Genitalverstümmelung: Die Schnitte, die
Maguette pumpt das Adrenalin durch die Adern, wischt sich den Schweiß von der hohen Stirn und wird immer lauter: "Aber um Gottes Willen, WARUM denn nur? WARUM wollen Sie den Mädchen das antun?"
Seit einer halben Stunde rückt der freundliche, ältere Herr aus Mali mit der Sprache einfach nicht raus. In sein traditionelles Gewand gehüllt windet er sich verschämt grinsend wie ein Schuljunge auf dem Sofa - diese Fragen hat ihm noch niemand gestellt. In Maguettes tiefschwarzem Gesicht braut sich mächtige Wut zusammen, sie schreit ihn an: "Wir Frauen wollen endlich wissen, WARUM!"
"Du willst es wirklich wissen?" Der Mann versucht ein letztes Mal Zeit zu gewinnen, doch er weiß, dass er Maguettes Fängen nun nicht mehr entkommen kann. "Also gut ... Eine unbeschnittene Frau sieht nicht schön aus und... - na ja, und wenn ich mit einer unbeschnittenen Frau schlafe, dann komme ich nur schwer in sie rein... außerdem hält dann ihr Ding meinen Penis fest."
Maguette Mbo ist eine Wolof. Sie hatte Glück, denn die Wolof beschneiden ihre Frauen grundsätzlich nicht. 1992 kam Maguette mit ihren beiden Töchtern aus dem Senegal nach Paris. Und ausgerechnet hier wurde sie zum ersten Mal Zeugin der rituellen Verstümmelung eines Mädchens, der Tochter einer Bekannten aus Mali.
Seitdem lassen sie die entsetzlichen Bilder nicht mehr los. Maguette hat dem blutigen Ritual auf ihre Art den Kampf angesagt: Sie lässt keine Gelegenheit aus, lauthals mit anderen afrikanischen Frauen und Männern über die Verstümmelung der Mädchen zu debattieren. "Wir afrikanischen Frauen müssen uns endlich wehren", sagt sie. In Afrika machen wir doch sonst alles: es sind die Frauen, die arbeiten, die die Geschäfte machen. Überall auf der Welt gibt es afrikanische Frauen, die dafür kämpfen können, dass die Beschneidung aufhört."
Wegen der großen Anzahl afrikanischer EinwanderInnen aus den französischen Ex-Kolonien ist die Genitalverstümmelung in Frankreich schon seit 20 Jahren ein brisantes und heiß diskutiertes Thema. Hunderttausende von WestafrikanerInnen leben heute in den europäischen Metropolen, und viele halten besonders stark an den alten Bräuchen und Gewohnheiten fest, um die eigene Identität in der Fremde zu stärken.
Immer wieder werden kleinen Mädchen in Frankreich im Namen der Tradition in versteckten Hinterzimmern Klitoris und Schamlippen amputiert. Oder sie werden in den Schulferien zur Beschneidung in die afrikanische Heimat gebracht. Etwa 200 Fälle von Genitalverstümmelung irgendwo in Frankreich werden Jahr für Jahr bekannt, manche Organisationen gehen davon aus, dass bis zu 10.000 Mädchen die Verstümmelung droht.
Von 20.000 verstümmelten oder von Verstümmelung bedrohten Frauen und Mädchen geht die GAMS allein für den Großraum Paris aus. In der Groupe Femmes pour l'Abolition des Mutiliations Sexuelles (Frauengruppe für die Abschaffung sexueller Verstümmelung) setzen seit vielen Jahren afrikanische und französische Frauen Seite an Seite alles daran, von der Verstümmelung bedrohte Mädchen in Frankreich aufzuspüren und zu schützen.
Ihre wichtigste Waffe ist die Beratung und Aufklärung, nicht nur der afrikanischen Frauen und Familien, sondern auch der französischen ÄrztInnen, Hebammen, SozialarbeiterInnen, PolizistInnen und JugendrichterInnen.
