Sprache und Menschen
Als ich, zusammen mit FreundInnen, 1974 den ersten „Frauenkalender“ machte (der bis Beginn der Nuller Jahre ein heimlicher Bestseller war), haben wir – wenn mich nicht alles täuscht – erstmals das „frau“ statt „man“ eingeführt. Das war augenöffnend und ironisch zugleich gemeint. Es war die Zeit, in der wir „man“ auch gerne mit zwei N schrieben: mann! Natürlich taten wir, meist Berufsschreiberinnen, das nicht durchgehend, sondern von Fall zu Fall, zur Sensibilisierung.
Sprache muss man oder frau auch sprechen können.
Wir begannen, über Sprache nachzudenken. Sprache ist der Stoff, in dem wir kommunizieren, denken, fühlen, träumen.
Doch wir, die Frauen, kamen in der Sprache bis dato kaum vor. Es war eine reine Männersprache, die die männlich dominierte Welt spiegelte. Wir begannen also, die Frauen mit zu benennen: Lehrerinnen und Lehrer, Wählerinnen und Wähler, Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Und irgendwann – wann eigentlich? – führte EMMA das große I ein: LehrerInnen, WählerInnen, SchriftstellerInnen.
Ab Anfang der 1980er-Jahre knöpften feministische Linguistinnen, wie Senta Trömel-Plötz und Luise Pusch, sich die „Männersprache“ und „Frauensprache“ professionell vor. Inzwischen ist die Debatte um die gegenderte Sprache sogar in der Duden-Redaktion angelangt. Die sollte jüngst entscheiden, was sie empfehlen möchte: das große I, das * oder den _. Die Duden-Redaktion entschied weise, nämlich gar nicht. Denn Sprache lässt sich nicht per ordre de Mufti verändern, Sprache lebt und muss sich lebendig weiterentwickeln. Allerdings braucht es dazu Anstöße und Debatten.
Der Deutsche Rechtschreibrat gab nun ein paar Hinweise, unter anderem die, die Schreibweise müsse „verständlich und lesbar“ sein und auch „vorlesbar“. Und genau das ist der springende Punkt: Sprache muss man oder frau auch sprechen können. Das große I lässt sich beim Lesen oder Vorlesen gerade noch umwandeln in „Lehrerin und Lehrer“. Was aber will uns das Sternchen oder gar der Unterstrich sagen? Ja, ja, ich weiß, es soll heißen: Alles ist möglich. Es gibt viele Geschlechter: Menschen, die unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht anders fühlen und frei wählen wollen, was sie gerade sein möchten: weiblich, männlich, dazwischen. Also statt zwei Geschlechter-Schubladen jetzt ganz viele Schubladen.
Aber ist es das, was wir Feministinnen wollten? Eine Aufsplitterung des Menschen in X Geschlechtervarianten? Wollten wir nicht eigentlich genau das Gegenteil? Nämlich die Geschlechter abschaffen! Eine Menschwerdung der Geschlechter, bei der das einzelne Individuum nicht länger auf eine Geschlechterrolle festgelegt wird! Wo der Mensch ganz einfach Mensch sein kann. Wo wir nicht länger eingeschlossen sind in eine Geschlechterrolle. Und wo wir auch kein Geschlechter-Hopping machen müssen, um mal „weiblich“ oder „männlich“ oder „queer“ zu sein. Wo wir ganz einfach Ich sind und uns – je nach Möglichkeiten, Lebensphase und Laune – Eigenschaften und Verhaltensweisen erlauben, die uns jeweils individuell gemäß sind, unabhängig vom biologischen Geschlecht.
Feministinnen wollten die Menschwerdung der Geschlechter.
Im universitären Milieu, aus dem die gegenderten Sternchen und Unterstriche kommen – und sich inzwischen sogar in so manches anbiedernde Parteiprogramm geschlichen haben – scheint dieser urfeministische Gedanke der Menschwerdung von Frauen und Männern vor lauter Gendern auf der Strecke geblieben zu sein. Zeit, daran zu erinnern.
Feminismus, das bedeutet einerseits die realistische Erkenntnis, dass 99 Prozent der Weltbevölkerung gar keine Wahl haben und zwangsweise als „Frauen“ oder „Männer“ angesehen werden und leben – mit oft dramatischen Folgen für beide Geschlechter. Und es bedeutet andererseits die Utopie, dass wir eines fernen Tages weder „Frau“ noch „Mann“ sein werden, sondern einfach Mensch.
Wir dürfen gespannt sein, welche Formen das dann in der Sprache annimmt.