Das ist kein Verein für Heidi!
Es ist eigentlich selbstverständlich: Dass kein Fremder dabei zusieht, wenn man sein Kleid über den Kopf zieht – und nichts als einen Tanga darunter trägt. Dass man essen darf, bis das Magenknurren unter der Size-Zero-Jeans aufhört. Dass man für seinen Job bezahlt wird, pünktlich, nicht Monate später oder nur zur Hälfte. Ja, eigentlich selbstverständlich.
Nur: Es existiert eine Welt, in der das nicht so ist. Die Welt der Mode. Die, in der Mädchen, neben denen Cindy Crawford wie ein Modell für Mollige wirkt, dennoch gesagt kriegen: Abnehmen! Und in der es all das gibt, was es nicht geben sollte: Fotografen, die anzügliche Witze reißen. Minderjährige, die es für normal halten, sich vor der Kamera ausziehen zu müssen. Kunden, die verlangen, dass man sich mit Autolack besprühen lässt.
"Das haben wir alles so schon erlebt", sagt Dunja Knesevic, 27. Und Victoria Keon-Cohen, 22, ergänzt: "Wir haben ja nicht mal das Recht auf eine Pause an einem Zwölf-Stunden-Tag." Auch die beiden, Dunja aus Bosnien und Victoria aus Australien, sind Teil dieser Welt. Sie sind seit Jahren Models und recht erfolgreich. Sie werden in London, ihrer Wahlheimat, von namhaften Agenturen vertreten, Elle und Vogue gehören genauso zu ihren Kunden wie Armani oder Levi’s. Doch die beiden haben Ende 2007 etwas getan, das sich für ihresgleichen nicht ziemt. Etwas, das noch kein Model vor ihnen getan hat: Sie sind in eine Gewerkschaft eingetreten und haben dort ein eigenes "Model-Komitee" gegründet. Um endlich die Rechte zu bekommen, die jeder andere Berufstätige längst hat.
Die Öffentlichkeit beklatschte sie dafür, der Observer adelte sie als zwei der "30 neuen Radikalen" Englands. Doch es gibt auch Leute, für die die beiden Nestbeschmutzerinnen sind, Querulantinnen, die der Modeindustrie schaden. Models, die man besser nicht mehr buchen sollte. "Wenn wir mit anderen darüber gesprochen haben, die erfolglos versucht hatten, eine Gewerkschaft zu gründen, war der Tenor immer gleich: Macht das möglichst unauffällig", sagt Dunja Knezevic. "Sonst riskiert ihr, auf einer Art schwarzen Liste zu landen."
Auch bei Equity, einer Gewerkschaft, die auf künstlerische Berufe spezialisiert ist, war man alarmiert, als die beiden im Frühjahr 2007 dort vorsprachen. Man riet ihnen, vorsichtig zu sein. "Bei Industriezweigen, die wie die Modebranche das erste Mal mit Gewerkschaften zu tun haben, können Arbeitgeber schnell einen falschen Eindruck bekommen", sagt Martin Brown, Sprecher von Equity. Als die beiden Ende 2007 dann dem Observer ein großes Interview gaben, passierte: nichts. Jedenfalls nicht Schlimmes. "Das Feedback der Branche war durchweg positiv", sagt Victoria erleichtert.
"Ist ja lustig, ich habe die beiden tatsächlich schon getroffen", so Marvy Rieder, erfolgreiches Model aus Holland. "In London, da standen sie noch am Anfang. Ich hatte gerade meine Stiftung gegründet und konnte so schon von ersten Erfahrungen erzählen." Denn Marvy hatte das schon getan, was die beiden noch planten: eine Model-Gewerkschaft gegründet! Anfang 2008, kurz nach dem Treffen mit Dunja und Victoria, war Marvy Rieder dann Gast bei EMMAs Gipfel "Leben hat Gewicht – gemeinsam gegen den Schlankheitswahn". Sie erzählte, wie sie unter Druck immer mehr abgenommen hatte und sie bei einer Größe von 1,77 Meter nur noch 50 Kilo wog. Und wie sie beschloss: Das muss aufhören! bei mir und allen anderen. Ihr Plan: eine Stiftung, die MarVie-Foundation, um Models über ihre Rechte zu informieren, ihnen zu zeigen, wie gesunde Ernährung funktioniert, und für sie einen Gesundheitscheck einzurichten.