Kadidja Diawara ist eine Soninké aus Mali. Sie war gerade drei, als sie beschnitten und 14, als sie zwangsverheiratet wurde. Mit Ehemann und sechs Kindern lebt sie in einer nördlichen Pariser Vorstadt. Die Arbeit bei GAMS ist Kadidjas Lebensaufgabe. Sie berät betroffene Familien in mehreren afrikanischen Sprachen und wird mittlerweile von vielen Landsleuten respektiert.
Trotzdem muss sie sich, wie viele afrikanische GAMS-Frauen, oft den Vorwurf anhören, sie habe ihre Seele an die Weißen verkauft, würde die eigenen Leute verraten und Schande über die Familien bringen.
Obwohl Kadidja selbst auch heute noch unter den schlimmen Folgen des blutigen Rituals leidet, weist sie unermüdlich darauf hin, dass die Mütter ihre Töchter "aus Liebe" beschneiden lassen. Denn nur beschnittene Frauen gelten als gute Frauen und werden geheiratet, und eine von der Gemeinschaft ausgeschlossene Afrikanerin hat kaum eine Chance zu überleben. Kadidja weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, der traditionellen Frauenrolle gegen den Druck der Familie den Rücken zu kehren - die meisten afrikanischen Frauen haben nie gelernt, eigene Bedürfnisse außerhalb des Familienverbandes zu formulieren.
Aufklärung statt Verurteilung heißt deshalb ihr Motto. "Sonst sagen die Frauen: Ach, das sind wieder die Weißen, die uns Befehle geben wollen."
Oft kommen Frauen zu GAMS, die ihre Töchter in Frankreich vor der Beschneidung bewahren wollen, aber nicht wissen, wie sie dem Druck der Familie widerstehen können. Andere kommen, weil ihre Töchter zur Beschneidung nach Afrika gebracht werden sollen.
Kadidja und ihre Kolleginnen raten diesen Eltern auch zu unkonventionellen Mitteln: etwa, dass der Vater ein Tonband bespricht, auf dem er der Familie in Afrika freundlich verbietet, die Tochter anzurühren, oder zu behaupten, dass die Tochter bereits beschnitten sei. In ganz harten Fällen bestellen die Frauen von GAMS auch Mitkämpferinnen zum Einsatz auf afrikanischer Seite: Die stehen dann in Afrika am Flugzeug und versuchen, die Familie des bedrohten Mädchens in letzter Minute umzustimmen.
Auch wenn die Frauen von GAMS durch den behutsamen Umgang mit den betroffenen Familien oft Erfolg haben, sind sie froh, dass ihnen in Frankreich im Notfall auch das Gesetz zur Hilfe kommt. Denn wer auch nach vielen persönlichen Gesprächen die Tochter nach wie vor beschneiden lassen will, dem droht die GAMS mit einer Strafanzeige. Dass die französischen Behörden dann ernst machen, hat sich unter den AfrikanerInnen herumgesprochen.
Frankreich ist das einzige westliche Land, das strafrechtlich gegen die Beschneidung vorgeht. ÄrztInnen und auch SozialarbeiterInnen sind mittlerweile gesetzlich dazu verpflichtet, den Behörden Fälle von Genitalverstümmelung zu melden.
Die konsequente Haltung französischer ÄrztInnen spielt eine wichtige Rolle beim Schutz der bedrohten Mädchen. In zig kleinen lokalen Gesundheitszentren erläutern sie den afrikanischen Müttern immer wieder die gesundheitlichen Gefahren und weisen auf die Strafbarkeit des Rituals hin. Während in den 80er Jahren in vielen Gesundheitszentren der Pariser Vorstädte noch regelmäßig bei Tausenden von kleinen Mädchen Genitalverstümmelungen diagnostiziert wurden, sind die Fälle in den letzten Jahren auf nahezu null gesunken.
Die weibliche Beschneidung gilt in Frankreich seit den 80er Jahren als schweres Verbrechen, auf das bis zu 15 Jahre Haft drohen. Dieser Umstand ist vor allem einer mutigen Gegnerin der Verstümmelung zu verdanken, der Anwältin Linda Weil-Curiel. Sie hat in den letzten Jahren in rund 30 Gerichtsverfahren plädiert, im Auftrag der Commission Internationale pour l'Abolition des Mutilations Sexuelles, CAMS (Kommission zur Abschaffung sexueller Verstümmelung).
