Hat der CSD noch einen Sinn?
Die Erregung ist groß in schwulen Internet-Foren. Von "Spießertum" und "Vereinsmeierei" ist die Rede, von "Angstschweiß" und "schleimigem Hygieneakt".
Was ist passiert? Der Kölner Lesben- und Schwulentag (KLuST), Veranstalter der größten deutschen Christopher Street Day-Parade, hat sich zum 40. Jubiläum des CSD eine Charta gegeben. Danach soll so einiges anders werden beim CSD, der einst eine Polit-Demonstration war, doch heute oft fragwürdig daher kommt. Die homosexuellen Frauen und Männer des KLuST haben sich dabei auch nicht gescheut, das Wort "Wertefundament" zu verwenden – was manche nun mit Wertefundamentalismus zu verwechseln scheinen.
Der "Kölner CSD wird reglementiert", meldet der Berliner Tagesspiegel und orakelt: "Trifft die sogenannte CSD-Charta jetzt auch Berlin?" In der Tat: Die Kölner Charta macht Furore weit über Deutschlands heimliche Homo-Hauptstadt hinaus – in der jetzt sogar die CDU mit Peter Kurth einen homosexuellen Kandidaten in die Bürgermeisterwahl schickt. Und das ist auch gut so.
Denn der Christopher Street Day – einst ausgelöst von der Gegenwehr homosexueller Männer, die als "Tunten" nicht nur von der Polizei schikaniert, sondern auch von der eigenen Community verachtet wurden – muss sich in Zeiten von Homo-Ehe und schwulen Bürgermeistern (auf die lesbischen Bürgermeisterinnen warten wir noch) tatsächlich die Frage stellen, ob er überhaupt noch Sinn macht. Und wenn ja, welchen? Vor allem, da der Kampf um die Menschenwürde Homosexueller auf vielen CSD-Paraden längst verkommen ist zum Kommerz- und Porno-Spektakel: Sauna-Werbewagen, öffentlich kopulierende Männerpaare sowie eine massive Präsenz homo- wie heterosexueller SM-Anhänger, die ihre "Sklavin" an der Kette durch die Straßen führen, sind an der Tagesordnung. Einige lesbische Frauen haben darum 2004 in Köln den "Women's Pride" mit eigenen Veranstaltungen ins Leben gerufen.
Im Sommer 2007 kam es in der Kölner Community dann endgültig zum Eklat. Bereits im Jahr zuvor hatte es scharfen Protest dagegen gegeben, dass auf der CSD-Parade ein Wagen des Großbordells Pascha mitfuhr, laut Eigenwerbung das "größte Laufhaus Europas". Als dann im Frühjahr 2007 auch noch das "Sommerblut-Festival", ein Kulturfestival mit homosexueller Zielgruppe, im Pascha eröffnet werden sollte, da reichte es vielen Lesben und einigen Schwulen.
Das Kölner Beratungszentrum für Lesben und Schwule, Rubicon, protestierte gemeinsam mit dem Homo-Jugendzentrum anyway: "Das Pascha betreibt aggressive entwürdigende Werbung. Diese Werbung ist für das Empfinden vieler Frauen – lesbischer wie heterosexueller – beleidigend und demütigend." Und: "Die Teilnahme des Pascha überschreitet endgültig die Grenzen der Sexualisierung der Parade."
Das Rubicon zog seine rund 20 Veranstaltungen aus dem offiziellen CSD-Programm zurück. Die Kölner Grünen drohten mit einem Boykott des CSD. Und auch innerhalb des KLuST selbst flogen die Fetzen, nachdem die vier männlichen Vorstandsmitglieder die drei weiblichen mit ihrem Votum für die Pascha-Teilnahme überstimmt hatten. So manche homosexuelle Frau stand kurz davor, den Solidarpakt mit den homosexuellen Männern aufzukündigen.
Um das zu verhindern, rief der KLuST im Winter 2007 zu einer "Zukunftswerkstatt". Rund 40 Lesben und Schwule diskutierten lange darüber, ob und unter welchen Bedingungen eine gemeinsame Sache noch möglich sei. Das Ergebnis ist nun die Charta, im Januar 2009 von der Mitgliederversammlung des KLuST einstimmig verabschiedet wurde.
Sie definiert die CSD-Parade klar und deutlich als "politische Demonstration für die gesellschaftliche Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen". Zu diesem politischen Anspruch gehöre, dass "wir stolz unser Selbstbewusstsein, aber auch unser Lebensgefühl und unsere Liebe demonstrieren. Diesen Zielen sind alle anderen Beweggründe zur Teilnahme an der CSD-Parade unterzuordnen".
Ein Erfolg für die homosexuellen Frauen, die unter heftigem Beschuss mit Prüderie- und Intoleranz-Vorwürfen für eine Repolitisierung und gegen das menschenverachtende Anything goes gekämpft hatten, möchte man meinen. Aber: Kaum war die Charta veröffentlicht, brach in den schwulen Medien der Aufruhr gegen die "Angst-Charta des schwulen Juste Milieu" los. Von "Reglementierung" und "Zensur" ist die Rede.
Der KLuST setzte prompt die – ohnehin nur symbolische – Sanktionierung bei Missachtung der Charta für dieses Jahr aus, nämlich: über Teilnehmer, die sich nicht an die Charta-Grundsätze halten, "seine Mitglieder und – in geeigneten Fällen – die Öffentlichkeit zu informieren". Begründung für den Rückzug: Man wolle sich nicht dem Vorwurf der "Entsolidarisierung" und der "Spaltung der Szene" aussetzen.
Sehr zufrieden über diese Entscheidung dürfte das Magazin Queer.de sein. Dessen Autor Christian Scheuß hatte erklärt: "Das Absurde an der Charta ist: Es gibt keinen erkennbaren öffentlichen Druck, der einen solch vorauseilenden Gehorsam an Anpassung hätte erzeugen können." Als hätte es die zwei Jahre währende Debatte um Pascha, Porno & Co. nie gegeben.
Übrigens: Das diesjährige Motto der Kölner CSD-Parade zum 40. Jahrestag lautet: "Unsere Freiheit hat Geschichte". So ist es.
Die Kölner Charta