Aber einen solchen Gesundheitscheck gibt es ein Jahr später immer noch nicht. Da, so sagt Marvy, es auch für Ärzte schwer sei, jemanden offiziell als "gesund" zu bezeichnen und das auf längere Zeit. "Was, wenn ein Mädchen nach zwei Monaten entscheidet: Jetzt lebe ich nicht mehr so gesund?" An einer Lösung arbeitet Marvy weiter, aber momentan haben ihre Workshops Vorrang. Das Konzept steht: Einen ganzen Tag lang sollen sich 50 Models und ihre Eltern in Seminaren informieren können. Gratis. Nur das Mittagessen kostet ein paar Euro.
Freiwillige Helfer gibt es auch schon: Ein Model, das Ernährungsberaterin ist und "so beide Welten kennt", wird über gesundes Essen dozieren, mit Eric van Furth, Direktor eines holländischen Essstörungscenters. Ein Bankangestellter wird Tipps geben, wie man Gagen richtig anlegt. Es wird Sport-Workshops für die Models geben und welche für deren Eltern, die Fragen haben wie: "Was ist eine Sedcard?" (eine Bewerbungsmappe mit professionellen Fotos). Marvy selbst wird auch reden: über Selbstvertrauen. Marvy sucht weiter Sponsoren und hofft, im Mai 2010 einen zweiten Termin nachschieben zu können. Bei allem Optimismus weiß die Holländerin nur zu gut: Eine Branche, die sich Jahrzehnte lang als glamourös und unkonventionell verstand, braucht Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass auch für die Glamourbranche Regeln nötig sind.
Ein Standard-Vertrag, der die Arbeitsbedingungen für Models regelt, und das weltweit, ist das Ziel von Dunja und Victoria. Mit Equity, dem British Fashion Council und der Association of Model Agents, sitzen sie gerade an einem Entwurf, vorerst nur für Großbritannien. Die beiden waren fleißig, seit sie das erste Mal in den Büros von Equity saßen: Sie führten Gespräche, gewannen prominente Anhängerinnen und dank Equity ein Versicherungssystem, das auf Model-Bedürfnisse zugeschnitten ist (wie zum Beispiel der Schutz vor Entstellung).
Doch die größten Erfolge sind die scheinbar kleinen: Honorare, die zügiger gezahlt werden; Essen, das schneller parat ist; ein Umgangston, der respektvoller ist. Und vor allem: Über 400 Models, die Equity beigetreten sind. Wer? Das behalten Dunja und Victoria für sich. Denn trotz allen Engagements bleiben sie bedacht und betonen, ganz wie Marvy Rieder: "Wir lieben unseren Job! Und wir wollen mit der Modebranche an Verbesserungen arbeiten, nicht gegen sie."
Dass die andere Seite nicht immer genauso kooperativ ist, haben sie inzwischen gemerkt: Die Idee, eine Konferenz zu organisieren, an der alle teilnehmen, Models wie Agenturen, Fotografen wie Casting-Direktoren, um über Essstörungen und Arbeitsrichtlinien zu sprechen, liegt auf Eis. Nicht, weil niemand mitmachen wollte, betont Dunja. Sondern "weil die Sponsoren nicht einsahen, was sie davon hätten". Und darum das für die Organisation nötige Geld nicht spendeten.
Aber sie und Victoria hätten schon neue, weniger heikle Ideen: Auf ihre Website soll bald ein Video gestellt werden, in dem Models über ihre negativen Erfahrungen reden – anonym. "Etablierte Profis sind der Schlüsselfaktor", so Dunja. "Denn das wird die nächste Generation an Models, Fotografen und Stylisten inspirieren." Dazu, selbst etwas zu tun. Denn, das haben Dunja, Victoria und Marvy gezeigt: Frau fühlt sich gut dabei. Und vor allem – nicht mehr so ausgeliefert.