Beinahe Rechtsruck - knapp verfehlt

© Heribert Corn
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Am 22. Mai 2016 wurde bei der Wahl zum Bundespräsidenten eigentlich über die Demokratie abgestimmt. Es wurde darüber abgestimmt, ob Österreich beim vertragstheoretischen Modell der Demokratie bleibt oder ein Vaterland der Autochthonen wird.

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Denn. Die Freiheitliche Partei meint es ernst. Schon im Namen ist nicht das Wort Freiheit angeführt. Freiheitlich. Das ist dann nur mehr eine Ableitung. Das muss so sein. Die Freiheitliche Partei hat sich das Opfersein zum Programm gemacht und Opfer sind nicht frei. Damit konnte die FPÖ ein Identifikationsangebot für alle anbieten, die sich persönlich als Opfer fühlen.

Die FPÖ hat sich das Opfersein zum Programm gemacht

Und. Der Opfermythos Österreichs nach dem 2. Weltkrieg kann hier offen staatstragend verständnisvoll angewendet werden. Österreicher waren immer Opfer, heißt das. Die anderen haben Österreich zum Opfer gemacht. Das politische Establishment hat die Österreicher nicht verteidigt. Jetzt kommt der Retter. Erlöserphantasien.

Dass die Einweisung Österreichs in die neoliberale Globalisierung von der FPÖ gemeinsam mit der ÖVP 2000 begonnen wurde, das interessiert die, nun die Folgen dieser Maßnahmen spürenden Männer nicht. Imgrund wurde an diesem Wahltag über die Haltung zur französischen Revolution abgestimmt und die Reaktion hat sich offen gezeigt.

Das hat wohl auch mit dem endgültigen Ende der Nachkriegszeit zu tun, dass niemand sich mehr geniert, rassistische Vorschläge offen zu unterstützen. Die FPÖ will ja über die Dokumentation der Herkunft und der Muttersprache eine Kaste der Eingeborenen schaffen, die am Sozialsystem beteiligt werden. Ausländer. Gastarbeiter. Die sollen eine getrennte Sozialversicherung bekommen, aus der sie nur bekommen können, was sie eingezahlt haben.

Die Ausländerin soll kein Kindergeld für ihre Kinder bekommen. Damit verliert sie aber auch Pensionsansprüche. Im Kosmos der FPÖ arbeiten Frauen aber ohnehin nicht, sondern sind mit dem Kind verschmolzen. Frau Sein heißt Kindhaben. Der Mann wird wieder zum Hausvater des bürgerlichen Gesetzbuchs von 1811.

Die Bruchlinie verläuft wieder zwischen Stadt und Land

In einem TV-Bericht sagte ein älterer Mann, wenn Hofer zum Bundespräsidenten gewählt werde, der würde alles richten. Von den Arbeitsplätzen bis zum Geld. "Alles richten". Es geht um Ordnung. Das Leben wird nicht als Prozess steter Veränderung ausgehalten. Es soll alles seine Ordnung bekommen. Und. Der Rassismus, der im Konzept der Autochthonie enthalten ist. Dieser Rassismus soll an den Staat delegiert werden. Damit wird der Rechtsstaat aufgehoben und die totalitäre Machtausübung vorbereitet.

Die Bruchlinie verläuft wieder zwischen Stadt und Land. Zum Jahr 1929 ist nun noch der Bruch zwischen Männern und Frauen dazugekommen. Es geht also Männer am Land gegen Frauen in der Stadt. Ein Ausweg wäre natürlich, die "Freie Republik Wien" zu gründen. Warum nicht wieder Stadtstaaten, in denen die Frauen ihre Leben frei gestalten können und nicht die reaktionäre heteronormative Familie der FPÖ leben müssen.

In allem und vor allem im Geschlecht. Es geht um die Ordnung des Totalitären. Die "anderen" werden in Zurichtung genommen, damit den "einen" der Genuss des Staatssadismus zur Abgeltung der Komplizenschaft geboten werden kann. Besser wird es dadurch nicht. Die Schweizer und Schweizerinnen haben es schon gelernt und wollen nicht mehr so viel ausschließen. Der Ausschluss der Migranten hat zu wirtschaftlichen Nachteilen geführt. 

Marlene Streeruwitz

 

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Eine fröhliche Solidarität

1974. Auch die Österreicherinnen protestieren gegen das Abtreibungsverbot. Mit Erfolg. Sie haben die Fristenlösung.
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Er ließe nur junge Frauen in den Club, deren Absätze mindestens 14 Inches hoch wären, sagt der Türsteher eines Clubs im Meatpacking District in Manhattan. Ohne solche Absätze käme keine hinein.

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Damals. Wir wären mit Plakaten vor dem Nachtclub gestanden und hätten mit Boykottaufrufen gegen eine solche Zensur protestiert. Heute.

