Das göttliche Gesetz über allem?

Die Sprecherin des Muslimrates auf der Münchner Trauerfeier. - © Angelika Warmuth/dpa
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30. Juni 2016. In München findet ein Trauergottesdienst für die von dem Amokläufer Ali David Sonboly ermordeten neun Menschen statt. Alle Toten sind MuslimInnen, darunter drei Frauen bzw. Mädchen. Auch Kardinal Marx und Kanzlerin Merkel sind anwesend. Das Trauergebet trägt eine Muslimin vor. Eigentlich eine gute Idee. Aber warum trägt die Frau einen Schleier, der auch noch das kleinste Haar verbirgt und einen Mantel, der ihren Körper komplett verhüllt? Typisch ist das nicht für die zweite und dritte Generation der Musliminnen in Deutschland: Von ihnen trägt nur eine von fünf ein Kopftuch (das ergab eine aktuelle Studie von Emnid und der Universität Münster). Woher also kommt die Frau? Ach so, vom Münchner Muslimrat. Klar, bei den Muslimverbänden sind nicht 20, sondern 100 Prozent der Frauen verschleiert. Denn angeblich ist die Verschleierung „religiöse Pflicht“. Doch stimmt das?

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Bei näherem Hinsehen geht es bei diesem Argument der „Religionsfreiheit“ quasi immer um den gezielten Versuch, das deutsche Bildungs- und Rechtssystem zu unterwandern. Eine führende Rolle dabei spielen die konservativen Islamverbände wie der „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ oder die Ditib, dieser verlängerte Arm Erdoğans.

Progressive Muslime wie Dr. Abdel-Hakim Ourghi, Theologe an der Universität Freiburg, warnen davor, deren Agitation zu unterschätzen. „Viel gefährlicher“ als die Salafisten seien die „moderaten Islamisten“ jener Islamverbände, deren Ziel es ist, „einen konservativen Islam zu etablieren – einen Islam, der mit einer säkularen und pluralistischen Staatsordnung und den damit verbundenen Werten nicht vereinbar ist“. Die folgenden Exempel sind nur Schlaglichter auf eine breite Entwicklung. Und sie zeigen: Die schriftgläubigen, rückwärtsgewandten MuslimInnen sind mit ihren Strategien schon sehr weit gekommen.

Der Händedruck

An der Hamburger Kurt-Tucholsky-Schule weigert sich Mitte Juli 2016 ein muslimischer Schüler, seiner Lehrerin die Hand zu geben. Die wollte ihm zur bestandenen Abi-Prüfung gratulieren. Mehr noch: Der Schüler kündigte an, bei der Abiturfeier auch Schulleiterin Andrea Lüdtke den Händedruck zu verweigern. Mehrere LehrerInnen an der Schule wollten das nicht hinnehmen. Sie forderten, den Schüler (über dessen Herkunft die Schule keine Auskunft geben möchte) von der Feier auszuschließen. Als die Schulleiterin das ablehnte, boykottierten sieben von 13 LehrerInnen die Feier.

Wenige Monate zuvor hatten zwei Schüler syrischer Herkunft dasselbe an ihrer Schule im Kanton Basel durchgezogen (EMMA berichtete). Die Brüder weigerten sich, ihre Lehrerinnen, wie in der Schweiz üblich, mit einem Händedruck zu begrüßen. Das Ganze löste weit über die Schweiz hinaus eine öffentliche Debatte und Empörung aus, bis hin zum Kommentar von Bundesrätin Simonetta Sommaruga: „Dass ein Kind der Lehrperson die Hand nicht gibt, das geht nicht. Der Handschlag ist Teil unserer Kultur und gehört zum Alltag der Schweiz. So stelle ich mir Integration nicht vor, auch unter dem Titel Religionsfreiheit kann man das nicht akzeptieren.“

Es stellte sich rasch heraus, dass die 14- bzw. 15-jährigen Jungen nicht zufällig auf die Idee gekommen waren, man dürfe einer „unreinen“ Frau nicht die Hand geben. Die Brüder, die auf Facebook auch schon ihre Sympathie für den IS gepostet hatten, sind die Söhne des Imams der König-Faysal-Moschee in Basel. Die von Saudi-Arabien finanzierte Moschee steht schon lange im Verdacht, islamistische Propaganda zu betreiben. Die nun anrollende Klagewelle um das „Recht“ auf Verweigerung des Händedrucks wird – keine Überraschung – vom Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS) unterstützt.