Den bisher spektakulärsten Beschneidungsprozess hat Linda Weil-Curiel im Februar 1999 im Pariser Schwurgericht an der Seite der jungen Mariatou gewonnen, die ihre Eltern und ihre Beschneiderin angezeigt und vor Gericht gebracht hatte. Die Mutter der Klägerin wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die Beschneiderin erhielt eine Haftstrafe von acht Jahren. Weitere 26 Eltern, die ihre Töchter in Frankreich von derselben Beschneiderin verstümmeln ließen, wurden zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt.
Nicht selten erntet die weiße Anwältin von afrikanischer Seite Kritik für ihre konsequente Einmischung. "Einmal kam im Gericht ein Mann mit geballten Fäusten auf mich zu und wetterte: 'Sie sind eine Weiße und Französin. Wir sind Afrikaner und haben unsere Traditionen. Sie haben kein Recht dazu, uns unsere Traditionen zu verbieten!' Aber wir sind hier in Frankreich, ein kleines Mädchen mit schwarzer Haut leidet doch nicht weniger, wenn man ihm die Klitoris abschneidet, als ein Mädchen mit weißer Haut!"
Im Londoner Büro der Organisation "Forward" geht es hoch her: Telefone bimmeln, Faxe türmen sich, ständig kommen und gehen Leute aller Couleur. "Forward" ist Englands Zentrale im Kampf gegen die Genitalverstümmelung. Afrikanerinnen und Engländerinnen ziehen auch hier gemeinsam an einem Strang, um gefährdete Mädchen zu schützen. Viele der MigrantInnen in England sind Kriegsflüchtlinge aus Somalia und dem Sudan, wo die extremste, sogenannte "pharaonische Beschneidung" üblich ist: Den Mädchen werden Klitoris und Schamlippen vollständig amputiert und dann die Vulva bis auf eine winzige Öffnung zugenäht - meistens ohne Betäubung.
Jedes zehnte Mädchen stirbt noch während des Eingriffs, oder direkt danach am Schock oder am Blutverlust. Die Überlebenden können das traumatische Erlebnis nie vergessen und leiden oft ein Leben lang an gesundheitlichen Komplikationen: beim Geschlechtsverkehr und Kinderkriegen; es drohen gefährliche Infektionen; die Menstruation und selbst das Urinieren werden für viele zur ständig wiederkehrenden Qual.
England hat seit 1985 ein spezielles Gesetz gegen Genitalverstümmelung - allerdings wurde es noch nie angewandt. Regelmäßig werden in England Mädchen verstümmelt, doch viele ÄrztInnen, LehrerInnen und JuristInnen gucken lieber weg, als sich auf leidige Kulturdebatten einzulassen und am Ende womöglich noch als "Rassisten" angeprangert zu werden.
Für Rahmat Mohammad ist die Verstümmelung von wehrlosen Mädchen schlichtweg eine Menschenrechtsverletzung. Die Soziologin aus Nigeria arbei-tete viele Jahre lang als Projektleiterin von "Forward" in London und baut derzeit ein weiteres Büro in Nigeria auf.
Nach Rahmats Erfahrungen wollen viele afrikanische MigrantInnen selbst nach zwei oder drei Generationen den heimatlichen Brauch nicht aufgeben. "Die größten Probleme haben wir mit den religiösen Führern und den älteren Frauen, die an dem Ritual hartnäckig festhalten, ganz besonders fern der Heimat. Gerade an diese einflussreichen Leute muss man ganz vorsichtig herantreten: Mit Aggressivität kann man die Tradition der Beschneidung nicht brechen. Wir sagen: Eure Kultur ist wunderschön, sie beinhaltet viele positive Aspekte. Aber rührt doch bitte die Mädchen nicht an!"
In ganz England geben Mitarbeiterinnen von "Forward" Workshops und Seminare für Hebammen, ÄrztInnen, LehrerInnen, LokalpolitikerInnen und auch Ehemänner. Ein wichtiger Mitstreiter der Organisation ist der Gynäkologe Harry Gordon. Er ist einer der ganz wenigen englischen Ärzte, die sich medizinisch auf das Thema Genitalverstümmelung eingelassen haben. Mit Hilfe seiner speziell entwickelten Operationstechnik versucht Gordon bei den verstümmelten Frauen zu retten, was zu retten ist. "Wir schneiden vorsichtig das Narbengewebe auf und öffnen so die Vagina wieder. Aber die Klitoris ist nur bei einem Teil der Frauen versteckt unter dem Narbengewebe noch vorhanden."
