Proteststurm nach Freispruch
Was war passiert? Der Angeklagte Roy Z. befand sich mit insgesamt drei Frauen in seiner Wohnung in der Heinrich-Heine-Straße in Marl: seinen zwei „Lebensgefährtinnen“ und der 15-Jährigen. Roy Z. war stark betrunken und bekifft. Er trank nach eigenen Angaben zum damaligen Zeitpunkt täglich eineinhalb Flaschen Jägermeister, einen Kasten Bier und konsumierte drei bis vier Gramm Marihuana.
Nach Angaben des Landgerichts lagen die drei Frauen auf einer Matratze auf dem Boden, der Angeklagte legte sich aufs Sofa. Plötzlich forderte er die beiden erwachsenen Frauen auf, sofort die Wohnung zu verlassen und in den Keller zu gehen. Das Gericht: „Die beiden Zeuginnen kamen der Aufforderung nach, ohne nach dem Grund zu fragen oder sich der Aufforderung zu widersetzen. Beide wussten, dass der Angeklagte immer dann, wenn man seinen Aufforderungen nicht nachkam, sehr aggressiv reagierte.“
Die Frauen hatten in der Tat gute Gründe für ihre Angst: Am selben Abend hatte Roy Z. die Zeugin Margarethe B. so schwer verprügelt, dass er dafür inzwischen in einem anderen Gerichtsverfahren zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Laut Rechtsanwalt Dirk Brockpähler war die 15-jährige „zumindest teilweise“ Zeugin dieser Prügelattacke geworden. Dennoch hätte das Mädchen einfach gehen können, befand die Richterin. Die Wohnung sei schließlich nicht verschlossen gewesen und das Mädchen hätte um Hilfe rufen können.
„Wir sind keinesfalls verwundert über dieses Urteil. Es gibt viele solcher Urteile, aber es ist das erste Mal, dass ein Freispruch einen so großen Protest auslöst. Wir hoffen, dass dieser Fall der Öffentlichkeit exemplarisch zeigt, dass sich am Gesetz und an der Rechtsprechung etwas ändern muss!“ klagt Katja Grieger vom „Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen“ (bff). „Unser Sexualstrafrecht berücksichtigt überhaupt nicht, dass viele Frauen gar nicht in der Lage sind sich zu wehren, weil sie vor Angst erstarrt sind.“
Seit Jahren kämpft der Verband für eine Änderung des § 177, der lautet: "Wer eine andere Person 1. mit Gewalt, 2. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder 3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft."
In der Rechtspraxis bedeutet das: Ein „Nein“ der Frau reicht nicht aus, um dem Täter klarzumachen, dass sie nicht will. Auch die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), an der sich die Gerichte niedriger Instanzen orientieren, hat wiederholt klargemacht, dass der Mann grundsätzlich vom Einverständnis der Frau ausgehen darf. So hatte der BGH 2006 erklärt: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt.“
Laut bff-Sprecherin Katja Grieger verstößt diese Rechtspraxis gegen die „EU-Konvention des Europarates für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“. Die Konvention definiert Vergewaltigung als sexuelle Handlungen „gegen den Willen der Frau“. Sobald Deutschland die Konvention ratifiziert hat, „muss der § 177 geändert werden“, sagt Grieger.
Das wünscht sich auch Dirk Brockpähler, Anwalt des heute 18-jährigen Opfers aus Marl. „Es ist jetzt am Gesetzgeber, diese Gesetzeslücke zu füllen!“
Doch unabhängig von dieser fatalen Gesetzeslage ist das Essener Urteil ein Skandal. Wie soll ein 15-jähriges Mädchen auch nur denken können, Widerstand sei möglich gegen einen schwerst unter Alkohol und Drogen stehenden Gewalttäter, vor dem sich selbst zwei erwachsene Frauen wortlos ducken? Die Verantwortung von Richterin Luise Nünning ist mit dem Versuch der Ehrenrettung durch ihre Vorgesetzte nicht vom Tisch.
Dem Opfer ist eine Verteidigung zu wünschen, die trotz bestehender Gesetzeslage in Berufung geht - und allen Frauen ein Staat, der endlich Gesetze schafft, die den herrschenden Macht- und Gewaltverhältnissen Rechnung tragen.