Auch in Deutschland ist der Hamburger Fall nicht der erste. Zwei sind bereits vor Gericht gelandet. In Bergisch-Gladbach kam es im Mai 2016 in einer Arztpraxis zum Eklat: Eine muslimische Patientin, die in Begleitung ihres Ehemannes kam, nahm die zur Begrüßung ausgestreckte Hand des Arztes nicht an. Als der Arzt irritiert nachfragte, warum nicht, schaltete sich der Ehemann ein. Nachdem das Wortgefecht zwischen den beiden Männern immer hitziger geworden war, verweigerte der Arzt schließlich die Behandlung der Patientin. Grund: Es bestehe nicht das notwendige Vertrauensverhältnis.

Daraufhin klagte das Ehepaar vor dem Amtsgericht Bensberg auf 2 000 Euro Schmerzensgeld. Die verweigerte Behandlung verstoße gegen das Gleichbehandlungsprinzip, es handle sich um eine „religiöse Diskriminierung“. Immerhin: Die Richterin lehnte die Klage ab.

Das erste deutsche Handschlag-Urteil ist wohl demnächst aus Berlin zu erwarten. An der Pankower Platanus-Schule kommt im Juni 2016 der vollbärtige Kerim U. gemeinsam mit seiner verschleierten Frau Dilek zum Elterngespräch. Die Schule hatte darum gebeten, weil der Sohn mehrfach durch Raufereien aufgefallen war. Als der Vater den Raum betritt, macht er sofort klar, dass er der Lehrerin zur Begrüßung nicht die Hand geben werde. Diese streckt ihm dennoch ihre Hand entgegen. Aber der Vater weigert sich weiterhin. Daraufhin wirft die Lehrerin dem Mann vor, er sei „frauenfeindlich“. Schließlich bricht sie das Gespräch ab.

Der Vater erstattet prompt Anzeige wegen Beleidigung, Diskriminierung und „Verletzung der Religionswürde“ (Was auch immer das sein mag, denn diesen Straftatbestand gibt es nicht).

Auch Kerim U. ist Imam. Nicht irgendein Imam. Sondern der an der Cafer-Sadik-Moschee in Wedding. Der Türkischstämmige, der im iranischen Ghom ausgebildet wurde, ist ein Anhänger von Ayatollah Khomeini: „Die Menschen haben durch diese großartige Persönlichkeit gesehen, was für eine schöne Gesellschaft der Koran schaffen kann“, soll der Imam gesagt haben, so jedenfalls steht es in den Medien. Der Gottesstaatler sei „der Führer, der dem letzten Vierteljahrhundert seinen Stempel aufgesetzt hat“. In der Tat: Mit Khomeinis „Islamischer Revolution“ begann der Siegeszug des politischen Islam, des Islamismus.

Die Platanus-Schule ist eine schicke Privatschule mit bilingualem Zweig, die von vier Frauen geleitet wird. Nahmen die also den Vorfall zum Anlass, dem Imam und der Öffentlichkeit klarzumachen, dass an ihrer Schule – anders als im Gottesstaat Iran – weltliche über religiösen Regeln stehen? Nein, im Gegenteil. Die Schulleiterinnen entschuldigten sich bei dem Imam für das „Missverständnis“. Man habe niemanden „in seiner Religionsfreiheit“ verletzen wollen.

Gegen das "Verhüllungsverbot" im Tessin protestiert Nora Illi (li), Frauenbeauftragte des Islamischen Zentralrats Schweiz. © Keystone
Protest gegen das "Verhüllungsverbot": Nora Illi (li), Frauenbeauftragte des Islamischen Zentralrats Schweiz. © Keystone

Das Kopftuch & die Burka

Nur eine von fünf muslimischen Frauen der zweiten und dritten Einwanderergeneration trägt ein Kopftuch (laut einer aktuellen Studie von Emnid und der Universität Münster). Und das, obwohl sich drei Viertel von ihnen als „religiös“ bezeichnen. Trotzdem behaupten immer wieder einzelne Kopftuchträgerinnen – kräftig unterstützt, wenn nicht gar geschickt von Islamverbänden – das Kopftuch sei die „religiöse Pflicht“ jeder Muslimin.

