Einstieg: ja - Ausstieg: nein
95 % aller Prostituierten würden aussteigen - wenn sie könnten. Aber die Förderung von Ausstiegshilfen steht nicht im Prostitutionsgesetz. Dafür finanzieren Arbeitsagenturen den Einstieg.
Er ist KFZ-Mechaniker, nennen wir ihn Herbert Meier. Vor zwei Monaten hat ihn seine Werkstatt entlassen, seither bekommt er Arbeitslosengeld I. Ein neuer Job ist nicht in Aussicht. Warum, fragt sich Herbert Meier, nicht was ganz anderes machen? Was richtig Lukratives. Zum Beispiel ein Bordell. Fünf Mädchen, oder vielleicht sogar zehn, die für ihn anschaffen - damit müsste sich doch ganz schön was verdienen lassen.
Der Arbeitslose geht zur Agentur für Arbeit, wo er eine "Tragfähigkeits-Bescheinigung" für sein Konzept vorlegt. Die hat er von seinem Steuerberater bekommen. Und schon bewilligt der Sachbearbeiter Herrn Meier zur Verwirklichung seiner Geschäftsidee einen "Gründungszuschuss". Herbert Meier ist jetzt staatlich geförderter Zuhälter.
Ein Hirngespinst? Aber nein. Denn seit das Prostitutionsgesetz reformiert wurde, gelten bei den Arbeitsagenturen für Berufe im Rotlichtmilieu "die gleichen Kriterien wie bei jeder anderen Existenzgründung auch".
Eine Hartz IV-Empfängerin will sich als Prostituierte selbstständig machen? Kein Problem. Der Arge-Fallmanager bewilligt gern ein "Einstiegsgeld". Denn, so die Bundesagentur für Arbeit: "Seit Prostitution als Beruf anerkannt ist, sind Existenzgründungen in diesem Bereich prinzipiell gleichzubehandeln".
Eine Umfrage bei den Arbeitsagenturen von Köln, Hamburg und Berlin ergibt: Dort ist ein solcher Fall noch nicht bekannt. "Aber wenn 'ne Frau sich als Prostituierte selbstständig machen will, dann kriegt 'se die Förderung, det ist doch klar!" heißt es in der Hauptstadt. Soweit die Einstiegshilfen in Sachen Prostitution.
Welche staatliche Förderung aber bekommt eine Frau, die aus der Prostitution aussteigen will? Die Hoffnungen waren groß, dass die Reform des Prostitutionsgesetzes, das ja "die rechtliche und soziale Lage der Prostituierten verbessern sollte", den Frauen vor allem auch den Ausstieg erleichtern würde. "95 Prozent aller Prostituierten sind im Grunde Zwangsprostituierte", sagt Detlef Ubben. Der Leiter des Hamburger Fachkommissariats Menschenhandel weiß: "Wenn eine Frau erst mal in der Mühle der Prostitution drin ist, dann hat sie wenig Chancen, ohne fremde Hilfe da wieder auszusteigen."
Hinzu kommen potenzielle Chefs, die von der "Vergangenheit" einer Bewerberin nicht eben begeistert sind. "Wenn dat den Frauen nicht so schwergemacht würde, würden 80 Prozent aussteigen. Die kotzt dat doch alle an!" weiß Rita nach neun Jahren Anschaffen. Eine kanadische Studie kommt auf eine noch höhere Zahl: 92 Prozent der Prostituierten würden aussteigen - wenn sie nur könnten.
Als EMMA im Jahr 2000 für eine Reportage über Ausstiegsprojekte im Ruhrgebiet recherchierte, absolvierte Rita gerade Integra, das deutschlandweit einzige Umschulungsprojekt für Prostituierte: Buchhaltung, Computerkenntnisse, Internet. Damals erhofften sich die Ausstiegshelferinnen von der Politik die finanzielle Absicherung ihrer Beratungsstellen und Förderung weiterer Projekte. Und von der Bundesagentur für Arbeit, die damals noch Bundesanstalt hieß, wünschten sie sich flächendeckend spezielle Umschulungen und Weiterbildungsmaßnahmen für Prostituierte.
