Vergewaltigung: Heißt Nein bald Nein?

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Das sind ganz neue Töne, die die beiden Fraktionsvorsitzenden der Großen Koalition da soeben angeschlagen haben. „Die Vorschläge der Frauen in der Union für eine weitere Verschärfung des Sexualstrafrechts sind absolut richtig. Ich unterstütze diese in vollem Umfang“, sagt Volker Kauder (CDU). „Insbesondere muss die Neuregelung zur Bestrafung der Vergewaltigung dem Grundsatz folgen: ‚Ein Nein ist ein Nein‘. Nur eine solche Bestimmung wird dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen gerecht.“

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Es hat lange gedauert, bis die Spitzen der Koalition begriffen haben

Und sein sozialdemokratischer Kollege Thomas Oppermann sekundiert: „Sexuelle Übergriffe sind verabscheuenswürdig und dürfen nicht länger bagatellisiert werden. Mich persönlich hat die Diskussion überzeugt, dass es nur eine Regelung gibt, die die sexuelle Selbstbestimmung umfassend schützt: Nein heißt nein. Das ist nicht sehr schwer zu verstehen!“

Nein, das ist nicht schwer zu verstehen. Dennoch hat es lange gedauert, bis es die Spitzen der Koalition nun endlich verstanden haben. Noch vor wenigen Wochen hatte das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts nämlich durchgewunken. Obwohl er dem einfachen Prinzip „Nein heißt Nein“ nicht gerecht wurde – und damit auch gegen einen Beschluss des CDU-Bundesvorstands verstieß.  

Jetzt aber haben Frauenverbände und Politikerinnen noch einmal Druck gemacht – und der scheint zu nützen. Bevor der Bundestag am 28. April in erster Lesung über den Gesetzentwurf debattierte, hatten Frauenorganisationen von Terre des Femmes über die Frauenhaus-Dachverbände bis zum Juristinnenbund in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel erklärt: „Übergriffe bleiben weiterhin straffrei, auch wenn die betroffene Peron ihren entgegenstehenden Willen bekundet und der Täter sich darüber hinweggesetzt hat.“ Sie fordern ein Gesetz, das der sogenannten „Istanbul-Konvention“ des Europarates entspricht: „Danach müssen die Staaten alle sexuellen Handlungen, die gegen den Willen der Betroffenen verstoßen, unter Strafe stellen.“

Unterzeichnet haben den Offenen Brief Frauen wie TV-Köchin Sarah Wiener oder Schauspielerin Jasmin Tabatabai, aber auch Männer wie der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig oder der „heute-Show“-Moderator Oliver Welke. Und Schauspielerin Natalia Wörner, ihres Zeichens neue Lebensgefährtin des Justizministers. Bild am Sonntag titelte prompt: „Nein heißt Nein! Minister Maas muss jetzt Ja sagen“.

Ein Blick ins österreichische Strafgesetzbuch könnte helfen

Als die Bundestags-Debatte über die Reform des sogenannten Vergewaltigungs-Paragrafen 177 dann startete, war bezeichnenderweise keine der vier Rednerinnen für den vorliegenden Gesetzentwurf. Bei Grünen und Linken, die eigene Gesetzentwürfe vorgelegt hatten, verwunderte das nicht weiter. Bei Elisabeth Winkelmeier-Becker von der CDU eigentlich auch nicht, denn die CDU-Frauen hatten gleich nach der Verabschiedung im Kabinett parlamentarischen Widerstand angekündigt. Dass nun aber auch Eva Högl von der SPD ihrem Parteikollegen Maas erklärte, warum sein Gesetzentwurf nicht geht, war dann doch überraschend. Schon am Morgen hatte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Carola Reimann im ARD-Morgenmagazin erklärt: „'Nein heißt Nein' muss ins Gesetz rein. Ich werbe sehr dafür, dass man alle sexuellen Handlungen gegen den Willen unter Strafe stellt."

Und jetzt auch Kauder und Oppermann. Es sieht so aus, als ob der Minister seinen Entwurf nachbessern müsste. Ein Blick ins österreichische Strafgesetzbuch könnte dabei helfen. Seit 1. Januar 2016 wird in unserem Nachbarland bestraft, wer „mit einer Person gegen deren Willen (…) den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt“. Und auch das so genanntes Grapschen steht nun, klar definiert, unter Strafe: Seit Jahresanfang drohen in Österreich sechs Monate Haft, wenn „der Geschlechtssphäre zuordenbare Körperstellen entwürdigend berührt“ werden. Minister Maas könnte also einfach abschreiben.

 

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Sexualstrafrecht: Nein heißt Nein?