Die Frage der körperlichen Zurichtung von Frauen über Kleiderzwang kann so nicht mehr gestellt werden. Eine junge Frau würde es als ihr Recht ansehen, sich dem Wettbewerb vor den Türen dieses Clubs in Manhattan zu stellen. Sie würde jede Intervention als Bevormundung ablehnen und sich dem Blick der Türsteher aussetzen, um in den Club zu kommen. Dazu hat ihr die Frauenbewegung verholfen. Auch, wenn die junge Frau mit den hohen Absätzen das nicht einmal wissen sollte.

Und. Stimmt es überhaupt. Wäre ich mit Plakaten vor den Nachtclub gegangen. Damals. Ich wäre immer empört gewesen. Das ist sicher. Für mich war die Verdinglichung immer eine Quelle des Zorns. Und immer schon wußte ich, daß diese Bibelgeschichten ungerecht waren. Daß es eine Männerwelt war, die mir diese Religion aufzwang und gleichzeitig verweigerte. Immer war klar gewesen, daß die Welt den Frauen gegenüber ungerecht war. Und immer war klar gewesen, daß ich das ändern würde.

In Österreich. In Wien. Die Frauenbewegung sprang an vielen Orten gleichzeitig auf. In der Linken. In der Gewerkschaft. In der sozialistischen Partei. An den Universitäten. Die bürgerlich-christliche ÖVP richtete ein Frauenreferat ein. Der Widerspruch zwischen gelebter Wirklichkeit und gesetzlichen Rahmenbedingungen war zu offenkundig. Das Familienrecht stammte aus dem Jahr 1811. Der Familienvater hatte alle Rechte.

Ich mußte noch 1972 meinen Ehemann zur Unterschrift mitbringen, um einen Paß zu erhalten. Das war da noch irgendwie lustig. Nicht mehr lustig war das, wenn die Frau zwar keinen Kredit bekommen konnte, weil sie  nicht vertragsfähig war, aber für die Schulden des Mannes immer haften durfte. Und gar nicht mehr lustig war der Zugriff der Institutionen auf den Körper der Frau in der Frage der Abtreibung.

Es war dann aber genau der Widerstand gegen diesen Zugriff, der für die Zeit dieses Kampfs die Solidarität über den Körper möglich machte. Es gab für die Zeit dieses Kampfs das beglückende Gefühl, mit diesem weiblichen Körper nicht allein zu sein. Zusammenzugehören. Das gemeinsame Interesse, sich diesem schändlichen Zugriff zu entziehen, ermöglichte Solidarität.

Eine fröhliche Solidarität war das. Bei den Demonstrationen damals. Bei Gesprächen. Eigentlich in jedem Augenblick. Es gab die Gewissheit, daß das Problem verstanden worden war. Begriffen. Die Einsamkeit der Kleinfamilienfrau war überwunden. Es gab Personen, an die frau sich wenden konnte und verstanden werden würde und immer besser verstehen wollten. Die Frauenbewegung war vor allem eine Bildungsbewegung und darin Erweiterung der Denkmöglichkeiten.

Im Österreich der späten Nachkriegszeit. Die Frauenbewegung erstritt Reformen, die der überkommenen Macht auf allen Ebenen zusetzte. Die Frau wurde erst über diese Reformen zur gleichberechtigten Staatsbürgerin. Zum Subjekt. Aber. Die in diesen Reformen enthaltenen Auflösungen wiederum arbeiteten gleichzeitig an der Auflösung des Subjekts selbst.

Die gleichberechtigte Staatsbürgerin muß ihre Selbstvorsorge und Selbstfürsorge nun selbst erledigen. Keine Institution erhielt sich so, wie sie vor den Sozialreformen gewesen war, die die Frauenbewegung erzwang.  Der Verwirtschaftlichung unserer Lebensbedingungen kam das sehr entgegen. Die junge Frau, die in den Club im Meatpacking District in Manhattan in den Club gehen will, hat genau dadurch das Recht erhalten, sich Schuhe anzuziehen, die dem Türsteher gefallen. Sie entscheidet das eigenständig.

Das erscheint paradox und es fällt einer schnell ein, daß wir das damals nicht dafür gemacht hätten. Aber genau darum ging es. Für Österreich. Für Wien. Es war wahrscheinlich das erste Mal, daß ein Grundrecht diskutiert wurde, das nicht aus göttlichen Gnaden abgeleitet worden war. Das war erhebend. Aus der bloßen Existenz konnte die Behauptung aufgestellt werden, berechtigt zu sein.

Das war der erste Schritt der österreichischen Politik nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Boden der Menschenrechte, der nicht auf den Kalten Krieg zu beziehen war. Währenddessen. Es war klar, daß Großes geschah.