Das Tragen des Kopftuchs ist in Deutschland überall erlaubt – nur im öffentlichen Dienst und an Schulen und Kindergärten ist es umstritten bzw. verboten. 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht die Klage der Deutsch-Afghanin Fereshta Ludin abgewiesen, die in Baden-Württemberg nach ihrem Referendariat auf Einstellung in den Schuldienst geklagt hatte. Die mit einem deutschen Konvertiten verheiratete Botschaftertochter trug seit einem Aufenthalt als Schülerin in Saudi-Arabien zur Überraschung ihrer modernen Eltern das Kopftuch. Ludin, die deutsche Frauen für „unrein“ erklärte und sich bei ihrer Vereidigung auf das Grundgesetz „Bedenkzeit“ erbat, hatte bei ihrer Klage kräftige Unterstützung: von der Lehrergewerkschaft GEW bis zum „Zentralrat der Muslime“ (EMMA 1/99).

Die damalige Kultusministerin von Baden-Württemberg, Annette Schavan (CDU), hatte die Einstellung von Ludin verweigert. Sie war die erste Politikerin, die die Funktion des Kopftuches als Strategie der Islamisten benannte. „Das Tragen des Kopftuches gehört nicht zu den religiösen Pflichten einer Muslimin. Die Mehrheit muslimischer Frauen trägt weltweit kein Kopftuch“, erklärte die Ministerin. „Vielmehr wird das Kopftuch in der innerislamischen Diskussion auch als Symbol für politische Abgrenzung und damit als politisches Symbol gewertet.“

Auch das Bundesverfassungsgericht hielt ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen aufgrund des „Neutralitätsgebots“ des Staates für denkbar und forderte die Bundesländer auf, eine „klare gesetzliche Grundlage“ zu schaffen. Acht Bundesländer sprachen daraufhin ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen aus.

Wer steckt hinter der Klage für das Kopftuch von Lehrerinnen?

Die VerfechterInnen des Kopftuchs klagten weiter. Zwei Klägerinnen aus Nordrhein-Westfalen schafften es im März 2015 noch einmal bis vor das Bundesverfassungsgericht. Jetzt revidierten andere Karlsruher RichterInnen das vorherige Urteil. Die äußerst verwunderliche höchstrichterliche Begründung: Die Klägerinnen folgten mit dem Tragen des Kopftuchs einem „religiösen Imperativ“.

Wer steckt hinter dieser Klage aus NRW? Die Zentrale des „Zentralrats der Muslime“ hat ihren Sitz in Köln, ebenso die Ditib. Die Milli Görüs-Zentrale liegt in Kerpen bei Köln. Und auch der Sitz des „Aktionsbündnisses muslimischer Frauen“ (AmF) ist in NRW, nämlich in Wesseling bei Köln. Dessen Vorsitzende, die Konvertitin Gabriele Booz-Niazy, bekennt öffentlich, die Mitglieder des 2009 gegründeten Aktionsbündnisses seien „entschiedene Lobbyistinnen gegen das Kopftuchverbot“.

Mit im Vorstand des Pro-Kopftuch-Vereins ist Maryam Brigitte Weiß. Bis zur Gründung des AmF war die Konvertitin Vorstandsmitglied des „Zentralrats der Muslime“ und dessen „Frauenbeauftragte“.

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts vom März 2015, das erklärte, das Kopftuch störe den Schulfrieden nicht generell, eine solche Störung müsse in jedem Einzelfall nachgewiesen werden, sind also nun die Kopftuchverbote der einzelnen Bundesländer wieder vom Tisch. Ein Drama für die jeweiligen Schulen.