Weit über 500 betroffene Frauen hat Harry Gordon in London schon behandelt. Die meisten Patientinnen von Harry Gordon kommen aus Somalia und sind infibuliert, also bis auf eine wenige Millimeter kleine Öffnung zugenäht. Die rechte Hand des Arztes ist die somalische Übersetzerin Fuada Elmy. Mit ihr können viele der Frauen das erste Mal im Leben offen über ihr Leid sprechen. Die meisten erfahren erst hier, wie eng ihre zum Teil massiven gesundheitlichen Beschwerden mit der Beschneidung zusammenhängen.
Harry Gordon weiß, dass es diese Erkenntnis ist, die die Töchter der Patientinnen vor der Genitalverstümmelung bewahren kann. "Die Mehrheit der Frauen, die zu uns kommen, haben gesagt, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden lassen werden." Gordon und die anderen MitarbeiterInnen von "Forward" hoffen auf einen juristischen Präzedenzfall nach französischem Vorbild, denn auch sie sind von der Notwendigkeit einer durchgreifenden Justiz zum Schutz der Mädchen vor der Verstümmelung überzeugt.
Wie in England ist auch in Deutschland die Genitalverstümmelung bisher nur auf dem Papier strafbar, nämlich nach § 223 des Strafgesetzbuches als Körperverletzung. Noch ist allerdings unklar, ob die weibliche Beschneidung juristisch als "gefährliche" oder "schwere Körperverletzung" gelten soll. Außerdem könnte die Verstümmelung als "Misshandlung von Schutzbefohlenen" verfolgt werden. In beiden Fällen würde den TäterInnen bis zu zehn Jahren Gefängnis drohen.
Aber bisher kam es, wie in England, auch hierzulande noch nie zu einem Strafverfahren, obwohl verschiedene Organisationen und Behörden immer wieder Hinweise auf Fälle von Genitalverstümmelung erhalten. In der Regel berufen sich die Behörden auf die hier geltende "Religionsfreiheit" und wehren ab.
Insider wissen schon seit Jahren, dass auch in Deutschland verstümmelt wird. Im März 1999 konnte das endlich auch der breiteren deutschen Öffentlichkeit vorgeführt werden. Das ARD-TV-Magazin "Report" kam durch eine versteckte Kamera einem Arzt auf die Schliche, der einem Lockvogelpaar die Beschneidung der Tochter für 1.200 DM anbot, völlig diskret, versteht sich.
Gegen diesen und zwei weitere Ärzte wurden Strafanzeigen erstattet und zögerliche Ermittlungen aufgenommen. Es kam aber nie zu einer größeren Untersuchung und die Fälle wurden aufgrund des "Mangels an Beweisen" kurze Zeit später wieder fallen gelassen. Das Video mit versteckter Kamera reichte noch nicht einmal aus, um dem Arzt seine Approbation zu entziehen.
Es ist fast unmöglich, die Zahl der betroffenen und gefährdeten Mädchen und Frauen in Deutschland zu ermitteln - Schätzungen gehen von bis zu 20.000 beschnittenen Frauen aus. In Berlin leben etwa 4.000 Afrikanerinnen, und viele von ihnen kommen aus Ländern, in denen die Beschneidung traditionell weit verbreitet ist.
So wie Djatou Touré. Für die Künstlerin von der Elfenbeinküste ist es schwer, Hilfe zu finden. Die wenigen ÄrztInnen, die sich in Deutschland medizinisch mit dem Problem auskennen und den beschnittenen Frauen helfen können, tun dies im Prinzip illegal und unentgeltlich, denn die Behandlung von Folgen einer genitalen Verstümmelung ist von der Bürokratie des deutschen Gesundheitssystems bisher nicht vorgesehen. Und auch mit den psychischen Folgen stehen die Frauen oft allein da.