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Schon wenige Tage nach den dramatischen sexuellen Übergriffen der Silvesternacht hatten sich PolitikerInnen in vollmundigen Ankündigungen überboten. Die Täter, verkünden sie, müssten bestraft werden. Bundeskanzlerin Merkel will mit der „vollen Härte des Rechtsstaats“ zuschlagen; Vizekanzler Gabriel fordert „Null Toleranz gegenüber Kriminalität und sexuellen Übergriffen“ und will Täter „schneller und effizienter abschieben“; Justizminister Maas erklärt: „Wer glaubt, sich bei uns über Recht und Gesetz stellen zu können, der muss bestraft werden“ und solle dann auch ausgewiesen werden.

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In der Regel enden Taten wie in der Kölner Silvesternacht straflos

Das klang gut. War aber völlig unrealistisch. Denn wer einen Blick in das Sexualstrafrecht und einschlägige Gerichtsurteile wirft, muss feststellen: Das, was die marodierenden Männer am Kölner Hauptbahnhof oder auf der Hamburger Reeperbahn getan hatten - Frauen an den Busen oder zwischen die Beine gefasst - ist in den meisten Fällen gar nicht strafbar.

Wer glaubt, „sexuelle Belästigung“ sei im deutschen Recht ein Straftatbestand, irrt. „Belästigung“ ist lediglich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geregelt und betrifft ausschließlich sexuelle Übergriffe im Beruf. Im Strafgesetzbuch hingegen kommt diese Art sexueller Gewalt überhaupt nicht vor.

Dort gibt es im § 177 zwar die „sexuelle Nötigung“, aber: Die „sexuellen Handlungen“, die der Täter vornimmt, müssen „von einiger Erheblichkeit“ sein, damit sie tatsächlich strafbar sind. So haben es RichterInnen entschieden. Mehrere Urteile, darunter auch solche des Bundesgerichtshofs, kamen zu dem Schluss: Ein Griff an die Genitalien oder an den Po ist unerheblich.

Hinzu kommt: Das Opfer muss Widerstand leisten, damit der Täter weiß, dass die Frau nicht von ihm angefasst werden möchte. Ein Mann, auch ein fremder, darf also zunächst davon ausgehen, dass eine Frau sexuellen Kontakt mit ihm möchte. Also zum Beispiel mit ihm schlafen, wenn er sie nach einer Party nach Hause bringt; oder von ihm auf der Kaufhaus-Rolltreppe an den Po gefasst werden; oder am Kölner Hauptbahnhof in den Schritt. Sollte sie das wider Erwarten nicht wollen, muss sie das dem Mann deutlich machen. Fehlt ihr dazu die Zeit, weil der Täter ihr blitzschnell an den Busen oder zwischen die Beine greift, oder der Mut, weil der Täter einschüchternd groß ist, oder weil es mehrere sind, fällt der sexuelle Übergriff nicht unter den § 177.

Viele sexuelle 
Übergriffe 
fallen nicht 
​unter den § 177

Deshalb ist auch der „Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen“ (bff) mehr als skeptisch, was die angekündigte Bestrafung der Silvester-Täter anbelangt: „Dem bff sind schon lange zahlreiche Fälle bekannt, in denen Frauen an öffentlichen Orten belästigt, begrapscht und an Geschlechtsteilen angefasst wurden. In der Regel enden diese Taten für die Täter straflos, weil aufgrund der Überrumpelung der Betroffenen keine Nötigungsmittel angewendet werden müssen, um die sexuelle Handlung zu begehen. Solche Überraschungsangriffe sind so die Erfahrung der Fachberatungsstellen und von Rechtsanwältinnen nicht durch den Straftatbestand der sexuellen Nötigung erfasst und damit systematisch straffrei.“

Der Verband befürchtet deshalb, dass die Bestrafung der Täter so sie denn überhaupt gefunden werden „hauptsächlich wegen der zusätzlich begangenen Diebstahl- und Raubdelikte stattfinden wird und nicht aufgrund der sexuellen Übergriffe“. Fazit: Der Straftatbestand der sexuellen Nötigung bedarf „dringend einer Reform“.

Die hat Justizminister Heiko Maas (SPD) jetzt vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist nicht neu, auch wenn der Minister, der nun unter Zugzwang steht, versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Fakt ist: Maas hatte in Sachen § 177, dem so genannten Vergewaltigungsparagrafen, noch im September 2014 „keinen Handlungsbedarf“ gesehen. Erst der öffentliche Druck von Frauenorganisationen inklusive einer Petition mit 20.000 Unterschriften (inklusive der seiner Kollegin Manuela Schwesig) scheinen ihn offenbar von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt zu haben. Im September 2015 präsentierte der Justizminister also einen Entwurf, der aber rasch wieder in der Versenkung verschwand und nun nach der Silvesternacht wieder ans Licht geholt wurde.

Erst der öffentliche Druck brachte die Reform wieder auf den Tisch

Der Entwurf erfasst nicht nur die sexuelle Nötigung, sondern auch die Vergewaltigung, also den erzwungenen „Beischlaf“ oder andere Taten, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind. Denn auch hier gilt bisher: Das Opfer muss Widerstand leisten. Ein Nein reicht nicht aus.

