Vergewaltigung: Krieg gegen Frauen
So ist es stets gewesen: Vergewaltigung war die Begleiterscheinung von Religionskriegen: Während des ersten Kreuzzuges schändeten Ritter und Pilger auf ihrem Weg nach Konstantinopel nebenbei Frauen. Vergewaltigung begleitete auch Revolutionskriege: George Washington berichtete am 22. Juli 1780 in seinen Aufzeichnungen von einem Thomas Brown aus dem siebenten Pennsylvanian Regiment, der als Wiederholungstäter für eine Vergewaltigung in dem Ort Paramus zum Tode verurteilt wurde. Zu Vergewaltigungen kommt es in Kriegszeiten unabhängig davon, ob man den jeweiligen Krieg für „gerecht“ oder „ungerecht“ hält.
Vergewaltigungen gehörten im Ersten Weltkrieg zu den Terrormitteln der deutschen Truppen in Belgien. Mit Vergewaltigungen rächte sich die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg auf ihrem Marsch nach Berlin an den Deutschen. Vergewaltigt wird in Kriegszeiten immer und überall, unabhängig von Nationalität und geographischer Lage. Als die pakistanische Armee in Bangladesh kämpfte, waren die Vergewaltigungen „bedauerlicherweise“ nicht unter Kontrolle zu halten, wie sich der Außenminister später äußerte. In Vietnam erreichte die Vergewaltigungswelle ihren Höhepunkt, als die amerikanischen Gis bei ihren Such- und Vernichtungsaktionen im vietnamesischen Bergland aus purer Langeweile über die Frauen herfielen.
Doch Vergewaltigungen in Kriegszeiten sind qualitativ etwas anderes als Bomben, die ihre militärischen Ziele verfehlen, als unpersönliches Plündern und Brandschatzen, geplante Angriffe aus dem Hinterhalt, als Massenmord und Folter bei Verhören, auch wenn Elemente von all dem darin enthalten sind. Es ist mehr als ein Kriegssymptom oder als Beweis seiner Gewaltexzesse. So alt die Handlung ist, so alt sind die Entschuldigungen dafür.
Der Krieg liefert den Männern einen vollkommenen psychologischen Hintergrund, um ihrer Verachtung für Frauen Luft zu machen. Die Männlichkeit des Militärs - die brutale Waffengewalt, ausschließlich in ihren Händen liegend, das geistige Band zwischen Mann und Waffen, die männliche Disziplin des Befehlegebens und des Befehledurchführens, die simple Logik der hierarchisch geordneten Befehlsgewalt - das alles bestätigt den Männern, was sie bereits lange ahnten: Nämlich dass Frauen nur unerhebliche Nebensache sind in einer Welt, in der es auf andere Dinge ankommt, nur passive Zuschauer des Geschehens im inneren Kreis.
Männer, die im Krieg vergewaltigen, sind ganz normale Alltagstypen, die anomal geworden sind, als sie in den exklusivsten Männerclub der Welt eintraten. Siege, mit Waffengewalt vermitteln der Gruppe ein Machtgefühl, von dem man im Zivilleben nur träumen kann. Macht allein für Männer. Die unwirkliche Situation einer Welt ohne Frauen wird zur eigentlichen Realität. Leben zu zerstören erscheint wesentlicher, als Leben zu zeugen; das Gewehr in der Hand bedeutet Macht. Die Perversion des Krieges verstärkt sich selbst. Gewisse Soldaten müssen ihre neu errungene Überlegenheit unter Beweis stellen müssen sie einer Frau, sich selbst und anderen Männern beweisen. Der Krieg gibt den Männern im Namen des Sieges und der Macht aus den Gewehrläufen stillschweigend die Erlaubnis, zu vergewaltigen. Und beides, Tat und Entschuldigung, angeführt für Vergewaltigung in Kriegszeiten, offenbaren ohne Tünche von „Ritterlichkeit“ oder Zivilisation die männliche Psyche in ihrer unverschämtesten Ausprägung.
Frühgeschichtliche primitive Stämme führten Krieg, um sich Frauen zu beschaffen, genauso wie sie Krieg führten, um sich Nahrung zu beschaffen, und in einigen Teilen der Welt wird das heute noch so gehandhabt. Die praktisch orientierten Hebräer, stets bemüht, für alles und jedes ein geschriebenes Gesetz zu besitzen, machten nicht viel Federlesens mit dem Status von Frauen, die sie auf Kriegszügen gefangengenommen hatten. Weibliche Gefangene konnten als Sklavinnen und Nebenfrauen gehalten werden, aber sie sollten möglichst nicht geheiratet werden. Im Gegensatz zur Ehe mit einer jüdischen Frau konnte die Ehe mit einer gefangenen Frau ohne Grund und größere Umstände geschieden werden.
