Terézia Mora erhält den Buchpreis
Dies ist ein gewaltiges Buch. Wie ein Stein fällt der Text in unser Bewusstsein. Mal ein kullernder Kieselstein, mal ein Brocken von tödlicher Wucht. Moras Ungeheuer ist kein Tier und kein Fabelwesen, das Ungeheuer sind wir, Du und ich, der Mensch.
Die 1971 im ungarischen Sopron geborene Terézia Mora kam 1990 nach Berlin und lebt seither als Übersetzerin und Autorin in der Stadt. Sie erzählt von Leben und Tod. Vom schlichten Leben in der Computerbranche des von einer Pleite in die nächste strudelnden Darius Kopp und vom Sterben Floras, seiner flatternden Frau. Darius stammt aus einer ostdeutschen Kleinstadt, Flora ist Ungarin, Übersetzerin und Gelegenheitskellnerin. Flora leidet unter ihrer Empfindsamkeit, Darius lebt in einer stoßfesten Bedürfnislosigkeit.
Weil er Flora liebt und begehrt, glaubt er sich trotz aller beruflichen Havarien sicher. Diese Sicherheit ist sein größter Fehler. Terézia Mora hat Darius, diesen grundsympathischen Einfaltspinsel, bereits in „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ (2009) vorgestellt. „Das Ungeheuer“ ist die Fortsetzung und verhandelt nichts Geringeres als die unrettbare Einsamkeit des Menschen und die Schwierigkeit, all das zu verstehen.
Um das Psychogramm dieser beiden Personen zu entschlüsseln, geht die Autorin formal riskante Wege. Sie teilt die Seiten horizontal, oben spricht Darius, unten Flora. Das stimmt nicht ganz, denn wenn Darius genug gesagt hat (er ist nicht besonders eloquent), wenn auch sein innerer Monolog der Selbstmotivation und Selbstanalyse eine Pause macht, meldet sich die Stimme der Autorin und kommentiert seine Sätze und Regungen. Auf der unteren Seitenhälfte ist Floras Tagebuch abgedruckt.
Der Roman beginnt mit einer erotischen Phantasie. Zu diesem Zeitpunkt ist Flora seit zehn Monaten tot, sie hat sich umgebracht, im Wald erhängt. Darius hat sich in seine Trauer verkrochen, verlässt die Wohnung nicht, wird von Pizzadiensten versorgt. Die Dateien mit ihrem Tagebuch fand er auf Floras Computer. Es ist die Niederschrift einer wachsenden Verzweiflung, Demütigungen in der Kindheit, Fremdheit in Fremde, schwierigem Berufsleben, der Liebe zu Darius und der Einsicht in ihre Unfähigkeit zu lieben.
Flora redet mit sich selbst, als redete sie mit ihm. Schildert das Abdriften in eine Depression mit genauen klinischen Beschreibungen, schimpft sich eine „manipulative bitch“ und die anderen einen „rohen Haufen“. Die Welt erscheint ihr als ein sehr „seltsamer Ort“.
Darius, der entwurzelte Witwer, begibt sich mit Floras Urne auf die Reise. Eine abenteuerliche Fahrt über Ungarn nach Georgien, Armenien bis nach Griechenland. Was Darius auf der Suche nach einer Begräbnisstätte für Floras Asche und auf der Suche nach sich selbst widerfährt, ist von Don Quijotehafter Tragik und Komik und zugleich ein Portrait verkommen-korrupter osteuropäischer Länder und ihrer Bewohner.
Terézia Mora schaltet den Weg frei zu den griechischen Göttern und Denkern, zum Mythos von Orpheus und Eurydike (Darius Text oben, Floras unten, aus der Unterwelt) und verknüpft so die Innen- und die Außenperspektive ineinander. Da sind die beiden unterschiedlichen Menschen und die Ungeduld der Anderen mit dem Vollzeittrauernden. Da ist der überforderte Darius, der in den Tagbuchaufzeichnungen und Notizen Floras einer Fremden begegnet.
Terézia Moras „Ungeheuer“ ist ein kunstvoll geschriebener, sehr heutiger Roman über die Krankheit unserer Zeit: die Einsamkeit. Getrieben von großer Tiefe und Erkenntnisgewinn und getragen von Einsichten in tiefe Gefühle wie Fremdheit, Beziehungslosigkeit, Heimatlosigkeit und Leid.
Terézia Mora: Das Ungeheuer (Luchterhand Literaturverlag, 22.99 E).