verloren hatten. Ist das etwas, was man als Gesellschaft zulassen kann? Ist das vereinbar mit unserer im Grundgesetz verankerten Menschenwürde?

Nein. Ist es nicht. Die Menschenwürde ist nichts Subjektives, was jeder Einzelne für sich selbst definieren kann. Es liegt nicht in der Hand der Betroffenen, sie zu definieren. Sie hat einen objektiven Charakter und steht nicht zur Dispo­sition. Sie kommt dem Menschen kraft seines Menschseins zu, unabhängig von seinen Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen Leistungen oder seinem sozialen Status.

Im ersten Artikel unseres Grundgesetzes steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Es gibt Dinge, die die Menschenwürde derart verletzen, dass ein Mensch in sie nicht einwilligen kann und der Staat die Schutzpflicht hat, die Würde des Einzelnen zu verteidigen. Prostitution ist eine „sehr offensichtliche und besonders verabscheuenswürdige Verletzung der Menschenwürde“, wie es das Europäische Parlament in seiner Resolution von 2014 ausdrückt. Was bedeutet, dass die Sexkäufer trotz etwaiger Einwilligung der prostituierten Menschen zu bestrafen sind, weil ein freiwilliger Verzicht auf die Menschenwürde nicht möglich ist.

Die Profiteure dieses Milliardensystems sind sehr stark, wenn es darum geht, die Prostitution als „Job“ zu verkaufen. Aber wenn alle ehrlich zu sich selbst sind, wissen alle, zumindest irgendwo ganz tief im Inneren vergraben, dass Prostitution die Menschenwürde verletzt. Niemand möchte seine Tochter in der Prostitution sehen. Prostitution zerstört. Für mich und die Frauen, die ich persönlich in der Prostitution kennenlernte, war die Prostitution schwere Gewalt und hochtraumatisch, was sich oft erst Jahre später gezeigt hat. Was ich und andere in Deutschland erfahren haben, ist staatlich tolerierter sexueller Missbrauch.

Was ich und andere in Deutschland erlebt haben, ist staatlich tolerierter Missbrauch.

Mit seinem Gesetz von 2002 hat Deutschland geduldet und normalisiert, dass Menschen zur Ware degradiert werden können. Aber Menschen sind keine Ware. Frauen sind keine Objekte, nur weil sie vulnerabel, arm, eine Minderheit sind, als Kind Gewalt erlebt haben oder missbraucht wurden (Was alles Push-Faktoren für den Einstieg in die Prostitution sind). Es ist die Pflicht unseres Staates, genau diese Menschen zu beschützen und ihre Ausbeutung in der Prostitution zu verhindern. Der Staat muss für die Würde dieser Menschen kämpfen, anstatt die Prostitution zu legalisieren und zu liberalisieren. Denn das bedeutet: Die Vulnerabelsten unserer Gesellschaft der Gewalt und dem Missbrauch der Sexkäufer zu überlassen und zwar mit der oft fadenscheinigen Argumentation: Dass diese Frauen so wenigstens was zum Essen haben, was dann als „sexuelle Selbstbestimmung“ bezeichnet wird.

Ich frage mich, ob die Menschen, die so denken, schon einmal einer prostituierten Frau begegnet sind und ihr tief in die Augen gesehen haben? Haben sie sich getraut, ihren Schmerz zu sehen, oder haben sie weggeschaut, bevor die Wahrheit unerträglich für sie wurde? Sehen Sie genau hin, denn wenn Sie genau hinsehen, werden Sie erkennen, dass prostituierte Frauen nur funktionieren und schlimmste Dinge ertragen, weil man sie gebrochen hat, weil man ihnen ihre Seele genommen hat, weil sie in einem Leben feststecken, in dem sie nie sein wollten, aus dem sie aber nicht mehr rauskommen.

Ich weiß nicht, in welcher Gesellschaft und in welchem Staat Sie leben möchten. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die Verantwortung ­übernimmt; die sich traut hinzusehen; die Gewalt und Menschenwürdeverletzungen benennt und bekämpft, anstatt sie zuzulassen. Ich wünsche mir einen Staat, der seine Schutzpflichtaufgabe erkennt und ergreift. Die Gesellschaft sollte dafür kämpfen, dieses Seelensterben in der Prostitution nicht länger hinzunehmen. Denn was ist ein Mensch ohne eine Seele?

Ich muss heute keine Gewalt mehr erleben, ich bin frei von all dem. Aber ich werde nie vergessen, in welchem Leben ich war. Ich werde nie vergessen, was ich mitten in Deutschland jeden Tag sechs Jahre lang gesehen habe. Und es darf nicht vergessen werden, dass immer noch Tausende von Frauen in der Prostitution zugrunde gehen.