„Das Kopftuch ist heute weltweit Symbol für die Geschlechter-Apartheid. Wie kommen sechs VerfassungsrichterInnen zu so einem Urteil?“ fragte Alice Schwarzer in EMMA und fuhr fort: „Die Mehrheit der Lehrerverbände und LehrerInnen ist über das Karlsruher Urteil schockiert. Sie befürchten, dass der Krieg um das in Deutschland seit 2003 in der Schule für Lehrerinnen verbotene Kopftuch nun wieder stärker in die Klassenzimmer getragen wird und – dank der erneut unsicheren Rechtslage – eine Flut von Prozessen auf die Schulen zurollt. Die kritischen Lehrerinnen, die gerne beschimpft werden als Schlampen – die werden wohl noch häufiger in die Frühpensionierung flüchten. Oder die unverschleierten Mädchen – die werden sich noch selbstgerechter als ‚Huren‘ beschimpfen lassen müssen.“

Die Justiz & die Scharia

Im Juni 2016 erstritt die Rechtsreferendarin Aqilah Sandhu vor dem Verwaltungsgericht Augsburg, dass sie trotz Kopftuch „hoheitliche Aufgaben mit Außenwirkung“ wahrnehmen darf, sprich: Zeugen vernehmen oder Plädoyers halten. Dies hatte ihr zunächst das Oberlandesgericht München untersagt. Begründung: Das Kopftuch könne das „Vertrauen in die religiös-weltanschauliche Neutralität der Dienstausübung beeinträchtigen“. Aqilah Sandhu klagte und die Augsburger Richter gaben ihr insofern Recht, als sie verlangten, es müsse für eine solche Anordnung eine gesetzliche Grundlage geben.

An einem solchen Gesetz arbeitet nun das bayerische Justizministerium, denn: Das Kopftuch sei kein religiöses, sondern ein politisches Symbol. Es könne „ganz unterschiedliche Botschaften zum Ausdruck bringen“, darunter auch „ein Bekenntnis zum islamischen Fundamentalismus“.

Inzwischen hat die zweite Kopftuchträgerin in der Justiz, Betül Ulusoy, offenbart, wes Geistes Kind sie ist. Im Juni 2015, hatte die deutsch-türkische Jurastudentin sich um eine Ausbildungsstelle im Bezirksamt Neukölln beworben. Sie klagte gegen ihre Ablehnung – und gewann vor dem Berliner Kammergericht. Die Ausbildungsstelle in Neukölln trat sie nach ihrem Sieg zunächst nicht an.

Dafür postete sie nach dem Putsch in der Türkei folgenden Beitrag: „Alles hat doch sein Gutes: Zumindest kann jetzt die Säuberung vom Schmutz erfolgen. Und jeder bekommt das, was er verdient.“ Verdient hatten es unter anderem 50 000 Staatsbedienstete, darunter Tausende Juristen, die suspendiert oder verhaftet worden waren. Konsequenzen hat dieser Post für die angehende Juristin, die ihre Ausbildung inzwischen in der Senatsgesundheitsverwaltung absolviert, allerdings keine. Auf Nachfrage erklärte die Berliner Justizverwaltung: Diese Äußerung sei „von der Meinungsfreiheit gedeckt“.

Sobald demnächst in Bayern das Gesetz gegen Justiz-Referendarinnen mit Kopftuch verabschiedet ist, dürfte die nächste Klage ins Haus stehen – gegen das Gesetz. Auch diese Klage wird voraussichtlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen.

Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) liegen zurzeit zwei neue Kopftuch- Verfahren – und die beiden Generalanwältinnen, die sie vorab beurteilen müssen, sind zu zwei völlig konträren Einschätzungen gekommen: Die deutsche Generalanwältin Juliane Kokott kam in ihrem Gutachten zu dem Schluss, dass die Forderung des Arbeitsgebers nach grundsätzlicher Neutralität für alle MitarbeiterInnen nicht als Diskriminierung zu werten sei, die Arbeitnehmerin also ihr Kopftuch ablegen müsse. Ihre britische Kollegin Eleanor Sharpston befand in einem ähnlichen Fall, dass die Arbeitnehmerin nicht wegen ihres Kopftuchs entlassen werden dürfe.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in beiden Verfahren wird in diesen Wochen erwartet. Sollte der EuGH dem mit Blick auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) stattgeben („Niemand darf wegen seiner Religion diskriminiert werden“), dürften die nächsten Klägerinnen schon in den Startlöchern stehen. Wir dürfen gespannt sein, wann die erste auf „ihr Recht“ klagt, eine Burka oder den Niqab zu tragen.

