IS: Kurdinnen an vorderster Front!

„Unter der ISIS können Frauen nicht leben. Es ist ein Muss zu kämpfen.“- © Azad Lashkari/Reuters
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Am Checkpoint vor Aleppos Viertel „Sheikh Maksood“ wartet „Nora“. Sie trägt ein automatisches Maschinengewehr auf dem Rücken, Patronengürtel, Camouflage, ein schwarz-weißes Tuch umhüllt Hals und Gesicht, nicht aber ihre rotbraunen Haare, die sie mit einem Gummiband zusammengebunden hat. Vermummt ist sie nicht aus religiösen Gründen, sondern um anonym zu bleiben. Denn in den zurzeit von Aufständischen gehaltenen, schwer umkämpften Teilen der syrischen Metropole Aleppo ist nicht vorhersehbar, wer künftig an der Macht sein wird.

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Sie sind Scharf-
schützen, Elitesoldatinnen
und Bürger-
meisterinnen

Anders in den drei kurdischen Provinzen im Norden Syriens, die schon seit 2012 von den Kurden gehalten und wo 400 000 Bewohner autonom verwaltet werden: In Afrin, Jazeera und Kobani zeigen die kämpfenden Kurdinnen demonstrativ ihr Gesicht, ganz wie die weiblichen Peschmerga-Einheiten im Norden des Iraks. Diese selbstverwalteten Gebiete gelten als der Rohentwurf eines zukünftig autonomen Staates der insgesamt 40 Millionen Kurden und Kurdinnen.

„Seit der Revolution 2011 sind drei Viertel aller unserer Frauen in irgendeiner Form politisch oder militärisch aktiv“, sagt Nora, die den Checkpoint bewacht. „Wir sind Politikerinnen und Soldatinnen geworden. Scharfschützen, Elitesoldatinnen und Bürgermeisterinnen. Wir tragen Verantwortung. Und so will ich mich auch benehmen. Wir erleben gerade zwei Aufstände: Den einen gegen Assad, den anderen gegen unsere Macho-Kultur.“

Früher war die 27-jährige zweifache Mutter Friseurin und überließ den Männern die Macht in der Familie sowie der Gesellschaft. Das Jahr 2011 teilte ihr Leben wie jenes vieler Kurdinnen in zwei Hälften. Sie sagt: „Es gab immer schon Kämpferinnen unter uns. Doch nun hat der Aufstand auch breite Gruppen der kurdischen Gesellschaft erfasst.“ Und dies würde den Staat Kurdistan verändern, bevor er noch existiert. „Schwere Kämpfe liegen noch vor uns“, sagt sie: „Nicht nur um unsere Häuser und Dörfer, sondern auch in den Häusern und Dörfern: im Machtkampf gegen die Männer.“

Noras Checkpoint vor „Sheikh Maksood“ war nicht einfach zu erreichen. Ich musste illegal von der Türkei aus über die Grenze, 80 Kilometer Landstraße bis an die Grenzen Aleppos und mühsame Umwege fahren: über ein ausgedorrtes Flussbett, entlang einer steilen, schmalen Straße, unterbrochen von tiefen Schlaglöchern sowie Felsblöcken. Die letzte Hürde: Eine behelfsmäßige Brücke, die nur aus den Stahlbetonträgern besteht. Es ist Zentimeterarbeit, die Spur des Fahrzeuges exakt auf den Trägern zu halten. Nur im Schritttempo lässt sich der Weg befahren. Die Stellungen der syrischen Armee sind in Sichtweite, ihre Scharfschützenposten, Helikopter und Kampfjets greifen aus der Luft an.

