Sonya Kraus: Urlaub im Beruf
Ich gestehe: Ja, auch ich gehörte zu diesen überheblichen Weibern, die beim Anblick von gestressten Klischee-Muddis, die ja ach so viel zu tun haben, mitleidig lächelten. Hallo?! Schließlich hatte ich ja schon mit 14 zur Aufstockung meines Taschengeldes auf Baby plus Kleinkind gleichzeitig aufgepasst. Es war ein entspannter, easy-peasy Job gewesen. Mutter sein konnte da ja nicht so dramatisch werden ...
Und dann kam meine ganz persönliche Mama-Realität mit Mitte 30: zwei kleine Jungs, zwei große Hunde, ein großer Möchtegern-Macho, plus Haus und Garten. Ach, fast hätte ich’s vergessen: Und ein recht aufreibender, nicht unwesentlicher Nebenjob im Fokus der Öffentlichkeit. Diese Kombination verwandelte mein Heim in das Irrenhaus Kraus und mich in einen Zombie, gut getarnt durch MakeUp-Frische.
Niemals zuvor habe ich meinen Job so genossen wie jetzt: Seit ich Mutter bin!
Im glückseligen Hormon-High, kurz nach der Entbindung, war es mir noch völlig schleierhaft gewesen, wieso jeder, der mein Baby inspizierte, die gleiche Platte auflegte: „Schläft es schon durch?“ Drei Jahre später – ich hatte nicht eine einzige Nacht zu Hause durchgeschlafen – war mir einiges klarer. Acht Stunden Schlaf am Stück? Luxuriöse Utopie! Ausschlafen? Noch nicht mal sonntags. Spätestens um 6.30 Uhr blasen die Kids zum Zapfenstreich und ab dann ist Pogo angesagt bei mindestens 100 Dezibel Dauerbeschallung.
Auch das berühmte „bisschen Haushalt“ hatte sich durch den Nachwuchs in ein dauerhaftes Krisengebiet verwandelt und war von mir allein nicht mehr zu meistern. Immerhin: Für Putzarbeiten sowie die Wäsche- und Bügelberge aus bekleckerter Babywäsche im Keller konnte ich auf bezahlte Hilfe zurückgreifen, gesponsert vom Vater, der sich mit dieser generösen Geste von jeglicher Hausarbeit freigestellt fühlte. Was wiederum zu nicht unwesentlichen Spannungen zwischen meinem Kerl und mir führte.
Denn die Schneise der Verwüstung, die meine kleinen und großen Männer hinter sich lassen, kann nur von der einzigen wirklich kompetenten Fachkraft bewältigt werden: der Aufräum-Maschine Muddi! Gleiches gilt selbstverständlich für Arzttermine, Kleinkindschwimmen, Playdates, Einkäufe, Elternabende … Die Liste ist lang.
Mann arbeitet, Frau lässt alle Arbeit ruhen und quetscht die Abarbeitung der kilometerlangen Erledigungsliste in die Kindergarten- und Krabbelstubenzeit. Diese kostbaren fünf Stunden zwischen Verschiffung der Kids und Abholrunde müssen reichen, um den eigenen Job mühsam am Laufen zu halten.
Wie toll ist das, das Schlachtfeld verlassen zu dürfen und hinaus in die weite Welt zu ziehen, um „zu arbeiten“! Sobald ich im Taxi sitze, sinkt mein Blutdruck, ich entspanne mich, denn ich weiß: Das, was vor mir liegt, ist nicht ansatzweise so anstrengend wie das, was hinter mir liegt. Muddi hat sozusagen Urlaub.
Ernsthaft, niemals zuvor habe ich meinen Job so genossen wie jetzt: seit ich Mutter bin. Arbeitet das Muttertier auswärts, und dazu noch über Nacht (Frankfurt ist gottseidank nicht die Medienstadt Nummer eins), muss das allerdings zuvor generalstabsmäßig geplant werden. Eine Post-its-Plage ziert unsere Wände, auf denen plakativ die Organisation der nächsten Tage geregelt ist: Omas, Dogwalker, Babysitter, alles ist militärisch präzise getimed. Soweit die Theorie …
In der Praxis zerbomben gerade dann Scharlach, Noro oder ähnlich sympathische Viren und Bakterien die ganze schöne Planung und der Ausnahmezustand stellt sich ein. Denn das fiebrige Kleinkind ist wie mit Pattex an die Mama geklebt, während diese versucht, „kurz“ mal telefonisch umzudisponieren, wohlwissend, dass Kind Nummer 2 spätestens 48 Stunden später von der selben Seuche gefällt werden wird und ebenfalls auf exklusiver mütterlicher Intensivbetreuung besteht. In den durchaus nicht seltenen Fällen, in denen dann auch noch die Chefpflegerin befallen wird, muss dann Oma einspringen.
Das „bisschen Haushalt“ hatte sich durch den Nachwuchs in ein Krisengebiet verwandelt.
Und der Papa? Tja, ich muss ihn leider ein bisschen loben. Seitdem unsere Brut aus der zerbrechlichen Babyphase raus ist, sich artikulieren und Mann mit „seinen“ Boys etwas unternehmen kann, bemüht er sich immerhin.
Selbstverständlich vergisst er immer noch den schon an der Haustürklinke hängenden, eigentlich unübersehbaren, fertig gepackten Rucksack für den Ausflug. Oder er fragt auch im fünften Lebensjahr unseres Großen noch, wo sich denn wohl die Kindersocken befinden. Aber die Lage hat sich leicht entspannt, der Kindsvater trägt tatsächlich auch Sorge, nicht nur das Recht darauf.
Tja, die nächsten 15 Jahre wird bei mir keine Langeweile aufkommen …
Sonya Kraus