Sandras Blog: mylifeinprostitution.wordpress.com;
Sisters für den Ausstieg aus der Prostitution e.V.: www.sisters-ev.de
In der Dokumentation "Verratene Liebe - Die Masche der Loverboys" erzählt auch Sandra ihre Geschichte.

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"Schließt die Bordelle!"

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Der Brief, der am 18. Mai allen 16 deutschen MinisterpräsidentInnen ins Haus flatterte, hat es in sich. Man könnte ihn sogar als historisch bezeichnen. Denn in dem dreiseitigen Schreiben fordern 16 Bundestagsabgeordnete von Union und SPD die LandeschefInnen nicht nur auf, die wegen Corona geschlossenen Bordelle, Terminwohnungen und Straßenstriche aus epidemiologischen Gründen noch nicht wieder zu öffnen. Sie gehen mit ihrem Appell einen Schritt weiter, und zwar einen großen: Die Abgeordneten plädieren dafür, die Bordelle nach Ende der Corona­Krise überhaupt nicht mehr zu öffnen. Nie wieder.

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Denn: „Wir halten die Zustände in der Prostitution für die dort Tätigen in der großen Mehrzahl der Fälle für menschenunwürdig, zerstörerisch und frauenfeindlich.“  Und die PolitikerInnen fahren fort: „Entgegen einem weit verbreiteten Klischee sind die meisten Prostituierten (vor allem osteuropäische und afrikanische Frauen) keinesfalls freiwillig in der Prostitution, sondern wurden und werden getäuscht, erpresst und bedroht.“ Vielleicht, schreiben die Abgeordneten höflich, sei den Lan des chefInnen ja „das Ausmaß an sexuellen Übergriffen, an massiven physischen und psychischen Verletzungen durch täglich vielfache, erzwungene Penetration nicht bekannt“. Wie Freier ihr „vermeintlich erkauftes Recht auch gegen erkennbaren Widerwillen und Ekel durchsetzen“, sei jedoch zum Beispiel in Freierforen nachzulesen. Fazit: „Diesen Frauen hilft nicht die Wiedereröffnung der Bordelle, sondern ein Verbot des Sexkaufs und eine Tätigkeit/Ausbildung in einem existenzsichern den Beruf.“

Solche Töne hat man in der deutschen Politik bisher noch nicht gehört. Die 16 Abgeordneten fordern endlich auch für Deutschland, was viele andere Länder längst eingeführt haben: das sogenannte „Nordische Modell“. Das bedeutet: Strafen für Freier und Zuhälter, die den Markt für den Handel mit der Ware Frau erst schaffen. Vollständige Entkriminalisierung der Frauen in der Prostitution. Angebote an die Frauen für den Ausstieg.

UN-Konvention 1949: Prostitution ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde

Dieses Modell hatte Schweden im Rahmen eines Gesetzespaketes namens „Kvinnofrid“ (Frauenfrieden) schon 1999 eingeführt, bis heute sind Norwegen, Island, Frankreich, Irland und Israel gefolgt. Das Modell ist so erfolgreich, dass das EU-­Parlament es schon 2014 allen EU­-Ländern dringend zur Nach ahmung empfahl: „Die EU­-Staaten sollen die Nachfrage nach Prostitution eindämmen, indem sie die Freier bestrafen und nicht die Prostituierten“, forderten die EU-­Abgeordneten mit großer Mehrheit in einer Resolution. Und sie betonten, dass „nicht nur Zwangsprostitution, sondern auch freiwillige sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung die Menschenrechte und die Würde des Menschen verletzen“.

Dass Prostitution ein Verstoß gegen die Menschenwürde ist, hatten die Vereinten Nationen übrigens schon 1949 in ihrer „Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution anderer“ konstatiert. Deshalb soll nach dem Willen der UN „jede Person bestraft werden“, die „eine andere zur Prostitution verleitet“, und zwar, Achtung: „selbst mit deren Einwilligung“. Bestraft werden soll außerdem, „wer ein Bordell unterhält oder an dessen Finanzierung beteiligt ist“. Die Vereinten Nationen hatten also schon vor über 70 Jahren das „Nordische Modell“  für wünschenswert erklärt – im Jahr 2020 folgt jetzt langsam auch Deutschland, das die Konvention 1949 nicht unterzeichnet hatte.

Einer der 16 UnterzeichnerInnen – acht Frauen und acht Männer – ist SPD­-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. „Prostitution trägt in Deutschland Züge einer modernen Form von Versklavung“, hatte Lauterbach schon im Herbst 2019 dem Kölner Stadtanzeiger erklärt. Der hatte in einer bemerkenswerten Serie die erschütternden Zustände im Kölner Rotlichtmilieu aufgedeckt (EMMA 6/19).