In Aleppo eskalierte der erbitterte Stellungskrieg um die zentrale Bastion der Aufständischen. Ganz wie in „Sheikh Maksood“, das an einem Hügel wie eine Festung gelegen ist; eine Stadt in der „befreiten“ Stadt. Der Unterschied zu den anderen von mehr oder weniger eifernden Islamisten geprägten Aufständischen-Gebieten Syriens ist geradezu greifbar. Hier ducken sich nicht mehr alle Frauen unter die schwarze, bodenlange Abaya und starren auf den Boden, wenn sie das Haus verlassen. Hier leben und kämpfen die Frauen mit offenem Visier, formieren Scharfschützen-Einheiten, sichern Checkpoints, nehmen ihr Land ein.

Sie kämpfen auch gegen Kinderehen, Zwangsheirat und Ehrenmorde

Ein Fünftel der wichtigsten syrischkurdischen Miliz YPG (Schutztrupp des Volkes) besteht aus Frauen. Weder die Gruppierung noch der Einsatz von Kämpferinnen sind der „Arabellion“ geschuldet, aber ihr Gewicht ist neu. Der Widerstand gegen das Regime Bashar al-Assads führte nach einem Angriff auf die größte kurdische Stadt Qamishli bereits 2004 zur Formation erster Gruppen der YGP, wo Frauen von Anfang an gleichberechtigt als Kämpferinnen akzeptiert werden, wenn auch nur vereinzelt.

Politisch dominiert in den syrischen Kurdengebieten mit der PYD eine Schwesternpartei der PKK, der türkischen Arbeiterpartei. So wurden auch die ideologischen Grundzüge in der Frauenpolitik übernommen, die der Wiener Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger so erklärt: „Die PKK legte seit jeher einen starken Fokus auf Befreiung von Frauen und ihre Gleichberechtigung; auch im Kampf. Man muss allerdings betonen, dass auch in den Kampfgruppen die Geschlechtertrennung strikt eingehalten wurde.“

Wie sehr nach einem Ende des bewaffneten Kampfes die wachsende Bedeutung von Kämpferinnen und deren stärkere Integration auch die Gesellschaft nachhaltig verändern wird, lässt sich noch nicht sagen. Die Palästinenser haben die einst mitkämpfenden Frauen wieder nach Hause geschickt. Und die Algerier verweigern seit 1962 den Frauen, die Seite an Seite mit ihnen gegen die französischen Kolonialherren gekämpft hatten, die elementarsten BürgerInnenrechte. 

Fakt ist: Diese kurdische Miliz – samt ihrer Kämpferinnen – ist zur Speerspitze des Widerstandes vor allem gegen radikale Islamisten geworden. Die Kurden haben Macht – nicht zuletzt Dank schlagkräftiger Frauentrupps. Die heftigsten Konflikte werden heute nicht gegen das Regime Assads, sondern gegen die ISIS („Islamischer Staat in Syrien und Irak“) gefochten. Mit schweren Waffen, die sie aus den Beständen der irakischen Armee in Mosul und Tikrit erbeutet hatten, griffen die Gotteskrieger mehrere kurdische Dörfer an und metzelten den Großteil der Bevölkerung nieder.

Für kurdische Männer galt ab Juli eine Generalmobilmachung in Kobani, pro Woche wurden ab diesem Zeitpunkt im Schnitt auch hundert neue freiwillige Kämpferinnen rekrutiert. Es sind nicht nur junge Frauen, die jetzt zur Waffe greifen, sondern auch ältere, die sich meldeten.

"Wir müssen uns schützen, um nicht Gefangene in unseren Häusern zu werden."

So hat sich eine Gruppe von Frauen jenseits der vierzig zu dem Bataillon „Şehîd Jîn“ („Märtyrer Mütter“) zusammengeschlossen: „Wir müssen unsere Kinder, unsere Zuhause, vor allem uns selbst schützen, damit wir nicht Gefangene in unseren Häusern werden“, sagt Leyla Umer, eine Kommandantin. „Unter der ISIS können Frauen nicht leben. Es ist ein Muss zu kämpfen.“ Während im äußersten Osten gekämpft wird, erobern Kurdinnen in den westlichen Teilen von Syrien-Kurdistan die lokalen Polizeistrukturen und andere Positionen der Zivilgesellschaft, sie besetzen die Spitzen der politischen Hierarchie. 