Aber auch hierzulande tut sich etwas: Die Medien berichten zusehends öfter über das Thema, immer mehr Menschen wissen von den grauenhaften Folgen der Verstümmelung und verwechseln sie nicht mehr mit der harmlosen Beschneidung von Jungen.
Dazu hat auch Waris Dirie beigetragen. Die 30-jährige Somalierin, die als 14-Jährige aus ihrem Heimatland flüchtete und heute als Topmodel in London arbeitet, hatte in ihrem Buch "Wüstenblume" ihre Beschneidung als Fünfjährige und ihre Flucht vor der Zwangsverheiratung geschildert (Emma 4/98). "Wüstenblume" erschien im Herbst '98, wurde ein Bestseller und löste "eine Lawine aus. Wir erhalten seitdem unglaublich viele Anfragen zu dem Thema. Vorher wäre so ein Interesse hier in Deutschland undenkbar gewesen", sagt Gritt Richter, Fachreferentin für Genitalverstümmelung bei der Frauenrechts-Organisation "Terre des Femmes".
"Terre des Femmes" leistet seit vielen Jahren Pionierarbeit im Kampf gegen die Klitorisverstümmelung - zum Beispiel mit einem mehrsprachigen Faltblatt für Mütter, die die Verstümmelung ihrer Töchter noch verhindern können: "Wir schützen unsere Töchter".
Anfang des Jahres setzte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ein Zeichen und verlieh Waris Dirie, die zur UN-Sonderbotschafterin für Menschenrechte ernannt wurde, den Deutschen Afrika-Preis, weil sie "die Stimme erhoben hat für Millionen stummer Mädchen und Frauen".
Dem so gern angeführten Argument der "Nicht-Einmischung in andere Kulturen" entgegnete die Ministerin: "Kultur und Tradition dürfen nicht zum Vorwand genommen werden, um die Missachtung von Menschenrechten zu rechtfertigen. Menschen- rechte sind universell gültig und nicht kulturspezifisch 'modifizierbar'." Mit sechs Millionen Mark unterstützt das Entwicklungsministerium afrikanische Aufklärungsprojekte gegen Genitalverstümmelung.
Das tut auch die "Internationale Aktion gegen die Beschneidung von Mädchen und Frauen", kurz (I)NTACT, dank des Engagements von Christa Müller die wohl prominenteste deutsche Initiative gegen Genitalverstümmelung. Christa Müller, Ehefrau von Oskar Lafontaine, gründete (I)NTACT 1996 in Saarbrücken.
Seither unterstützt die Initiative mit Spendengeldern afrikanische Projekte gegen Genitalverstümmelung und klärt in Deutschland über das grausame Ritual auf, zum Beispiel mit einer Plakatkampagne, mit der (I)NTACT im Frühjahr 1999 die Öffentlichkeit aufrüttelte. "Wer jetzt ans Rasieren denkt, hat noch nie das Schreien einer Vierjährigen gehört, der die Schamlippen weggekratzt werden", lautete einer der Texte zur Abbildung eines normalen Haushaltsgeräts: Rasierklinge, Schere oder Küchenmesser.
Jüngst informierte (I)NTACT Millionen TV-ZuschauerInnen über die grausame Prozedur: Mehrere Wochen lang lief ein Aufklärungs-Fernsehspot, gratis entwickelt von der Agentur Young & Rubicam, auf mehreren Privatsendern. Auch "Terre des Femmes" plant für den Herbst einen Kinospot, in dem sich eine Mutter im letzten Moment weigert, ihre Tochter beschneiden zu lassen.
"Es fehlt hier ganz dringend eine flächendeckende Aufklärung, denn nur durch Aufklärung hat man eine Chance, die Mädchen zu schützen", sagt Christa Müller, die weiß: "Nach unseren Informationen finden Beschneidungen auch hier in Deutschland hundertfach statt."
Deshalb engagiert sich (I)NTACT für die Fortbildung von Personal in den Gesundheitsämtern, GynäkologInnen und KinderärztInnen, aber auch von LehrerInnen und JuristInnen, die bei der Prä-vention von Verstümmelungen eine Schlüsselrolle spielen sollten.