Ausbeutung, Elend und Gewalt sind in deutschen Bordellen Alltag

Es wird ernst für die Profiteure der Prostitution. So ernst, dass Gesundheitspolitiker Lauterbach nicht nur wegen seiner deutlichen Worte in Sachen Corona bedroht wurde, sondern auch wegen seiner klaren Positionierung gegen die Prostitution. Unbekannte schickten ihm eine Trauerkarte zu, in der auch seiner Familie Gewalt angedroht wurde, unterschrieben mit „INCEL Bewegung“. Incels nennen sich Männer, die unfreiwillig ohne Beziehung sind (involuntary celibates), Frauen und besonders Feministinnen dafür die Schuld geben und sich in InternetForen in ihrem Frauenhass bestärken. Auch der Attentäter von Halle war im Umfeld der „Incels“ unterwegs. Doch Lauterbach lässt sich nicht einschüchtern. „Für mich hat Prostitution keinen Platz in Deutschland“, erklärt er unerschrocken. Von der SPD auch dabei: Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD­-Fraktion, und Leni Breymaier, Gewerkschafterin und Mitgründerin des Ausstiegshilfe-­Projekts Sisters.

Ebenfalls bei den UnterzeichnerInnen: Annette Widmann­Mauz, die Vorsitzende der CDU­Frauenunion und Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, sowie ihre Parteikollegin Yvonne Magwas, die Vorsitzende „Gruppe der Frauen“ im Bundestag. Der 52-­köpfigen Gruppe gehören alle weiblichen Abgeordneten der CDU/CSU­Fraktion an.

Noch 2016, während der Verhandlungen um das „Prostituiertenschutzgesetz“, hatte die SPD unter den Einflüsterungen der Pro-Prostitutionslobby in Berlin fast alles aus dem Gesetzentwurf wieder herausverhandelt, was Bordellbetreiber, Menschenhändler und Zuhälter bei ihren Geschäften ernsthaft hätte stören können. Inzwischen scheint es, als dringe die Propaganda von der „selbstbestimmten Sexarbeit“ nicht mehr unwidersprochen durch. Immer mehr PolitikerInnen, auch sozialdemokratische, begreifen, welches Ausmaß an Ausbeutung, Elend und Gewalt in deutschen Bordellen Alltag ist.

90 Prozent der Prostituierten kommen aus den Armenhäusern Europas

Zu offensichtlich ist, dass sich durch das „Prostituiertenschutzgesetz“, das im Juli 2016 in Kraft trat, quasi nichts geändert hat. Immer noch kommen 90 Prozent der Prostituierten aus den Armenhäusern Europas, immer noch zahlen sie Bordellbetreibern Wuchermieten von 180 Euro pro Tag, immer noch kann die Polizei Zuhälterei und Menschenhandel so gut wie nie nachweisen.

Einer der seltenen Fälle, in denen das gelang, war der Fall des Stuttgarter „Paradise“. Im Februar 2019 erging das Urteil gegen Bordellbetreiber Jürgen Rudloff. Der musste zugeben, dass sein vorgeblich so sauberes Wellness­Bordell nur funk tionieren konnte, weil er sich von brutalen Zuhältern kontinuierlich mit „Frischfleisch“  beliefern ließ. Im Februar 2019 wurde Rudloff, der bis dahin durch die Talkshows getingelt war, wegen „Beihilfe zum schweren Menschenhandel und zur Zuhälterei“ zu fünf Jahren Haft verurteilt. Spätestens da hätte der oder die letzte begreifen können, wie das System Prostitution funktioniert.

Dass viele „Sexarbeitende“ in „prekären Verhältnissen“ leben, hat nun auch der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“  zugeben müssen. Der Lobbyverband, dessen Gesichter gut verdienende Dominas mit eigenen Studios sind, ist über den Appell der 16 Abgeordneten verständlicherweise not amused und trommelt allen Ernstes für die sofortige Wiedereröffnung der Bordelle. Die Feststellung, die Prostitution sei ein „Superspreader“, „diffamiere Sexarbeiter*innen“. Man habe schließlich ein „Hygienekonzept“  erarbeitet, in dem es u. a. heißt: „Während der Dienstleistung muss zwischen den Köpfen der beiden Personen ein Abstand von mindestens einer Unterarmlänge sein.“

