Menschen und Medien
Ich habe lange überlegt, ob ich darüber schreiben soll. Aber ich denke, es ist nötig. Denn es trifft ja nicht nur mich, sondern viele.
Die Rede ist von dem Medienboykott gegen alle, die die verstärkten Waffenlieferungen an die Ukraine kritisieren und baldmögliche Friedensverhandlungen fordern. Diese Forderung ist jetzt, mit den eskalierenden Raketen-An-griffen, dringlicher denn je zuvor. Denn: An der ukrainischen Front sterben täglich weiter hunderte Menschen. Das Land wird vollends zerstört. Und: Deutschland könnte das nächste Schlachtfeld sein.
Darum habe ich, ein zweites Mal zusammen mit Sahra Wagenknecht, einen Appell initiiert: „Eine Minute vor 12 – einen großen europäischen Krieg verhindern!“. Er wird am 4. Dezember veröffentlicht. Wir dürfen gespannt sein auf die Reaktion der Medien (so es überhaupt noch Reaktionen gibt).
Seit Beginn des Krieges vor fast drei Jahren nun werde ich verstärkt in der Öffentlichkeit angesprochen, auffallend oft auch von Männern. Die Menschen gratulieren mir zu meinem „mutigen“ Engagement gegen den Krieg. Sie tun das oft mit gesenkter Stimme. Als sei es peinlich bzw. gefährlich, für Frieden zu sein.
Viele fügen noch sinngemäß hinzu: Frau Schwarzer, Sie müssen unbedingt weitermachen! Ich höre gar nichts mehr von Ihnen. Sie dürfen jetzt nicht resignieren!
Sie sprechen mit gesenkter Stimme, als sei es gefährlich, für Frieden zu sein
Das sind Menschen, die – leider – die EMMA nicht lesen und auch nicht meine Bücher. Sie kennen mich vor allem aus dem Fernsehen. Aus den Talkshows. Und da war ich 50 Jahre lang in der Tat ein so beliebter Gast, dass ich zwei von drei Anfragen absagen musste.
Das ist nun nicht mehr nötig. Was meiner Sekretärin Zeit spart. Was aber auch ein höchst aufschlussreiches Zeichen ist. Ein Zeichen für den Versuch, die Kriegs-KritikerInnen mundtot zu machen, soweit es in der Macht vor allem der Öffentlich-Rechtlichen liegt und der „Leitmedien“.
Konkret: Nach dem von mir initiierten „Offenen Brief der 28“ an Kanzler Scholz im April 2022 war ich nur noch einmal zu dem Thema im TV: bei Maischberger. Und da war ich mit meiner Position alleine, alle gegen eine; wie die Wenigen, die es noch wagen, in den Medien für Friedensverhandlungen zu plädieren. Wir werden gecancelt. Nicht nur von der woken Blase, sondern auch von den gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen und der Mehrheit der Printmedien.
Es ist unbestreitbar: Seit der Kundgebung am Brandenburger Tor am 25. Februar 2023 für den Frieden, u. a. mit Sahra Wagenknecht und Repräsentanten der Friedensbewegung, hat sich bei mir nie mehr eine TV-Redaktion gemeldet. Also seit fast zwei Jahren nicht. Weder in Sachen Krieg & Frieden noch zu einem anderen bei mir naheliegenden Thema (wie Gewalt gegen Frauen oder Abtreibung zum Beispiel). Seit fast zwei Jahren: Sendepause für Schwarzer. Zumindest in Deutschland. Anfragen kommen nur noch aus dem Ausland.
Seit der Kundgebung für Frieden hat sich bei mir nie mehr eine TV-Redaktion gemeldet
Ich persönlich vermisse es nicht. Denn diese Minutenhappen, die ein kritischer Gast von Talkshows selten ohne Unterbrechung äußern kann, sind kein Vergnügen für eine, die nicht im Mainstream schwimmt. Und gerade die News und Debatten zum Ukrainekrieg waren in Deutschland von Anbeginn an erschlagend einseitig. Jede Kritik an der Pro-Waffen- und Anti-Verhandlungs-Strategie wird lächerlich gemacht, die KritikerInnen werden diffamiert, als „Russland-Fan“ und „Putin-Versteher“.