"Wir wenden in Deutschland jeden Tag die Scharia an."

Diese Infiltrierung des „göttlichen Gebots“ in das demokratische Rechtswesen ist nicht neu, sondern von langer Hand systematisch vorbereitet. Führend bei der Islamisierung des deutschen Rechtsstaates ist der Jurist und Islamwissenschaftler Prof. Mathias Rohe. Er gründete 2008 mit allseitiger Unterstützung an der Universität Erlangen sogar ein „Zentrum für Islam und Recht in Europa“. Seither gilt er Politik und Medien als Experte und Islam-Erklärer.

Derselbe Rohe hatte bereits 2002 in der Frankfurter Rundschau stolz erklärt: „In Deutschland wenden wir jeden Tag die Scharia an. Wenn Jordanier heiraten, dann verheiraten wir sie nach jordanischem Recht. Die Menschen haben in diesen privaten Verhältnissen Entscheidungsfreiheit.“ Dazu muss man wissen, dass diese „privaten Verhältnisse“ in den islamischen Ländern den Status der Frauen bis zu ihrer totalen Entrechtung und Entmündigung regelt.

Rohe war 2006 wegen einer im Auftrag des österreichischen Innenministeriums erstellten Studie von Soziologen scharf kritisiert worden, wegen „gröbster methodischer und technischer Mängel“. Macht nichts. Zwei Jahre später gründet er in Deutschland ein „Forschungsinstitut“. Seither investiert er sehr viel Energie in „Expertisen“ für Muslimverbände und „Handreichungen“ für die Politik auch noch die letzten formaljuristischen Spitzfindigkeiten auszutüfteln, um die Scharia in das deutsche Rechtssystem zu infiltrieren.

Woher kommt dieser Mann, der sich selbst als „Protestant“ bezeichnet? Nach eigenen Angaben hat Mathias Rohe ab Mitte der 1970er Jahre die islamischen Länder bereist, 1978/79 in Saudi-Arabien „als Koch“ gearbeitet und sodann in Tübingen und Damaskus Recht studiert.

Gerade veröffentlicht er ein Buch über den „Islam in Deutschland“, das der Verlag mit den offenen Worten ankündigt: „Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich muslimisches Leben im Alltag entfalten kann: Welche Hürden gibt es für Moscheen, Minarette, Gebetsrufe oder religiöse Kleiderordnungen? Wie lassen sich im deutschen Alltag die Ritualvorschriften – etwa Fasten, Beschneidung, Schächten – beachten? Sind islamische Normen mit deutschem Recht vereinbar?“ – Noch nicht ganz. Aber immer mehr. Rohe und seine Brüder arbeiten daran.

Eine Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung: Jede Muslimin mit Kopftuch? Gegen das "Verhüllungsverbot" im Tessin protestiert Nora Illi (li), Frauenbeauftragte des Islamischen Zentralrats Schweiz. © Bettina Flitner
Eine Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung im Mai 2016: Jede Muslimin mit Kopftuch? © Bettina Flitner

Die Geschlechtertrennung/Apartheid

Wenn orthodox-muslimische Eltern ihre Mädchen nicht zum Sport- oder Schwimmunterricht schicken – und dafür mit kräftiger Unterstützung der konservativen Islamverbände immer wieder prozessieren – geht es prinzipiell darum, die Geschlechtertrennung durchzusetzen. Die Strategie hat Erfolg.

Immer mehr Schwimmbäder bieten inzwischen getrennte Schwimmzeiten für Männer und Frauen an. Begründung: Muslimische Frauen könnten andernfalls nicht schwimmen gehen, da ihnen „der Koran verbiete“, sich Männern in Badebekleidung zu zeigen. In Duisburg forderte der „Integrationsrat“ auf Initiative des „Islamischen Wählerbündnis Ummah“ im November 2011 den Stadtrat auf, getrennte Schwimmzeiten für Muslime einzuführen. Der Stadtrat lehnte nach heftiger Debatte ab.

