Weil sie gegen den Schleierzwang protestierten, wurden drei Iranerinnen zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. In Deutschland scheint das niemanden zu bewegen. Atomdeal und Geschäfte mit den Nah-Ost-Staaten gehen vor Menschenrechte. Im Fall von Iran nimmt das beängstigende Ausmaße an. Die Politik muss handeln!
Protestierten gegen die Zwangsverschleierung: Jasman Ariani, Monireh Arabshahi und Mojgan Keshawaraz.
Artikel teilen
In diesen Tagen wurden drei Frauen, die in Teheran öffentlich gegen die Zwangsverschleierung protestiert hatten, zu insgesamt 55 Jahren Gefängnis verurteilt: Jasman Ariani, Monireh Arabshahi und Mojgan Keshawaraz. Die Anklage lautet auf „Korruption und Prostitution“, weil sie keinen Schleier trugen.
Anzeige
Jüngst haben 14 Frauenrechtlerinnen in einem öffentlichen Brief Khameneis Rücktritt gefordert. Sie wollen das Ende der Gender-Apartheid und ein demokratisch-säkulares Staatssystems im Iran. Am 12. und 13. August wurden fünf dieser Frauen von der Revolutionsgarde festgenommen. Darunter sind: Fatemeh Sepehri, Hourieh Farajzadeh und Narges Mansouri. Ihnen werden „Verbindungen ins Ausland und zu Oppositionellen, Unruhestiftung gegen die Sicherheit der islamischen Republik und Anregung der Proteste“ vorgeworfen. Es drohen langjährige Haftstrafen mit Folter oder Hinrichtung.
55 Jahre Haft für Protest gegen die Zwangsver- schleierung
Unter dem so genannt moderaten Präsidenten Rouhani (2013-2019) wurden in sechs Jahren über 3.800 IranerInnen, darunter mindestens 93 Frauen, hingerichtet. 2.500 wurden nach dem Atomdeal von 2015 exekutiert. Unter heute in den Gefängnissen sitzenden tausenden politischen Gefangenen befinden sich Menschenrechts-, Kinderrechts- und Umweltaktivistinnen wie Nasrin Sotoudeh, Narges Mohammadi, Atena Daemi und Golrokh Iraee, Farangis Mazloum. Sie alle wurden wegen „Propaganda gegen die islamische Republik, Beleidigung des Religionsführers Khamenei und Teilnahme an den Protesten gegen die nationale Sicherheit“ verhaftet.
Inzwischen sind die Teheraner Frauenproteste gegen den Hijab auch in den Provinzen angekommen. Frauen prägen auch die Proteste der Arbeiterbewegung und der NGOs sowie die Streiks wegen nicht ausgezahlter staatlicher Löhne und Pensionen. Frauen protestieren auch gegen die Zwangsverschleierung und Sittenregelungen an den Universitäten.
Die Bundesregierung opfert mit ihrer Iran-Politik Frauen- und Menschenrechte für einen gefährlichen Atomdeal und Geschäfte mit den Mullahs. Als iranischer Oppositioneller im Exil in Deutschland appelliere ich an die Politik: Die Parteien sollten sich für die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen und inhaftierten Frauen im Iran nachdrücklich einsetzen.
Dr. Kazem Moussavi Sprecher der Green Party of Iran und Herausgeber von Iran Appeasement Monitor, iraniansforum.com/eu
Die Anwältin Nasrin Sotoudeh sitzt in dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Nicht zum ersten Mal. Denn die Menschenrechtlerin kämpft unerschrocken vor allem für die Rechte von Frauen. Jetzt drohen ihr 38 Jahre Gefängnis und 148 Peitschenhiebe. Nur eine internationale Solidarität kann Nasrin schützen und befreien! - Hier ihren Brief lesen.
Im Gespräch mit EMMA hat sie noch im April 2018 beteuert, sie bereue nichts: „Es war niemals ein Fehler, dass ich diese Prozesse geführt habe.“ Und sie fügte hinzu: „Egal, wie lange ich im Gefängnis saß: Ich habe nicht bereut, was ich getan habe.“ Zwei Monate später, am 13. Juni, wurde die Frauenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh verhaftet und in das berüchtigte Evin-Gefängnis geworfen, wo sie seither sitzt.
