Eine Vorzeige-Feministin?
Die gute Nachricht zuerst. Die amerikanische Frauenzeitschrift Glamour hat die „Women of the year“, die Frauen des Jahres 2017, ausgezeichnet. Und auf der Liste der „game changer“, der „Regelbrecherinnen“, der „Wegbereiterinnen“ stehen in diesem Jahr auch die 24 Hauptorganisatorinnen des Women’s March on Washington. Der Millionenprotest im Januar 2017 gilt als historischer Wendepunkt: Hin zu einer neuen Politisierung, einer neue Gegenwehr der Frauen. Die Auswirkung können wir mit der #MeToo-Debatte bis heute spüren.
Nun zur schlechten Nachricht: Unter den Ausgezeichneten ist die islamistische Aktivistin Linda Sarsour. Das „Homegirl im Hidjab“ (New York Times) steht auch für einen Wendepunkt: Die Verschwesterung linker Feministinnen mit Funktionärinnen des rechten Islamismus. Das hat fatale Folgen, vor allem für Musliminnen.
Auf den ersten Blick ist Linda Sarsour der Inbegriff des amerikanischen Traums: Die Tochter palästinensischer Einwanderer, die älteste unter sieben Geschwistern, hat es aus eigener Kraft heraus ganz nach oben geschafft. Ihr Vater hatte einen Gemischtwarenhandel in Brooklyn. Die Tochter wurde 2011 von dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama zum „Champion of Change“ gekürt.
Das ist das öffentliche Bild der Linda Sarsour: Eine 37-jährige Mutter von drei Kindern, die es trotzdem schafft, sich in der Gemeindearbeit für die Benachteiligten in der muslimischen Community einzusetzen. Eine verschleierte Anti-Rassistin, die mit der Black Lives Matter Bewegung sympathisiert und vorgibt, im Geiste Martin Luther Kings zu handeln. Eine Aktivistin, die im Präsidentschafts-Wahlkampf den unter Linken so beliebten Bernie Sanders unterstützt hat. Eine strenggläubige Muslimin, die dennoch Street-Credibility hat und im breitestem Brooklyn-Slang spricht. Und als Feministin bezeichnet sie sich auch. Klingt doch gut. Oder?
@LaRebelleFleur shariah law is reasonable and once u read into the details it makes a lot of sense. People just know the basics — Linda Sarsour (@lsarsour) September 22, 2011
Wären da nur nicht ihre Tweets wie die aus dem Jahr 2011. In einem erklärt die selbsternannte muslimische Feministin: „Die Scharia ist vernünftig und wenn man sie im Detail liest, macht alles sehr viel Sinn!“ Im nächsten lobt sie die „10 Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub in Saudi-Arabien. Und ihr regt euch darüber auf, dass die Frauen nicht Autofahren dürfen!“ Und dann werden wir belehrt: „FYI – die Verschleierungspflicht ist das kleinste Problem der Frauen in Saudi-Arabien. Hört auf, das zum Hauptthema zu machen.“
10 weeks of PAID maternity leave in Saudi Arabia. Yes PAID. And ur worrying about women driving. Puts us to shame. http://t.co/xZAwgg6HXL — Linda Sarsour (@lsarsour) November 16, 2014
Eine Feministin, die die Scharia verteidigt und den Zwang zur Vollverschleierung zur Nebensache erklärt? Da hätte man schon misstrauisch werden müssen. Und in der Tat gab es bereits im Zuge des Frauenmarsches in Washington Kritik an der führenden Rolle der ultra-orthodoxen Sarsour als Gesicht einer Bewegung, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt. Aber diese Kritik kam nicht etwa von amerikanischen Frauenrechtlerinnen wie Gloria Steinem oder Schauspielerinnen wie Susan Sarandon. Die erklärten sich, wie viele andere, solidarisch mit der Islamistin: #IMarchWithLinda, Ich marschiere mit Linda! Die dringend notwendige Problematisierung wurde Rechtspopulisten in Blogs und auf Twitter überlassen. Und damit für jede und jeden aus der Mitte der Gesellschaft tabuisiert.