Dieses Gefühl erfaßte kurz alle Frauen. Alle jüngeren Frauen. Es war ein Generationenkonflikt zwischen Müttern und Töchtern entstanden, der sich in den Familien bis heute fortsetzt. In glücklichen Fällen gelang es, auch hier Solidarität herzustellen.

Für die meisten Frauen, die sich für ihre Berechtigung entschieden, entstanden herzzerreißende Loyalitätskonflikte. Aber. Gerade in diesen Konflikten entstand die neue Person. Und. Diese neue Person muß jeden Tag an diesem Neu Sein arbeiten. Wir hatten damals nicht gewußt, daß unsere Emanzipation ein einziger langer und lebensbegleitender Prozess sein würde. Wir hatten nicht gewußt, was es bedeutet, in der Geschlechterpolitik als Reformerinnen aufzutreten. Wir hatten nicht wissen können, daß das eine lebenslängliche Beschreibung bleiben würde.

Dabei war alles so selbstverständlich gewesen. Als im Jahr 1974 auf der Liste meiner Fraktion in der Studentenvertretung an der Universität Wien keine Frauen aufgenommen worden waren. Die Studentenverbindungen hatten sich dagegen verbündet. Da gründete ich ganz einfach eine Frauenliste und bekam das Mandat. Weil das damals selbstverständlich war. Noch die bürgerlichste Person sah ein, daß das so nicht ging.

Eine der Forderungen dieser Liste war es, die Anzahl der Frauen auf Lehrstühlen zu steigern. Diese Forderung könnte ich heute genauso wiederholen. Es sind genauso wenig Frauen Hochschulprofessorinnen wie damals. Aber ich könnte diese Forderung auf keiner Frauenliste für eine Studentenvertretung mehr aufstellen. So wie ich nicht mehr mit dem Plakat vor dem Club in Manhattan auftauchen dürfte.

Was von damals auch in Erinnerung bleibt, ist die Leichtigkeit dieser abstrakten Zusammengehörigkeit. Ich war nie in die damals entstehenden Gruppen integriert und dennoch konnte ich mich zugehörig fühlen. Das war ein besonderer Augenblick des Politischen. Die Bindung in definierte Zugehörigkeiten war aufgehoben. Das ist in einem Land mit ausgeprägtem Lagerdenken ein außergewöhnlicher Vorgang und befreiend.

Was nicht gelang, war, diese Befreiung in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu bringen. Das wäre aber auch der Schritt in die Revolution gewesen. Das hätte die tieflagernden Mechanismen des Reaktionären geweckt. Manchmal denke ich, daß das notwendig gewesen wäre.

Aber. Die Frauenbewegung hat immer das zu lebende Leben miteinbezogen. Wir wollten unsere Leben mit einer Idee gestalten und nicht für eine Idee opfern. Darin war die Beschränkung auf die Frauenfrage klug. In einer Kultur, die sich aus dem Willen eines Gotts ableitet. Und die österreichische Kultur ist zutiefst katholisch grundiert. In einer Kultur, in der die Natur des Menschen über die Unterordnung unter das Gesetz dieses Gotts gebändigt werden muß. Da ist es ein politisches Vergnügen, die eigene Existenz allein durch die Existenz zu rechtfertigen. Die Frauenbewegung machte es möglich, im Land der Reaktion gegen die französische Revolution eine der Errungenschaften der französischen Revolution zu verankern.

In Wien erschien unlängst die letzte Nummer der AUF. Es fanden sich keine „autonomen Frauen“ mehr. Heute sind wohl alle Frauen in Wien ein bißchen autonom und es gibt keinen Grund mehr, sich mit der Geschlechterautonomie auseinanderzusetzen. Die Generation der Frauenbewegung selbst zieht sich zurück.

Wunderbare Leben haben sich mit den Feminismen machen lassen. Reiche Innenwelten und erfolgreiches Bestehen in der äußerlichen Umgebung. Ich hoffe, daß wir viele Autobiographien dieser Generation zu lesen bekommen. Daß alle diese vielen Frauen, die Emanzipation auf sich bezogen und das in ihren Leben aufs Moralischte vorführten. Daß die uns alle erzählen, wie das war.

Ich möchte diese Erfolgsgeschichten alle lesen oder hören. Das wäre heute das, was damals die Plakate und Proteste gewesen waren. Wir könnten dann auch wissen, wie vielgestalt Emanzipation ist. Wie kulturell bedingt die Möglichkeiten. Wir könnten erfahren, was wir alle übereinander nicht wußten, aber wissen hätten sollen.

Und dem Türsteher von dem Club in Manhattan bringen wir eine Übersetzung. Frau kann ja immer nur hoffen, zur Emanzipation zu verhelfen. Vielleicht kämpft dieser Türsteher ja innerlich mit seinem Job, in dem er Stöckelschuhe vermißt und die Frauen in richtige und falsche einteilen muß.

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