Auch bei den alten Griechen war Vergewaltigen ein im Rahmen der Regeln des Krieges gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten. Krieger brauchten keine Stigmatisierung zu fürchten, wenn sie bei Eroberungen Frauen als rechtmäßige Beute betrachteten und sie als Frau, Nebenfrau, Arbeitssklavin oder Siegestrophäe benutzten.
Der Trojanische Krieg war, wie in der Ilias beschrieben, der Versuch des Spartaners Menelaos, sich Helena zurückzuerobern, die ihm samt ihrem Vermögen von Paris gestohlen worden war. Tausend Schiffe liefen für ein schönes Gesicht vom Stapel. Da Helena eine Königin war, hielt Paris sie in Troja als seine Frau. Weniger hochgestellte Frauen genossen in Kriegen beileibe nicht solche Vorteile.
„Dem Sieger gehört die Beute!“ Und seit der schönen Helena wurden unter Beute auch Frauen verstanden: allerdings wurde der bloße Besitzwert der Frauen mit der Zeit durch ein weit subtileres Wertesystem ersetzt. Vergewaltigungen bedeuten Triumph über Frauen, und dieser Triumph wurde mit der Zeit Maßstab des Sieges, mit dem der Soldat Männlichkeit und Erfolg unter Beweis stellen konnte und sich für geleistete Kriegsdienste entschädigen konnte. Verfügungsgewalt über Frauenkörper, die aus Zeiten stammt, in denen Frauen tatsächlich Eigentum waren, wird als Lohn des Krieges angesehen. „Booty und beauty“ nannte es General Andrew Jackson während des Krieges 1812 in New Orleans (was so viel heißt wie „Beute und Mädchen“).
Wenn eine siegreiche Armee vergewaltigt, ist der Rausch der Siegesfreude nur ein Teilaspekt der Tat. Tatsächlich lässt sich Vergewaltigung als auffälliger Bestandteil eines Systems von nationalem Terror und Unterdrückung ansehen. Ich sagte „tatsächlich“, weil der eigentliche Impuls zur Vergewaltigung keiner raffinierten politischen Motivation bedarf, die über die allgemeine Missachtung der körperlichen Integrität der Frauen hinausginge. Doch neben diesem Impuls haben Vergewaltigungen im Krieg zweifellos einen militärischen Sinn: sie schüchtern den Gegner ein und demoralisieren die Opfer.
Männer eines besiegten Landes werten die Vergewaltigung „ihrer Frauen“ traditionsgemäß als größte Erniedrigung, als sexuellen coup de grace, als Gnadenstoß. Denn abgesehen von ihrer echten menschlichen Sorge für Frauen und Töchter sehen sie in Vergewaltigungen durch Sieger den zwingenden Beweis für den Status maskuliner Impotenz des Besiegten.
Verteidigung der Frauen war lange Zeit Zeichen männlichen Stolzes, wie der Besitz einer Frau Zeichen des männlichen Erfolges. Vergewaltigung durch erobernde Soldaten zerstört bei den Männern der unterlegenen Seite alle verbliebenen Illusionen von Macht und Besitz. Der Körper der geschändeten Frau wird zum zeremoniellen Schlachtfeld, zum Platz für die Siegesparade des Überlegenen. Und die Tat, die an der Frau verübt wird, ist eine Botschaft unter Männern - deutlicher Siegesbeweis für den einen, Dokument, der Niederlage für den anderen. Wenn im Krieg vergewaltigt wird, werden Ehemänner oder Väter für gewöhnlich gezwungen, der Tat zuzuschauen. Häufig ist es der Fall, dass die Ehemänner sich mit Abscheu von ihren geschändeten Frauen abwenden - wie die massenweise Ablehnung der Frauen in Bangladesh (nach dem Krieg mit Pakistan).
Im Krieg wie im Frieden bürden die Ehemänner ihren Frauen den größten Teil der Schuld an dem schrecklichen Ereignis auf. Die geheiligten Besitzrechte sind verletzt worden, und das Besitzstück selber trägt die Schuld daran.
Der gelegentliche Geschichtsleser wird schnell feststellen, dass Vergewaltigungen selbst in Kriegszeiten kaum erwähnt werden. Angesehene Historiker haben sich nur selten damit abgegeben, Vergewaltigungen in Kriegszeiten zu dokumentieren, einerseits weil das Thema nicht ihren Geschmacks- und ihren Wertmaßstäben entsprach, andererseits weil es nur selten stichhaltiges Beweismaterial gibt.
