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Shirin David: Eine Feministin?

"Bauch, Beine, Po!" - Silvester-Auftritt der Rapperin Shirin David am Brandenburger Tor.
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„Bauch Beine Po“ – so hießen früher Fitnessvideos, die Frauen Schönheit und Sexyness versprachen. Konsequenterweise reduzierten sie die Frauen, die mit ihrer Hilfe den Traumkörper erturnten, auf die Körperteile, die wesentlich sind. „Bauch Beine Po“ ist zugleich der Titel einer Hit-Single Shirin Davids.

David ist ein echtes Phänomen, denn innerhalb der männerdominierten Rap-Szene macht sie zuverlässig auf sich aufmerksam. Nicht unbedingt mit ihren Fertigkeiten am Mikro oder ihrem Rhythmusgefühl, dafür aber mit Brazilian Butt Lift (so nennt man eine chirurgische Po-Vergrößerung). David hat sich ein Barbiepuppen-Image gebastelt, das um Freizügigkeit, (Pseudo)Provo­kation und ja, auch „Feminismus“ kreist. Oder jedenfalls um das, was David dafür hält.

Ihre Hit-Single „Bauch Beine Po“ durfte sie zuletzt im kurzen Kleidchen bei der ZDF-Silvestershow am Brandenburger Tor vorturnen. Auf der Bühne kündigte sie ein neues Album und eine neue Tour an. Beide dürften äußerst erfolgreich sein. David trifft eben einen Nerv. Ob nun leicht bekleidet bei Minusgraden auf der Bühne oder in ihrem „Bauch Beine Po“-Video, in dem Wasser auf die halbnackt turnenden Tänzerinnen tröpfelt (Subtilität ist ihre Sache nicht). Das Musikvideo zum Song bedient sich der Ästhetik der guten alten Fitness-Videos: Knapp bekleidete junge Damen wälzen sich auf dem Boden und stoßen ihr Becken auf und ab. Die (etwas dürftige) Stimme Davids gibt vor, was zu tun ist: „Du willst ein’n Body? (Ja) dann musst du pushen (uh) […] Geh ins Gymmie, werde skinny […] Wir sind pretty im Bikini, das ist Bauch, Beine, Po.“

Bei solchen Lyrikversen wäre der gute alte Hölderlin vor Neid erblasst, obwohl: ganz originell sind die beinahe wortgleichen Kopien des Britney Spears Songs „Work Bitch“ nicht: „You want a hot body? You want a Bugatti? […] You better work, bitch […] Look hot in a bikini? You better work, bitch“ Zu Deutsch: Wer gut aussehen will im Bikini und einen Bugatti fahren will, der muss hart arbeiten. An seinem Körper. Spears und David verquicken zwei Versprechen von Glückseligkeit: Reich und fit zu sein. Dazu braucht es nicht mehr als die Bereitschaft zu harter Arbeit. Wir kennen sie alle: Die hart arbeitenden Krankenschwestern, die Maserati fahren. 

Tatsächlich wird hier natürlich etwas anderes versprochen: Den eigenen Körper in Kapital zu verwandeln. Und das ist David nun wahrlich geglückt. Immerhin kann man der etwas älteren Britney Spears nicht vorwerfen, sie hätte ihre Popsterncheninszenierung mit viel nackter Haut (die ihr seit dem Teenageralter von ihren Eltern und Management aufgezwungen wurde) als Feminismus getarnt. David tut das aber sehr wohl. In ihrem Verständnis bedeutet Feminismus, dass man eben so nackt und so operiert in der Öffentlichkeit auftreten kann, wie man möchte. Denn die Unterdrückung der Frau, das weiß jede kluge Feministin, bestand stets vor allem darin, dass sie sich nicht zu Unterhaltungszwecken anderer ausziehen durfte. Nun ja.