.@lsarsour: a strong voice advocating for women’s rights & understanding what Muslim women face. Haters will not divide us. #IMarchWithLinda — Susan Sarandon (@SusanSarandon) January 23, 2017
Auch die somalische Frauenrechtlerin Ayaan Hirsi Ali wurde von Sarsour schon auf niedrigster Ebene angegriffen. Zusammen mit der libanesisch-amerikanischen Islamismus-Kritikerin Brigitte Gabriel. Beide Frauen hätten es verdient, dass man „ihnen den Hintern versohlt“, schrieb Sarsour. „Am liebsten würde ich ihnen ihre Vaginas wegnehmen! Sie verdienen es nicht, Frauen zu sein.“ Dazu sollte man wissen: Brigitte Gabriel musste sich als kleines Mädchen zusammen mit ihren Eltern im libanesischen Bürgerkrieg über Jahre vor Islamisten in einem Bunker verstecken und wurde schwer verletzt. Hirsi Ali wurde als Mädchen genital verstümmelt. Linda Sarsour sei eine „Fake-Feministin“, erklärte Ayaan Hirsi Ali im Zuge des Frauenmarsches in einem Interview. „Sie hasst mich, weil ich die Scharia entlarve.“ Die Solidaritätsbekundungen für die beiden Frauen mit muslimischem Hintergrund blieben aus.
https://www.youtube.com/watch?v=6EQMv_hJrtk
Das Schicksal der Frauen in der islamischen Welt interessiert Linda Sarsour nur so lange, wie es in ihre eigene Ideologie passt. Genitalverstümmelung? „Keine islamische Praxis“, sagt sie. Der Kampf der Iranerinnen gegen die Zwangsverschleierung? Kein Kommentar. Über junge Frauen, die unter Einsatz ihres Lebens aus Saudi-Arabien fliehen wie aus einem Gefängnis, auch nicht.
Stattdessen fällt Sarsour mit kruden Bemerkungen auf, wie dieser: „Nichts ist erbärmlicher als der Zionismus.“ Feministinnen dürften nicht mit Israel sympathisieren, findet die US-Palästinenserin. Linda Sarsour unterstützt die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung, die „den Slogan ‚Kauft nicht bei Juden!’ durch die Parole ‚Kauft nicht bei Israelis’ ersetzt hat“ (Die Welt). Damit steht Linda Sarsour nicht alleine da: Auch die britische Feministin Laurie Penny zählt zu den Unterstützerinnen des antisemitischen Boykotts.
Als ihren „Mentor“ bezeichnet die Muslimin Sarsour den Imam Talib Abdur-Rashid aus der Moschee der Muslimbrüder in Harlem. Zu ihren Fürsprechern zählt noch ein weiterer Muslimbruder, gegen den kürzlich mehrere muslimische Frauen schwere Vorwürfe wegen Vergewaltigung erhoben haben: Tariq Ramadan. Der verurteilte die „rassistischen Attacken“ auf Linda Sarsour im Januar mit folgenden Worten: „Es gibt nichts, was Bigotte mehr fürchten als starke muslimische Frauen.“
Solidarity with @lsarsour #IMarchWithLinda pic.twitter.com/j1QMvF0oW7 — Tariq Ramadan (@TariqRamadan) January 24, 2017
Im Juli 2017 sorgte Linda Sarsour in den USA erneut für Schlagzeilen, weil sie auf der Jahrestagung der muslimbrudernahen „Islamic Society of North America“ den „Djihad“ in Amerika befürwortet hatte, „wo Faschisten und Islamophobe im Weißen Haus regieren“. Sie habe lediglich von zivilem und friedlichem Widerstand gesprochen, beteuerte Sarsour danach, von einem Djihad der „wahren Worte“.
Liberale Muslime weisen schon seit Jahren darauf hin, dass genau dieser Djihad der Worte, der die Köpfe und Herzen der Menschen erobert (wie der algerische Autor Kamel Daoud es formuliert), den Boden vorbereite für den Djihad der Waffen.
So viel also zur Frau des Jahres 2017.