EMMA: Weißt du eigentlich, dass das Gemälde „Judith enthauptet Holofernes“ von Artemisia Gentileschi ein totaler Feministinnen-Renner ist?
Holofernes: (lacht) Ja klar weiß ich das! Ich werde in Interviews auch immer gefragt, ob ich denn so männermordend wäre. Dabei geht es in dem Bild ja vor allem um einen Tyrannenmord. Ich hatte einfach Spaß daran, in einem Namen zusammenzuschmeißen, was nicht zusammengehört. Obwohl...eine Namensgeberin zu haben, die mit ihrem Schwert einen scharfen Schlag führt – das ist schon sehr reizvoll...
Du bist als Frontfrau deiner Band ja auch sehr stark und scharf.
Man glaubt es vielleicht nicht, aber ich war in der Startphase der Band ziemlich schüchtern. Wir haben uns ja bei so nem Popkurs in Hamburg kennen gelernt. Das klingt zwar furchtbar unglamourös, war aber klasse: Ferienlager mit Musik machen. Und ich war vorher immer nur alleine mit Gitarre aufgetreten. Aber damit war ich ganz unglücklich, weil ich immer ein Herz für Rock n Roll hatte und immer eine laute Band haben wollte. Und dann kam ich zu diesem Kurs und war aber fürchterlich eingeschüchtert, weil ich erstens keine Noten lesen konnte, zweitens da ganz wahnsinnige Sängerinnen unterwegs waren und mir überhaupt alle viel profimäßiger vorkamen als ich. Und ich weiß, dass mich die Jungs am Anfang fürchterlich mausig fanden, weil ich mein Licht auch total unter den Scheffel gestellt hab. In der Vorstellungsrunde hab ich gesagt: „Aäh, ich schreib da so Lieder und sing die halt irgendwie, aber ich würd mich auch nicht als Sängerin bezeichnen...“ Schrecklich. Aber zwei, drei Tage später hab ich mich dann doch getraut, denen meine Songs in einem Hinterzimmer vorzuspielen. Und von da an waren wir eine Band - auch wenn keiner wusste, wo es langgehen sollte.
Aber auf eurer ersten CD „Die Reklamation“ bist du ja dann quasi omnipräsent: als Sängerin, Texterin, Komponistin und Gitarristin. Wie hat sich denn dieser Wandel vollzogen?
Ich hab am Anfang einfach ganz viele Lieder in die Band eingebracht. Wir wollten zusammen Musik machen, und ich hatte schon an die zehn Lieder geschrieben. Das waren so Lagerfeuer-Versionen, und wir haben zusammen an denen weitergebastelt, bis sie „Helden-Musik“ wurden. Und von den zehn sind noch ungefähr sechs übrig geblieben, die jetzt auf der CD sind. Inzwischen schreiben wir immer mehr zusammen. Bei „Guten Tag“ zum Beispiel hat Jean die Musik komponiert. Er ist eine absolute Gebärmaschine: Ab und zu schiebt er mir eine CD mit fertigen oder halbfertigen Musikstücken rüber und sagt: „Guck mal, ob da für dich was dabei ist.“ Und auf einer dieser CDs war „Guten Tag“. Da hab ich dann nur noch den Text drübergetackert.
„Nur“ ist gut...Die „Helden“-Texte sind ja das Kernstück eures Erfolgs!
Ja, aber diesen Text hab ich in zwei Nächten geschrieben. Das ist für meine Verhältnisse wahnsinnig schnell. Ich bin nämlich unheimlich langsam und gründlich.
Wie finden es denn die Jungs in der Band, dass du in den Medien so im Vordergrund stehst?