Dieses fast schon obszöne Missverständnis von Feminismus fiel auch der Schweizer Rapperin Loredana auf. Sie ist ebenso erfolgreich wie Shirin David und „disste“ sie prompt in Songs und Interviews. Dazu muss man wissen: Ein Diss, also eine verbale Auseinandersetzung zwischen Rappern, gehört beinahe zum guten Ton. Eine öffentlich inszenierte Fehde dient beiden Seiten im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie. Dabei legt Loredana durchaus den Finger in die Wunde: Selbstbestimmt eine Brustvergrößerung durchführen zu lassen und darüber zu rappen, macht einen noch lange nicht zur Frauenrechtlerin. David dient Loredana auch zur Abgrenzung des eigenen Erfolgs: „Ich hab’ mich niemals ausgezogen für die Klicks“ rappt sie in ihrem Song „Labyrinth“, aber ganz ohne Bikinibilder und Botox trudelten auch bei Loredana die Millionen nicht aufs Bankkonto. Am Ende verhandelt der Streit nur Nuancen: Wie bewusst nutzt man Sexismus für die eigene Inszenierung? Und wenn man es schon tut, warum die Sache als Feminismus tarnen?

Loredana mahnt die Vorbildrolle der Rapperin an, schließlich habe man viele weibliche Fans. Das ist überhaupt einer der bemerkenswertesten Aspekte des Erfolgs Davids: Man fragt sich, was ausgerechnet Frauen an der Performance begeistert. Dass sich eine Frau hemmungslos zur Oberflächlichkeit bekennt und diese als Quelle von Spaß inszeniert? Dass diese Frau sich dümmer stellt, als sie ist? Denn David ist keineswegs das naive blonde Püppchen, das sie auf der Bühne spielt (konsequenterweise heißt das neue Album dann auch „Schlau aber blond“).

David erhielt eine klassische Musik- und Tanzausbildung, spielte unter anderem Klavier und Oboe und nahm Ballettunterricht, wurde Kinder­darstellerin an der Hamburger Staatsoper. Ihren Durchbruch schaffte sie auf YouTube. Dort eröffnete sie 2014 einen Kanal zu den Themen Schönheit und Lifestyle, der mit beinahe drei Millionen AbonnentInnen äußerst erfolgreich war. Wie viele andere YouTuber bewarb David mit ihrer Persönlichkeit Produkte für Frauen und Mädchen. Parallel startete sie ihre Musikkarriere.

Als Rapperin macht David nach, was andere Rapperinnen aus den USA vormachten: Grellbunte Popinszenierungen gepaart mit provokanten Lyrics und Plastikästhetik. In der Rap-Ästhetik sind Silikon­busen, Po-Vergrößerungen und Lippenfiller eher die Norm. Wie Knete wird der Körper zurechtgeformt. 

Weil wir im 21. Jahrhundert leben und Rapperinnen wie Cardi B oder David nicht von gestern sind, wurden ihre softpornografisch anmutenden Videoerzeugnisse mit dem popfeministischen Sound der Gegenwart unterlegt: Es gehe um „Selbstermächtigung“, selbst in der offensiven Sexualisierung des eigenen Körpers. Hedonismus plus Neoliberalismus plus Pseudo-Feminismus: Diese Verbindung von Konsumkultur und Selbstermächtigungsrhetorik kennen wir aus dem Erfolgsfilm „Barbie“, der als feminis­tisches Meisterwerk gefeiert wurde.

Im Video zu Davids Single „Rich Girl, It Girl“, die auf dem neuen Album „Schlau aber blond“ zu finden ist, geht es erneut um Lifestyle, schnelle Autos und optimierte Körper. „Shoppen wenn ich traurig bin ist wichtig.“ Tiefschürfender wird es nicht. Es ist der Höhepunkt der Barbie-Ästhetik, es ist der Höhepunkt des Barbie-Feminismus. Und dieser verfängt offensichtlich bei beunruhigend vielen jungen Frauen.  

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