Anzeige
Neun Monate später wurde das finale Urteil bekannt, das in ihrer Abwesenheit und einer anwaltlichen Vertretung von dem „Revolutionsgericht“ gefällt worden war: insgesamt 38 Jahre Gefängnis und 148 Peitschenhiebe. Seither hagelt es Proteste in der ganzen Welt: PolitikerInnen, JuristInnen, Exil-IranerInnen, Menschenrechtsorganisationen und schlicht empörte Menschen fordern Nasrins sofortige Freilassung: von New York bis Hongkong, von Rom bis Paris. Nur in Deutschland ist man recht zurückhaltend.
Im Gespräch mit EMMA im April versicherte Reza Khandan, der Ehemann von Nasrin, seiner Frau gehe es relativ gut. Sie habe sich zwar von den zwei Hungerstreiks, in die sie aus Protest getreten war, noch nicht ganz erholt; doch sie sei entschlossen, weiter zu kämpfen.
Shaparak Shajarizadeh, die gegen den Kopftuchzwang protestierte, über Nasrin Sotoudeh: "Sie kann nicht schweigen, wenn sie Unrecht sieht"
Gegen den Fall, der weltweit Aufsehen erregt, wird im Iran nur verhalten protestiert. Die staatlichen Medien schweigen. „Und der Richter, der sie verurteilt hat, lügt“, sagt Reza. „Er behauptet, Nasrin sei ‚nur‘ zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden.“ Die Unerschrockene hat jetzt entschieden, den Richter wegen „Verbreitung von Falschbehauptungen“ zu verklagen.
Zuletzt hatte die Anwältin die so genannten „Mädchen der Revolutionsstraße“ verteidigt, die es gewagt hatten, öffentlich ihr Kopftuch runterzureißen und es aus Protest wie eine Fahne zu schwenken (EMMA berichtete vielfach). Eines dieser von ihr todesmutig verteidigten „Mädchen der Revolutionsstraße“ ist Shaparak Shajarizadeh. Drei Tage nach deren Prozess im Juni 2018 war die Anwältin Sotoudeh verhaftet worden.
Shaparak konnte fliehen und lebt jetzt in Kanada im Exil. Die junge Iranerin veröffentlichte einen Text über ihre Anwältin in Time. Sie schrieb: „Nasrin hat mir erklärt, dass mein Kampf auch ihr Kampf sei – der Kampf von allen iranischen Frauen. Dass ich nicht alleine bin, und dass sie nicht ruhen wird, bis ich wieder frei bin. Zu wissen, dass Nasrin für mich da war, hat mir geholfen, das alles durchzustehen. Als ich im Gefängnis saß, war Nasrin meine einzige Hoffnung. Sie hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um mich zu befreien.“ Und sie fährt fort: „Ich kann meine Stimme heute nur erheben, weil sie sich so unermüdlich für mich eingesetzt hat. Aber so ist sie. Nasrin kann nicht schweigen, wenn sie Unrecht sieht. Und darum sollten auch wir nicht schweigen!“
Im dauerfrostigen Iran scheint wieder eine Eiszeit anzubrechen. Im Frühjahr berief Ayatollah Chamenei einen berüchtigten Hardliner zum Justizchef: Ebrahim Raisi. Der steht als Chef der iranischen Justiz noch über dem Justizminister. Raisi ist mitverantwortlich für den Tod von Tausenden, wenn nicht Zehntausenden Oppositionellen. 1988 wurden die Verurteilten vom „Komitee des Todes“ im Halbstundentakt an Baukränen erhängt. Raisi entschied persönlich mit über Leben und Tod.
Nasrin Sotoudeh ist dem Regime schon lange ein Dorn im Auge. Nach Abschluss ihres Jurastudiums im Jahr 1995 musste sie acht Jahre auf ihre Zulassung als Anwältin warten. In der Zeit arbeitete sie als Journalistin und schrieb vor allem über Frauenrechte. Später war sie für die iranische Menschenrechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi tätig. Die lebt inzwischen im Londoner Exil.
