Ostermärsche: Zeit aufzustehen!
SpiegelOnline macht sich nun Sorgen, dass "der Ukraine-Krieg Deutschlands Friedensszene zersplittert". Was erstaunlich ist, denn der Krieg in der Ukraine ist ja überhaupt erst der Anlass zur Mobilisierung der alten "Friedensszene" - mit neuen AkteurInnen. "Zumindest in Hamburg", so das Hamburger Magazin, seien Die Linke und die Gewerkschaft nicht dabei. Was keine Überraschung ist. Die Linke hadert mit Sahra Wagenknecht, Co-Autorin des von Alice Schwarzer initiierten "Manifest für Frieden". Und der DGB hält - bisher - still zur Frage der Beteiligung von Deutschland am Ukrainekrieg, trotz der schon jetzt enormen ökonomischen Folgen auch für Deutschland. Nur einzelne Gewerkschafter und SPDler haben sich mit dem Appell von Peter Brandt jüngst aus der Deckung gewagt.
Die Deutsch-Französin Senta Pineau ist Aktivistin der Kölner Friedensbewegung und organisiert den Rhein-Ruhr-Ostermarsch mit. EMMA hat sie gefragt, was sie sich vom neuen Aufbruch erhofft.
Senta, wie erleben Sie den neuen Aufbruch der Friedensbewegung?
Die Friedenskräfte sind gerade dabei, zu einem neuen politischen Selbstbewusstsein zu finden und aus der Defensive herauszukommen. Mit ihren Kriegen gegen Jugoslawien, Afghanistan oder dem Irak haben die Nato-Staaten das Völkerrecht mit Füßen getreten. Putin reiht sich nun in dieser mörderischen Tradition ein. Wir können diesen politischen Kräften nicht die Entwicklung überlassen.
Wie wollen Sie das schaffen?
Die Menschen, die gegen den Krieg und weitere Waffenlieferungen sind, müssen hör- und sichtbar werden. Die Ostermärsche am kommenden Wochenende sind eine gute Gelegenheit dazu. Natürlich sind wir für eine Beendigung der militärischen Eskalationspolitik und wollen, dass das Gemetzel in der Ukraine so schnell wie möglich beendet wird. Aber es geht uns auch darum, dass die Zivilgesellschaft endlich wieder auf das Parkett der Geschichte tritt. Wir kämpfen dafür, dass wir BürgerInnen als wesentliche politische Kraft und Gestaltungsmacht erkennbar werden. Die Menschheit hat nur zivil eine Zukunft, und wir sind als Zivilgesellschaft dafür nun mal der Hauptakteur.
Umfragen ergeben, dass eine Mehrheit der Deutschen gegen weitere Waffenlieferungen ist. In den Medien spiegelt sich das aber nicht wider. Was sind Ihre Erfahrungen?
Wir haben bereits im März 2022 mit einer Plakat-Aktion und Gesprächskampagnen für Frieden und Abrüstung in den Kölner Stadtteilen festgestellt: Zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung gibt es eine Riesenkluft! Die Friedenssehnsucht ist enorm! Unsere Erfahrung ist: Eine kleine aggressive Minderheit behauptet die Alternativlosigkeit der Logik der Gewalt und des Krieges und ruft nach immer mehr Waffen. Zwei Drittel der Menschen lehnen diesen Zynismus aber ab und wissen, dass es dem Westen gar nicht um hehre Ziele, sondern um knallharte geostrategische und ökonomische Interessen geht.
Viele Menschen trauen sich anscheinend nicht, das offen zu sagen. Und sie fürchten, es brächte nichts.
Genau! Sie sind verunsichert, weil die öffentliche Debatte so stark emotionalisiert und moralisiert wird. Das kann allerdings sehr schnell kippen, wenn sich die Menschen wieder trauen, aus der Deckung zu kommen. Daher sind die Demos auch so wichtig. Die Menschen, die gegen Waffenlieferungen sind, merken: Ich bin nicht allein mit meiner Meinung. Und wir alle haben gute Gründe! Ich persönlich glaube übrigens, dass gerade ein Umdenken stattfindet. Und zwar auch in den Redaktionen der Leitmedien und in den Regierungsvierteln. Dort kann nicht einfach länger ignoriert werden, dass der Widerstand gegen Waffenlieferungen wächst.
Das „Manifest für Frieden“ haben mittlerweile eine dreiviertel Million Menschen unterschrieben. Unterstützt das ihr Engagement?
Das Manifest ist eine mutige Initiative und hat dazu beigetragen, die mediale Heimatfront zu durchbrechen. Eigentlich war ja der „Offene Brief“ vom Frühjahr 2022 bereits der Eisbrecher. Beides kam zur richtigen Zeit, um all den Menschen eine Stimme zu geben, die zu recht in Frage stellen, wie immer mehr Waffen an die Ukraine zu einer Beendigung des Tötens führen sollen. Jetzt brauchen wir einen Mentalitätswechsel im Alltag. Menschen müssen aus der Anonymität, Vereinzelung und Passivität treten, wieder miteinander sprechen und in Bewegung kommen, um eine friedliche Welt auf allen Ebenen zu gestalten. Wir könnten gemeinsam neu Geschichte schreiben.
Sie haben Kontakte zu den vielen einzelnen Friedensgruppen in ganz Deutschland. Was kritisieren die AktivistInnen an der gegenwärtigen Politik?
Der Angriffskrieg Russlands wurde in den NATO-Staaten instrumentalisiert, um all die Aufrüstungspläne durchzupeitschen, die seit Jahren - auch wegen der Friedensbewegungen - nicht umgesetzt werden konnten: Das Zwei-Prozent-Aufrüstungsziel der NATO, die Anschaffung von bewaffneten Drohnen, Waffenlieferung in Krisen- und Kriegsgebiete usw. Das alles ist ein Tabubruch, und der wird von der Rüstungslobby gefeiert! Das aber ist brandgefährlich und verhindert die soziale und ökologische Wende, die weltweit ansteht. Wir kämpfen als Friedensbewegung für eine demokratische, zivile und soziale Zeitenwende.
Wie ist die Stimmung, was erhoffen sich die AktivistInnen?
Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Umbruchsituation. Die Stimmung ist, sagen wir mal, gespannt. Die weltweite Aufrüstungs- und Eskalationsspirale ist verheerend. Es geht auch ökologisch und sozial nicht weiter wie bisher. Wir setzen und hoffen darauf, überall Menschen zu ermutigen, die gemeinsamen Geschicke wieder solidarisch in die Hände zu nehmen. Wir müssen dafür aus der Geschichte lernen, aus den uneingelösten Hoffnungen und Herausforderungen von 1918, 1945 und von 1968. Das ist die Aufgabe der Zeit.
Senta Pineau ist seit vielen Jahren im Kölner Friedensforum aktiv sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel!“.
Infos zu den Ostermärschen in ganz Deutschland