Kochbücher: Drill zur Weiblichkeit!

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Nachdem das weltweit erste von einer Frau geschriebene Kochbuch erschien – Anna Weckers „Ein köstlich new Kochbuch“, 1597 – entwickelte sich diese Art Gebrauchsliteratur innerhalb eines Jahrhunderts zu einer Angelegenheit von moralischer, um nicht zu sagen: gesellschaftspolitischer Tragweite. Neben der rein sachlichen Information – den Rezepten und hauswirtschaftlichen Tipps – ging es mehr und mehr darum, weibliche Verhaltensnormen zu vermitteln.

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Vor allem im 19. Jahrhundert wird die Hausfrau am heimischen Herd zur Schlüsselfigur für das Wohl und Wehe der Nation stilisiert: „Kochen ist eine Kunst und gar eine edle. Von ihr hängt nicht zum wenigsten das Gedeihen und Wohlbefinden der gesamten Familienmitglieder, das häusliche Behagen, ja ich möchte fast sagen, das häusliche Glück ab“, schreibt die aus dem Westfälischen stammende Erzieherin Henriette Davidis (1801–1876) in ihrem 1845 erschienenen „Praktischen Kochbuch“. Eine Frau, die kochen kann, so der Tenor der Zeit, halte den Manne vom Wirtshause und damit von der Trunksucht fern.

Ähnliche Formulierungen finden sich in nahezu allen Kochbüchern für Frauen im 18. und 19., teilweise sogar noch im 20. Jahrhundert. Die Dortmunder Kulturhistorikerin Annemarie Wilz resümiert diesen ideologischen Überbau nicht ohne Süffisanz: „Direkt oder indirekt ist in vielen Vorworten und Einleitungen das Feindbild ‚die emanzipierte Frau‘ präsent: Sie kocht schlecht und macht mindestens Mann und Familie unglücklich, wenn sie nicht gar auf längere Sicht die gesamte Volkswirtschaft und damit die Nation ruiniert.“

Auf den Titelseiten bürgerlicher Kochbücher des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sehen wir meist eine gestrenge Dame in gestärkter Schürze, die mahnend den Zeigefinger erhebt. Neben ihr ist ein Mädchen abgebildet, schüchtern und unerfahren. Viele Pionierinnen der Kochbuchliteratur für Frauen waren Erzieherinnen. Im Tonfall der wohlmeinenden Kinderfrau treten sie ihren Leserinnen als Gouvernanten entgegen, die ihren weiblichen Schäfchen den Weg zum bürgerlichen Glück weisen.

Just aus diesem Grunde erleben sie einen ungeheuren Boom, ab dem 18. Jahrhundert im englischsprachigen Raum, seit dem 19. in ganz Europa. Das Kochbuch wird zum wichtigsten Utensil der Mitgift einer bürgerlichen Braut. Die Zeitschriften spotten: „Man hat berechnet, dass eine Frau, die jeden Tag 16 Stunden lesen würde, 953 Jahre alt werden müsste, um alle nur in Deutschland erschienenen Kochbücher zu lesen“, so das Dortmunder Allgemeine Kreisblatt im November 1857.

Das Ideal der bürgerlichen Familie sind die zwei klar definierten, voneinander getrennten Wirkungsbereiche: Hier der erwerbstätige Paterfamilias, der in der feindlichen Welt draußen, sprich: in den Schreibbüros und Handelskontoren, mit dem Drachen oder zumindest für seinen beruflichen Aufstieg kämpft. Dort die Ehefrau und Mutter, die für Häuslichkeit sorgt und das Herdfeuer schürt.

Allerdings währte dieses biedermeierliche Idyll nicht lange. Die neue Lebensform der städtischen Kleinfamilie sah sich in ihrer gesellschaftlichen Position ab etwa 1850 bereits massiv bedroht. Durch die Industrialisierung hatte sich aus der unteren Schicht der Bauern und Tagelöhner das so genannte Industrieproletariat herausgebildet – die von Adel wie Bürgertum gleichermaßen gefürchtete Arbeiterklasse. Darauf reagierte das Bürgertum mit immer rigoroseren Formen der Abgrenzung nach unten.

Als Königsweg zur Sicherung des Status diente die Repräsentation. Die Damen des Hauses luden einflussreiche Familien zu Abendgesellschaften und Bällen ein und gingen auf Kaffeevisiten zu den Müttern Erfolg versprechender Söhne. Die Töchter wurden zum Tanzen und Sticken und Parlieren erzogen, sollten sich nicht mit groben Arbeiten befassen müssen und lieber eine gute Partie machen.