Und sie war eine der Aktivistinnen der „Eine Million Unterschriften“-Kampagne für die Menschenrechte von Frauen. 2012 verlieh ihr das Europaparlament den Sacharow-Preis für „geistige Freiheit“.
Es wäre schon sehr praktisch für den iranischen Gottesstaat, wenn er eine Frau wie Nasrin Sotoudeh mundtot machen könnte. Aber natürlich meint der Terror gegen die eine Frau gleichzeitig alle IranerInnen: Seht her, das machen wir mit einer, die es wagt, sich gegen unser Diktat aufzulehnen.
Allein in den letzten zehn Jahren wurden 440.432 Frauen wegen „Verstoß gegen die Kleiderordnung“ verhaftet. Jährlich werden tausende Todesurteile gefällt und vollstreckt. Und nur zwischen März 2012 und März 2013 wurden 40.651 gesetzlich erlaubte Kinderehen mit Mädchen unter 15 Jahren geschlossen; 1.537 von ihnen waren unter zehn Jahre alt. Seit Beginn des Gottesstaates 1979 wurden über 110.000 Menschen hingerichtet, darunter laut Statistik 6.000 Homosexuelle und 3.000 gesteinigte Frauen. Da ist es kein Wunder, dass das Land den Weltrekord im Drogenkonsum hält: JedeR Zehnte ist drogenabhängig.
Weltweit wird für die Freilassung von Nasrin Sotoudeh protestiert. Nur in Deutschland ist es bisher relativ ruhig. Wie lange noch?
Nasrin Sotoudeh aber flüchtet sich nicht ins Vergessen, sie kämpft. Und sie ist entschlossen, weiterzukämpfen. Dafür erfährt sie international viel Zuneigung und Unterstützung, allen voran aus Frankreich. Die Abgeordneten von Paris haben die Iranerin einstimmig zur Ehrenbürgerin ihrer Stadt ernannt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Fassade ihres Sitzes mit einem überlebensgroßen Porträt von Nasrin bedeckt. Französische und franco-iranische Feministinnen protestieren auf der Straße. Alle fordern die umgehende Freilassung von Nasrin Sotoudeh!
Nur in Deutschland ist es relativ ruhig, wie immer. Aber immerhin: Außenminister Maas twitterte umgehend: „Wir fordern Sotoudehs Freilassung und werden uns gegenüber Iran auch in Zukunft für sie einsetzen.“ Und Justizministerin Katarina Barley ließ auf Anfrage von EMMA mitteilen: „Der Iran muss kritische Stimmen endlich zulassen und Nasrin Sotoudeh freilassen!“ Und die Kanzlerin? Da liegt der Fall „noch zur Abstimmung“.
Die internationale Solidarität stärkt und schützt Nasrin Sotoudeh selbstverständlich. Wir können nur hoffen, dass sie nicht gefoltert wird, wie es bei den „Mädchen der Revolutionsstraße“ geschah. Und wir können nur hoffen, dass Nasrin unter dem internationalen Druck freigelassen wird. Wobei – das Exil ist für so eine Kämpferin keine Lösung. Die einzige Lösung wäre das Ende dieser verbrecherischen Diktatur.
Alice Schwarzer und Alexandra Eul. Mit Übersetzungen von Mojdeh Noorzad.
Aktualisierung vom 14. Mai 2019 Inzwischen hat uns dieses Statement eines Regierungssprechers erreicht: "Die universelle Geltung der Menschenrechte und der Einsatz für ihren umfassenden Schutz sind ein Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik. Gemeinsam mit den EU-Partnern interveniert die Bundesregierung regelmäßig gegenüber der iranischen Regierung und setzt sich für Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch iranische Behörden ein. In diesen Zusammenhang gehört insbesondere auch der Fall von Frau Sotoudeh, in dem sich die Bundeskanzlerin auch persönlich engagiert."