Doch was passierte seither? Nichts. Dabei sind Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, existenziell auf gezielte Hilfen angewiesen. Denn: "Es funktioniert nicht, diese Frauen so zu behandeln wie alle anderen", weiß Sabine Constabel. Ihre Klientel, die seit elf Jahren in das Prostituiertencafé ‚La Strada' (unter dem Dach des Stuttgarter Gesundheitsamtes) kommt, ist im Schnitt 20 Jahre im Milieu und "kämpft jeden Tag ums Überleben". Eigentlich wollen sie alle aufhören, aber "auf ein Amt zu gehen, ist für die Frauen eine Wahnsinnshürde. Und wenn es eine doch schafft, dann ist die Arge nicht der Ansprechpartner für ihre Alpträume, ihre Schulden oder ihre Entzugserscheinungen."
"Jede Prostituierte soll die Möglichkeit haben, aus der Prostitution auszusteigen", schrieben die rot-grünen GesetzmacherInnen damals in die Begründung ihres Prostitutionsgesetzes. Fünf Jahre später erklärt sich das Bundesfrauenministerium auf die Frage nach der Förderung von Ausstiegsprojekten für Prostituierte für "nicht zuständig". Die sei Ländersache. Aber soweit man wisse, gebe es da "kein Netz". Ganz genau weiß man es aber in Berlin nicht, denn die 300 Seiten dicke "Evaluation" der Folgen des Prostitutionsgesetzes widmet sich nur auf einer einzigen Seite der Frage nach Ausstiegsprojekten.
Zwar wurden für die Studie BordellbetreiberInnen ausführlich von den Wissenschaftlerinnen des evaluierenden Forschungsinstituts befragt. Eine Bestandsaufnahme der Ausstiegsprojekte dagegen fehlt. Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) musste ein Gutachten nachordern.
Eine Anfrage bei den Sozial- und Frauenministerien der Bundesländer ergibt: Die Förderung von Ausstiegsprojekten ist keinesfalls Pflicht, sondern eine "freiwillige Aufgabe". Dieser Aufgabe kommen die Länder mal mehr, mal weniger nach. So hat zum Beispiel Hamburg ein ganzes Netz von Projekten wie die ‚Kaffeeklappe', deren Aufgabe die Ausstiegsberatung ist. In Sachsen oder Schleswig-Holstein wird eine Beratungsstelle für Opfer von Frauenhandel gefördert, aber deren Klientel ist eine andere. Und mehrere Bundesländer fördern eine Beratungsstelle für Prostituierte.
Wer sich jedoch auf die Suche nach speziellen Umschulungsprojekten macht, wird nur in NRW fündig: Hier gibt es profrida (‚Prostituierte und von Gewalt betroffene Frauen in den Arbeitsmarkt'). In Trägerschaft der Diakonie Westfalen werden hier seit dem 1. Januar 2006 zur Zeit 65 Frauen in einem viermonatigen Basiskurs in EDV, Kaufmännischem Rechnen und Deutsch als Fremd- oder Fachsprache geschult. Dann folgt eine zehnmonatige Fachqualifizierung in einem Verkaufs- oder einem Pflegeberuf. Anzüglicher Titel des Spiegel: ‚Vom Straps zur Schnabeltasse'. Das Diakonische Werk musste "zwei Jahre mühsam um Fördergelder kämpfen", wie Projektleiterin Rita Kühn berichtet. Nach etlichen Absagen zahlten schließlich der Europäische Sozialfonds und das Land NRW.
Warum das so ist, erklärt sich, wenn man liest, was Sabine Constabel in ihrer Analyse über ‚Sozialarbeit mit Prostituierten in Stuttgart' bedauernd feststellt: "Die Folgen der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Prostitution sind unverkennbar und zeigen sich in der Tatsache, dass sich bis heute eine spezialisierte Sozialarbeit für Prostituierte nur in Ansätzen entwickeln konnte."
Anders gesagt: "Den Macherinnen des Prostitutionsgesetzes ist von den Galionsfiguren der Hurenbewegung vorgegaukelt worden, Prostitution würde so was bedeuten wie ‚Pretty Woman'. Hätte man die reale Situation der Prostituierten zugrunde gelegt, wäre dieses Gesetz so nie verabschiedet worden." Die Prostituierten, die Sozialarbeiterin Constabel betreut, liegen nicht mit Richard Gere im Whirlpool. Für sie ist "jeder Freier eine Vergewaltigung, zu der ich Ja sage."