Dass über die Hälfte der deutschen Bevölkerung der Meinung ist, dass endlich verhandelt werden sollte, statt weiter getötet, das erwähnen die meisten JournalistInnen noch nicht einmal. Obwohl sie es doch nur allzu gut wissen. Denn jede Umfrage bestätigt das aufs Neue. Doch die Mehrheit der JournalistInnen missbraucht ihr Monopol der Berichterstattung zur Unterdrückung der Meinung der Hälfte der Bevölkerung. Das ist schon beklemmend.
Angesichts des Preises, den ein Widerspruch gegen die Rüsten!Rüsten!Rüsten!-Strategie hat – lächerlich machen, diffamieren, canceln, existenziell bedrohen –, wagen immer weniger Menschen, öffentlich zu widersprechen. Unter den JournalistInnen können es nur noch die, die weder zu den mächtigen Konzernen noch zum „Staatsfunk“ gehören. Das fällt auf.
Was ist der Grund, warum immer weniger Menschen den Medien glauben?
Und genau das ist der Grund, warum immer weniger Menschen den Medien glauben: wegen ihrer Parteilichkeit und Selbstgerechtigkeit. Viele dieser Menschen, die den Medien nicht mehr vertrauen, flüchten in Internet-Blasen und wenden sich von den traditionellen Medien ab. Oder sie wählen die AfD. Ist es das, was wir wollen, wir JournalistInnen?
Selbst von ihren eigenen Leserinnen wird EMMA für ihr Engagement für Frieden keineswegs nur bestätigt, sondern von einer Minderheit auch abgestraft. Im Jahr 2023 hat es für EMMAs Friedenskurs zwar viel Zustimmung von euch, den LeserInnen, gegeben. Aber immerhin jede fünfte Leserin hat aus Protest ihr Abonnement gekündigt. Das soll weh tun – und tut es auch. Warum tun Leserinnen das bei einem Magazin, das vom Abo lebt? Gibt es nur noch Richtig oder Falsch? Dafür oder Dagegen? Gut oder Böse? Können – und müssten! – wir nicht miteinander reden?
Doch EMMA lässt sich nicht einschüchtern. Ich schon gar nicht. Ich kämpfe schließlich nicht mein Leben lang, um jetzt einzuknicken. Selbst vor euch nicht, liebe LeserInnen. Wir
nehmen es euch keineswegs übel, wenn ihr anderer Meinung seid als wir. Bitte lasst also auch uns das Recht auf freie Meinung – und die Hoffnung auf Austausch, gerne auch kritischen.
Das hat mir klar gemacht, wie kostbar das Leben ist und worauf es ankommt
Im Sommer 2022 ist entdeckt worden, dass ich todkrank bin. War. Zur Überraschung auch meiner engagierten ÄrztInnen bin ich wunderbarerweise gerettet worden. Zwischen dem „Offenen Brief an Kanzler Scholz“ im April 2022 und der Kundgebung am Brandenburger Tor im Februar 2023 aber musste ich ein paar Monate lang davon ausgehen, dass ich nicht mehr viel Zeit habe.
Das ist überstanden. Doch es hat mir nochmal klar gemacht, wie kostbar das Leben ist – und worauf es ankommt. Was wirklich wichtig ist. Wichtig ist Frieden. Denn, wie Willy Brandt es so treffend formuliert hat: „Frieden ist nicht alles. Aber alles ist ohne Frieden nichts.“
ALICE SCHWARZER
Alice on Tour
Am 23. Januar, 18 Uhr an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden zum Thema Pornografie. Hier anmelden +++ Am 26. Januar, 20 Uhr im Schlosspark-Theater Berlin, Lesung & Diskussion. Hier Karten kaufen
Das am 10.2.2023 veröffentlichte „Manifest für Frieden“ hat inzwischen 923.875 Unterschriften. Wir sollten unbedingt noch vor dem 23. Februar die Million erreichen – und jeder zur Wahl stehenden Partei überreichen. Hier jetzt unterzeichnen.