Der Ehemann verlangte, seine Frau dürfe im Kurs nicht mit Männern sprechen

Bereits im März 2006 berichtete EMMA über einen Fall an der Volkshochschule Berlin-Spandau. In einem Integrationskurs hatte der türkische Ehemann einer mit Kopftuch und langem Mantel verhüllten Teilnehmerin von Kursleiterin Christina Passberger verlangt: Seine Frau dürfe im Kurs nicht mehr mit anderen Männern sprechen.

Die Kursleiterin wandte sich an die Behörden und bat um Rückendeckung. Die bekam aber nicht sie, sondern der fundamentalistische Muslim: Man sei für einen „sensiblen Umgang mit Betroffenen“, erklärte Bildungssenator Böger (SPD) und empfahl einen reinen Frauenkurs für die Teilnehmerin. Als Passberger insistierte und den Fall öffentlich machte, wurde sie entlassen.

Wie wird es weitergehen, wenn schriftgläubige muslimische Arbeitnehmer künftig einklagen, am Arbeitsplatz nicht mehr tun zu müssen, was ihnen angeblich der Koran verbietet? Die weiblichen Kollegen nicht per Handschlag zu begrüßen. Oder: Nicht in einem gemischtgeschlechtlichen Team zu arbeiten? Oder: Nicht mit dem homosexuellen Kollegen? Zum Beispiel.

Gebetspausen in Schule und Beruf

Gebete während der Arbeits- bzw. Schulzeit? Auch deswegen wurde vor deutschen Gerichten schon geklagt. Bisher wurden die Klagen abgewiesen, aber es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sich das ändert. Den Schriftgläubigen dabei behilflich sein werden diesmal voraussichtlich nicht nur die Muslimverbände, sondern auch die „Antidiskriminierungsstelle des Bundes“. Die ist zuständig für die Unterstützung von ArbeitnehmerInnen, die sich nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) diskriminiert fühlen – zum Beispiel aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Behinderung – oder eben auch wegen ihrer „Religionszugehörigkeit“.

Was im Prinzip eine gute Sache ist. Aber für jene, die das AGG dazu missbrauchen wollen, um die weltliche Arbeitswelt mit vorgeblich religiösen Dogmen zu infiltrieren, ist es eine Steilvorlage. Zumal die Antidiskriminierungsstelle (ADS), die 2006 unter dem Dach des Bundesfrauenministeriums gegründet wurde, äußerst fragwürdige „Expertisen“ als Handlungsgrundlage verwendet.

Das "göttliche Recht" soll für alle Bereiche des Lebens gelten

So befand die Verfassungsrechtlerin Prof. Dorothee Frings von der Hochschule Niederrhein in einer von der ADS in Auftrag gegebenen Expertise Folgendes: „Musliminnen und Muslime unterliegen bestimmten Verhaltensanforderungen, die auf einem religiösen Gebot oder einer religiösen Sitte beruhen. Diese Anforderungen haben einen besonderen Stellenwert, weil es nach der islamischen Religion keine getrennten Verhaltensregeln für den religiösen und den weltlichen Bereich gibt. Die Gültigkeit des göttlichen Rechts, der Scharia, erstreckt sich auf alle Bereiche des religiösen, gesellschaftlichen und staatlichen Lebens. Bestimmte Verhaltensweisen – auch am Arbeitsplatz – können daher für Muslime als göttliches Gebot verpflichtenden Charakter annehmen.“

Gottesrecht im Rechtsstaat? Keine Trennung des weltlichen und des religiösen Bereichs? Damit wären wir kurz vor der Einführung der Scharia am Arbeitsplatz. Aber es geht noch weiter: Der Arbeitgeber, so Juristin Frings und damit auch die Antidiskriminierungsstelle, darf im Bewerbungsgespräch noch nicht einmal danach fragen, ob der Bewerber bzw. die Bewerberin beabsichtigen, Gebetszeiten etc. einzufordern: „Bewerberinnen und Bewerber haben grundsätzlich das Recht, Fragen nach der Religionszugehörigkeit, aber auch nach der Religionsausübung (‚Müssen Sie während der Arbeitszeit beten?‘; ‚Essen Sie Schweinefleisch?‘) nicht zu beantworten. Da auch eine verweigerte Antwort Rückschlüsse ermöglicht, dürfen unzulässige Fragen wahrheitswidrig beantwortet werden!“