Die Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen haben rund 100 bewiesene Vergewaltigungsfälle dokumentiert, in denen die Täter freigesprochen oder gar nicht erst ein Verfahren eröffnet wurde. Die Begründungen verschlagen einem bisweilen den Atem. Allen voran die des Bundesgerichtshofs, der 2006 einen Freispruch wie folgt erklärte: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt“. Andere Richter folgen diesem höchstrichterlichen Vorbild.

Der letzte spektakuläre Fall dieser Art war der Freispruch von Roy Z. durch das Landgericht Essen im September 2012. Der 31-jährige schwere Alkoholiker, dessen Gewalttätigkeit aktenkundig war, hatte in seiner Marler Wohnung eine 15-Jährige vergewaltigt. Das Mädchen hatte zuvor gesagt: „Nein, ich will das nicht“, die Vergewaltigung aber aus Angst über sich ergehen lassen. Die Richterin sprach den Täter frei. Begründung: „Er konnte ja nicht wissen, dass sie das nicht wollte.“

Ein "Nein, ich will das nicht" reicht nicht aus: Freispruch!

Folge: Obwohl die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung steigt, sinkt die Verurteilungsquote. Nur jede zehnte Anzeige endet, so hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) herausgefunden, mit einer (Bewährungs-)Strafe für den Täter, in Bundesländern wie Berlin sogar nur jede 25.

Jetzt, nach der Silvesternacht-Katastrophe, kommt Bewegung in die Sache. Endlich. An dem neuen Gesetzentwurf gibt es einige gute Aspekte und einen schlechten. Gut an diesem Entwurf ist:

1. Er erfasst auch Personen, die „aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig sind“.

2. Er erfasst auch Personen, die „aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig“ sind.

3. Er erfasst auch Fälle, in denen das Opfer „im Falle des Widerstandes ein erhebliches Übel befürchtet“.

4. Und falls der fehlende Widerstand des Opfers „auf einer Behinderung beruht“, soll dies künftig als „besonders schwerer Fall“ gelten. Bis dato war es ein minder schwerer Fall.

Eine Frage aber bleibt: Warum muss das Opfer eigentlich Widerstand leisten? Warum gilt nicht das ebenso einfache wie klare Prinzip „Nein heißt Nein!“, wie es auch die sogenannte Istanbul-Konvention fordert? Dieses „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ fordert in Artikel 36: „Das Einverständnis (zum Geschlechtsverkehr, Anm.d.Red.) muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.“
Der deutsche Justizminister hat sich dazu in seinem Gesetzentwurf nicht durchringen können.

Jetzt ist die CDU an dem SPD-Minister vorbeigeprescht. Anfang des Jahres hat der Bundesvorstand der CDU die so genannte „Mainzer Erklärung“ verabschiedet. Darin heißt es: „Sexualdelikte sind keine Kavaliersdelikte. (...) Deshalb sorgen wir dafür, dass gemäß Art. 36 der Istanbul-Konvention die Gesetzeslücke bei Vergewaltigung geschlossen wird. Für den Straftatbestand muss ein klares ‚Nein‘ des Opfers ausreichen.“

Österreich hat vorgemacht wie es gehen kann

Während die SPD bisher davon ausgeht, dass der konservative Koalitionspartner den Maas-Entwurf durchwinkt, bestätigt die Vorsitzende der CDU-Frauenunion, Annette Widmann-Mauz, auf EMMA-Anfrage: „Nein heißt Nein! Deshalb müssen wir die Istanbul-Konvention umsetzen und die Gesetzeslücke bei Vergewaltigung schließen. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministers muss dahingehend verändert werden.“ Auch das sogenannte Begrapschen solle ein „neuer Straftat bestand“ werden.

Österreich hat gerade vorgemacht, wie das geht. Seit 1. Januar 2016 wird dort bestraft, wer „mit einer Person gegen deren Willen (…) den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt“. Und auch das so genannte Grapschen steht nun, klar definiert, unter Strafe: Seit Jahresanfang drohen in unserem Nachbarland sechs Monate Haft, wenn „der Geschlechtssphäre zuordenbare Körperstellen entwürdigend berührt“ werden.

Leider hat sich Justizminister Maas davon nicht inspirieren lassen. Und die CDU-MinisterInnen haben es durchgewunken - trotz "Mainzer Erklärung". Die CDU/CSU-Fraktion scheint das zu Recht irritierend zu finden. Nach dem Kabinetts-Beschluss erklärte sie in einer Pressemitteilung: "Der Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesminister Maas bietet allerdings noch keinen umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Wir werden daher im parlamentarischen Verfahren auf Änderungen drängen." Und weiter: "Ein Nein muss immer beachtet werden."
 

Zur Petition des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) an Justizminister Heiko Maas: "Schaffen Sie ein modernes Sexualstrafrecht. Nein heißt nein."

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