Oscar für Frances McDormand
Bei dem Wort „Filmstar“ haben wohl die Wenigsten Frances McDormand vor Augen. Gut, sie ist Oscar-Preisträgerin („Fargo“), Tony-Gewinnerin („Good People“) und Emmy-Siegerin („Olive Kitteridge“). Und als Mildred Hayes in dem Filmdrama „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ holte McDormand Anfang Januar zudem einen Golden Globe - und in dieser Nacht ihren zweiten Oscar als beste Hauptdarstellerin.
Filmstar? Ist sie nicht, will sie nicht sein.
In der Rolle der molotowcocktail-werfenden Mutter Mildred auf der Suche nach dem Vergewaltiger und Mörder ihrer Tochter galt sie als Favoritin. Ihr zweiter Oscar macht McDormand in der 90-jährigen Geschichte der amerikanischen Filmakademie zu einer der wenigen Schauspielerinnen mit mehr als einer der Goldtrophäen – wie Elizabeth Taylor, Meryl Streep und Katharine Hepburn. Aber ein Filmstar? Ist sie nicht und will sie nicht sein.
McDormands öffentliche Auftritte sind rar, Interviews gibt sie selten. Von Hollywoods Celebrity-Kult um Ruhm, Roben und Einblicke in das Privatleben hält sich die 60-Jährige bewusst fern. Eine ernsthafte Antwort auf das „Who are you wearing?“ (Welchen Designer tragen Sie?), das bei Preisverleihungen den roten Teppich herauf und herunter hallt, erwartet bei ihr niemand. Auch Autogramme lehnt McDormand regelmäßig ab.
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„Ich sage einfach, dass ich mich aus diesem Teil des Filmgeschäfts zurückgezogen habe und nur noch schauspiele“, fasste sie ihre Absage an die Eitelkeiten der Filmindustrie mit typisch McDormand’scher Ironie für das New York Times Magazine zusammen. Der Fokus auf die Arbeit vor der Kamera hat McDormand zu einer schwer fassbaren Charakterdarstellerin werden lassen. In Martin McDonaghs Sittenbild „Three Billboards“ wechselt sie wie selbstverständlich zwischen warmherziger Mutter und brutalem Racheengel. In ihrem Gesicht, das sich bis heute Botox und Skalpell widersetzt hat, brechen sich dabei die Emotionen. Unkonventionelle Frauenrollen faszinieren McDormand. In der Filmbiographie „Almost Famous – Fast berühmt“ spielte sie im Jahr 2000 Elaine, die Mutter eines jugendlichen Musikreporters, die ihrem Sohn in die Welt von Sex and Rock’n’Roll hilflos Ratschläge hinterherschickt. In Alan Parkers Bürgerrechtsthriller „Mississippi Burning – Die Wurzel des Hasses“ wandelte sich die damals 31-Jährige von Mrs. Pell, der Frau des Sheriffs, zur moralischen Stimme im Ku-Klux-Klan-verseuchten Jessup County.
Noch mehr Bandbreite bewies McDormand in der Kriminalkomödie „Fargo – Blutiger Schnee“. Als schwangere Polizeichefin Marge Gunderson erbrach sie sich so beiläufig wie keine andere – nicht wegen eines im Auto eingeklemmten Mordopfers, sondern wegen Morgenübelkeit. Diese „Barf Scene“ aus dem Jahr 1996 zählt längst zu McDormands skurrilsten Auftritten.
Dass in Charakteren wie Marge, Mrs. Pell und Elaine auch ein Stück Frances steckt, zeigte schon das Casting für ihren ersten Filmpart im Jahr 1983. Den Recall für eine Rolle in Joel und Ethan Coens Thriller „Blood Simple“ sagte die Absolventin der Filmschule der Yale University damals mit der Begründung ab, fernsehen zu müssen. Ein Freund hatte einen Part in einer Seifenoper bekommen.
Die ersten zwei Minuten seiner Schauspielkarriere wollte McDormand auf keinen Fall verpassen. Die Rolle der Abby, die ihren Mann, den Kneipier Julian Marty, mit einem Angestellten betrügt, bekam sie trotzdem. Wie auch den Regisseur Joel Coen, bis heute ihr Ehemann. Nach Abschluss der Dreharbeiten zog McDormand 1984 in New York mit Coen zusammen. Im selben Jahr trat sie in Clifford Odets’ Stück „Awake and Sing!“ zum ersten Mal am Broadway auf. Zehn Jahre später heiratete McDormand ihren Lebensgefährten Coen. „Es war eine Offenbarung, dass ich einen Liebhaber hatte, mit dem ich auch arbeiten konnte, ohne eingeschüchtert zu werden“, beschrieb die Schauspielerin den Beginn ihrer Beziehung rückblickend. Im Jahr 1995 flog McDormand, die als Eineinhalbjährige von einem Pastorenpaar adoptiert wurde, mit Coen nach Paraguay, um den damals sechs Monate alten Pedro zu sich zu holen.
Ihre Reden sind Kampfansagen an Hollywood
Bei der Oscar-Verleihung 1997, als die amerikanische Filmakademie die damals 39-Jährige für den Part der Marge Gunderson in „Fargo“ in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin ehrte, gewährte sie dem Publikum einen der raren Blicke in ihr Privatleben, als sie Mann und Sohn ungewohnt gefühlig dankte. Wie in ihren Filmen federte McDormand das Zuviel an Emotion und Message durch wohldosierten Humor ab. „Ich möchte alle Drehbuchautoren und Regisseure ermutigen, weiterhin für interessante Frauenparts zu sorgen“, mahnte sie. „Und wenn sie schon dabei sind, können sie sich auch ein paar für die Männer ausdenken.“
Bei den Golden Globes Anfang Januar glich McDormands Rede einer Kampfansage. Nach dem Skandal über systematische sexuelle Übergriffe durch Hollywood-Größen wie Harvey Weinstein, James Toback und Kevin Spacey nutzte die sonst politikscheue Schauspielerin ihre Dankesrede für ein Lob der „Time’s Up“-Kampagne. „Sie dürfen mir glauben“, beschwor sie die Gäste, „die Frauen, die sich heute in diesem Raum versammelt haben, sind nicht wegen des Essens gekommen. Wir sind wegen der Arbeit hier!“
Dass McDormand sich außerdem ganz ohne Make-up und Frisur auf die Bühne wagte, werteten viele Amerikanerinnen auf Twitter als „frechsten Akt des Feminismus“. Nach dem Aufruf prominenter „Time’s Up“-Gründerinnen, bei den Golden Globes 2018 in schwarzen Roben über den roten Teppich zu laufen, überraschte an dem Abend ausgerechnet die für „Three Billboards“ als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnete McDormand mit einem dunkelblauen Kleid. Wie fremd der Ausnahmeschauspielerin Hollywoods Hang zur Normierung ist, hatte sie wieder einmal bewiesen. Dass sie sich von der Filmbranche nicht vereinnahmen lässt, auch. „Wer hat schon Zeit, sich über eine Karriere Gedanken zu machen?“ mahnte McDormand. „Lebt Euer Leben!“