Vandana Shiva: Hoffnung säen
Die Inderin wagt es, sich den Saatgutkonzernen in den Weg zu stellen und die heilige Kuh des Wirtschaftswachstums zu schlachten.
Wenn Vandana Shiva von Shakti schwärmt, der „kreativen weiblichen Urkraft des Universums“, oder von der Erd-Demokratie, diesem „gleichberechtigten Miteinander von Mensch, Pflanze und Tier“, könnte man geneigt sein, sie für versponnen oder naiv zu halten. Das wäre ein Fehler.
Denn die indische Umweltaktivistin ist nicht nur promovierte Quantenphysikerin, sondern auch der Schrecken der internationalen Multis. „Biopiraten“ und „Nahrungsfaschisten“ nennt sie diese Konzerne, die mit Gen-Mais und Waldrodungen Lebensräume und Existenzgrundlagen zerstören. Vorzugsweise die armer Länder, aber letztlich, so Shiva, auch die eigenen.
Wenn sie zum Protest aufruft, kommen Hunderttausende. Wenn sie will, kann sie eine ganze indische Provinz in Aufruhr versetzen. Auf Konferenzen ist sie mit ihrer Mischung aus eisernem Willen und profunder Studien-Kenntnis eine gefürchtete Kontrahentin. Deshalb also wäre es falsch, die mollige Frau mit dem freundlichen Lächeln zu unterschätzen.
Vandana Shiva wurde 1952 am Fuße des Himalaya geboren. Ihre Akademiker-Eltern hatten ihre Jobs geschmissen, um ihren Lebensunterhalt künftig als Öko-Bauern zu verdienen. Als die 15-Jährige gegen die viele Natur rebellierte und nach einem Disco-Besuch in Delhi schrie, taten Vater und Mutter das einzig Richtige: Sie fuhren die Tochter in die Großstadt. Resultat: Die Teenagerin fand die Erkundungsritte, die sie auf Elefanten durch den Dschungel unternommen hatte, aufregender als das Nachtleben. Zurück zur Natur, lautete das Motto, das seither das Leben der 58-Jährigen bestimmt.
Nach ihrem Studium in Kanada kehrte Shiva zurück nach Indien, wo sie im Kuhstall der Mutter ein Labor einrichtete. Damit maß sie den Vitamingehalt der einheimischen Getreidesorten und verglich ihn mit dem von genmanipulierten Pflanzen. Die Ergebnisse machten Furore, die Kritikerin von Gentechnologie und Monokulturen wurde UN-Beraterin. Auf einer Konferenz im Jahr 1987 erklärten Vertreter großer Agrarkonzerne ihre Pläne: Im Jahr 2000 gäbe es nur noch eine Handvoll Saaten, und die Patente dafür besäßen sie, die Konzerne. Vandana Shiva war fassungslos. Sie begriff, was das für die kleinen Bäuerinnen und Bauern bedeuten würde: Die müssten das genmanipulierte Saatgut für teures Geld von den Unternehmen kaufen und würden so in die totale Abhängigkeit getrieben.
1991 gründete Shiva deshalb die Organisation Navdanya (Neun Saaten). Mit ihrer Farm in ihrem Geburtstal sichert sie die traditionellen Saatsorten und installierte 46 Saatgutbanken im ganzen Land, in denen 500 Sorten Samen lagern. Zwei Jahre später bekam sie den Alternativen Nobelpreis, weil sie „Frauen und Ökologie im Zentrum des modernen Diskurses um Entwicklungspolitik platziert“ habe. „Frauen und Natur“, erklärt die Ökofeministin, „wurden auf ihre Rolle als Lieferanten von menschlichem und natürlichem Rohmaterial reduziert“.
Shiva, die sich schon in den 70ern der ersten indischen Frauen-Umweltbewegung Chipko angeschlossen hatte, hatte erlebt, wie sich durch Waldrodungen und Wassernot verarmte Bäuerinnen zu Hunderten das Leben genommen hatten. Indische LandwirtInnen tun das bis heute, zum Beispiel Tausende Bauern, die durch das Biopatent eines ausländischen Global Players auf Baumwolle in Existenznot geraten waren. Selbst der einheimische Basmati-Reis gehört qua Patent inzwischen einem US-Konzern. Als „Kolonialismus des 21. Jahrhunderts“ prangert die Aktivistin diese feindlichen Übernahmen an. Und der Ruf „Quit India!“ (Verlasst Indien!), der früher den britischen Besatzern galt, schallt heute den Genmanipulateuren namens Monsanto oder Ricetec entgegen.
Natürlich ist Vandana Shiva maßlos enttäuscht von den mehr als mageren Ergebnissen der Kopenhagener Klimakonferenz im Dezember 2009, bei der sie auf dem „Alternativen Gipfel“ vor zehntausenden ZuhörerInnen sprach. Das Wort „Klimawandel“ lehnt sie als Euphemismus ab. „Ich nenne es Klimachaos“, erklärt sie. „Und dagegen brauchen wir ganz konkrete Maßnahmen mit rechtlicher Bindung.“ Dass ihr eigenes Land gemeinsam mit China und den USA ausscherte und die ausgehandelten Vereinbarungen wieder cancelten, prangert die Inderin am lautesten an. Auch wenn ihre Schelte meist der westlichen Welt gilt, deren kapitalistische Glaubensgrundsätze den ihren diametral entgegenstehen. Das Wirtschaftswachstum, das hier alle als Lösung aus der Krise preisen? Unfug.
„Wachstumszahlen sagen nichts darüber aus, wie viel die Leute essen, wie viel sauberes Wasser sie haben, ob sie ihren Lebensunterhalt gut bestreiten können – sie messen nur den Geschäftssektor. Wenn die Armen ihre Produkte verkaufen und dabei verhungern, wächst die Wirtschaft.“ Über die Abwrackprämie, von der Shiva bei einem Deutschlandbesuch im Mai 2009 erfuhr, war die Globalisierungsgegnerin „schockiert“. „Wie kann es sein, dass die Regierung den Menschen 2.500 Euro Unterstützung zahlt, damit sie ihr Auto zerstören, damit die Industrie weiter Autos bauen kann, die niemand wirklich braucht?“
Sicher, Shivas Lösungen – die Abkehr von überflüssigem Konsum, die Rückkehr zu kleineren Produktionseinheiten – klingen radikal. Aber spätestens seit der Finanzkrise ist die Zahl derer, die über die Heiligen Kühe des Turbokapitalismus ins Grübeln gekommen sind, gewaltig gewachsen. Diese Art von Wachstum liebt Vandana Shiva.
EMMA Frühling 2010
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