Der STERN erniedrigt Frauen!
Der Bonner Korrespondent der Washington Post ließ am 9. Juni 1978 bei EMMA anfragen, was wir von dem neuen Stern-Titel halten würden; er nähme doch an, dass sich die deutschen Frauen - ganz wie die Amerikanerinnen - gegen diese Art von krassem Sexismus wehren würden.
Seine Nachfrage kam im rechten Augenblick. Wir hatten gerade beschlossen, nun aber endlich etwas zu unternehmen. Denn dieser Titel, auf dem uns - wie auf so zahlreichen Stern-Covern in den vergangenen Monaten - mal wieder ein praller Frauenhintern entgegengestreckt wurde, übertraf das Maß des Gewohnten: Leicht verbrämt als Kunst und in poppigen Farben realistisch gezeichnet ist da ein Akt zu sehen, bei der Mann angezogen im Sessel sitzt und die Frau sich ihm in entblößender Reizwäsche entgegenstreckt.
Vorausgegangen waren dem unter anderem: Im Juni 1977 eine Frau mit halbentblößtem Hinterteil, anzüglich platziert auf einem Fahrradsessel; im März 1978 wieder das Damenhinterteil, diesmal nackt am Strand und sandbedeckt an den entscheidenden Stellen; im April 1978 eine Schwarze, nackt, in der Hand ein phallisches Mikrofon und um die Fesseln - schwere Ketten. Im letzteren Fall war die Darstellung nicht nur sexistisch, sondern auch rassistisch: das assoziiert die kaufbare Sklavin.
Der Stern ist nicht der einzige, der Frauen auf eine solche Weise beleidigt, entwürdigt und vermarktet. Die Kioske brechen zusammen unter Publikationen mit Titeln und Inhalten dieser Art. Beim Stern aber ist es wie beim Spiegel - der auf eine Anzeige von EMMA hin im vergangenen Jahr für seinen Kinderporno-Titel Rüge vom Presserat erhielt - besonders ernstzunehmen. Warum? Weil diese Magazine mit der Haut der Frauen ihren Anspruch zum Erhalt politischer und persönlicher Freiheit und Würde für jeden Menschen verpacken. Dieselben Blätter aber ziehen Woche für Woche die Würde alle Frauen in den Schmutz.
Wir, die Frauen von EMMA, sind nicht länger gewillt, das hinzunehmen! Wir hoffen, dass eine breite Öffentlichkeit von Frauen - und von Männern - uns unterstützen wird bei diesem Kampf gegen die Entwürdigung eines ganzen Geschlechts. Und wir sind überzeugt, dass sofort etwas unternommen werden muss, denn der rapide Anstieg frauendiskriminierender Darstellungen lässt für die Zukunft noch Übleres befürchten.
Wir haben darum einen Appell an den Presserat gerichtet, in dessen Statut 9 es heißt: "Veröffentlichungen in Wort und Bild, die das sittliche oder religiöse Empfinden einer Personengruppe nach Form und Inhalt wesentlich verletzen können, sind mit der Verantwortung der Presse nicht zu vereinbaren." Wir haben den Presserat aufgefordert, dem Stern wegen Verletzung des sittlichen Empfindens aller Frauen eine Rüge zu erteilen. Und wir bitten Kolleginnen, Kollegen, Leserinnen und Leser sich diesem Appell anzuschließen.
Sodann haben wir Klage gegen den Stern erhoben wegen Verstoßes gegen den § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches, der lautet: "Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatze des daraus entstandenen Schadens verpflichtet." - Wir meinen, dass diese Art von Darstellung gegen ein elementares Menschenrecht, verankert im Artikel 1 unseres Grundgesetzes, verstößt: nämlich gegen die Menschenwürde aller Frauen.
Wir sind nicht sicher, wie dieser Prozess ausgehen wird. Wir finden jedoch, dass es Zeit ist, sich endlich gegen solche Erniedrigungen von Frauen zu wehren - und bitten sympathisierende Männer, uns dabei unterstützen. Und wir bitten alle Frauen, die uns bei diesem Prozess unterstützen oder sogar selbst als Mitklägerinnen auftreten wollen, sich sofort mit EMMA in Verbindung zu setzen.
Alice Schwarzer in EMMA 7/1978, veröffentlicht in "Alice im Männerland - eine Zwischenbilanz" (Kiepenheuer & Witsch, 2002).
Weitere Texte zu Pornografie & Frauenhass
Pornografie und Frauenhass (Alice im Männerland 2002)
Pornografie propagiert Gewalt (EMMA 12/1987)
Der Mythos Sexualität (Der große Unterschied, 2000)