Dass die Wahrnehmung so auf mich fokussiert ist, stört mich selbst, glaube ich, am meisten. Das bedeutet auch, mehr Druck zu kriegen und mehr Angriffsfläche zu bieten. Und es hat immer so was von: Man profiliert sich selbst auf Kosten der anderen, obwohl man sich das gar nicht ausgesucht hat. Die Journalisten, die ganz ausdrücklich darauf bestehen, nur mit mir zu sprechen, sind dann oft genau die, die meine Rolle lang und breit thematisieren. Außerdem möchte ich gern wissen, ob Chris Martin von „Coldplay“ jetzt auch immer gefragt wird, wie gut denn die anderen Bandmitglieder damit zurechtkommen, dass er immer so im Vordergrund steht.
Du bist mit eurem Schlagzeuger Pola liiert. Es ist in der Musikbranche ja durchaus nicht unüblich, dass ein Paar in einer Band zusammenspielt, aber in den meisten Fällen geschlechtermäßig mit umgekehrten Vorzeichen – er Frontmann, sie Background. Wie lebt und musiziert es sich denn in eurer Konstellation?
Huch? Von Bands mit Frauen im Hintergrund hört man doch fast noch weniger, oder? Für uns ist diese Konstellation völlig natürlich, weil sowieso niemand in der Band alleine das sagen hat. Pola ist aber ohnehin niemand, der sich von so was irritieren lässt. Er ist sehr unterstützend und kann leichten Herzens stolz auf mich sein. Und ausserdem weiß er, was er selber wert ist.
In einer Fernsehsendung bist du kürzlich mit den Worten vorgestellt worden: „Sie ist sehr attraktiv. Und sie ist auch sehr gut.“ In dieser Reihenfolge.
Natürlich ärgert es mich, wenn ich merke, dass ich für Dinge geschätzt werde, die ich eigentlich nicht als meine Hauptaufgabe im Leben ansehe – wie zum Beispiel gut auszusehen.
Du bist ja nicht die typische Sängerin: die hübsche Deko, die einfach nur vorne steht und gut aussieht...
...und „piep piep“ macht (lacht). Aber in unserem Genre ist das mittlerweile auch schon fast ein Klischee. Es gibt inzwischen so viele tolle Sängerinnen, die auch ein Instrument spielen und komponieren. Aber ich merke trotzdem, wie ungewöhnlich eine Frontfrau noch ist. Wir haben zum Beispiel erboste Gästebuch-Einträge gekriegt: Meine Gitarre auf der Bühne käme vom Band. Die Schreiber konnten sich nicht vorstellen, dass ich das tatsächlich live spiele. Da bin ich natürlich erheitert und fassungslos zugleich. Oder mich fragen Journalisten: Klimperst du denn zu Hause auch manchmal ein bisschen auf der Gitarre? Und dann sag ich: „Entschuldigen Sie- ich bin die Gitarristin dieser Band!“
Bist du ein Role Model?
Vielleicht. Mich freut es natürlich, wenn mir Mädchen schreiben: „Ich möchte auch Gitarre spielen! Wie hast du das gemacht? Muss ich jetzt zu einem Casting?“
Die Zeit hat genörgelt, du seist als Role Model nicht geeignet, weil du immer das „liebe, nette Mädchen“ gäbst.
Ich kann mich an dieses Interview gut erinnern, weil ich mich sehr darüber geärgert und der Journalistin sogar geschrieben habe. Um dieses Bild zu bestätigen, das sie da von mir zeichnen wollte, hat die mich in ihrem Artikel sogar in Klamotten gesteckt, die ich gar nicht besitze. Wenn mir die Medien mangelnde Bissigkeit vorwerfen oder dass ich nicht genügend polarisiere, dann muss ich echt sagen: Ich bin einfach nicht diese „Angry young woman“. Ich bin vielleicht „Clever young woman“ oder Was-weiß-ich-was-young woman, aber ich bin einfach nicht besonders wütend. Ich ziehe meinen Humor und meine Bissigkeit eher aus genauer Beobachtung. Vielleicht bin ich einfach zu glücklich, um so furchtbar kantig und bissig und rotzig zu sein. Das ist natürlich auch wieder ne Wunschvorstellung der Medien, ein Image, das sie gern hätten: Wenn man schon so was macht wie ich, dann möge man doch bitte auch total punk und voll anti sein. Und das kann ich leider nicht bedienen. Da müssen sie sich jemand anders suchen.