Das vollständigste Faktenmaterial über Vergewaltigung im Ersten Weltkrieg verdanken wir dem britischen Historiker Arnold Joseph Toynbee, der als junger Gelehrter in Oxford den Ausbruch des Krieges erlebt hatte. 1917 veröffentlichte Toynbee zwei kleine Bände, einen über die ersten Kriegsmonate in Belgien, den anderen über den Krieg in Frankreich. Beide Bücher sind im Grunde nichts anderes als Handbücher deutscher Greueltaten, die von Untersuchungsausschüssen der Alliierten gesammelt und mit vorhandenen deutschen Dokumenten verglichen worden waren.
Ausschreitungen deutscher Soldaten gegen Frauen sind so häufig gewesen, dass man unweigerlich zu der Überzeugung gelangt, dass sie von deutschen Offizieren geduldet und geradezu gefördert wurden…Wenigstens fünf Offiziere haben sich solche Verbrechen selber zuschulden kommen lassen, und wo die Offiziere das Beispiel gaben, taten ihre Leute das gleiche ... In einem Fall liegt so eindeutiges Beweismaterial vor, dass jedes Gericht sich damit zufriedengeben würde. Ein junges Mädchen von neunzehn Jahren wurde von einem Offizier vergewaltigt, während der andere die Mutter mit gezogenem Revolver bei der Gurgel hielt. Anschließend tauschten die Offiziere die Rollen. Offiziere und Soldaten jagten meist zu zweit. Eintritt in Häuser verschafften sie sich entweder dadurch, dass sie vorgaben, Quartiere zu suchen oder sie drangen einfach mit brutaler Gewalt ein. Oft wurden die Opfer getreten und geschlagen, immer aber mit geladenem Revolver bedroht. Durch die geschickte Art und Weise, mit der die Alliierten die Schändung der Französinnen und Belgierinnen für eigene Zwecke ausgenutzt haben, spielten diese Frauen tatsächlich eine Rolle bei der Verteidigung ihrer Länder. Falls der Leser aber annehmen sollte, dieser ungewöhnliche Beitrag, der das Maß dessen, wozu ein Mensch verpflichtet ist, weit übersteigt, sei in der Geschichte gebührend anerkannt worden, so irrt er sich.
Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, mit der Vergewaltigung anderer umzugehen, und die ist im Ersten Weltkrieg auch genutzt worden. Man leugnete ganz einfach, dass es überhaupt zu Vergewaltigungen gekommen ist.
Da Vergewaltigung die deutlichste Handlung darstellt, mit der ein Mann einer Frau demonstrieren kann, dass sie durch seine überlegene Stärke und Macht erobert - besiegt - ist, war es im Rahmen des Faschismus nur zu logisch, wenn der deutsche Soldat durch Vergewaltigung zu beweisen suchte, dass er ein Herrenmensch war. Ja, es wäre geradezu unlogisch gewesen, wenn der deutsche Soldat Vergewaltigung nicht in seinem Waffenarsenal gehabt hätte. Vergewaltigung hat ja für die Deutschen, und weitgehend auch für die Japaner, bei ihrem Vorhaben der totalen Erniedrigung und Ausrottung „minderwertiger Völker“ und der Festigung ihrer eigenen vermeintlichen Herrenrasse eine wichtige Rolle gespielt.
Über massenhafte Vergewaltigungen jüdischer Frauen wurde zum ersten Mal berichtet während der insgeheim angeordneten „spontanen“ Pogrome vom November 1938, der sogenannten Kristallnacht: Sie war eine zuerst in München ausgelöste, dann ganz Deutschland erfassende organisierte Reaktion auf die Ermordung eines unbedeutenden deutschen Botschaftsangestellten in Paris durch einen Juden. Die Kristallnacht wurde zum Modell, nach dem später, während des Krieges, in vielen anderen Städten verfahren wurde.
Wenn die deutsche Wehrmacht ein polnisches oder russisches Dorf besetzt hatte, wurde stets nach gleichem Schema verfahren. Erste Phase der Gewaltanwendung: Plünderung vor allem der jüdischen Häuser, Aussonderung jüdischer Mädchen für Folterungen und Vergewaltigungen, oft vor den Augen der Eltern.
Eigentlich war es den Deutschen verboten, Juden zu vergewaltigen. Die Nürnberger Rassengesetze von 1935 zum Schutz arischen „Blutes“ belegten in ihrer verdrehten Logik mit dem Begriff der „Rassenschande“ nicht nur Ehen und außereheliche Beziehungen, sondern auch Notzüchtigungen. Die Angst vor Festnahme wegen Rassenschande hat offensichtlich eine Reihe von Soldaten in akute Konflikte gestürzt.
