Ich will schwarz, blutig und weiblich schreiben

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Der erste Roman der Rap-Poetin Sapphire wurde ein Bestseller im "Reich der Stimmlosen".
Sapphire zieht ihre Wollmütze nicht aus. Gut, es ist kühl in New York City, Ende November 1995, aber wir sitzen drinnen, im überheizten Starbucks Café. Gestern war ihr Glückstag. Sie hat das Manuskript ihres ersten Romans abgeschlossen. Herzlichen Glückwunsch! „Glückwunsch? Wofür denn? Ich habe mir vor Ärger darüber alle Haare abrasiert.“ Ach so. Daher die Bedeckung. Fort sind ihre Antennen, die Rastalocken. Fort ist das Lächeln, Sapphire ist müde, ihre Hände sind welk.
„Ich fühle mich nackt und verletzlich. Muss mich erst daran gewöhnen. Das Seilziehen mit der Lektorin ging über Monate.“
„Push“ heißt das Buch, und es hat lange vor dem Erscheinen Wellen geworfen, weil ein angesehenes Verlagshaus, A. Knopf, einer unbekannten Autorin 500.000 Dollar vorschoss.
„Nuyorican Poets Café“, New York City, 25. Mai 1994. Sapphire steht auf der kleinen Bühne und liest aus ihrem ersten Buch, das soeben erschienen ist. „American Dreams“, Gedichte über den brutalen Übergriff von jungen schwarzen Herumtreibern auf eine junge Weiße im Central Park; über einen Mann, der säuft und seiner Frau die Zähne ausschlägt, weil er Erektionsprobleme hat. Über die Vergewaltigung der Autorin durch deren Vater. „Mickey Mouse was a Scorpio“ heißt der Text. Sapphire war drei, vier Jahre alt, als der Vater eines Nachts in ihr Zimmer kam und sie beinahe umbrachte. „Dann verließ er das Zimmer, und am nächsten Morgen gab es zum Frühstück Pancakes.“ Stoffe, aus dem Amerikas Alpträume sind.
Sapphire wurde 1950 geboren und auf den Namen Ramona Lofton katholisch getauft. Aufgewachsen ist sie in Kalifornien und in Deutschland, als Kind von Eltern, die beide Angehörige der amerikanischen Armee waren.
Als Sapphire 13 Jahre alt war, verließ die Mutter die Familie. Erwachsen geworden, verschwand die Tochter nach San Francisco und streifte ihren Geburtsnamen ab. New Age war im Vormarsch, Frauen nannten sich „Opaline“, gruppierten sich als „Amethyste des 7. Lesbischen Stamms“, und aus Ramona wurde „Sapphire“. „Ich hatte gelesen, dass Saphire die innere Struktur anderer Edelsteine verändern können – und genau das wollte ich in meinem Leben tun.“

