Schwedischer Weg & deutscher Irrweg
Die schwedische Justizkanzlerin Anna Skarhed sagte es höflich, aber es war klar, was sie meinte. Nach der Lektüre deutscher Zeitungen habe sie festgestellt, dass „bei Ihnen ziemlich viele Mythen über das schwedische Prostitutionsgesetz kursieren. Heute haben Sie Gelegenheit, Fakten zu hören.“
Was können wir von Schweden lernen?
Genau deshalb waren die rund hundert geladenen Gäste gekommen, darunter zahlreiche Bundestagsabgeordnete und andere PolitikerInnen sowie VertreterInnen von Frauenrechtsorganisationen und Bürgerinitiativen, von Wissenschaft und Medien. Sie alle wollten wissen: Wie funktioniert das Schwedische Modell in der Praxis? Und was, so die Ausgangsfrage von Moderator Ranga Yogeshwar: "Was können wir von Schweden lernen?“
Eines jedenfalls stehe fest: Das Land, das 1999 als erste Nation der Welt den Sexkauf unter Strafe stellte und die Prostituierten völlig entkriminalisierte, „hat nicht nur ein Gesetz geändert, sondern eine Haltung“.
Wie hingegen auch das deutsche Prostitutionsgesetz eine Haltung geändert habe, nur in entgegengesetzter Richtung, beschrieb Yogeshwar, vierfacher Vater, sehr anschaulich: Nach seiner Abiturfeier sei sein Sohn von seinen Mitschülern aufgefordert worden, das Abi „mit einem Puffbesuch im Pascha zu feiern. Er hat dann eine Ausrede gefunden, warum er nicht mitkommen konnte“.
Die schwedischen Gäste konnten darüber nur den Kopf schütteln. Denn für sie ist klar, was Christian Berg, Pressesprecher der Schwedischen Botschaft, in seiner Begrüßungsrede betonte: „Prostitution ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde.“
Prostitution: Verstoß gegen Menschenwürde
Dass das Land den Sexkauf ächtet und Freier bestraft, hat Folgen. Zum Beispiel diese: „Während sich die Straßenprostitution im Nachbarland Dänemark kontinuierlich erhöht, hat sich die Zahl der Straßenprostituierten in Schweden eklatant verringert“, erklärte Justizkanzlerin Skarhed, die 2010 die Auswertung des Gesetzes leitete. Die Millionenstadt Stockholm habe heute noch fünf bis zehn Straßenprostituierte.
Wie aber verfolgt die schwedische Polizei die Freier? „Das Sexkaufverbot ist ein sehr effektives Werkzeug, das ziemlich einfach anzuwenden ist“, erklärte Kommissar Jonas Trolle und beschrieb, wie er und seine Kollegen vorgehen: „Wir kennen die Frauen und sehen die Freier auf sie zugehen. Manchmal haben wir beobachtet, wie der Mann vorher Geld aus dem Geldautomaten gezogen hat. Wenn wir die beiden ansprechen, hören wir oft: ‚Das ist meine Freundin.’ Wenn wir Mann und Frau dann getrennt befragen, stellt sich sehr schnell heraus, ob das stimmt. Zum Beispiel wenn wir nach dem Namen der Frau fragen und er einen falschen sagt. Das sind in der Regel kurze und einfache Befragungen.“
Die Polizei findet die Frauen genauso wie die Freier
Ein Mythos, der sich um das schwedische Gesetz rankt, lautet: Die Prostitution habe sich eben einfach ins Internet verlagert. Falsch, sagt Kommisar Trolle. Die hartnäckigen Freier machen weiter wie bisher. Aber: „Es ist nicht schwer, die Frauen zu finden. Wir finden sie auf die gleiche Weise wie die Freier – über Foren und Annoncen.“ Außerdem habe man eine sehr gute Zusammenarbeit mit Hotels, die der Polizei meldeten, sobald sie Prostitution vermuteten. Auch Nachbarn riefen an, wenn sie einen Verdacht hätten.