Der Ramadan

LehrerInnen schlagen Alarm. Und der Verband Bildung und Erziehung (VBE), in dem rund 140 000 PädagogInnen, darunter viele GrundschullehrerInnen, organisiert sind, ist beunruhigt. Die PädagogInnen melden: Zum ersten Mal fasten auch GrundschülerInnen, und zwar an manchen Schulen jedeR fünfte. Da der Ramadan in diesem Jahr in den Juni fiel, also in die hellste Zeit des Jahres, aßen und tranken Sieben- oder Achtjährige bis zu 16 Stunden am Tag nichts. Sie schliefen in den Klassenräumen ein, kollabierten bei Sportfesten. Den Lehrerverband erreichten absurde Anfragen: Ein Vater wollte seine Tochter vom Schwimmunterricht befreien, weil es passieren könne, dass sie dabei Wasser schluckt.

Auch hier spielt sich der Konflikt an der Linie staatliche Schulpflicht versus (angeblich) religiöse Pflicht ab. Und nicht wenige Schulen in Deutschland knicken ein. Während des Ramadans sollen möglichst keine Schul- und Sportfeste stattfinden, Klassen - arbeiten werden verlegt. Das ist ganz im Sinne des Islamrates, der in seiner Handreichung „Fasten in der Schule“ erklärt: „Eine allgemeine Befreiung vom Fasten kann für Schüler nicht ausgesprochen werden.“

Der Islamrat beruft sich auf das „Recht auf freie Religionsausübung“ und erklärt: „Eltern und islamische Religionsgemeinschaften einerseits und Schule andererseits können Empfehlungen abgeben, Zwang ist von beiden Seiten, rechtlich wie religiös ausgeschlossen.“ Die Schulpflicht steht also laut Islamrat unter den religiösen Pflichten. Ein offenes Wort.

Die Weihnachtsfeiern

Der evangelische Kindergarten in Stuttgart- Gablenberg ist nur einer von vielen. Schon seit Jahren verzichte man auf eine Weihnachtsfeier, erklärte die Leiterin Anja Bonomo, denn nur acht von 36 Kindern seien evangelisch bzw. katholisch – und da sei „Weihnachten schwer zu vermitteln“.

Die Meldungen häufen sich. Immer mehr Kindergärten und Schulen verzichten auf eine Weihnachtsfeier. Für Diskussionen sorgte ein oberpfälzischer Kindergarten, als der „mit Rücksicht auf die muslimischen Kinder“ das St. Martinsfest in „Laternenfest“ umbenannte. In Wien wurde gar der Nikolaus aus Kindergärten verbannt. Man habe die Tradition „aus Rücksicht auf andersgläubige Kinder aufgegeben“, erklärte Sylvia Minich, Leiterin der 360 städtischen (!) Kindergärten.

Sind die islamischen Gebote wichtiger als die Gesetze des Staates?

Verbannt wird immer häufiger auch das Schweinefleisch aus Kantinen in Kindergärten und Schulen. Die Schweinefleisch- Debatte ist übrigens die einzige, in der sich bisher die Kanzlerin zu Wort meldete. Sie nehme es „mit Besorgnis zur Kenntnis, dass Schweinefleisch vom Speiseplan der Kantinen genommen werde“, erklärte sie. Andererseits dürfe der Speiseplan natürlich „nicht zu Einschränkungen für diejenigen führen, die andere Regeln haben.“

