Ein Herbst für die Frauen?
Als Anfang des Jahres die Revolution in Ägypten in vollem Gange war und täglich die Bilder der Zehntausenden von Menschen um die Welt gingen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo den Rücktritt Husni Mubaraks forderten, da kam die Rede immer wieder auf die auffallend vielen Frauen unter den Demonstranten. Die Entfesselung des Aufstands, so war sogar an mancher Stelle zu lesen, sei das Werk einer Frau.
Und tatsächlich: Eine junge Ägypterin namens Asmaa Mahfouz hatte am 18. Januar ein Video aufgenommen und ins Internet gestellt. In dem Film sitzt die 26 Jahre alte Verfasserin in einem Zimmer vor nichts als einer weißen Wand und spricht vier Minuten lang in eine Kamera: Alle Ägypter mögen doch bitte am 25. Januar auf den Tahrir-Platz kommen, jeder solle Freunde und Bekannte mitbringen, damit sie endlich alle gemeinsam dem Regime ihren Zorn zeigen könnten. „Und wenn ihr denkt“, fügte sie noch hinzu, „Frauen sollten an solchen Demonstrationen nicht teilnehmen, weil sie geschlagen werden könnten, dann kommt doch und beschützt mich.“
Und tatsächlich, sie kamen. Über Wochen verwandelten Männer und Frauen den Tahrir-Platz in eine Zeltstadt, die zuletzt so gut organisiert war wie ein kleines Dorf: Abkommandierte Bürger regelten den Zugang zum Platz und versuchten zu verhindern, dass Störenfriede sich unter die friedlichen Menschen mischten. Es gab zu essen und zu trinken, Verletzte wurden von Ärzten versorgt, Mütter stillten ihre Kinder und schliefen nachts auf dem Boden, manchmal neben völlig fremden Männern.
Manche Frauen haben später erzählt, dass dergleichen unter normalen Umständen in Ägypten niemals möglich gewesen wäre. Völlig überraschend für die Männer, aber auch für die Demonstrantinnen selbst, forderten viele Frauen zum ersten Mal lautstark den „Wandel“, der nicht nur parteipolitisch zu verstehen war, sich nicht nur auf das Regime von Mubarak bezog. Ihr Ruf nach Wandel meinte eine viel weitergehende Hoffnung: Jene nach Gleichberechtigung von Frauen in einem Land, in dem das Patriarchat die alles beherrschende Lebensform ist.
Die Lage der Frauen in Ägypten war und ist weit schwieriger als etwa jene im Nachbarland Tunesien, wo das, was mittlerweile als „arabischer Frühling“ bezeichnet wird, seinen Anfang nahm. In Tunesien waren von Anfang an zahlreiche Frauen an den Demonstrationen gegen den ungeliebten Präsidenten Ben Ali beteiligt. Anders als in Ägypten aber schien in Tunesien darüber niemand wirklich überrascht zu sein. Die Frauen, so beschreibt es die tunesische Schriftstellerin Hélé Béji, hätten im Alltag stets ihren Platz gehabt – als Ärztinnen oder Krankenschwestern in Hospitälern, an Universitäten, in Behörden. Frauen hatten und haben in Tunesien ein Recht auf eine eigene Rente, sie müssen nicht heiraten, wenn sie nicht wollen, können sich (weitgehend) problemlos scheiden lassen, und leiden alles in allem viel weniger unter Diskriminierung als die Ägypterinnen – und ganz sicher noch weniger als die Frauen im Jemen, die bei den Protesten in ihrem Land jetzt ebenfalls eine Rolle spielen.
Im Jemen sind zwei Drittel der Frauen Analphabetinnen. Auch in Ägypten können laut „Amnesty International“ 40 Prozent nicht lesen und schreiben. Viele Ägypterinnen gehen zwar einer Arbeit nach, die meisten von ihnen verrichten neben Haushaltstätigkeiten aber niedere und schlecht bezahlte Arbeiten, beispielsweise als Straßenverkäuferinnen. In politischen Institutionen sind sie unterrepräsentiert. So sind im ägyptischen Parlament nur 64 der insgesamt 518 Abgeordneten weiblich, also 12 Prozent. Unter den 27 Ministern der Regierung Sharaf findet sich nur eine einzige Frau, unter den 27 Gouverneuren des Landes keine einzige. Auch in dem Komitee, das kurz nach dem Sturz von Mubarak eingesetzt wurde, um die Verfassung des Landes zu überarbeiten, saßen ausschließlich Männer.