Aber deine Texte sind doch durchaus heftige Attacken – zum Beispiel gegen Konsumterror und Reizüberflutung...
Ja, klar. Ich bin schon rebellisch und auch immer mal wieder wütend im Sinne von: nicht abzuspeisen. Und ich bin sehr dafür, dass man Selbstverständlichkeiten in Frage stellt und nicht pflegeleicht ist. Aber ich halte einfach nichts vom Stänkern um des Stänkerns willen. Das ist doch das Frechste und Unverschämteste, was man tun kann: In alledem glücklich zu sein.
Das Thema Glück spielt in deinen Texten eine sehr große Rolle. In den Helden-Hits wie „Guten Tag“ oder „Müssen nur wollen“ geht es um das Problem, in unserer Überflussgesellschaft schlicht glücklich zu sein.
Das ist ja schon fast eine Platitüde: Je mehr man haben kann, desto mehr ist man abgelenkt davon, wie wenig man haben muss. Es kann einen davon ablenken mitzukriegen, was man wirklich braucht. Die meisten Leute hängen ihr Herz ja an Sachen, die mit dem nächsten Hausbrand oder der nächsten Flutkatastrofe hinüber sein können. Aber da habe ich auch wieder gemerkt, wie Medien funktionieren. Die haben mich so festgelegt auf dieses „Less-is-more“-Image. Klar, das ist ja auch ein Trend. Und dann stellen sie diese Holofernes-Visage dazu und haben ihre Geschichte. Das nimmt inzwischen absurde Formen an. Ich fühle mich mittlerweile schon schuldig, wenn mich jemand beim Einkaufen erkennt. So nach dem Motto: „Ich hab die Holofernes gesehen, und stellt euch vor: Sie hat eingekauft!“
Du sagst, du beobachtest, dass immer mehr junge Leute regelrecht psychisch krank werden, weil sie mit all den Angeboten und Eindrücken überfordert sind.
Ja, fast alle meine Freundinnen haben irgendwann in irgendeiner Form psychische Schwierigkeiten gehabt. Irgendwelche Phobien. Oder die kippen plötzlich einfach um. Und ich habe das Gefühl, dass das mit Überforderung zu tun hat: Zu viel können müssen. Man hat so viele Möglichkeiten, aber noch keine richtige Orientierung und auch kein Gefühl dafür, wann man mal genug geschafft haben könnte – zumindest für ein Jahr. Man muss seine ganzen Lebensträume ja immer noch in diesem Jahr verwirklichen.
Ist das vor allem ein Problem, das junge Frauen haben?
Ich denke, dass der Druck auch für Jungs immer härter wird. Zumindest junge Männer dürfen ja inzwischen auch keinen Schmerbauch und keine Glatze mehr haben, wenn sie erfolgreich sein wollen. Da ist das mit der Gleichberechtigung leider ein bisschen in die falsche Richtung losgegangen: Nicht, dass Frauen jetzt auch ne Glatze und nen Schmerbauch haben dürfen. Nein – jetzt darf es gar keiner mehr. Aber für Frauen ist das alles natürlich immer noch schwieriger. Es ist schon sehr komplex, was wir da alles an Ansprüchen erfüllen müssen. Und es ist zum Beispiel eine sehr belastende Entscheidung, ob man Kinder will oder nicht. Das darf man nicht unterschätzen. Ich hab das bei so vielen ganz jungen Paaren gesehen, die mit den allerbesten Wünschen in Sachen Gleichberechtigung angetreten sind. Und trotzdem ist das bei denen so gelaufen: Die Frau bleibt im ersten Jahr zu Hause und beide finden das total logisch und super. Und in dem Moment, wo die Frau wieder in den Beruf will, verdient der Mann schon viel besser, weil der in dem Jahr seine Karriere vorangetrieben hat. Und dann ist der eine Beruf mehr Geld wert. Meistens braucht man das Geld auch. Dann steckt die Frau in einer Situation, die sich doch erst nach fünf Jahren wieder auflösen lässt. Und nicht schon nach einem – wie es eigentlich geplant war.
