Kachelmann-Urteil: EMMA wehrt sich

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EMMA-Verlegerin Alice Schwarzer nimmt die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Köln vom 27. Mai 2014 in Sachen Kachelmann nicht hin. Sie hat heute Beschwerde erhoben gegen die Nichtzulassung der Revision zur Verteidigung der EMMA-Veröffentlichung vom Dezember 2011 in der Ausgabe 1/2012. Ziel ist ein Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof.

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Denn in diesem Fall geht es nicht, wie fälschlicherweise im Urteil unterstellt, um die Frage, ob Kachelmann zu recht oder zu unrecht freigesprochen wurde. Es geht in dem inkriminierten Text um Sprachkritik. Und um Meinungsfreiheit. Und das betrifft nicht nur EMMA.

Im Gegensatz zu den Unterstellungen, die das Gericht phantasievoll zur Grundlage seines Urteils gemacht hat, ist der Text eben kein Kommentar zur Frage von Schuld oder Unschuld des 2010 der Vergewaltigung angeklagten und 2011 freigesprochenen Jörg Kachelmann. Es handelt sich bei dem Text um eine Sprachglosse, die sich ironisch auf das jeweils zu Jahresanfang von der "Gesellschaft für deutsche Sprache" verkündete „Unwort des Jahres“ bezieht und im Voraus selber zwei „Unworte des Jahres“ vorschlägt: nämlich die „Unschuldsvermutung“ und den „einvernehmlichen Sex“.

Warum? Weil diese an sich neutralen Begriffe nicht nur in so spektakulären Fällen wie Kachelmann oder Strauss-Kahn (der ebenfalls nicht verurteilt wurde), sondern in fast allen Fällen des Verdachts auf sexuelle Gewalt zwischen einem Mann und einer Frau von Anbeginn an zentrale Argumente gegen die mutmaßlichen Opfer sind. Und das in der Regel, lange bevor die Schuld- bzw. Unschuldsfrage überhaupt geklärt ist.

Diese Formulierungen bedienen also, wie alle „Unwörter des Jahres“, de facto auch Vorurteile und Klischees, die die objektive Klärung der wahren Sachverhalte erschweren bzw. überschatten können. Und genau darum geht es in dieser Sprachglosse: Diese Klischees bewusst zu machen. Das und nichts anderes sagte EMMAs Sprachkritik aus.

Übrigens: Das reale „Unwort des Jahres“ wurde dann im Jahr 2012 die Formulierung „Opfer-Abo“ – ein Begriff, den Kachelmann in Talkshows und Publikationen geprägt hat. Und zwar in Bezug auf Frauen, die wegen Vergewaltigung klagen, bzw. Menschen, die diese mutmaßlichen Opfer zunächst einmal ernst nehmen und nicht von Anbeginn an „einvernehmlichen Sex“ unterstellen, und für die die „Unschuldsvermutung“ für beide gilt: für den mutmaßlichen Täter – und das mutmaßliche Opfer.

Köln, 3. Juli 2014

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Die Opfer schlagen zurück!

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Es war eine Deutschland-Premiere: Als Jörg Kachelmann am 30. Oktober das Landgericht Frankfurt betreten wollte, musste er auf seinem Weg in den Gerichtssaal zum ersten Mal an einer Gruppe protestierender Frauen vorbei. Die zeigten eine riesige „rote Karte“ und das Plakat: „Die Opferindustrie bittet zum Faktencheck“.

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An diesem Tag sollte eigentlich Kachelmanns Feldzug in die nächste Runde gehen. Er verklagt seine Ex-Freundin Claudia D., die ihn wegen Vergewaltigung angezeigt hatte, auf Schadenersatz. Kachelmann, der aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde, will von seiner Ex-Freundin knapp 12.000 Euro zurück, die er für Gutachten gezahlt hat. Und das, so ließ er seine Anwältin erklären, sei „nur ein Bruchteil“ des tatsächlich entstandenen Schadens, will heißen: Da könnte noch mehr kommen. Zum Beispiel Schadenersatz für Verdienstausfall oder Schmerzensgeld wegen Rufschädigung.

Dass die gigantische Drohkulisse, die der einst so beliebte und jetzt so entzauberte Wettermoderator da aufbaut, keinesfalls nur seine Ex-Freundin im Visier hat, konnte man schon vor Prozessbeginn diversen Interviews entnehmen, darunter einem besonders willfährigen im Spiegel. „Im Bereich Missbrauch und Vergewaltigung sind Falschbeschuldigungen heute ein Massenphänomen“, hatte Kachelmann dort unwidersprochen behaupten dürfen und suggeriert, es sei eine Armada „krimineller Rächerinnen“ unterwegs, die unbescholtene Männer via Vergewaltigungsvorwurf um ihren guten Ruf und vor Gericht brächten. Und Gattin Miriam sekundierte: „Es gibt eine Opferindustrie, die in dieser kranken Form endlich wegmuss.“