Dass viele Ägypter kein besonderes Interesse daran haben, die Lage der Frauen in ihrem Land zu verbessern, hatte sich schon vor etwa zehn Jahren gezeigt. Damals wurde nach langen Debatten im Parlament das Familienrecht reformiert, das Frauen traditionell entmündigte. Seither ist es für die Frauen leichter, sich scheiden zu lassen. Mussten sie den Gerichten zuvor immer Beweise dafür vorlegen, dass ihre Männer sie schlecht behandelt hatten, ist dies nun entfallen. Doch um konservative Gemüter zu beruhigen, hat man die islamische Tradition der „Al-Khulaa“ in das Gesetz aufgenommen. Ihr zufolge ist es einer Frau erlaubt, sich von ihrem Mann quasi „freizukaufen“. Also ist heute in Ägypten die Frau verpflichtet, dem Mann im Falle einer Scheidung den Brautpreis zurückzuzahlen. Überdies muss sie auf alle Unterhaltsansprüche verzichten, wenn die Kinder beim Mann bleiben, was in Ägypten häufig der Fall ist.
Doch damit nicht genug. Ägypten ist ein Land, in dem die Genitalverstümmelung von Frauen weit verbreitet ist. Laut einer Unicef-Umfrage aus dem Jahr 2008 sind mehr als 90 Prozent der verheirateten Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Und das, obwohl die Regierung im Jahr 2007 die Praxis der Genitalverstümmelung verboten hat. In der Gesellschaft aber ist das nicht immer angekommen. Der an der Kairoer Al-Azhar-Universität lehrende Muhammad Wahdan sprach sich noch 2006 für die Beibehaltung der brutalen Tradition aus. Andere, wie etwa die Mitglieder eines hohen Gremiums derselben Universität, verurteilten sie und plädierten für ihre Abschaffung. Selbst unter den Frauen geht die Zustimmungsrate nur langsam zurück: Im Jahr 1995 sprachen sich 82 Prozent der verheirateten Frauen für die Genitalverstümmelung von Mädchen aus, dreizehn Jahre später waren es immer noch 63 Prozent.
Dabei ist dies nur eine, wenn auch besonders perfide Form sexueller Diskriminierung in Ägypten. Eine andere ist ebenso weit verbreitet und, von außen betrachtet, nicht weniger ungeheuerlich. Schon der Schriftsteller Alaa Al-Aswani hat in dem Panorama der ägyptischen Gesellschaft, das er in seinem Roman „Der Jakubijan-Bau“ entworfen hat, dem Problem der sexuellen Belästigung von Frauen einen zentralen Platz eingeräumt. In seinem Buch finden nur die Frauen eine Arbeit, die sexuelle Übergriffe von Seiten ihrer Vorgesetzten akzeptieren.
Und wer sich in Ägypten umhört, stellt schnell fest, dass es sich bei diesem Szenario keinesfalls um Fiktion handelt. Sexuelle Belästigung auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder am Arbeitsplatz haben viele Ägypterinnen schon einmal erlebt. Engy Ghozlan, 26, hat im Jahr 2008 eine Studie darüber erstellt. Im Auftrag des „Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte“ befragte sie 2800 Frauen nach ihren Erfahrungen – rund die Hälfte von ihnen gab an, täglich sexuell belästigt zu werden. Mittlerweile hat Ghozlan mit anderen Aktivistinnen die Internetseite „Harassmap.org“ aufgebaut: Auf ihr können Frauen posten, wenn sie Opfer eines Übergriffs geworden sind. Auf einem Stadtplan von Kairo sind auf diese Weise lauter große und kleine rote Punkte entstanden, die zeigen, in welchen Gegenden es für Frauen besonders gefährlich ist.
Auch nach den revolutionären Tagen zu Beginn des Jahres haben viele Ägypterinnen gesagt, dass eine Menschenmenge wie die auf dem Tahrir-Platz unter normalen Umständen ebenfalls eine No-go-Area gewesen wäre. Viele waren überrascht, ja überwältigt davon, dass Männer und Frauen dort tatsächlich Seite an Seite demonstrieren konnten. Und dennoch: Am 11. Februar, zu einem Zeitpunkt also, als Mubarak schon den Rückzug in den Badeort Scharm-el-Sheik angetreten hatte, ist eine Journalistin des amerikanischen Fernsehsenders CNN mitten auf dem Platz von mehreren Männern vergewaltigt worden.
Und Amnesty International berichtete, dass am 9. März mehrere Ägypterinnen von Angehörigen des Militärs verhaftet worden und im Gefängnis gefoltert worden seien. Dort habe man sie so genannten „Jungfräulichkeitstests“ unterzogen und gedroht, sie der Prostitution anzuklagen.
Dabei ist dies nur eine, wenn auch besonders perfide Form sexueller Diskriminierung in Ägypten. Eine andere ist ebenso weit verbreitet und, von außen betrachtet, nicht weniger ungeheuerlich. Schon der Schriftsteller Alaa Al-Aswani hat in dem Panorama der ägyptischen Gesellschaft, das er in seinem Roman „Der Jakubijan-Bau“ entworfen hat, dem Problem der sexuellen Belästigung von Frauen einen zentralen Platz eingeräumt. In seinem Buch finden nur die Frauen eine Arbeit, die sexuelle Übergriffe von Seiten ihrer Vorgesetzten akzeptieren.