Im Februar 2014 wurde Hevi Ibrahim zur Premierministerin des Kantons Afrin gekürt. Sie erklärte stolz: „Es gab schon in der Vergangenheit Kurdinnen, die ihre Gesellschaft führten. Ich bin nicht die erste.“ Doch die kurdischen Kämpferinnen und politischen Führerinnen stehen in traurigem Kontrast zur Realität von Ehrenmorden, Selbstverbrennungen und Gewalt gegen Frauen. 4.000 Gewalttaten gegen Frauen durch ihre Familien werden von den Behörden in den schon länger autonom verwalteten kurdischen Gebieten des Iraks pro Jahr registriert. Von der Dunkelziffer ganz zu schweigen. Dies ist nur ein Ausschnitt eines massiven Problems der 40 Millionen Kurden und Kurdinnen.

Die kurdische Frauenforscherin Dilar Dirik ist skeptisch: „Indem Frauen die Symbole männlicher Gewalt erobern, zu Waffen greifen und Krieg führen, brechen sie mit der patriarchalischen Tradition“, schreibt sie in ihrem Blog. „Die Frauen aber kämpfen nicht nur gegen außen, sondern werden bald auch wieder gegen Kinderehen, Zwangsehen, Ehrenmorde und die Kultur der Vergewaltigung kämpfen müssen. Es ist also kein Wunder, dass sie verunglimpft werden. Sie stellen ja das gesamte System in Frage.“

Aktualisiert am 30.3.2016

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Alice Schwarzer schreibt

Keine Waffen für Islamisten in Syrien!

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In dem FAZ-Gespräch unterscheidet Assad zwischen „politischen Oppositionellen“ im In- und Ausland einerseits und „bewaffneten Terroristen“ im Land andererseits. Mit den ersteren sei er verhandlungsbereit, die zweiteren bekämpfe er. Der Präsident weist darauf hin, dass man auch im Westen durch das eigene Land marodierende, bewaffnete Horden nicht als „Rebellen“ bezeichnen würde, sondern als Terroristen.

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Vor allem aber gibt Assad ein eindeutiges Bekenntnis zum säkularen Staat, in dem der Glaube, welcher auch immer, Privatsache sei. Und er thematisiert mehrfach die Rechte der Frauen. Sicher, vermutlich sagt auch Assad nicht in allen Punkten die Wahrheit. Kriegszeiten sind Zeiten der Lügen. Auf allen Seiten. Dennoch ist seine Stellungnahme höchst bemerkenswert.

Das Interview erscheint kurz nachdem Obama – nach langem Zögern – ankündigte, die „syrischen Rebellen“ mit Waffen unterstützen zu wollen. Der amerikanische Präsident tut dies nicht zuletzt auf Drängen von Großbritannien und Frankreich, die schon lange Gewehr bei Fuß stehen. Und er befindet sich damit in Gesellschaft von Saudi-Arabien, Qatar und der Türkei.

Die Folgen westlicher Waffenlieferungen an die Assad-Gegner wären katastrophal. Schon jetzt gibt es in Syrien laut UNO mindestens 93.000 Tote, die Dunkelziffer wird weitaus höher geschätzt. Land und Kultur sind verwüstet. Sollten die Aufständischen verstärkt bewaffnet werden, würden das Schlachten der Zivilbevölkerung und die Schlachten gegen die syrische Armee noch blutiger. Denn die steht geschlossen hinter Assad.