Zur typischen Mittelschicht des bürgerlichen Zeitalters zählten jene Haushalte, die sich zwar Dienstboten leisten konnten, aber nur auf finanziell niedrigem Niveau. Und das bedeutete: Mehr als ein Mädchen für alles war in der Regel nicht drin. Um den Schein nach außen dennoch zu wahren, kam die Hausfrau gar nicht darum herum, selbst mit anzupacken. In städtischen Handwerkerhaushalten der Frühen Neuzeit war es noch selbstverständlich gewesen, dass Frauen mitverdienten, in den Arbeiterfamilien blieb das durchgehend so. Das pädagogisch wertvolle Koch- und Haushaltungsbuch trug nun dazu bei, die neue Rolle der bürgerlichen Hausfrau als erstrebenswert und erfüllend darzustellen.

Sobald ein bürgerliches Mädchen in den Hafen der Ehe einsegelte, sollte es seine Aufgabe als Hausfrau nicht nur als Berufung, sondern als Beruf empfinden. Es sollte vom Backfisch zur „Mistress of the Household“ erzogen werden – zur Chefin, die das Hauswesen führt und die Herdmacht in Händen hält. Doch das gab den frisch vermählten Ehefrauen Probleme auf: Aus Gründen der feineren Lebensart hatten sie bis zu ihrer Heirat nie richtig kochen und wirtschaften gelernt – das besorgte in ihrem Elternhause ja ebenfalls das Mädchen mithilfe der Mutter. Ein Teufelskreis.

Und nun stelle man sich eine junge Braut vor, hübsch anzusehen und mit delikat behandschuhten, wenngleich zwei eher linken Händen ausgestattet, was das Kochen und Hauswirtschaften anbelangt. Ihr Gatte ist fleißig und strebsam, aber eben auch kein Krösus. Sie zieht in seine bescheidene, aber solide Wohnung ein. Nächste Woche wird das neue Mädchen eingestellt, und sie hat keinen blassen Schimmer, wie sie dieses Wesen vom Lande unterweisen sollte, ohne ihr Gesicht als künftige Haushaltsvorsteherin zu verlieren.

Da kommt so ein Kochbuch als Hausfrauen-Coach wie gerufen. Es wird zum unentbehrlichen Nachschlagewerk für die Tücken des Alltags zwischen Spültisch und Bratröhre. Schon im Titel machen die von erfahrener Frauenhand verfassten Nothelfer Hoffnung auf Erlösung: „zuverlässige Belehrungen“, „gründliche Anweisung“, „aus eigener Erfahrung erprobte Rezepte“ und „praktische Hülfe“ werden versprochen.

Das Kochbuch wurde zu so etwas wie der Geheimwaffe der Frau. Mit seiner Hilfe ließ sich aus einer weltfremden Bürgerstochter eine patente Ehefrau machen, die das Lob des Gatten auf sich zieht. Variationen dieses Themas füllen die Frauenmagazine dieser Zeit. Typisch ist zum Beispiel jene Geschichte aus dem Illustrierten Frauen-Brevier von 1876, die ein junges Eheglück schildert: Aus Angst, sich mit ihren mangelhaften Kochkenntnissen zu blamieren, bestellt eine frisch gebackene Ehefrau die Speisen für ihre Gästeeinladungen bei einer Garküche. Natürlich geht diese Art zu wirtschaften auf Dauer zu Lasten der Haushaltskasse. Der Gatte rügt sie, und sie muss sich etwas einfallen lassen. Also kauft sie ein Kochbuch. Er zeigt sich beeindruckt: „Du kleine Kochkünstlerin, mich so zu überraschen!“

Ein Kochbuch zu schreiben, eröffnete den Frauen die Tür zu einer Welt, die bis dahin fast ausschließlich Männern vorbehalten war. Es bot ihnen die Möglichkeit, berufstätig zu sein (wenn auch innerhalb des schicklichen Umfelds von Küche, Keller, Kinder), über ein eigenes Einkommen zu verfügen und sich in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit einen Namen zu machen.

Aus diesem Grunde wird Henriette Davidis, eine der berühmtesten Kochbuchautorinnen des 19. Jahrhunderts, mitunter als Revolutionärin beschrieben, obgleich sie es ihrem Weltbild nach keineswegs war. Von ihren Bewunderern heute noch respektvoll „die Davidis“ genannt, ist sie eine Art Hausmutter der Nation, die Grande Dame der gutbürgerlichen Kochbuchliteratur der Gründerzeit.