Und wer sich in Ägypten umhört, stellt schnell fest, dass es sich bei diesem Szenario keinesfalls um Fiktion handelt. Sexuelle Belästigung auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder am Arbeitsplatz haben viele Ägypterinnen schon einmal erlebt. Engy Ghozlan, 26, hat im Jahr 2008 eine Studie darüber erstellt. Im Auftrag des „Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte“ befragte sie 2800 Frauen nach ihren Erfahrungen – rund die Hälfte von ihnen gab an, täglich sexuell belästigt zu werden. Mittlerweile hat Ghozlan mit anderen Aktivistinnen die Internetseite „Harassmap.org“ aufgebaut: Auf ihr können Frauen posten, wenn sie Opfer eines Übergriffs geworden sind. Auf einem Stadtplan von Kairo sind auf diese Weise lauter große und kleine rote Punkte entstanden, die zeigen, in welchen Gegenden es für Frauen besonders gefährlich ist.
Auch nach den revolutionären Tagen zu Beginn des Jahres haben viele Ägypterinnen gesagt, dass eine Menschenmenge wie die auf dem Tahrir-Platz unter normalen Umständen ebenfalls eine No-go-Area gewesen wäre. Viele waren überrascht, ja überwältigt davon, dass Männer und Frauen dort tatsächlich Seite an Seite demonstrieren konnten. Und dennoch: Am 11. Februar, zu einem Zeitpunkt also, als Mubarak schon den Rückzug in den Badeort Scharm-el-Sheik angetreten hatte, ist eine Journalistin des amerikanischen Fernsehsenders CNN mitten auf dem Platz von mehreren Männern vergewaltigt worden.
Und Amnesty International berichtete, dass am 9. März mehrere Ägypterinnen von Angehörigen des Militärs verhaftet worden und im Gefängnis gefoltert worden seien. Dort habe man sie so genannten „Jungfräulichkeitstests“ unterzogen und gedroht, sie der Prostitution anzuklagen.
Dass sich diese Zustände nun ändern müssten, hat am lautesten von Anfang an Nawal El Saadawi gefordert. Die heute 80-Jährige mit dem schlohweißen Haar gilt als die große Pionierin der ägyptischen Frauenbewegung. Ihre „Ägyptische Frauen-Union“ wurde unter Mubarak verboten. Nach seinem Sturz hat sie sofort angekündigt, die Arbeit nun wieder aufnehmen zu wollen. Sie hat zahlreiche Interviews gegeben, in denen sie die Diskriminierung der Frauen anprangerte. Sie war es auch, die forderte, dass nun endlich Artikel 2 der Verfassung abgeschafft werden müsste, der den Islam als Religion Ägyptens festschreibt und damit die Scharia zur Quelle des Rechts macht.
Das alles aber ist nicht geschehen. Bei dem Referendum, das im März in Ägypten abgehalten wurde, stimmte eine Mehrheit der Bevölkerung für die vom Komitee überarbeitete Verfassung – die den frauenfeindlichen Artikel 2 nach wie vor enthält. Außer Nawal El Saadawi hatten sich allerdings auch nur wenige andere Ägypterinnen für seine Abschaffung ausgesprochen. Überhaupt ist die Frage, wie die Lage der Frauen künftig zu verbessern wäre, in der Phase des Übergangs weitgehend aus den öffentlichen Debatten verschwunden.
Das liegt nicht nur daran, dass mit den blutigen Überfällen auf koptische Christen Anfang Mai eine andere, unter ständiger Diskriminierung leidende Bevölkerungsgruppe in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist. Es liegt auch daran, dass unter den Frauenrechtlerinnen des Landes keine Einigkeit darüber herrscht, wie sie künftig für ihre Sache eintreten sollen. Viele fürchten eine weitere Radikalisierung der Gesellschaft, wenn sie laut für die Rechte der Frauen eintreten. Die bekannte Bloggerin Noha Atef glaubt gar, dass sich die Lage der Frauen automatisch verbessern werde, wenn sich erst die wirtschaftliche Situation des Landes gebessert habe. Mit anderen Worten: Es gibt (noch) keine geschlossen auftretende Frauenrechtsbewegung in Ägypten, die willens und in der Lage ist, für die Rechte der Frauen zu kämpfen.
Für die Frauen bedeutet das nichts Gutes. Denn wer mitverfolgt hat, wie mühsam und langwierig der Kampf um Frauenrechte in den westlichen Demokratien gewesen ist, der muss angesichts des zaudernden Auftretens der Ägypterinnen um deren Zukunft bangen.
Sie wären nicht die ersten, die zwar gut genug sind, ihr Leben für die neuen Freiheiten zu riskieren – aber selber in dieser neuen (alten) Gesellschaft nicht in Freiheit leben dürfen. So ist es auch den Algerierinnen und den Iranerinnen ergangen.
Dass es auch anders gehen kann, zeigt Tunesien. Auch Ägypten ist von den Rechten sowie der Power der Tunesierinnen in der Jasmin-Revolution so weit entfernt wie vom eigenen Arabischen Frühling.