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Mit 26 ging Sapphire auf die Suche nach ihrer Mutter, von der sie nach dem Weggang nichts mehr gehört hatte. Die Mutter war Alkoholikerin geworden und erkannte ihre Tochter kaum wieder. Die Tochter zog 1977 nach Harlem. Sie wollte schreiben, aber sie endete als Gogo-Tänzerin. Zehn Jahre lang hielt sie sich mit Halbtagsjobs vom Schreiben ab, verlegte sich auf Gedichte, denn die haben „die sofortigste und strengste Form“.
1986 starb Sapphires Bruder, ermordet im Park, in dem er gelebt hatte. Im selben Jahr starb die Mutter. Ihr zweiter Bruder, ein erfolgreicher Sportler, wurde wegen Vergewaltigung vor Gericht gebracht, 1990 starb der Vater.
Ein Jahr davor hatte Sapphire ihr Gedicht über die Joggerin im Central Park verfasst. Es heißt „Wild Thing“ und enthält Passagen wie: „Meine ganze Welt ist schwarz & braun & geschlossen, bis ich sie öffne mit einem Stein... mein Schweiß ist ein Fluss, er fließt durch meine Leber, grün vor Hass, ich vergewaltige, vergewaltige, vergewaltige, ich tu das wilde Ding.“
„Wild Thing“ machte die Autorin berühmt. Wider Willen. Ein Pfarrer, auf der Suche nach angeblich Obszönem, riss sechs Zeilen aus dem Zusammenhang, jene Stelle, in der sich Jesus mit einem Ministranten einlässt (Sapphire hatte das Bild gebraucht, um den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Kirchenvertreter anzuprangern). Der Pfarrer las die sechs Zeilen im amerikanischen Kongress laut vor. „Nun ja, es war nicht gerade die Erfüllung meines Lebenstraums“, sagt Sapphire, „dass jemand im Kongress meine Arbeit hochhält und mich eine Perverse nennt. Andererseits war ich plötzlich vorhanden, eine öffentliche Figur.“
Dass ihre Texte auf Empörung oder Ablehnung stoßen, ist verständlich: „Ich versuche, die schwärzeste, blutigste und weiblichste Ausdrucksform von allen zu finden. Ich sehe, was in schwarzen Familien geschieht, und denke, dass die Gewalt in der Familie uns mindestens so stark zerstört wie der Rassismus. Die Unterdrückten sind häufig auch die Unterdrücker. Ich habe mir lange überlegt, ob ich den Text über eine weiße Frau, die von einer Gang von jungen Schwarzen und Hispanics beinahe getötet wurde, überhaupt publizieren sollte. Aber spielt es eine Rolle, welche Hautfarbe Täter und Opfer haben? Und was mich betrifft: Ich gehöre bezüglich meiner Hautfarbe und meiner sexuellen Orientierung zur Gruppe der Unterdrückten. Aber ich will kein nobles Opfer sein. Ich will frei sein und meine Rechte haben.“
Dixon Place, New York City, 11. Juli 1996. Ventilatoren surren über die Köpfe des Publikums, das sich auf ausgesessenen Sofas, Klappstühlen und Küchenschemeln breitgemacht hat. Carol Dixon, eine stattliche Frau mit kurzen grauen Haaren, Krawatte und grollend schöner Stimme, präsentiert den Star des Abends. Sapphire. Die Dichterin erscheint ganz in Schwarz. Schwarze Schuhe. Schwarze Strümpfe. Schwarzes Kostüm. Sogar die Uhr ist schwarz. Nur die Lippen sind rot, rot wie Feuer, und sie schleudern, sie spucken die ersten Sätze von „Push“ ins Publikum wie zornige Verwünschungen:
„Als ich zwölf war, bin ich sitzengeblieben, weil mein Vater mir ‘n Baby gemacht hat. Das war 1983. Ein Jahr bin ich nich zur Schule gegangen. Dass jetzt mein zweites Baby. Meine erste Tochter is Mongolin. Sie is zurückgeblieben. Ich bin auch schon inner zweiten Klasse sitzengeblieben, da war ich sieben, weil ich nich lesen konnte (und immer noch inne Hose gemacht hab). Ich müsst inner elften sein und inne zwölfte kommen, damit ich ‘n Abschluss machen kann. Bin ich aber nich. Ich bin inner neunten. Ich bin vom Unterricht ausgeschlossen worden, weil ich schwanger bin. Was, find ich, nich fair ist. Ich hab nix gemacht! Ich heiße Claireece Precious Jones. Weiß nicht, warum ich euch das erzähl...“
Claireece ist 16, groß und dick wie ein Wal, Analphabetin, zweifache Mutter von Kindern, Kindern ihres Vaters und, wie sich später herausstellen wird, HIV-positiv. Und sie ist verstummt – doch ihre Lehrerin Blue Rain wird sie nicht nur zum Reden, sondern sogar zum Schreiben bringen.
In den 70er Jahren, in San Francisco, hatte Sapphire als Freiwillige Kindern Nachhilfeunterricht erteilt. Jahre später, in Harlem, unterrichtete Sapphire wiederum Analphabeten. „1990 hatte ich eine Schülerin, die war 32. Sie war HIV-positiv. Sie kam auf ein Treffen mit ihrem Sohn, der war drei, und ihrer Tochter, die war vier. Und dann sprach sie von ihrer weiteren Tochter, die war zurückgeblieben. Es war ein Kind ihres Vaters. Als sie das erzählte, war es, als würde dem ganzen Raum die Luft entzogen. Man stelle sich vor: ein Kind. Mit 12 Jahren! Diese Frau war bis zu einem gewissen Grad das Vorbild für die Romanfigur Claireece.“
12. Juli 1996. In einem New Yorker Nachtcafé. Es ist zwei Uhr, Sapphire zeigt keine Anzeichen von Müdigkeit. Sie trinkt einen Kaffee. Vor ein paar Wochen hat der „New Yorker“ die ersten Kapitel von „Push“ vorabgedruckt. Eine halbe literarische Heiligsprechung. „Sogar junge weiße Frauen, die von Forderungen nach Schönheit gequält werden, mögen das Buch“, sagt Sapphire. „Obwohl sie nicht zur Klasse von Claireece gehören, fühlen sie die Entfremdung und Einsamkeit mit. Sie sagen mir, du bist da draußen, du bist eine Kämpferin, deine Arbeit ist wichtig – und sie bringt unsere Seelen in Schwingung.“

Der Autor ist Kolumnist des Zürcher Magazin und Chefredakteur der Zeitschrift Material.
Sapphire: „Push“ (Rowohlt).

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