Wie sieht es denn mit deinen eigenen Kinderplänen aus?
Ich finde Kinder total super und wäre froh, mal welche zu kriegen. Und vielleicht wollen die Jungs ja auch mal Kinder haben. Ich stell mir das dann immer so hippiemäßig vor: Dass wir dann in einem großen Bus alle Kinder und „Baby-Roadies“ dabei haben. Und dann liefe der „Wir sind Helden“-Kindergarten immer beim Soundcheck rum. Ich kenne einige Musiker, die Kinder haben. Die haben dann immer diese Presslufthammer-Bauarbeiter-Riesenohrschützer auf, und das finde ich sehr niedlich...
Aber es gibt keine Pläne, die „Helden“ im Falle deiner Mutterschaft einzustellen?
Ach Quatsch! Was soll ich denn sonst machen? (lacht)
Von der potentiellen Mutter Holofernes zur realen Tochter Judith. Fangen wir ausnahmsweise mal mit der Frage nach deinem Vater an.
Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich zwei war, und ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen. Aber ich würde sagen: Mein Vater hat mich genauso beeinflusst, beeindruckt und geprägt. Allerdings auf andere Weise. Von meinem Vater hab ich was spirituell Suchendes mitbekommen. Und Ehrgeiz und Spaß am Erfolg – den ich übrigens bei all meiner Wurschteligkeit und Nettes-Mädchen-von-nebenan-Ausstrahlung auch habe. Ich liebe es, die Dinge, die ich mache, wirklich gut zu machen.
Und deine Mutter?
Wir waren natürlich sehr eng miteinander, weil wir immer nur zu zweit waren. Meine Mutter ist mein Vorbild. Ich finde sie unheimlich klug, großartig und toll. Und ich bin ihr wahnsinnig dankbar für die ganzen Dinge, die sie mir mitgegeben hat.
Was denn für welche?
Humor, Toleranz, eine gewisse Entspanntheit im Umgang mit unberechenbaren Umständen. Wir haben immer sehr studentisch und sehr wurschtelig zusammengelebt. Meine Mutter ist Übersetzerin und das verschlägt einen ja kohlemäßig nicht gerade in irgendwelche Reihenhäuschen. Aber sie ist auch gar nicht der Typ für so was. Bei uns hingen eher die geerbten Kronleuchter über Ikea-Regalen, und der Weihnachtsbaum war eigentlich der Ficus mit ein paar Kugeln dran. Aber bei meiner Mutter gab es in all der Improvisation auch eine sehr große Geborgenheit. Mein Vater ist Psychologe und macht Personal- und Organisationsberatung. Und der führt ein ganz anderes Leben als meine Mutter. Dieser Teil der Familie lebt eben in einem Haus mit Garten. Und ich hab erst in den letzten sechs Jahren gelernt, nicht mehr so verwirrt dazwischenzuhängen, sondern mir das beste aus beiden Welten zu holen. Von meinem Vater hätte ich gern den Garten (lacht).
Das wurschtelige Leben außerhalb der Normen ist für ein Kind ja nicht immer einfach.
Das war für mich als Kind bestimmt nicht immer einfach. Zum Beispiel, als wir nach unserem Umzug nach Freiburg in ein spießigeres Umfeld geraten sind. Da hatten die anderen Kinder diese Heile-Welt-Familien. Und da war ich dann immer ganz unsicher, wie bei denen die Regeln sind. Darf ich mir jetzt noch was zu essen nehmen? Darf ich jetzt aufstehen? Muss ich fragen, wenn ich aufs Klo will? Außerdem ist meine Mutter seit der Trennung von meinem Vater mit Frauen zusammen. Und da bin ich natürlich schon in der Schule gefragt worden: „Warum hat deine Mutter denn nicht wieder geheiratet?“
Und was hast die kleine Judith darauf gesagt?
