Kandidatin ohne Chance
„Ich bin keine Quotenfrau“, sagte Gesine Schwan von sich selbst – und kandidiert jetzt auf dem Quoten-Frauen-Ticket für das Bundespräsidentenamt.
Karriereplanung? Nichts für Gesine Schwan. Darin liegt für sie kein Glücksversprechen. Präsidentin ist sie trotzdem geworden und Präsidentin wird sie auch am Abend des 23. Mai noch sein, wenn die Bundesversammlung auseinander geht. Als Politik-Wissenschaftlerin ist sie vom Fach und klug genug, um zu wissen, dass sie keine Chance hat, Bundespräsidentin zu werden. Mehrheiten sind eben Mehrheiten. Weil sie vom Fach ist und lebenserfahren, muss sie aber zumindest scheinbar auch ein bisschen an das Wunder glauben, dass Gerhard Schröder, die SPD und die rot-grüne Bundesregierung mit ihr vorhaben. Eine Frau soll es sein nach Rau, und zwar Gesine Schwan.
Die pflegt dem Leben geradewegs ins Auge zu sehen. Wo Männer Karrieren planen, packt sie den Stier bei den Hörnern und nutzt die Gelegenheiten. Sie hat nicht darum gebeten, eine Nacht darüber schlafen zu dürfen, als im fernen Harvard ihr Handy klingelte und der Bundeskanzler fragte, ob Rot-grün sie als Kandidatin nominieren dürfe. Sie hat zugesagt.
Mag sein, dass "Zählkandidatin" ein neuer Frauenberuf geworden ist, wenn es um das höchste Staatsamt geht. Und abwegig ist es nicht, das Projekt „Frau nach Rau“ für eine handfeste Heuchelei der rot-grünen Koalition zu halten, die vor fünf Jahren die Mehrheit in der Bundesversammlung gehabt hat und eine Frau hätte nominieren können. Und natürlich ist die Ernennung des langjährigen SPD-Mitgliedes Schwan ein kühles Kalkül, denn die Professorin strahlt ins bürgerliche Lager, weil sie oft im Streit mit ihrer Partei gelegen hat. Ist alles wahr – die Glaubwürdigkeit der Kandidatin berührt es nicht. Gesine Schwan spielt ihre Rolle mit der Gewissheit einer Kämpferin, die nur gewinnen kann – und sei es Ruhm und Geld für ihre ungewöhnliche kleine Universität, die grenzüberschreitende Viadrina in Frankfurt an der Oder.
Schwan ist Quereinsteigerin, eine politische Amateurin ist sie nicht. Sie weiß, dass Kandidaten für dieses Staatsamt sich vornehm zurückhalten müssen – und zieht binnen einer Woche klare Trennlinien zum Mehrheits-Kandidaten Horst Köhler. Sie hat nichts einzuwenden gegen die herausragende Stärke des Kontrahenten, die ökonomische Kompetenz - aber muss die Politik nicht darauf bestehen, die Ökonomie zu gestalten? Schon in den ersten Interviews präsentiert sie mit dem Wort vom "Vertrauen" ihr Bundespräsidentinnen-Profil.
Kein Wahlkampf, aber die interessierte Öffentlichkeit kennt die Vita Schwan: Die Konflikte, die Gesine Schwan und ihr Mann Alexander an der FU Berlin mit den 68ern durchgestanden haben. Ihren Streit mit Willy Brandt, mit der SPD und der marxistisch orientierten Juso-Generation Gerhard Schröders, den Rausschmiss aus der Grundwerte-Kommission im Jahr 1984. Wie sie kurz entschlossen und mit einem Wahlkampf der öffentlichen Kontroversen um die Präsidentschaft der FU Berlin gekämpft, gegen die eingesessenen Seilschaften verloren hat und ein Jahr später, 1999, zur Viadrina-Präsidentin gewählt wurde. Es fügt sich ein Bild: Diese Kandidatin, eine gläubige Katholikin, hat ihren eigenen Kopf, ihr Freiheitsbegriff ist resistent gegen den Druck von Stimmungen und Mächtigen. Sie triumphiert nicht, wenn Gerhard Schröder ihr bescheinigt, er habe seine Meinungen mehr ändern müssen als sie: "Darüber sprechen wir heute oft lachend."
Sie lacht überhaupt gern, die Kandidatin Schwan. Und dass dieses Lachen ganz aus dem Inneren kommt und ein verwegenes Quentchen vom Erscheinungsbild der akkuraten bürgerlichen Professorin abweicht, das ist wohl der Grund dafür, wie geschickt sie sich bei der schwierigsten Übung dieser Kandidatur behauptet. Weil sie nicht für ein Lager, nicht für eine Partei wirbt, sondern ganz und gar mit ihrer Persönlichkeit überzeugen muss, steht Gesine Schwan vor allen Fallen und Vorurteilen, die eine öffentliche Rolle für Frauen immer noch bereit hält. Keine Frage: Sie nimmt diese Prüfung viel offensiver und beherzter an als ihre Vorgängerinnen im Amt der Zählkandidatin.
Über ihre Frisur, die hochgesteckten blonden Locken, muss man nicht reden, weil sie ja alles sagt. Sie ist eine geradezu demonstrative Ansage von Weiblichkeit, und – das macht es richtig interessant – irgendwie auf ganz traditionelle Art. Nicht anders verhält es sich mit ihren schönen und vielfach erwähnten Beinen, die sie – nach Jahreszeit – kokett in seidene Strümpfe oder schicke Stiefel steckt.
Sie verbirgt das Private nicht vor der Öffentlichkeit. Sie spricht über die legendäre Lebens- und Arbeitsbeziehung von Gesine und Alexander Schwan – es bleibt nicht unerwähnt, dass er in die CDU eingetreten ist, während sie allen Enttäuschungen zum Trotz SPD-Mitglied geblieben ist. Als andere in den frühen 70ern die Wohngemeinschaften gründeten, kauften die Schwans eine Doppelhaushälfte, nebenan wohnt bis heute ihr Bruder mit seiner Familie. Mit 45 Jahren war sie Witwe, die adoptierten Kinder Dominik und Dorothee sind damals erst 12 und 14 Jahre alt. Hart an der Grenze zum Populistischen zollt sie dem Boulevard Tribut und schwärmt vom Rückzugsgebiet Familie: "Wer zu Hause unglücklich ist, ist auch politisch unglücklich." Und beeindruckt durch die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihren Lebensgefährten Peter Eigen, der früher Spitzenmanager bei der Weltbank war und heute mit Transparency gegen Korruption kämpft, beim ersten öffentlichen Auftritt vorstellt. Sie meistert mit Eigen sogar einen Fernsehauftritt bei Maischberger, der sich fast nur um das Private dreht.
Woran liegt es, dass Gesine Schwan trotzdem nicht den Eindruck verbreitet, sie diene sich der Öffentlichkeit ohne Maß an? An ihrem interessanten, schwierigen Weg, den sie mit großem Selbstvertrauen gegangen ist. Das hat tiefe Wurzeln. "Verglichen mit dem Mut, den meine Eltern als Gegner des Nationalsozialismus aufbringen, war das lächerlich", antwortet Gesine Schwan auf die Frage, woher ihre Bereitschaft komme, sich gegen das eigene politische Lager zu stellen. "Das oberste Gebot in unserer Familie war: Zur eigenen Meinung stehen!"
Tissy Bruns, EMMA Mai/Juni 2004