Es geht hier also keineswegs nur um einen individuellen Fall, sondern um die Diffamation aller mutmaßlichen Opfer sexueller Gewalt und ihrer UnterstützerInnen, sowie um die Manipulation des gesellschaftlichen Klimas. Das begreift nun auch die „Opferindustrie“, die ­während des Prozesses noch vornehm ­geschwiegen hatte. Sie meldete sich jetzt alarmiert zu Wort. „Recht und Gerechtigkeit klaffen weit auseinander!“, beklagt der „Bundesverband der Frauennotruf und Frauenberatungsstellen“ (bff) und nennt die bedrückenden Zahlen: Mindestens jede siebte Frau in Deutschland hat laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums seit ihrem 16. Lebensjahr eine Vergewaltigung oder schwere Form sexueller Nötigung erlebt. Aber nur jede zwanzigste zeigt die Tat überhaupt an. Nur jedes siebte Verfahren endet mit einer Verurteilung. Fazit: „Dieses Missverhältnis ist ein Skandal für unser Rechtssystem.“

Mit welch hanebüchenen Begründungen Staatsanwaltschaften Vergewaltigungsverfahren einstellen, belegt das Internet-Portal „vergewaltigt.angezeigt.eingestellt“. „Aus der von Ihnen hervorgehobenen Tatsache, dass der Beschuldigte die Haus- und Studiotür abgeschlossen hatte, kann nicht der Schluss eines strafbaren Verhaltens des Beschuldigten gezogen werden”, heißt es dort zum Beispiel. Bitterer Kommentar der Betroffenen: Ihre Anwältin habe ihr erklärt, „da der Beschuldigte die Türen von innen abgeschlossen hatte, gilt dies strafrechtlich nicht als ‚Einsperren‘, denn die Schlüssel waren mit ihm im Zimmer. Juristisch gesehen hätte ich eine Fluchtmöglichkeit gehabt, weil ich nach den Schüsseln hätte suchen können.“ Verfahren eingestellt.

Oder: „Das Ergreifen Ihres Kopfes kann nicht als Gewaltanwendung gewertet werden, die der Beschuldigte einsetzte, um die Durchführung des Oralverkehrs zu ermöglichen.“ Kommentar der Ver­gewaltigten: „Es soll keine Gewalt sein, wenn man am Kopf so gepackt wird, dass man kaum mehr Luft bekommt, sich nicht mehr bewegen kann, den Mund nicht mehr zu bekommt, und dass man nur schwindelig und fast ohnmächtig ist? Und merkt ein Mann in der Situation wirklich nicht, dass die Frau nicht will?“ Verfahren eingestellt.

Nur wenige Wochen vor Kachelmanns Auftritten von Spiegel bis Jauch hatte ein Urteil des Landgerichts Essen der Nation überdeutlich vor Augen geführt, wie haushoch die Hürden für eine Verurteilung wegen Vergewaltigung sind: Der 31-jährige Roy Z., der als hochgradig gewalttätig aktenkundig ist und zum Zeitpunkt der Tat täglich eineinhalb Flaschen Jägermeister, einen Kasten Bier und drei bis vier Gramm Marihuana konsumierte, hatte eine 15-Jährige in seiner Wohnung vergewaltigt. Zuvor hatte er seine Lebensgefährtin und eine weitere Frau aus der Wohnung in den Keller geschickt. Als der Mann das Mädchen auszog, sagte es „Nein, ich will das nicht.“ Dann ließ sie den Geschlechtsverkehr aus Angst über sich ergehen. Soweit die Fakten, die vor Gericht niemand bestritt. Das Urteil: Freispruch.

Denn: Nach geltender Gesetzgebung reicht ein einfaches „Nein“ der Frau nicht aus, um den Tatbestand der Vergewal­tigung zu erfüllen. Denn dazu muss es ein „Nötigungselement“ geben, sprich: Gewalt oder eine explizite Drohung. Wie hoch die Schwelle dafür ist, hat der Bundesgerichtshof mehrfach definiert. So hatte er in einem Fall seinen finalen Freispruch so ­begründet: Dass „der Angeklagte der ­Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich ­erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt“.

Kein Wunder also, dass Katja Grieger vom „Bundesverband der Frauennotrufe und Beratungsstellen“ über das Essener Urteil nicht erstaunt war. „Es gibt viele solcher Urteile. Denn unser Sexualstrafrecht berücksichtigt überhaupt nicht, dass viele Frauen gar nicht in der Lage sind, sich zu wehren, weil sie vor Angst erstarrt sind.“ Seit Jahren kämpft der Verband deshalb für eine Änderung des Vergewaltigungsparagraphen 177.