Andere Länder sind vorausgegangen, Deutschland hinkt hinterher

„Corona hat das ganze Narrativ, das dem Prostituiertenschutzgesetz zugrunde liegt, ad absurdum geführt“, erklärt Elisabeth Winkelmeier­-Becker, Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium und bis vor kurzem rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU­Fraktion. Die ehemalige Richterin war es, die den Appell an die MinisterpräsidentInnen initiierte. „Deutschland gilt international als Bordell Europas“, schreiben die UnterzeichnerInnen. „Dabei ist das Nordische Modell doch inzwischen das moderne System“, erklärt Juristin Winkelmeier­-Becker. „Andere Länder sind schon vorgegangen, Deutschland hinkt hinterher.“

Das sehen auch einige Abgeordnete in anderen Parteien so. Zum Beispiel Franziska Brantner, die, als sie noch für die Grünen im EU­Parlament saß, den „Brüsseler Appell“ der Europäischen Frauenlobby unterschrieb: „Für ein Europa ohne Prostitution!“ Doch noch scheinen Frauen wie sie bei den Grünen eine Minderheit zu sein.

Allerdings hat nun auch die grüne Abgeordnete Lisa Badum zusammen mit Leni Breymaier eine Stellungnahme veröffentlicht: „Corona – eine unfreiwillige Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes“. Dort schreiben die Grüne und die Sozialdemokratin: „Bordellbetreiber schicken ihre Security in Kurzarbeit, beantragen für sich Soforthilfen des Staates. Und die Frauen? Sind eben doch nicht angemeldet, haben keinen privaten Wohnraum, haben keine Krankenversicherung, sind doch nicht sozialversichert, doch nicht angestellt und doch nicht selbstständig.“ Fazit: „Wir sollten uns als Gesellschaft Gedanken machen, ob wir in Sachen Prostitution so weitermachen wollen.“

Ganz wie die Grünen schien bis vor kurzem auch die Linke geschlossene Pro-­Prostitutions­-Partei zu sein. Doch auch dort bröckelt es. „Wir betrachten Prostitution als Ausdruck patriarchalischer Gewalt­ und Herrschaftsverhältnisse, die wir überwinden wollen. Wir wollen in einer Welt ohne Prostitution leben!“ Das schreiben die „Linken für eine Welt ohne Prostitution“ in ihrem Aufruf. Den haben schon über 250 Mit glieder unterzeichnet. Darunter sind auch die drei Bundestagsabgeordneten Sylvia Gabelmann, Gökay Akbulut und Heike Hänsel. Und auch Heinz Bierbaum, Präsident der Europäischen Linken, fordert das „Sexkaufverbot nach schwedischem Beispiel“. Die antikapitalistische Partei wird sich überlegen müssen, ob sie ihre Verteidigung der hyperkapitalistischen „Sexindustrie“, in der sogar der Körper und die Sexualität als Ware vermarktet werden, wirklich weiter rechtfertigen möchte.

„Wir haben wegen Corona einen großen Baustein in diesem System lahmgelegt“, sagt Elisabeth Winkelmeier­-Becker. „Es wäre absurd, wenn wir diese Chance nicht nutzen würden.“

Die UnterzeichnerInnen  des Appells
Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU, Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, Wahlkreis: Siegburg. Dr. Maria Flachsbarth, CDU, Parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungsministerium + Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), Wahlkreis: Hannover; Annette Widmann-Mauz, CDU, Vorsitzende der CDU-Frauenunion und Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Wahlkreis: Tübingen. Yvonne Magwas, CDU, Vorsitzende der „Gruppe der Frauen“ , Wahlkreis: Vogtland. Dr. Katja Leikert, CDU, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Wahlkreis: Hanau. Hermann Gröhe, CDU, Minister für Gesundheit a. D., Wahlkreis: Neuss. Leni Breymaier, SPD, erweiterter Fraktionsvorstand, Gründerin von „Sisters“, Wahlkreis: Aalen-Heidenheim. Prof. Dr. Karl Lauterbach, SPD, Wahlkreis: Köln Mülheim/Leverkusen. Johannes Fechner, SPD, rechtspolitischer Sprecher, Wahlkreis: Emmendingen-Lahr. Mechthild Heil, CDU, Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschland (kfd), Wahlkreis: Ahrweiler. Frank Heinrich, CDU, Ausschuss für Menschenrechte, Wahlkreis: Chemnitz. Michael Brand, CDU, Ausschuss für Menschenrechte, Wahlkreis: Fulda. Antje Tillmann, CDU, finanzpolitische Sprecherin, Wahlkreis: Erfurt/ Weimar. Martin Patzelt, CDU, Wahlkreis: Frankfurt/ Oder. Marc Henrichmann, CDU, Wahlkreis: Coesfeld/ Steinfurt. Volker Ullrich, CSU, Wahlkreis: Augsburg.

 
 

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