Doch wer sind diese Aufständischen? Die demokratisch Gesinnten haben immer eher mit Worten argumentiert als mit Waffen. Und längst machen die von Saudi-Arabien und Qatar munitionierten Gottesstaatler das Gesetz unter den Aufständischen. Sie töten „Ungläubige“ – Christen, Juden und Muslime, die keine Islamisten sind – und verwüsten das Land. Schon vor Wochen wusste der ARD Korrespondent Jörg Armbruster, der in Aleppo angeschossen war, zu berichten: In der Hauptstadt seien vier Scharia-Gerichte eingerichtet worden. Es werden seitdem nicht weniger geworden sein. Assad äußert in dem Interview den Verdacht, hinter Saudi-Arabien stünden die Ex-Kolonialmächte Frankreich und England. Sie sind in der Tat die größten Scharfmacher in diesem Konflikt.

Doch was für ein Interesse hat Europa? Einmal davon abgesehen, dass die ganze schon jetzt hochgefährdete Region kippt, wenn Syrien in die Hand der Islamisten fallen sollte, würde ein Gottesstaat Syrien zur Schleuse Richtung Europa für Dschihadisten. Assad spricht von Dschihadisten aus 29 Staaten, die zurzeit in Syrien mit kämpften – darunter laut BND über hundert Deutsche. Sie alle werden nach der Beendigung des Konfliktes zurückkommen, um in ihren Heimatländern den „heiligen Krieg“ weiterzuführen.

Und das passiert nicht zum ersten Mal. In dem von mir 2002 herausgegebenen Buch „Die Gotteskrieger – und die falsche Toleranz“ analysierte der damalige Nahost-Korrespondent Johannes von Dohnanyi die fatalen Folgen der Unterstützung der UCK im Kosovo durch den Westen. Auch die UCK-Kämpfer waren längst von Islamisten beherrscht – und das Kosovo wurde prompt zum Einfallstor der Gottesstaatler nach Europa.

Wir erinnern uns: Im Kosovo beteiligte das damals rot-grün regierte Deutschland sich erstmals nach 1945 wieder an einem Krieg. Ausschlaggebend war die Behauptung des grünen Außenministers, es gälte „ein zweite Auschwitz zu verhindern“. Was Fischer mit Massaker-Fotos begründete, die, wie wenig später öffentlich wurde, manipuliert waren.

Auch Libyen ist seit dem Sturz des Diktators in der Faust der Islamisten. Und den Mali-Konflikt gäbe es nicht, wenn Gaddafis herrenlose Söldner nicht in ihre Heimat zurückgekehrt wären. Dort machten sie prompt gemeinsame Sache mit den seit Jahren in dem Wüstendreieck von Algerien/Mali/Marokko trainierenden Islamisten.

Und auch der „arabische Frühling“ hat Tunesien wie Ägypten nicht mehr Freiheit, sondern mehr Unfreiheit und Terror gebracht. Was nicht wirklich eine Überraschung ist. Auch dort hatten die Aufständischen sehr unterschiedliche Motive und gewannen die organisierten Islamisten rasch die Oberhand. Dennoch wurden sie vom Westen fatal naiv – oder kurzsichtig berechnend? – unterstützt. Vom Irak, der ja angeblich auch chemische Massenvernichtungswaffen hatte (was sich sehr bald als Propaganda-Lüge erwies) ganz zu schweigen. 93.000 Tote, ein traumatisiertes Land und freie Bahn für die Gottesstaatler, das ist das beschämende Resultat des Irak-Krieges.

Vor diesem Hintergrund ist nur zu hoffen, dass die deutsche Kanzlerin und Außenminister Westerwelle bei ihrer besonnenen Anti-Interventionspolitik bleiben und sich nicht von dem Waffengerassel unserer Nachbarn bzw. der lauen Halbherzigkeit Amerikas anstecken lassen. Vielleicht kann Deutschland im Fall Syrien ja sogar eine mäßigende Rolle spielen – für ein kleineres Übel. Und zum Wohle von uns allen.

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Alice Schwarzer (Hg.): "Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz" (2002) und "Die große Verschleierung - für Integration, gegen Islamismus" (2011), beide bei KiWi. mehr

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