Eine Überlebende von Bergen- Belsen namens Sala Pawlowitsch beschreibt in ihren veröffentlichten Memoiren ein schreckliches Erlebnis auf der Polizeistation ihres von den Deutschen besetzten polnischen Heimatortes Lask. Sie war unter irgendeinem Vorwand dorthin befohlen worden. Vor versammelter Mannschaft wurde sie von der Gestapo gezwungen, sich auszuziehen, und dann stieß man sie eine zeitlang herum, bis einer voll den Gestapoleuten sie in einen angrenzenden Raum zog.
„Ich stand in einem kleinen Amtszimmer. Der Deutsche hatte eine große schwere Peitsche in der Hand. „Du kannst nicht gehorchen... Ich werd’s dir zeigen. Weil du ein dreckiges Judenschwein bist, kann ich dich nicht haben, verdammt nochmal.“ Immer wieder holte er mit der Peitsche aus, und ich fiel in Ohnmacht.“
Als Sala Pawlowitsch wieder zu sich kam, lag sie nackt und blutend auf der Straße. In ihren Memoiren schreibt sie, dass die Nazis allnächtliche Streifzüge durchs Getto unternahmen, um sich jüdische Mädchen zu holen. Trotz der verzweifelten Versuche ihrer Mutter, sie zu verstecken, konnte sie der Aufmerksamkeit der Deutschen nicht entgehen. Sie hatte das Gefühl, dass dies in den Rahmen der allgemeinen sadistisch-sexuellen Demütigung der jüdischen Bevölkerung gehörte. Tagsüber veranstalteten die Deutschen „aus Spaß“ massenhafte Entkleidungsszenen, bei denen Männer, Frauen und Kinder sich ausziehen und hinlegen mussten. „Sie gingen dann lachend durch die Reihen und machten schmutzige Bemerkungen. Sie schlugen uns mit Peitschen auf den nackten Rücken und jagten uns durchs Getto. Was sie taten, beschämte mich tief.“
Als die Deutschen den Druck auf das Warschauer Getto verstärkten, spielte dabei auch die sexuelle Demütigung der Juden eine Rolle: Im Getto verabreichten Gynäkologen den Opfern deutscher Notzuchtverbrechen routinemäßig Tetanusspritzen, wie ein jüdischer Arzt aus Warschau berichtet. In seiner Aussage heißt es: „Wir hielten die Namen der Opfer natürlich geheim... In der Swietokerskastraße kam es in einem Glaswarengeschäft zu einer Massenvergewaltigung. Die Deutschen griffen sich die schönsten und gesündesten Mädchen von der Straße und ließen sie in dem Geschäft Spiegel verpacken. Nach der Arbeit wurden die Mädchen vergewaltigt.“
In einer anderen eidesstattlichen Erklärung wird von einem ähnlichen Vorfall in der Franciszkanskastraße berichtet, bei dem „vierzig jüdische Frauen in ein Haus geschleppt wurden, das von deutschen Offizieren besetzt war. Sie wurden gezwungen, Alkohol zu trinken, dann mussten sie sich ausziehen und vor ihren Peinigern tanzen. Sie wurden geschlagen, missbraucht und vergewaltigt. Erst um drei Uhr morgens ließ man sie wieder gehen.“ Diese Zeugenaussagen sind in „Schwarzbuch des polnischen Judentums“ gesammelt. Das Buch erschien 1943 vor der endgültigen Vernichtung des Gettos in New York. Merkwürdigerweise habe ich keinen ausführlichen Bericht über das Warschauer Getto ausfindig machen können, weder Sachbuch noch Roman, der Fälle von Vergewaltigung eingehender schildert. Möglich, dass solche Taten von der Geschichte einfach übersehen wurden oder dass die fürchterliche Zerstörung des Gettos und der letzte verzweifelte Widerstand der Juden die früheren Berichte über vergewaltigte Frauen überschattet haben, doch ich bin eher geneigt, die Angelegenheit ein wenig skeptischer zu beurteilen.
Das „Schwarzbuch des polnischen Judentums“ wurde zu Propagandazwecken publiziert, als Schrei um Hilfe. Vielleicht bestand nach dem Kriege keine politische Notwendigkeit mehr, den Worten von Frauen Glauben zu schenken oder dem Schicksal von Frauen irgendeine besondere Wichtigkeit beizumessen. Ich würde gerne mit Überzeugung sagen können, dass die alliierten Befreiungsarmeen des Zweiten Weltkriegs sich erheblich "anders gegenüber Frauen verhalten haben als die Eroberungs- und Unterwerfungsarmeen und dass das Prozessmaterial von Nürnberg und Tokio diese Unterschiede schlüssig belege. Doch liegt es in der Natur jeder Institution, die Männer von Frauen trennt und ihnen das Machtmittel der Waffe in die Hand gibt, dass sich die geballte Macht gegen alle Frauen wenden kann, denn Frauen werden im Krieg nicht deswegen zum Opfer von Vergewaltigungen, weil sie zum Feindeslager gehören, sondern weil sie Frauen und deshalb Feinde sind.