Johanna Friederika Henriette Davidis kommt als zehntes von 13 Kindern einer Pfarrersfamilie im westfälischen Dörfchen Wengern zur Welt. Altes Bauernland, Stall und Vieh und Weiden ringsherum, das Elternhaus streng protestantisch. Die Mitgift ist gering. Zweimal sterben Henriette die von den Eltern ins Auge gefassten Verlobten weg, und so ist der Weg vorgezeichnet: Das Kind besucht eine Töchterschule und geht anschließend in Stellung. Die junge Henriette lernt Handarbeiten und Kochen und „das Erziehungsfach“, wie man damals sagte. Fast ihr ganzes Leben lang wird sie im Haushalt wohlhabender Familien als Erzieherin tätig sein.

Mit 44 Jahren ist Davidis zu jenem späten Mädchen herangereift, das man damals mit „Fräulein“ anzureden pflegte: Das Haar unterm Häubchen straff gescheitelt, den Hals bis zum Kinn mit Spitzenschleifen umschnürt. Sie beginnt zu schreiben. Sie kann kochen. Fast alle ihre Bücher werden zu Bestsellern, vor allem ihr „Praktisches Kochbuch“ von 1845. Es folgen: „Der Gemüsegarten“ (1850), die Mädchenkochbücher „Puppenköchin Anna“ (1856) und „Puppenmutter Anna“ (1858) sowie die Renner für angehende Ehefrauen: „Beruf der Jungfrau“ (1857) und „Die Hausfrau“ (1861). Doch Henriette schreibt noch mehr: Rezeptbücher zur Verbesserung der Armenernährung sowie Ratgeber für die weibliche Gemütsbildung. Standardwerke mit zahllosen Neuauflagen. Als sie 1876 stirbt, geht die 21. Auflage ihres „Praktischen Kochbuchs“ in Druck.

„Es sei und bleibe ihre schönste Aufgabe, dem Hause würdig vorzustehen, es zum angenehmsten Aufenthalt des Mannes zu machen, nur ihm gefallen zu wollen, auf alle seine Wünsche, insofern sie zum wahren häuslichen Glücke dienen, die größte Rücksicht zu nehmen und nie zu vergessen, dass der Mann der Versorger der Familie ist.“

In ihren letzten Lebensjahren war Henriette finanziell immerhin so gut gestellt, dass sie sich wenigstens die Miete für eine kleine Wohnung leisten konnte. Nach Henriettes Tod spendete die deutsche Kaiserin Augusta Geld für ein Grabmal auf dem Dortmunder Ostenfriedhof.

Als eine der ersten deutschen Autorinnen konnte die Davidis in bescheidenem Umfang von den Tantiemen ihrer Bücher leben. Doch in der Hausfrau hatte sie ihren Leserinnen empfohlen: „Es sei und bleibe ihre schönste Aufgabe, dem Hause würdig vorzustehen, es zum angenehmsten Aufenthalt des Mannes zu machen, nur ihm gefallen zu wollen, auf alle seine Wünsche, insofern sie zum wahren häuslichen Glücke dienen, die größte Rücksicht zu nehmen und nie zu vergessen, dass der Mann der Versorger der Familie ist.“

Nicht einmal den Lorbeerkranz als Autorin wollte sich Henriette Davidis aufsetzen lassen: „Ich bin weit davon entfernt, dieses Buch als eine eigene Arbeit hochstellen zu wollen“, schrieb sie im Vorwort zum „Praktischen Kochbuch“. Dieser nüchterne Blick auf ihren persönlichen Anteil am Zustandekommen der Rezeptesammlung offenbart ihr sicheres Gespür für die Wurzeln, aus denen das Genre der weiblichen Kochbuchliteratur hervorgegangen ist: Haushaltswissen als Teil der mündlichen Tradition. Die Autorinnen der ersten Kochbücher für Frauen waren Vermittlerinnen populären Überlieferungsgutes. Ihr Verdienst ähnelt dem der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm. Diese Zeitgenossen der Davidis haben ihre „Kinder- und Hausmärchen“ auch nicht selbst ersonnen.

Märchen zählen zur Folklore; sie sind Erzählgut, das mündlich überliefert wird. So verhält es sich auch mit den Kochrezepten, inklusive Drill zur Hausfrau.

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Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Frauen mit Geschmack. Vom Vergnügen eine gute Köchin zu sein“.

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