Ich habe immer gesagt, wie es ist. Schon mit sechs. Und natürlich kamen dann alle möglichen Reaktionen: von Verblüffung bis Mitleid. Und ich erinnere mich schon, dass ich in den ersten Schuljahren sehr unsicher war und dachte: „Ich weiß irgendwie nicht so genau, wie die Dinge so gehen.“ Aber ich möchte diese Erfahrung nicht missen. So was macht einen ja auch stärker. Ich bin ihr dafür letztlich sehr dankbar, weil dieses outlaw-mäßige für ein Kind ja die beste Toleranz- und Flexibilitätsschule ist. Wenn man damit groß wird, dass nicht alles immer so-und-so sein muss, damit man geborgen und glücklich sein kann, dann gibt einem das sehr viel Sicherheit fürs Leben. Man ist nicht so angewiesen auf irgendwelche Standards.
War deine Mutter denn auch in der Frauenbewegung engagiert?
Sie hat zwei Wochen nach meiner Geburt über ihre feministischen Kontakte den ersten Job als Übersetzerin gekriegt. Dann hat sie Betty Friedan und Marilyn French und diese ganzen Amerikanerinnen übersetzt. Das stand bei uns alles im Bücherregal und ist für mich quasi lebensbegleitend gewesen.
Und sie hat vermutlich die EMMA gelesen...?
Ja klar, die lag bei uns immer zu Hause rum. Meine Mutter ist übrigens waaahnsinnig stolz auf mich, dass ich jetzt in die EMMA komme.
Eine feministische Mutter kann ja auch anstrengend sein...
Meine Mutter ist auf eine sehr entspannte Weise Feministin. Ich hoffe, das hab ich geerbt. Ich habe einen sehr wachen Blick für Unterschiede in der Behandlung der Geschlechter. Ich merke schnell, wenn da was ungerecht läuft und werde dann auch ganz schnell ein bisschen unentspannt (lacht). Mir geht es um eine Art Egalismus zwischen Männern und Frauen. Gibt es das Wort überhaupt? Also um Gleichheit. Das kann ich von ganzem Herzen unterschreiben und finde es extrem wichtig. Es tut mir richtig in der Seele weh, wenn Frauen gesagt wird: „Das ist doch alles gar nicht mehr so wild, und da müsst ihr doch jetzt mal loslassen können.“ Wenn so leicht mitleidig über Feminismus geredet wird, als ginge es um was Vergangenes. Und ich finde es sehr schade, wenn dass viele junge Mädchen sich da so abrenzen wollen. Den Mädchen ist oft nicht bewusst: Wenn wir die Errungenschaften der Vergangenheit nicht wertschätzen, dann wird uns das Erreichte in Zukunft unterm Arsch wieder weggezogen. Es ist einfach wichtig, sich immer wieder zu sagen: Meine Mutter konnte in meinem Alter noch nicht allein in ein Restaurant gehen. Wenn man das Erreichte nicht wertschätzt und weiterführt, dann macht man sich schuldig dran, dass Blut, Schweiß und Tränen, die von Anderen vergossen wurden, heute nicht die Früchte tragen, die sie tragen könnten. Und je älter und weiser und krummer und buckliger ich werde...
...dieses Stadium ist bei dir ja schon weit fortgeschritten...
...desto wacher werde ich für die Punkte, an denen das Geschlechterthema überhaupt nicht „gar kein Thema mehr ist“.
Was sind das für Punkte?
