Die Kleingeldprinzessin wird groß
Dorothea Kehr war 13 Jahre alt, als sie ihr Saxophon schulterte und sich zum nächstgelegenen Berliner Flohmarkt aufmachte. Dort wollte sie es wagen: Vorspielen. Ihr Repertoire: vier Songs. Dorothea spielte so lange, bis die Leute an den Ständen das Mädchen fortschickten. „Ich war nie eine besonders begnadete Saxophonistin“, lacht sie rückblickend. Dorothea wurde schon damals nur „Dota“ gerufen.
Die Dota-Fan-
gemeinde wächst kontinuierlich
Heute spielt Dota Gitarre und singt dazu und niemand schickt sie weg. Sie hat eine eigene Band, ein eigenes Label und sieben Studioalben veröffentlicht. Das achte ist gerade erst im Januar erschienen, Titel: „Keine Gefahr“. Eine Gefahr droht auf keinen Fall: Dass das unbemerkt an der wachsenden Dota-Fangemeinde vorübergeht. An einem Tag im November kommt Dota mit ihrem Gitarristen Jan in die EMMA-Redaktion. Vor uns steht eine hochgewachsene, schmale Frau Mitte 30 und grüßt fast schüchtern. Wir reden mehr als eine Stunde lang über ihre Musik und ihr Leben. Und als sie sich verabschiedet – schließlich gibt die Band „Dota“ noch heute Abend in Speyer ein Konzert – haben wir das Gefühl, Dota schon sehr lange zu kennen.
Die approbierte Ärztin aus Berlin lebt von ihrer Musik. Seit sie vor zwölf Jahren als 23-Jährige im Jugendhaus ihr Debüt-Album „Die Kleingeldprinzessin“ aufnahm und mit dem eigenen CD-Brenner zu Hause am Rechner nach und nach tausendfach vervielfältigte, hat sie sich ihre Unabhängigkeit bewahrt. Kleingeldprinzessin, diesen Künstlerinnennamen hatte Freundin Anna ihr verpasst, nachdem die beiden einen ganzen Sommer lang als Straßenmusikerinnen durch Frankreich und Italien getrampt waren.
Bis heute komponiert und schreibt Dota ihre Songs nicht nur selbst, sie managt auch die Band. Angebote von Plattenfirmen hat sie bisher immer abgelehnt, um „künstlerisch alles in der Hand zu behalten“. Gitarrist Jan Rohrbach und Schlagzeuger Janis Görlich sind von Anfang an dabei, Pianist Jonas Hauer kam 2012 dazu. Früher hießen die Musiker noch „die Stadtpiraten“. Heute heißt die ganze Band „Dota“. Die Gagen werden geviertelt.
Dotas Texte: Eine Mischung Ironie
und Melancholie
Dota ist Kopf und Herz der Gruppe. Ihr Gitarrenspiel, das zwischen Folk-Pop, Jazz und Bossa-Klängen changiert, ist unverkennbar. Und auch ihre warme Stimme. Und ihre sehr eigenen Texte. „Sie stand in der Küche in Pelz und Puder und fragte mich, ob ich Schnaps im Hause hätte und setzte sich hin. Und ich trank natürlich mit, weil ich ein guter Gastgeber bin“, singt sie in ihrem Song über „Eine Fee“, die – anstatt Dotas Wunsch nach „Weltfrieden“ zu erfüllen – ihr Konto plündert und das Geld am Spielautomaten verzockt. Und in „Astronaut“ singt sie: „Und in meinem Kopf ist ein Astronaut, der durch das Dunkel treibt. Manchmal repariert er gutgelaunt das Raumschiff, manchmal schickt er mir Gedichte, die er da oben schreibt.“ Diese Mischung von Ironie und Melancholie bis hin zum latenten (Alltags)Wahnsinn sind charakteristisch für Dotas Songs.
Dota war zehn, als Carlos, ihr Babysitter aus Brasilien, bei einem Fahrradunfall ums Leben kam. Carlos Frau schenkte ihr eine Kassette der berühmten brasilianischen Sängerin Elis Regina. Dota verstand kein Portugiesisch, aber sie konnte die Songs bald auswendig. Mit 24 ging sie das erste Mal nach Brasilien. Doch nach dem Abi schrieb sie sich erst mal für Medizin ein. Eine Notlösung mangels konkreter Zukunftspläne. Aber richtig glücklich war Dota damit nicht. Kurzerhand entschied sie sich für ein Praktikum bei der Weltgesundheitsorganisation in Ecuador. Vielleicht war ja Gesundheitspolitik das Richtige? In Ecuador lernte sie zwei Gitarristen kennen, gemeinsam tourten sie mit einem Jazz-Programm durchs Land. Das war das Richtige!
Dennoch: Ihr Studium hat die Disziplinierte nie geschmissen, sondern mit der Approbation abgeschlossen. Dass sie bis heute genauso gut als Ärztin arbeiten könnte, „gibt mir Freiheit, nicht auf Teufel komm raus von der Kunst leben zu müssen – und das tut, glaube ich, auch der Kunst gut“.
Kurz nach Veröffentlichung ihres Debütalbums im Jahr 2003 zog sie als Stipendiatin „für ein medizinisches Forschungsprojekt über Sandflöhe“ in die brasilianische Großstadt Fortaleza. Nebenbei lernte sie Portugiesisch und nahm mit einem Brasilianer eine Platte auf. Zurück in Deutschland gründete sie ohne Startkapital ihr eigenes Label „Kleingeldprinzessin Records“. Dota gibt mit ihrer Band bis zu 100 Konzerte im Jahr – auch in Russland, Neuseeland und Zentralasien. Im schlichten Kleid und in Stiefeln, die langen Haare meist zum Pferdeschwanz gebunden. „Wenn das Lied gut ist, wozu dann noch Titten?“, lacht Dota mit einem gelassenen Kopfschütteln über die Pop-Industrie.
Dotas Ziel: Immer unab-
hängig bleiben
Und da wir in der EMMA-Redaktion sind, reden wir zu guter Letzt eben auch noch über den Feminismus. „Das Problem des Feminismus ist“, findet Dota, „dass viele Frauen genau in der Zeit, in der sie das größte kämpferische Potenzial haben, die Ungleichberechtigung noch gar nicht erfahren – als Studentinnen zum Beispiel. Das kommt erst später, wenn sie im Vorstellungsgespräch sitzen oder Kinder kriegen und plötzlich nur noch Teilzeit arbeiten und immer die Kinder von der Kita abholen müssen."
Ach ja, Dota hat übrigens zwei Kinder, die sind zwei und vier. Und manchmal holt sie sie auch in der Kita ab – aber oft macht das der Vater. „Das ist jetzt schon mehr, als ich je in einem Interview über sie erzählt habe!", sagt sie und lacht. Denn: „Einen Mann würde man auch nicht als erstes fragen, wie er Kinder und Musik unter einen Hut kriegt. Und ich möchte nicht auf das Mutter-Sein reduziert werden.“ Die Gefahr besteht bei Dota nicht.