Alice Schwarzer schreibt

Bettina Rheims: Die Frau als Freier

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Ihr erstes Buch hieß "Latin lover" und kokettierte mit pädophiler Androgynität. Ihr zweites Buch heißt "Chambre close", und die Anspielung ist eindeutig: Maison close, geschlossenes Haus, nennen die Franzosen ein Bordell. In ihre "geschlossenen Zimmer", Hotelzimmer in Paris, holte die Fotografin angeblich "fremde Frauen von der Straße".

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Ein Teil dieser Fotos wurde jetzt auf der Frankfurter Ausstellung "Das Bild des Körpers" gezeigt und der Katalog des Kunstvereins zitiert dazu einen Text von ihr: "Chambre close war eine ambivalente Erfahrung für mich. Es handelte sich darum, unbekannte junge Frauen in diese anonymen Hotelzimmer zu locken, um sie in Situationen, die von mir befohlen wurden, zu fotografieren. Widersprüchlichkeit einer Situation, in der ich die Kundin dieser Unbekannten war, die mir ihre Nacktheit enthüllen würden - mir, die ich von einer ungeheuren Kraft und Entschlossenheit beseelt war, sie nackt zu sehen (...) Meine Arbeit zeigt, gegen meinen Willen, deutlich den brutalen, königlichen und besessenen Charakter meines Begehrens."

Soweit die Selbstdarstellung. Realität ist: Die Werbefotografin Rheims streunte nicht entfesselt auf Frauenjagd, sondern produzierte eine professionell kalkulierte Inszenierung. Darum dankt sie im Anhang ihres Buches auch Dutzenden von Mitarbeiterlnnen, darunter "Thierry Kauffmann, der assistierte; Christophe Boulze, der die Räumlichkeiten fand; Greshka, die sich um das Makeup der Modelle kümmerte; Loic Berthezene, der beim Casting mithalf; Arylene Gars-Chambas, die beim Styling mitwirkte..." etc. etc.

Der Frankfurter Katalog übersetzte den Rheims-Text wohlweislich nicht, denn der gefällt sich in einer pseudo-intellektuellen Verklärung eines schlichten Sachverhaltes: Die Fotografin Bettina Rheims schlüpfte für "Chambre close" in die Rolle des Freiers und bugsierte angeblich "unbekannte junge Frauen von der Straße" in den Part der Hure (in Wahrheit wurden vermutlich Models "gecasted" und bezahlt).

Ein Arrangement, das nicht sehr originell ist in einer von Herren und ihren Sklavlnnen zersetzten Welt. Das einzig Originelle daran: Der Freier ist eine Frau. Und die inzwischen alarmierten Objekte misstrauen einer Frau heutzutage eben weniger als einem Mann. Für sie ziehen sie sich noch gerne aus - angeblich sogar umsonst, wie Bettina Rheims behauptet (und damit den Newton-Mythos von dem Objekt, das es für den Herrn nicht nur gerne, sondern auch gratis tut, bedient).

Das Ex-Model Rheims hat vermutlich nie umsonst posiert. Und seit ihrem Rollenwechsel kassiert sie vielstellige Summen für die Abbildung ihrer Models, ganz wie ihre männlichen Vorbilder. Mit Kunst haben diese Produkte nichts zu tun - im Gegenteil. Denn Kunst öffnet die Augen. Die Bilder der Rheims und Newtons aber verkleistern den Blick.

Rheims spielt mit dem Kick der Pseudo-Emanzipation, indem sie ihren Einbruch in die Männerdomäne Pornografie als unerhörten Akt der Befreiung verkauft. Unerhört ist ihr Schritt in der Tat - zumindest für die Handelnde. Für die Behandelten aber macht es keinen Unterschied, ob sie von einem Mann oder einer Frau vermarktet werden.

In dieser Welt der allgemeinen Pornografisierung und der eskalierenden Reize wollte nun auch der Frankfurter Kunstverein nicht hintan stehen: Er nahm das krudeste Rheims-Foto nicht nur auf den Titel des Katalogs, sondern plakatierte auch noch damit (bezahlt hat das der "Deutsche Städtetag"). Die werbend verbreitete Abbildung zeigt die maskenhafte Darstellung einer Frau, ausgestattet mit den klassischen Fetischen pornografischer Klischees.

Auf die sich regende Bürgerlnnen-Kritik wusste der Kunstverein-Direktor Weiermair nichts Bigotteres zu erwidern als: Dies sei keinesfalls Pornografie, sondern die "positive, ästhetische, selbstbewusste und erotische Selbstinszenierung einer Frau". Rheims Fotos eine Selbstinszenierung? Das würde Madame Bettina sich aber verbitten. Das Ex-Model gratuliert sich herzlich, die Seite gewechselt zu haben und prahlt damit, seit Jahrzehnten Pornografie zu sammeln. Ihre Sammlung scheint sie gut zu kennen, denn alle ihre Fotos sind tausendfache Déja-vus, und gern klaut sie auch ganz direkt.

So bei dem früh gestorbenen Franzosen Jean Marc Reiser. Der in Frankreich berühmte und breit rezipierte Karikaturist zeigt auf einer seiner bekanntesten Zeichnungen eine Frau, die in einem menschenleeren Gang inmitten ihrer Blutlache liegt. In ihrem Bauch steckt ein riesiges Messer, in ihrer Hand hält sie einen Lippenstift. Sterbend schminkt sich die Frau ein letztes Mal im Spiegelbild der Messerscheide. - Bei der Fotografin Rheims wird daraus eine junge Beauty, die sich in schwarzen Dessous auf einem Bett und mit gesenkten Lidern wollüstig die halboffenen Lippen schminkt.

Rheims mystifiziert und reproduziert lebensgefährliche "Weiblichkeit". Reiser entlarvt "weibliche" Koketterie als tödlich. Sie macht Pornografie. Er macht Kunst.

Der Name Bettina Rheims steht heute, von Stern bis taz, für die "neue Lust" der "neuen Frauen". Neu daran aber ist nur eines: dass eine Frau einen "Männerblick" auf andere Frauen richtet - und damit beweist, was konsequente Feministinnen schon immer gesagt haben: Machotum ist keine Frage des biologischen Geschlechts, sondern eine Frage der Machtverhältnisse und Skrupellosigkeit. Das gilt für eine Bettina Rheims in Paris nicht anders als für eine Teresa Orlowski in Hannover oder eine "blutige Brigyda" in Majdanek.

Menschenverachtung bleibt Menschenverachtung und Pornografie bleibt Pornografie. Egal, ob sie von Männern oder Frauen produziert wird. Da gibt es nur einen ganz kleinen Unterschied: Die Pornografen wissen, was sie tun. Aber wissen auch die Pornografinnen, was sie tun? Und wie sicher sind sie eigentlich, dass die Verhältnisse sie selbst niemals mehr auf die andere Seite zwingen werden? Auf die des degradierten Objektes.

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