Es ergab sich, dass die richtige Seite gewann, und das Böse, über das man zu Gericht saß, hatte zweifellos ein extremes Ausmaß erreicht; wer sich mit der Literatur über Massenvernichtung im Zweiten Weltkrieg genauer beschäftigt hat, der hat die Erkenntnis davongetragen, dass er einen Blick in die unterste Hölle geworfen hat. Aber die in Nürnberg und Tokio zu Gericht saßen, waren die Sieger des Krieges. Die andere Seite hatte Rechenschaft abzulegen. Kein internationales Tribunal befasste sich mit Kriegsverbrechen der Alliierten, Frauen „des Feindes“ gaben keine Aussagen über Verbrechen zu Protokoll und keine geheimen Dokumente von alliierter Seite wurden ans gnadenlose Licht der Öffentlichkeit gezogen.
In Hildegard Knefs „Der geschenkte Gaul“ schildert sie in ihrer leidenschaftlich geschriebenen Autobiographie den Fall Berlins aus der Sicht einer Frau. Die Knef stand in einem Hausflur, als Lastwagen mit Frauen und Kindern „vorbeiklappern“, die aus Frankfurt an der Oder, Strausberg und Spindlersfeld geflohen waren. Im Vorüberfahren riefen die Frauen von ihren Wagen herunter: „Haut ab, die Russen vergewaltigen euch, schlagen euch tot!“ Die Knef zog sich daraufhin eine Wehrmachtsuniform an, „um nicht vergewaltigt zu werden“, wie sie schreibt.
Später saß sie mit ihren männlichen Kameraden zusammengekauert in einem Behelfsbunker und hört: „Schreie, grauenvolle, fürchterliche, spitzhohe, schrille Schreie. Ich ruf rüber, ruf leise, auf zum nächsten Schützenloch: Seid ihr da? Ja! Ja, was ist das? Russen — sind in dem Haus da - nehmen sich die Frauen vor - Scheiß, gottverdammte!!!“ Cornelius Ryan, einer der wenigen Historiker, die das Phänomen Vergewaltigung im Krieg von der richtigen Warte her sah, hat in seinem gründlich recherchierten Buch „Der letzte Kampf“ den Fall Berlins beschrieben. Am Anfang heißt es: „Die Angst vor Vergewaltigung lag wie eine düstere Wolke über Berlin.“ Nach annähernd sechs Kriegsjahren war Berlin gleichsam eine Frauenstadt.
Bei den Vergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen durch sowjetische Soldaten und Offiziere handelt es sich um ein Massenvergehen im wahrsten Sinne des Wortes, keineswegs um Einzelfälle. Abgesehen von den physischen und psychischen Schädigungen, die die Vergewaltigungen für die ungeheure Zahl der betroffenen deutschen Frauen bedeuteten, haben besonders die Brutalität und Schamlosigkeit, mit der sich diese Vorgänge oft vollzogen, zur Verbreitung von Angst und Schrecken unter der deutschen Bevölkerung beigetragen. Admiral Dönitz zitiert in seinen Memoiren ein angebliches Ehrenburg-Flugblatt wie folgt: „Tötet, Tötet! Es gibt nichts, was an den Deutschen unschuldig ist, an den Lebenden nicht und an den Ungeborenen! Folgt den Weisungen des Genossen Stalin und zerstampft für immer das faschistische Tier in seiner Höhle. Brecht mit Gewalt den Rassenhochmut der germanischen Frauen. Nehmt sie als rechtmäßige Beute. Tötet, ihr tapferen, vorwärtsstürmenden Rotarmisten!“
Ryan fand heraus, dass Ehrenburg von der Armeezeitung „Roter Stern“ einmal für seinen maßlosen Propagandastil gerügt worden war. Ich glaube, das war der Grund, warum Ryan das Flugblatt für echt hielt. Ich bin mir da nicht so sicher, dafür habe ich mich zuviel mit der Geschichte gefälschter Flugblätter beschäftigt. Schließlich war Ehrenburg Jude, und der teuflische Aufruf, der ein wenig nach den skurrilen Protokollen der Weisen von Zion klingt, musste den geschlagenen Nazis gut in den Kram passen.