Auch in anderen deutschen Städten klären mittlerweile Initiativen über Genitalverstümmelung auf. In Frankfurt wurde 1998 FORWARD Germany ins Leben gerufen, ein Ableger der britischen Organisation FORWARD. Die deutsch-afrikanische Gruppe will beschnittenen Frauen in Deutschland medizinisch und psychologisch Hilfe leisten - und weitere Verstümmelungen verhindern. "Wir müssen den Frauen einen Raum anbieten, wo sie hinkommen und sich vertraulich austauschen können", erklärt Forward-Vorsitzende Asili Barre-Dirie aus Somalia.
"Und ich möchte helfen, das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken, damit sie von sich aus sagen: Nein, ich beschneide meine Tochter nicht!" Derzeit betreut FORWARD eine große Wanderausstellung mit Gemälden von nigerianischen KünstlerInnen zum Thema Genitalverstümmelung, die gerade durch ganz Deutschland tourt.
Ebenfalls in Frankfurt gründete sich die "Selbsthilfegruppe afrikanischer Frauen in Deutschland e.V., Maisha". Bei Maisha vertrauen Afrikanerinnen eher auf gegenseitige Hilfe, vor allem wenn es um das "afrikanische" Thema Genitalverstümmelung geht, und bieten präventive Beratung für Frauen und Familien an.
Auch bei DAFI in Berlin sind Afrikanerinnen für AfrikanerInnen da. Die "Deutsch-Afrikanische FrauenInitiative" baut nach französischem Vorbild eine Anlaufstelle für Frauen und Familien auf. Frauen mit gesundheitlichen Beschwerden werden in helfende Hände vermittelt, zum Beispiel an das Familienplanungszentrum Balance e.V.. Hier sitzt die Gynäkologin Sabine Müller. Die erfahrene Fachfrau in Sachen Genitalverstümmelung bedauert es sehr, dass die Frauen immer erst zu ihr kommen, "wenn die gesundheitlichen Beschwerden nicht mehr zu ertragen sind".
DAFI bietet außerdem Fortbildungsveranstaltungen für ÄrztInnen, Hebammen, SozialarbeiterInnen und EntwicklungshelferInnen an. Außerdem möchten die DAFI-Frauen auch die afrikanischen Männer erreichen, denn die Tradition wird nur zu stoppen sein, wenn sich auch Männer öffentlich gegen die Beschneidung aussprechen. So wie Youssif Fadol Abdelnabi aus dem Sudan, der DAFI in Berlin unterstützt. "Meiner Meinung nach ist die Beschneidung das Schlimmste, was man einer Frau antun kann.
Viele Frauen sterben während einer Geburt. Außerdem gehen viele Ehen kaputt. Und eine der schlimmsten Folgen der Beschneidung ist, dass Frauen das sexuelle Leben nicht als das ihre empfinden, sondern als das des Mannes."
Djatou Touré in Berlin weiß, wie schwer es ist, darüber zu reden. "Früher war es ein großer Stress für mich zu sagen: Ja, ich bin beschnitten. Ich traute mich nicht, es den Männern zu sagen, ich hatte Angst, dass sie mich dann nicht wollten."
Die Sängerin von der Elfenbeinküste konnte sich erst in Deutschland mit ihrer eigenen Beschneidung auseinandersetzen - zu Hause in Westafrika hatte sie durch die Tabuisierung keine Chance. Erst in Berlin hat sie erfahren, dass die Frauen je nach ihrer Herkunft in unterschiedlichem Ausmaß verstümmelt sind, und dass sie selbst eigentlich noch Glück hatte - viele hat es noch viel härter getroffen.
Mittlerweile ist sie Mitstreiterin bei DAFI. Ihr großer Wunsch ist es, ein musikalisches Theaterstück zu dem Thema auf die Bühne zu bringen, denn sie glaubt an ihre Kunst als Vehikel der Aufklärung.
"Was getan ist, ist getan. Aber ich kämpfe dafür, dass die Beschneidung aufhört. Nicht, um gegen unsere Traditionen anzugehen, sondern weil die Beschneidung schlimme Folgen hat. Die Menschen müssen sofort damit aufhören."