Mitten in die Empörung über das Essener Skandalurteil und das Gesetz, das dieses Urteil möglich macht, platzte nun also Jörg Kachelmann mit seiner Attacke auf eine Justiz „im Blutrausch“ und der Behauptung: „Richter verurteilen lieber mal einen Unschuldigen, als sich sagen lassen zu müssen, dass einem vermeintlichen Opfer keine Gerechtigkeit widerfuhr.“

Die Organisationen der „Opferindustrie“, die tagtäglich anderes erleben, entlarvten nun Kachelmanns Rundumschlag gegen die „kriminellen Lügnerinnen“ als Propaganda auf Kosten der Opfer. „Durch die öffentlichkeitswirksamen Prozesse um Kachelmann und Strauss-Kahn und der damit einhergehenden Diffamierung der Frauen als Lügnerinnen manifestiert sich in der Gesellschaft ein Bild von rachsüchtigen Frauen, deren Hobby es ist, erfundene Vergewaltigungen anzuzeigen“, erklärte die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. „Die Unschuldsvermutung, die ihm den Freispruch bescherte, münzt Kachelmann um in eine Schuldvermutung gegenüber allen Opfern.“

Und re-empowerment, das „Forum von und für Frauen gegen Partnerschaftsgewalt“, bestätigt: „Die aktuelle Schlammschlacht um Jörg Kachelmanns Buch­veröffentlichung und die dazugehörige Interviewkampagne, in der er seine ehemalige Freundin als Kriminelle bezeichnet, führt uns allen deutlich vor Augen, was unzählige Frauen davon abhält, sexuelle Gewalt anzuzeigen. Kachelmanns Falschanzeigen-Propaganda erzeugt dabei ein Klima, das von männlicher Gewalt betroffene Frauen dazu anhält, diese weiterhin stillschweigend zu erdulden. Denn: Wer soll ihnen schon glauben?“ Und weiter: „Die Botschaft ist eindeutig: Die einzelne Betroffene hat keine Chance gegen den mächtigen Gegner.“

Dieser fatalen Botschaft an Zehntau­sende Opfer – zu den jährlich rund 8.000 ­Anzeigen wegen Vergewaltigung kommt laut Studie des Bundesfrauenministeriums eine Dunkelziffer von 95 Prozent – wollten Corina Haurová und ihre Mitstreiterinnen etwas entgegensetzen. Im Mai 2012 hatten sie die „Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt“ gegründet und riefen nun im Vorfeld des Frankfurter Prozesses zum Protest auf: „Kommt zum Gericht und lasst uns gemeinsam ein sichtbares Gegengewicht gegen Kachelmanns in den ­Medien propagierte Tatsachenverkehrung bilden!“ appellierte die Initiative.

Mit Erfolg: Kaum ein TV-Beitrag oder Artikel ohne Interview mit den empörten Frauen. So schreibt die Welt: „‚Opferindustrie? Wo gibt’s denn die?‘ steht auf dem Faltblatt, es folgt ein ‚Faktencheck‘. Die Quote der Falschbeschuldigungen bei Vergewaltigungen liege lediglich bei drei Prozent, ähnlich wie bei anderen Delikten, heißt es. Frauenberatungsstellen seien unterfinanziert, eine psychosoziale Prozessbegleitung fehle. Fazit: Eine Opfer-Industrie existiere mitnichten.“

Die „Initiative für Gerechtigkeit bei ­sexueller Gewalt“ plant weitere Aktionen: „Wir wollen Prozessbeobachtung bei Vergewaltigungsprozessen machen“, erklärt Initiatorin Haurová. Schon jetzt gibt es Frauen von Berlin bis Bayern, die mit von der Partie sind. Das Ziel ist ein deutschlandweites Netzwerk, „so dass wir flächendeckend Prozesse anschauen können“.

Und dann ist da noch die Internetplattform „Ich habe nicht angezeigt, weil …“. Die hatte zunächst in Anlehnung an das französische Vorbild „Je n’ai pas porté plainte“ Stimmen von Frauen gesammelt, deren Missbrauch oder Vergewaltigung nie aktenkundig geworden ist. Jetzt sammelt die Initiative Unterschriften an den Bundesgerichtshof, der mit seinen bisherigen Urteilen das Recht von Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung de facto mit Füßen tritt.

Spät, aber dennoch scheint sich eine breite Front gegen den Backlash im Fahrwasser der Causa Kachelmann zu formieren. Und das ist auch gut so. Denn längst reiben sich auch Kachelmanns Sympathisanten von den Väterrechtlern bis zu den Maskulisten die Hände. „Kachelmann ist die sprechende Handpuppe der strategischen Maskulisten“, sagt re-empowerment. Und diesen bestens vernetzten Männerbünden kommt die grassierende Falschbeschuldigungs-Propaganda gerade recht: „Mehrere der sich mit ihm solidarisierenden Gruppierungen fordern bereits die Abschaffung des Vergewaltigungsparagraphen.

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