In Kriegszeiten werden die Grenzen zwischen Vergewaltigung und Prostitution unscharf. Als die SS-Männer dem jüdischen Mädchen erklärten, sie werde das nächste Mal drankommen und fünf Zlotys erhalten, versuchten sie, einen Akt der Notzucht in einen Akt der Prostitution zu verwandeln, für den das Opfer mitverantwortlich wäre. Das gleiche schwebte dem japanischen Kommandanten vor, der seinen Leuten den Rat gab, sie sollten, um Ärger zu vermeiden, die Mädchen entweder bezahlen oder nachher umbringen. Soweit ich weiß, haben die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg keine Frauen zusammengetrieben und zur Prostitution gezwungen. Der klingende Dollar war für die ausgehungerten Frauen der befreiten Länder Zwang- und Lockmittel genug. Der Unterschied zwischen Prostitution und Vergewaltigung im Krieg ist insofern etwas Reales, als es immer Männer gibt, die lieber vergewaltigen. „Vergewaltigung hängt nicht davon ab, ob willige Frauen oder Prostituierte zur Verfügung stehen“, erklärte mir ein Mitglied des US-Militärgerichts für Revisionsfälle in Washington. „Überall, wo Soldaten sind, gibt es in einem Krieg auch Prostituierte.“
Nicht nur in den zwanzig Jahren Krieg, an dem die USA beteiligt waren, sondern von Anfang an, bereits während der Unabhängigkeitskämpfe gegen die französische Kolonialmacht, war Vietnam ein soziologischer Schmelztiegel für Vergewaltigung. Es zeigte sich, dass bestimmte Gruppen von Menschen sich anders als andere verhalten haben, und diese Tatsache vermag uns Aufschluss darüber zu geben, welche Mentalität zu Vergewaltigungen führt. In einer Hinsicht unterschied sich allerdings auch dieser Krieg nicht von anderen: Nur selten, wenn überhaupt, hat ein ausländischer Korrespondent Vergewaltigungen für berichtenswert gehalten.
Im Dezember 1972, als die Pariser „Friedens“- Gespräche schließlich in eine intensive Phase traten, führte ich in New York einige lange Interviews mit Peter Arnett, der acht Jahre lang als Korrespondent der Associated Press (AP) in Vietnam tätig war. Wie die anderen ausländischen Korrespondenten in Saigon hat auch er, dieser mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist, niemals einen Bericht über Vergewaltigungen in Vietnam geschrieben, obwohl er wie seine Kollegen sicherlich davon gehört hatte.
Peter Arnett hat erzählt, „dass Prostitution eine lange Tradition hatte. Gewisse Familienväter würden keine Sekunde zögern, ihre Töchter regelmäßig zu verschachern, wenn sie Geld brauchen“. Je länger der Krieg andauerte, desto mehr wurde die Prostitution für Tausende von Vietnamesinnen die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. 1966 hatte das Problem ein solches Ausmaß angenommen, dass einige hundert Lehrerinnen, Schriftstellerinnen und Sozialarbeiterinnen ein „Komitee zur Verteidigung der Menschenwürde und der Rechte der vietnamesischen Frau“ bildeten. Der Grund, warum die US- Streitkräfte sich auf die Prostitution einließen, lag eher darin, dass man die GIs beruhigen und ablenken wollte, und nicht in der Vorstellung von irgendeinem männlichen Urbedürfnis nach Frauen, das zufriedengestellt werden musste. Die Wehrdienstzeit in Vietnam betrug ein Jahr, also keine unzumutbar lange Zeit, die man ohne Frau leben musste; sexuelle Spannungen konnten durch Masturbation gelöst werden, und ich nehme an, dass dies auch regelmäßig geschah. Ein amerikanischer Kriegsgefangener erklärte bei seiner Heimkehr im Februar 1973: „Dieser Quatsch, von wegen ohne Sex nicht leben können, ist absoluter Blödsinn. Ich habe von Essen und Medikamenten geträumt.“
Der New Yorker Journalist Daniel Lang beschreibt detailliert einen spezifischen Fall von Gruppenvergewaltigung durch US-Soldaten in Vietnam. Im November 1966 näherte sich eine aus fünf Mann bestehende Patrouille dem kleinen Dorf Cat Tuong im Zentralen Hochland. Sie hatten den auf fünf Tage befristeten Auftrag, das Gebiet nach Vietkong-Soldaten abzusuchen, doch als sie in das Dorf kamen, suchten sie sich stattdessen lieber ein Mädchen, das sie fünf Tage lang zum „Bumsen“ mit sich nehmen konnten. Für die Männer war klar, dass sie das Mädchen nach fünf Tagen umbringen und die Leiche verstecken mussten. Lang verwendet Pseudonyme für die fünf Soldaten; den Namen ihres Opfers, Phan Thi Mao, hörten die Soldaten zum ersten Mal während des Militärgerichtsprozesses.
