Amanda Palmer strippt weiter

Amanda Palmer mit Band. © Shervin Lainez
Artikel teilen

Früher hat Amanda Palmer sich für verdammt wenig Geld in Bostoner Striptease-Lokalen ausgezogen; heute tut sie das aus Vergnügen auf den Kunstbühnen. Früher wusste sie nicht, wie sie ihr Frühstück bezahlen sollte; heute hat sie von ihren Fans auf der Crowdfunding-Plattform „Kickstarter“ 1,2 Millionen Dollar kassiert. Damit hat sie ihr Album „Theatre is Evil“ und ihre Tour durch Amerika und Europa finanziert. Früher kannten sie nur ihre Freunde; heute ist sie Kult, von Berlin-Mitte bis Brooklyn.

Anzeige

Die Rede ist von Amanda MacKinnon Gaiman Palmer, eine amerikanische Performerin und Rockerin. Früher Pianistin und Sängerin beim Bostoner Punk-Duo The Dresden Dolls, heute solo unterwegs.

Zuletzt hat sie im Netz für Furore gesorgt mit ihrem Song „Map of Tasmania“, benannt nach dem australischen Slang-Ausdruck für den Venushügel. Im Video zum Song spreizt Amanda provokant die Beine und gibt den Blick frei auf Vogelnester, Glitzerherzen oder Schamhaar auf pinken Lockenwicklern. Eine ziemlich ­unwiderstehliche Mischung aus Erotik und Humor. Kein Wunder, dass daraus ein YouTube-Hit wurde.

Die 36-Jährige ist ein Kind ihrer Zeit und spielt virtuos auf der Klaviatur der neuen ­Medien. Das Palmer-Universum rauscht ohne Pause auf Twitter und jede und jeder darf mitreden. Palmer werkelt schon seit 15 Jahren an diesem Zwischending aus ­fami­liärer und professioneller Kommunikation, ein selbsternannter Star zum Anfassen.

Die 1,2 Millionen Dollar, die ihre Fans gespendet haben, sind ein Höhepunkt. Dahinter steckt ein ausgeklügeltes Konzept: Wer einen Dollar in den Internet-Hut warf, bekam einen Downloadlink zur neuen Platte. Für 10000 Dollar gab es ein Foto-Shooting mit Palmer und den drei Jungs von ihrer Band „The Grand Theft ­Orchestra“ plus ein Privatkonzert. Das Palmer-Prinzip: Sieht aus wie punkiges Do-it-yourself – ist aber hoch professionell.

Es gibt aber auch Momente, in denen Amanda Palmer ein ­gewisses Unbehagen erzeugt: Wenn sie in Interviews über ihre Stripperinnen-Karriere plaudert, als wäre es ein Spaziergang gewesen, doch ihr Blick aus den riesigen grauen Augen dabei ganz hart wird, während ihr Mund ein breites Lächeln zeigt.

Als Palmer Anfang der Nullerjahre mit den The Dresden Dolls loslegte, brauchte sie Geld und entschied, an der Stange zu tanzen statt Kaffee zu servieren. „Ich dachte damals, ich sei selbstbewusst genug, das System auszutricksen“, sagt sie heute. Eine Rechnung, die nicht aufging. „Wenn du als Vagina auf der Bühne stehst und dir niemand ins Gesicht schaut, musst du eine Kriegerin sein, um das auszuhalten.“ Jahre später kehrte sie noch mal in den Club zurück, betrank sich mit Whisky und sah den Ex-Kolleginnen zu. Folge: Der Zusammenbruch. „Nicht aus Reue“, sagt sie. „Sondern aus Schuldgefühlen. Und aus Dankbarkeit, dass ich damals genug Kraft hatte, da wieder raus zu kommen.“ Dieser Erfahrung hat sie auf ihrem neuen Album einen Song gewidmet: „Berlin“, Palmers Stripperinnenname.

Es gibt auch Songs, mit denen Palmer ironiefreie Feministinnen schon so richtig gegen sich aufgebracht hat. Das Lied „Oasis“ auf ihrem Solo-Debut „Who killed Amanda Palmer“ zählt dazu. Es geht um ein Mädchen, das auf einer Party vergewaltigt wird, danach schwanger ist und das Kind abtreibt, aber alles scheinbar gar nicht so schlimm findet, denn sie hat gerade ein Foto ihrer Lieblingsband ­geschickt bekommen. Palmer mache sich über Vergewaltigungsopfer lustig und marginalisiere sexuelle Gewalt gegen Frauen, so lautete der Vorwurf. Doch Palmer ist selbst als junge Frau Opfer genau einer solchen Vergewaltigung geworden. Sie sagt: „Du kannst Menschen nicht zum Schweigen bringen, die sich auf ihre Art mit ihren Erfahrungen auseinandersetzen. Damit erstickst du sie.“ In der Tat. Wenn Palmer schweißüberströmt im BH auf der Bühne den melodramatischen Song „Trout Heart Replica“ auf dem Klavier anspielt, spricht aus ihr so viel Trotz und Zerrissenheit, dass ihre ZuhörerInnen sich einfach verstanden fühlen müssen.

Aufgewachsen ist sie in Lexington, Massachusetts mit einer alleinerziehenden Mutter, einer „Naturgewalt“, wie Palmer sagt, die ihre ganze Energie in Amanda und deren Schwester steckte. Die Töchter sollten die Chance haben, die die Mutter nie hatte: auf ein selbstbestimmtes Leben. Die Schwester ist Biochemikerin. „Wir haben den puritanischen Arbeitsethos unserer Mutter geerbt“, sagt Palmer. „Und sie ist stolz darauf, dass sie zwei so starke Frauen großgezogen hat.“

Palmer lebt offen bisexuell, heiraten wollte sie „eigentlich nie“. Und hat es dann doch getan, mit dem britischen Science-Fiction-Autor Neil Gaiman. Wenn sie nicht auf Tour ist (oder in Melbourne, wo sie gerade ihr Album produziert hat), lebt sie immer noch in ihrem kleinen Appartement in Boston. Das soll sich bald ändern, Palmer und Gaiman wollen nach New York ziehen. Allerdings in zwei Wohnungen. „Der Grund, warum ich Neil heiraten konnte, war, dass er nie eine richtige Ehefrau wollte“, sagt Palmer. Ist Amanda ­Palmer eine Feministin? Sie antwortet: „Ich möchte eine Person sein, die frei und glücklich ist“. Das ist doch schon mal was.
 

Artikel teilen
 
Zur Startseite