Alice Schwarzer & die Mütter
Bevor ich ab 1977 die EMMA machte – die im September 1979 erstmals mit dem Thema Väterzeit titelte – habe ich drei Bücher veröffentlicht. Im ersten Buch, "Frauen gegen den § 218", das 1971 erschien (edition suhrkamp), ging es um die Gründe und Auswirkungen des Abtreibungsverbotes und den Protest der Frauen dagegen. Die Mehrheit der Abtreibenden waren damals Mütter, ganz wie heute. Im dritten Buch, "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen", 1975 erschienen, ging es um die Rolle von Liebe & Sexualität bei der (Selbst-)Unterdrückung von Frauen.
Im zweiten Buch, "Frauenarbeit – Frauenbefreiung", das 1973 erschien (und 1985 in der edition suhrkamp unter dem Titel "Lohn: Liebe" wiederaufgelegt wurde), ging es um die Arbeit von Frauen: um die (unter-)bezahlte Arbeit im Beruf und die Gratisarbeit in der Familie. Die 16 Frauen, die dort zu Wort kamen, waren Arbeiterin oder Filmemacherin, Sekretärin oder Stripteasetänzerin, Friseurin oder Mechanikerin. Und sie alle waren zerrissen zwischen ihrem realen (oder erwarteten) Leben mit Männern und Kindern auf der einen Seite – und dem Beruf auf der anderen Seite.
In diesem zweiten Buch betone ich die Notwendigkeit der Berufstätigkeit als Minimalvoraussetzung bei der Emanzipation von Frauen. Gleichzeitig kritisiere ich das "neue Frauenleitbild", das Frauen in den Beruf drängt: diesen Trend zur (halbherzigen) Berufstätigkeit, gerne in Teilzeit, bei gleichzeitiger (voller) Verantwortung für Haushalt und Kinder.
Ich durchforste die raren, Anfang der 70er Jahre existierenden Untersuchungen zum Thema, wie die Studie zur "Lage der Mütter in der BRD", die auf einen Arbeitstag von 13,5 Stunden kommt, bei einer Sieben-Tage-Woche. Und ich analysiere, warum zwei Karrieren in einer Familie nicht möglich sind: Weil die klassische Männerkarriere auf der Zuarbeit der Frauen aufbaut. Doch zu der Zeit ist von "Karriere" noch kaum die Rede. Die Frauen sind schon glücklich, wenn sie überhaupt berufstätig sein dürfen.
Zu meinen eindrücklichsten Erinnerungen aus diesen Gesprächen gehört die Fließbandarbeiterin, die in dem Frankfurter Betrieb während der Arbeit noch nicht einmal zur Toilette gehen darf; oder die doppelbelastete Ingrid S. in Ronsdorf, die morgens um sechs Uhr aufsteht, und abends um elf Uhr ins Bett fällt, doch ihren Mann noch nie eingeklagt hat ("Ich bitte nicht gerne jemanden"). Und die immer, wenn sie von ihrem Schreibtisch aus eine Krankenwagensirene hört, aufschreckt ("Manchmal bin ich ein bisschen unruhig wegen Holger"). Übrigens: Ingrid S. war in der kommunistischen Partei DKP und regelmäßig bei allen Gruppenabenden: "Oft möchte ich da gern diskutieren, aber ich finde dann einfach nicht den Mut, was zu sagen."
In Deutschland war ich dann eine der Ersten, die sich auf die Suche nach der Gesamtzahl der Gratisstunden machte, die alljähr¬lich in der Bundesrepublik von Frauen im Haus geleistet werden. Ich musste lange suchen. Denn Hausarbeit ist zu der Zeit nicht nur de facto, sondern auch in der öffentlichen Meinung selbstverständlich Frauensache, die diskret erledigt zu werden hat. Eine Frau, die es nicht packt, ist eben "keine richtige Frau". Hat sie gar Probleme, soll sie gefälligst den Beruf aufgeben.
Erst wir Feministinnen haben die Gratisarbeit von Frauen überhaupt zum Thema gemacht! Doch das interessierte weder die außerparlamentarische Linke, noch die Politik oder die Gewerkschaften (letztere bis heute nicht). Erst bei der "Deutschen Gesellschaft für Ernährung" fand ich die gesuchte Zahl: Allein in der Bundesrepublik leisteten Frauen Anfang der 70er Jahre alljährlich 45–50 Milliarden Gratisarbeitsstunden – was in etwa den 52 Milliarden Lohnarbeitsstunden entsprach.
Das bedeutet: Da Frauen die gesamte Hausarbeit machten und ein Drittel der Berufsarbeit, leisteten sie insgesamt zwei Drittel der gesamtgesellschaftlich notwendigen Arbeit, gratis oder unterbezahlt. Damals.
Seither ist die Anzahl der berufstätigen Frauen gestiegen – die Beteiligung der Männer am Haushalt hingegen stagniert. Und für mich als Autorin und EMMA-Macherin sind diese Fragen Thema geblieben. In meiner 2007 erschienenen politischen Bilanz, "Die Antwort", geht es in fünf Kapiteln von 13 auch darum.
Allerdings habe ich früh die gerade in Deutschland sehr rasch wieder aufkommende Mystifizierung der Mutterschaft kritisiert: Die Forderung eines Teils der Frauenbewegung nach einem "Hausfrauengehalt" (das die Frauen wieder im Haus festgenagelt hätte) oder die Tendenz, Mütter für die besseren Frauen zu halten. Nirgendwo wurde in den 70er Jahren so demonstrativ gestrickt und gestillt wie in deutschen Frauenzentren. Ein Erbe der Töchter der BDM-Mädchen?
Es sollte dann noch einige Jahrzehnte dauern, bis auch die Politik das Problem der überwiegend auf Frauenschultern lastenden Haus- und Kinderarbeit endlich auch zu dem ihren machte – und bis die Medien es wahrnahmen.