„Wir bekommen über das Sexkaufverbot einen Fuß in die Tür, um Zuhälter und Menschenhändler aufzuspüren“, erklärte Staatsanwalt Thomas Ahlstrand aus Göteborg. Der 57-jährige Jurist gehörte 1999 zu den Skeptikern des Gesetzes. „Ich dachte: Warum sollen wir uns in das Privatleben der Menschen einmischen?“ Dann habe er angefangen, im Bereich Menschenhandel zu arbeiten und die Wirkung des Sexkaufverbots erlebt. „Heute halte ich das Sexkaufverbot für eine der besten Erfindungen, die Schweden jemals gemacht hat.“
Es sei ja ganz einfach, so der schwedische Staatsanwalt: „Wenn in Hamburg die Polizei einen Freier mit einer Prostituierten sieht, kann sie nichts unternehmen. Wenn das in Göteborg passiert, sprechen wir mit der Frau, die fast immer aus Bulgarien, Slowenien oder einem anderen osteuropäischen Land kommt. Sie erzählt uns von ihrer Situation, von ihrem Zuhälter.“ Und man befrage auch den Freier darüber, wie der Kontakt zu der Frau zustande gekommen ist. „Das Sexkaufverbot eröffnet uns einen Weg in die Menschenhandels-Strukturen, den wir ansonsten nie gefunden hätten.“
Tatbestand Menschenhandel in Deutschland kaum nachweisbar
In Frankfurt sieht das ganz anders aus als in Göteborg. Hier ist, wie in ganz Deutschland, noch nicht einmal die Vermittlung einer Frau in ein Bordell strafbar. „Wir haben 2012 kein einziges Verfahren mit rumänischen Opfern geführt“, klagte Staatsanwältin Kerstin Lotz. „Und das, obwohl die Zahl der rumänischen Prostituierten ständig steigt.“ Warum das so ist, erklärte die Juristin eindrücklich. „Der Tatbestand des Menschenhandels ist kompliziert gefasst. Es ist unglaublich schwer, ihn nachzuweisen.“ Zumal sie dazu die Aussage der Frau benötige. „Die Frauen sind meist sehr sehr jung und in einem schlechten körperlichen und psychischen Zustand. Die sind oft gar nicht in der Lage zu beschreiben, ob sie Opfer sind oder nicht.“
Ein weiteres Problem: Der Nachweis, dass der Betreiber eines Bordells, in dem schon mehrfach Menschenhandel aufgeflogen ist, „mit drinhängt, gelingt nie“. Auch hier bestehe „dringender Handlungsbedarf“. Das Schwedische Modell, erklärte die deutsche Staatsanwältin, fände sie für Deutschland „absolut wünschenswert“.
Radikale Wende in der Gesetzgebung gefordert
So sah das auch Uwe Dörnhöfer, Erster Kriminalhauptkommissar im Bereich Organisierte Kriminalität in München. „Das Prostitutionsgesetz ist eine Schimäre“, erklärte er. „Prostitution und Frauenhandel sind nicht zu trennen.“ Man müsse jetzt in Deutschland darüber nachdenken, ob man „das baufällige Haus an einigen Ecken repariert, oder es einreißt und neu aufbaut.“ Will sagen: Eine radikale Wende macht in der Gesetzgebung.
Das Haus, das Schweden 1999 gebaut hat, hat mehrere hierzulande völlig unbekannte Bauelemente: Schwedische SozialarbeiterInnen arbeiten nicht nur mit den Frauen, sondern auch mit den Freiern. 700 bis 800 Gespräche mit Sexkäufern führe allein sie im Jahr, berichtete Lisa Green aus Malmö. „Die fühlen sich meist nicht gut dabei, Sex zu kaufen. Es gibt Gründe, warum sie es tun.“
Die Sozialarbeiterin entkräftete einen weiteren Mythos über das Schwedische Modell: Weil die Prostituierten in die Illegalität abtauchten, erreiche die Sozialarbeit die Frauen nicht mehr. Es sei genau andersherum, sagte Lisa Green. „Wir signalisieren den Frauen ja ganz klar, dass Schuld und Schande nicht bei ihnen liegen, sondern beim Käufer. Deshalb vertrauen sie sich uns an.“ Außerdem suche man die Frauen permanent dort auf, wo sie zu finden sind: Auf der Straße, in Hotels, im Internet.
In Deutschland sind die Frauen Konsumartikel
„In Schweden sind die Frauen Opfer – in Deutschland sind sie Konsumartikel“, kommentierte die Stuttgarter Sozialarbeiterin Sabine Constabel. „Bei uns wird so getan, als könnte man Sexualität aus dem Körper extrahieren – als ob sie nicht zutiefst mit dem Inneren verbunden wäre.“
Ob eine Prostituierte in Deutschland Ausstiegshilfe bekomme, sei „Glückssache“. Die erfahrene Sozialarbeiterin Constabel berichtete von einer Frau, die sich dreimal an eine Beratungsstelle gewandt habe. Dort habe sie jedes Mal nur den Flyer einer Agentur bekommen, „mit der sie ihr Selbstmarketing optimieren solle, dann ginge es ihr bestimmt bald besser“.
Es geht um die Gleichstellung der Geschlechter
In Schweden undenkbar. „Als wir das Gesetz gemacht haben, hatten wir zwei Hoffnungen: Wir wollten die Abschreckung der Freier erreichen. Und, dass Prostitution für immer weniger Frauen eine Option ist. Und wir wollten, dass Schweden ein weniger attraktives Land für Menschenhändler wird. Diese Ziele haben wir erreicht“, erklaerte Justizkanzlerin Skarhed in ihrer Eröffnungsrede. Und sie hatte einen zentralen Satz hinzugefügt: „Es geht nicht um moralische Gesetzgebung. Es geht um Menschenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter.“
Nach drei Stunden gab es viele nachdenkliche Gesichter bei dem deutschen Publikum. Nicht zuletzt unter den PolitikerInnen.