Die Vorzeigedamen der Hurenbewegung mit ihrem "Prostitution ist ein Beruf wie jeder andere"-Credo aber diktieren inzwischen den Kurs. Als EMMA das Ausstiegsprojekt des Sozialdienstes Katholischer Frauen in Dortmund nach sechs Jahren noch einmal besuchen wollte, erklärte die Leiterin verlegen: Der Dachverband, dem das Projekt angeschlossen sei, habe aufgrund der kritischen Berichterstattung in der EMMA ein Kontaktverbot beschlossen. Dabei hatte die Projekt-Psychologin seinerzeit noch über die "physische und psychische Erschöpfung der Frauen" geklagt, von ihrem "Ekel gegen die Freier" berichtet und erklärt: "Es ist eben kein Beruf wie jeder andere, wenn Frauen ihre Sexualität verkaufen und als Ware konsumierbar sind."
Heute heißt es: "Wir sind an den Beschluss gebunden. Wenn wir da ausscheren, werden wir als einzelne Beratungsstelle ohne Dachverband ja vielleicht nicht mehr finanziert." Der Boykott scheint bundesweit organisiert. Selbst das bayerische Sozialministerium erklärt auf EMMA-Anfrage nach Ausstiegsprojekten: Man respektiere, dass die Projekte "keinen Kontakt zu EMMA wollten". Selbst die Namen der - aus Steuergeldern finanzierten - Projekte möchte das Ministerium nicht nennen.
Dabei sollten gerade sie am besten wissen, was Prostitution bedeutet. "Die Frauen arbeiten oft bis zum Limit", erzählt Sabine Constabel. "Bis sie verschuldet sind, die Wohnungskündigung im Briefkasten haben und krank sind." Eine Krankenversicherung haben die meisten nicht. "Das Gesetz geht an der Realität völlig vorbei", klagt die Sozialarbeiterin. "Viele Frauen sind einfach deshalb nicht versichert, weil sie ihre Beiträge nicht zahlen können."
Das Alter spielt übrigens gar nicht unbedingt die Hauptrolle bei der Frage: Aussteigen oder weitermachen? Sondern: "Kann sie die Show noch bringen? Der Freier will ja hören: ‚Du bist so geil, du bist der tollste Mann der Welt.' Aber wenn das Lächeln immer verzerrter wird, dann bleiben die Freier weg."
Dann ist der Moment gekommen, wo die Sozialarbeiterin und ihre Kolleginnen mit der Frau zur Arge gehen und ihr helfen: Hartz IV beantragen, eine geeignete Trainingsmaßnahme finden. "Die meisten Frauen müssen ja zunächst mal wieder üben, morgens aufzustehen und pünktlich da zu sein. Wenn sich das stabilisiert hat, entwickelt sie meist eine Idee, was sie machen will."
Eine Ausbildung zu machen, schaffen die meisten aber nicht mehr. Sie jobben, zum Beispiel als Verkäuferin. In der Bewerbung gilt es, die jahrelange Lücke im Lebenslauf zu frisieren. Auch dabei ist Hilfe vonnöten. Deshalb fordert Constabel "mehr spezialisierte Beratungsstellen".
Dem kann Anne Rossenbach vom Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) in Köln nur beipflichten: "Wir brauchen den Ausbau von niedrigschwelligen Angeboten." Denn: "Es sind oft lange Prozesse, bis eine Frau sagt: ‚Jetzt will ich aussteigen!' Und in diesem Moment muss man da sein." Constabel fordert: "Die Möglichkeit zum Ausstieg muss gesetzlich verankert werden."
Eins jedoch hat sich wirklich verbessert: Weil kaum eine Prostituierte in die Arbeitslosenversicherung einzahlt, hatten ausstiegswillige Prostituierte früher kein Anrecht auf Umschulungen oder andere Maßnahmen. Es blieb nur die Sozialhilfe. Das hat sich geändert: Sozialhilfe (heute: Sozialgeld) bekommt nur noch, wer nicht arbeitsfähig ist. Ausstiegswillige Prostituierte stehen aber, wie es auf gut bürokratisch heißt, dem "Arbeitsmarkt zur Verfügung". Sie haben also inzwischen, obwohl sie keine Beiträge eingezahlt haben, Anspruch auf Vermittlung und passende Maßnahmen. Dies ist allerdings nicht der Prostitutionsreform zu verdanken, sondern - Hartz IV.
EMMA 1/2007