Die Soldaten hatten sich Mao ausgesucht, weil sie einen Goldzahn in ihrem Mund lustig fanden. Sie war vielleicht zwanzig Jahre alt, und die Frauen des Dorfes wussten so gut wie die US-Soldaten, was gespielt wurde. Als dem Mädchen die Hände auf dem Rücken zusammengebunden wurden, kauerten sie sich auf den Boden, weinten und klammerten sich aneinander, und als Mao fortgeführt wurde, lief ihre Mutter den Soldaten mit dem Schal der Tochter nach - eine der ergreifendsten Szenen des Vorfalls und die einzige Handlung, die der Frau zum Schutz ihrer Tochter blieb. Einer der Soldaten nahm den Schal und band ihn dem gefangenen Mädchen um den Mund.
Nur einer der fünf Männer, der Gefreite Sven Erikson, beteiligte sich nicht an den Vergewaltigungen und an der Ermordung des Mädchens. Die Quälereien und in einzelnen Akten überflüssige Grausamkeit, die an Mao begangen wurden, stellt Lang als Wettbewerb um die männliche Hackordnung dar. Erikson wurde wegen seiner Weigerung, sich an den Vergewaltigungen zu beteiligen, vom Einsatzleiter, Feldwebel Tony Meserve, als Schwuler und Schwächling verhöhnt.
Auch bei der grässlichsten Ausschreitung des Vietnamkriegs, dem My-Lai-Massaker vom 16. Mai 1968, spielte Vergewaltigung eine Rolle. Seymor M. Hersh, der über die Ermittlungen des Massakers seitens der US-Armee und über den Militärgerichtsprozess gegen Leutnant William L. Calley in der Presse berichtete, verfasste später auch einen ausführlichen Bericht über die Vernichtung von My Lai, der einen Eindruck von der fortwährenden Gewalt gegen Frauen verschafft.
Laut Hersh, sowie Joseph Lelyveld von der „New York Times“ und anderen Journalisten hat die sogenannte „Charly“-Kompanie unter dem Kommando von Hauptmann Medina bereits einen Monat vor der Zerstörung von My Lai damit begonnen, in der Nähe ihres Stützpunktes in der Provinz Quang Ngai Frauen zu missbrauchen. Obwohl jeder in der Einheit von diesen Vergewaltigungen wusste, wurde von offizieller Seite nichts dagegen unternommen. Die gemeinsame Vergewaltigung einer Bäuerin, die auf dem Feld gearbeitet hatte, ihr Baby bei sich tragend, wurde von einem Täter in allen Einzelheiten samt der anschließenden Ermordung der Frau mit einer Kleinbildkamera aufgenommen.
Das systematische Erschießen von alten Männern, Frauen und Kindern in My Lai hatte zur Frühstückszeit begonnen. Um zehn Uhr dreißig Ortszeit war das Blutbad an den unbewaffneten Menschen beendet. (Schätzungen über die Zahl der Opfer schwanken zwischen 109 und 567 Toten; die Strafermittlungseinheit der Armee einigte sich auf die Zahl von 347.) Die Soldaten regten sich langsam wieder ab, schlenderten umher, rauchten, und dann steckten sie die noch stehenden Hütten und Häuser in Brand und töteten mit kurzen Feuerstößen herumirrende und verwundete Dorfbewohner. Zu diesem Zeitpunkt wurden die US-Soldaten Jay Roberts und Ron Haeberle, beide als Militärreporter im Auftrag des Pentagons dabei, die „Operation“ von My Lai zu photographieren, Zeugen der ersten versuchten Vergewaltigung an diesem Tage. Einige Soldaten machten sich an einem etwa fünfzehnjährigen Mädchen zu schaffen. Eine ältere Frau warf sich dazwischen.
Als einer der US-Soldaten einen der Armeephotographen bemerkte, beendete er den Vorfall abrupt, indem er beide Frauen erschoss. Zwei Sekunden vor dem Doppelmord hatte Haeberle noch eine Aufnahme geschossen, die 21 Monate später, als das Massaker von My Lai bekannt wurde, in der Zeitschrift „Life“ veröffentlicht wurde.
Arnett gehörte zu den Reportern, die Schreie gehört hatten, wenn Spezialeinheiten Frauen in den Wald schleppten, und er war wie andere auch der Sache nie nachgegangen. Seine Art von soziologischer Erklärung für das Verhalten der Soldaten lautete: „Die Südvietnamesen tun solche Dinge nicht gern in aller Öffentlichkeit. Es geschah immer insgeheim. Öffentliche Gruppenvergewaltigungen wären eher von Amerikanern als von ihnen zu erwarten gewesen.“ Arnett hatte auch die typische Erklärung von Journalisten zur Hand, dass Vergewaltigungen „schwer zu beweisen“ seien, allerdings gab er zu, dass „gegen Ende des Krieges alle Frauen, die aus Militärgefängnissen entlassen wurden, erklärten, dass sie vergewaltigt worden waren“.