Ich entwickle zum Beispiel einen immer größeren Widerwillen gegen diese omnipräsente Nackigkeit überall. Den hatte ich früher schon, aber da war ich natürlich noch distanzierter und dachte einfach: „Ach Mann, müssen sich denn immer alle nackig machen?“ Aber jetzt ärgere ich mich richtig drüber, weil es mich persönlich betrifft. Nachdem wir den ersten Erfolg hatten, gab es sofort Anfragen nach Nacktbildern in irgendwelchen Magazinen. Da haben wir zuerst sehr herzlich drüber gelacht – beim dritten Mal nicht mehr. Ich meine, es kann doch nicht sein, dass jeder – nein: jede – die einmal ihre Nase im Fernsehen gezeigt hat, sich sofort ausziehen soll. Wir waren damals nur mit „Guten Tag“ in den Medien. Und die wollten gleich Nacktfotos. Da kann sich einem schon die Kinnlade für ein halbes Jahr auskugeln!
Kylie Minogues neue CD heißt „Body Language“ und sie sagt in Interviews ständig, es sei schließlich nichts dabei, ihren Körper einzusetzen. Und Christina Aguilera hat bei ihren Auftritten auch nicht allzu viel an...
Es mag ja für Christina Aguilera der Gipfel der Befreiung sein, wenn sie diese Nummer macht (singt): „Du glaubst wohl, du kannst mich anmachen, nur weil ich mich halb nackig mache. Du denkst wohl, ich bin eine Hure, nur weil ich mich so anziehe.“ Wenn das im prüden Amerika ein Ausdruck von Befreiung ist – meinetwegen. Aber das sind die Bilder, die einer unglaublich großen Zahl jugendlicher MTV-Gucker vermitteln, wie Frauen so auszusehen haben. Selbst wenn du dich in einer Zeitschrift angezogen und so präsentierst, wie du möchtest – wenn alle anderen Frauen in dem Blatt, die es auch nicht nötig hätten, da halb nackt drin sind, dann färbt das natürlich auf dich ab. Und auf die Art, wie du dich fühlst, wenn du dich darin siehst. Und es schränkt einen total ein. Natürlich bin ich auch gern sexy. Aber ich habe inzwischen viel weniger Lust, diese Seite auszuleben, weil mir das mediale Umfeld, in dem man sich dann bewegt, immer mehr zuwider ist. Weil du auf jeder Zeitschrift irgend ne Frau siehst, der du sagen möchtest: „Mädchen, du hast doch einen Beruf! Warum musst du dich hier nackig machen?“ Das verdirbt mir selbst den Spaß an einer gewissen Form von Sexyness. Alice Schwarzer ist ja auch so ein Beispiel: Eine willensstarke und extrem interessante Persönlichkeit – und die Medien lästern vor allem über ihre Frisur. Die Art, wie ihr ans Bein gepinkelt wird, finde ich absolut billig. Dabei schmeißt sie in Talkshows nicht nur den ganzen Laden, sondern ist meist die lebendigste, lustigste und attraktivste Person im Raum. Ich finde ihre Frisur übrigens super.
Es gibt, auch angesichts dieser fortschreitenden Nacktheit in den Medien, Leute – Männer und Frauen - die behaupten, die Frauenbewegung hätte nichts erreicht.
Was für ein totaler Bullshit! Die sollen sich doch mal angucken, wie die Welt vorher ausgesehen hat. Natürlich ist noch nicht alles eingelöst worden, aber half-the-way ist doch auch schon ganz ordentlich. Ich bin da sehr optimistisch.
Allerletzte Frage, die wir unbedingt noch klären müssen: Wer ist eigentlich diese „Chaota“, von der in Interviews mit dir immerzu die Rede ist?
(lacht) Chaota ist ein Mythos meiner Kindheit. Die Mutter eines Kinderfreundes von mir hatte so einen hippiemäßigen Kinder-Bauernhof. Und da gab es ein Mädchen, das seine Mutter tatsächlich Chaota genannt hat. Und Chaota hat das Meerschweinchen mit einem Bleistift ermordet.
Du würdest dein Kind also nicht Chaota nennen?
Nein, lieber „Planierraupe“. Oder „Dampfwalze“.