Das „Time Magazine“ stellte im Dezember 1972 in einem Bericht über Saigons politische Häftlinge vorsichtig fest: „Horrorgeschichten sind reichlich im Umlauf, und die meisten Leute in Saigon halten sie für wahr. Eine kürzlich aus dem Polizeihauptquartier entlassene Frau berichtete, beim Verhör sei ihr ein Gummiknüppel in die Vagina gestoßen worden.“
Folterungen weiblicher politischer Gefangener sind schon immer mit Vergewaltigungen oder anderen sexuellen Misshandlungen verbunden gewesen. Ob nun sadistische Folter automatisch zu sexuellen Quälereien führt oder das Herauspressen politischer Informationen nur den Vorwand liefert für aggressive Sexualakte — für die betroffenen Frauen ist das Endergebnis fast unvermeidlich. Wie die Deutschen 1944 Angehörige des französischen Maquis folterten und vergewaltigten und wie zehn Jahre später die Franzosen führende Mitglieder des algerischen Widerstands folterten und vergewaltigten, so erfuhr man 1972 außer von den Grausamkeiten bei Verhören in Südvietnam von Elektroschocks und Vergewaltigungen politischer Häftlinge in Argentinien und von . Schlägen und Elektroschocks, die inhaftierten Männern und Frauen in Brasilien verabfolgt worden waren. Einschließlich der doppelt rachsüchtigen Handlung, dass man Frauen in Gegenwart ihrer Ehemänner vergewaltigt hatte! Sechs Monate später das gleiche seitens der Portugiesen in ihren Kolonien Angola und Mosambique und ein Jahr später seitens des Militärregimes in Chile. Frauen überall auf der Welt sind unter dem Vorwand der Beschaffung politischer Informationen vergewaltigt worden.
Politisch unparteilich, erklärte mir Peter Arnett (übrigens Neuseeländer), den ausländischen Korrespondenten in Saigon sei allgemein bekannt, dass der Vietkong und die nordvietnamesische Armee kaum vergewaltigten. „Der Vietkong benutzte zwar den Terror als übliches Kampfmittel“, erklärte er unverblümt. „Sie stellten die führenden Männer eines Dorfes in einer Reihe auf und köpften sie wie etwas Selbstverständliches. Doch Vergewaltigungen gehörten nicht zu seinen Strafaktionen. Plündern, Stehlen von Lebensmitteln und Vergewaltigung waren verboten. Der Vietkong gab Exekutionen wegen Vergewaltigungen öffentlich bekannt. Vergewaltigung galt als schweres Verbrechen. Überdies wurde es als schwerer politischer Fehler betrachtet, zu vergewaltigen und zu plündern. Deshalb kam das kaum vor. Frauen, die von Angehörigen der Gegenseite vergewaltigt worden waren, erklärte man zu Heldinnen, als Beispiele für die Greueltaten des Feindes.“
Arnett bedachte auch, dass bei militärischen Operationen die Vietkong-Frauen eine wichtige Rolle spielten und dass die Gegenwart von Frauen, die mit den Männern gleichberechtigt Seite an Seite kämpften, die sexuelle Erniedrigung und Misshandlung von den Frauen verhinderte.
Zu jener Zeit gingen in den USA Frauenbewegung und Kriegsgegnerbewegung ihre eigenen Wege. Beide Bewegungen waren derart mit den eigenen Fragen beschäftigt, dass sie die Ziele der jeweils anderen Bewegung aus dem Blick verloren. Ich bin in dieser Zeit einige Male gebeten worden, meine Schwestern zur Teilnahme an Demonstrationen zu bewegen und die „Solidarität der Frauenbewegung mit der Friedensbewegung“ zu bekunden. Da ich mich ganz und gar der feministischen Sache verschrieben habe, lautete meine Antwort, dass ich mich mit Sicherheit an solchen Aktionen beteiligen würde, wenn die Friedensbewegung dafür Sorge trage, dass Vergewaltigung und Prostitution in Vietnam zur Sprache kämen. Ich stieß damit auf eisiges Schweigen, denn die Schlagworte der Antikriegsaktivisten hießen damals „Anti-Imperialismus“ und „amerikanische Aggression“.
Für sie bedeutete der Slogan „Schluss mit der Vergewaltigung von Vietnam“ - der auf Ansteckknöpfen auftauchte - Schluss mit der Erntevernichtung, aber nicht Schluss mit der Gewalt gegen Frauen. Ich bedauere es, dass die Friedensbewegung die Vergewaltigung von Frauen in Vietnam nicht für ein Thema hielt, das wichtig und spezifisch genug ist, um für sich selbst zu sprechen. Und ich bedauere es, dass wir in der Frauenbewegung im Kampf um unsere Unabhängigkeit nicht die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der Frauen im Krieg zu lenken vermochten. Die Zeit dafür war noch nicht gekommen.