Die Kinderehen

Das Problem existiert nicht erst, seit eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, aber es verschärft sich. „Mehrere Hundert“ Kinderehen haben die Behörden in den letzten Monaten registriert. So meldet Bayern 161 Fälle von verheirateten AsylbewerberInnen unter 16 Jahre, in Baden-Württemberg sind es 117 Fälle, in Nordrhein-Westfalen 188. Und das sind nur drei Bundesländer – und nur die registrierten Fälle von Ehen, die im Ausland nach Scharia-Recht geschlossen wurden. In Deutschland liegt das gesetzliche Mindestalter bei 16 Jahren. Und nun stehen Politik und Justiz vor der Frage, ob sie die nach hiesigem Recht ungültigen Ehen akzeptieren sollen oder nicht. Ein Fall ist bereits vor Gericht gelandet – mit zwiespältigem Ergebnis. Geklagt hatte ein 21-jährige Syrer, der zusammen mit seiner 14-jährigen „Ehefrau“ im August 2015 in Deutschland ankam. Dort brachte das Jugendamt die 14-Jährige in einer separaten Einrichtung unter.

Das Amtsgericht Aschaffenburg entschied, dass das rechtens war, weil die hiesigen Gesetze zu gelten hätten, nicht aber die nach syrischem Scharia-Recht geschlossene Kinder- Ehe. Doch das Oberlandesgericht Bamberg hob das Urteil im Mai 2016 wieder auf. Die Ehe sei rechtmäßig. Demnächst wird der Bundesgerichtshof entscheiden. Auch dieses Urteil wird Weichen stellen. Gilt in Deutschland weltliches Recht – oder die Scharia?

Die Zukunft

Die stete Agitation der Muslim-Verbände scheint Erfolg zu haben. Wie eine aktuelle Studie von Emnid und der Universität Münster ergab (für die rund 1000 türkischstämmige Menschen befragt wurden), ist inzwischen für jedeN zweiteN die „Befolgung der Gebote meiner Religion wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe“. JedeR dritte befürwortet die „Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten Mohammeds“. Und jedeR achte Befragte hatte ein „umfassendes islamischfundamentalistisches Weltbild“. Das war früher nicht so. Wir haben es mit einer rasanten Radikalisierung zu tun.

Der Psychologe Ahmad Mansour weist darauf hin, dass bisher fast alle islamistischen Terroristen, die aus Europa nach Syrien ausreisen oder Anschläge verübt haben, hierzulande geboren und aufgewachsen sind. Mansour, der mit jungen, radikalisierten Männern arbeitet, warnt: „Es ist ein reaktionäres, rückwärtsgewandtes Islam-Verständnis, dass den Nährboden bildet, auf dem sich die Attentäter und Syrien-Kämpfer radikalisieren.“

Will heißen: Für die Verführung zum pseudo-religiösen Terror bereiten hiesige Muslim-Verbände mit ihren schriftgläubigen Geboten den Boden vor.

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Sie warnt vor gewaltlosem Dschihad

Protest der "One Law for all"-AktivistInnen 2014 in London.
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Gina Khan sagt über sich, sie sei ein „Brummie at heart“, aus ganzem Herzen Brummie. „Brum“, das ist der Kosename von Großbritanniens zweitgrößter Stadt Birmingham. Die Tochter pakistanischer Einwanderer ist dort aufgewachsen. Hier lebte zuletzt auch der Attentäter Khalid Masood, der am 22. März auf der Westminster Bridge mit einem gemieteten Hyundai in eine Menschenmenge raste – und anschließend einen Polizisten auf dem Gelände des Westminster-Palastes erstach. Fünf Menschen kamen ums Leben, 50 weitere wurden verletzt.

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Inzwischen wissen wir: Khalid heißt mit bürgerlichem Namen Adrian Russell Elms, ist 52, Lehrer und schwarz. Er wurde 1964 in einer Kleinstadt im ländlichen Kent geboren, seine Mutter Janet war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt. Über ­seinen leiblichen Vater ist nichts bekannt.

Dennoch verlief Adrians Jugend wohlbehütet, seine Mitschüler beschreiben ihn als einen, der sportlich war, gerne gefeiert hat und Chancen bei den Mädchen hatte. Aber Adrian war aggressiv und mehrfach vorbestraft, mal wegen Waffenbesitz, mal wegen Körperverletzung. Als er 2000 einem Mann vor ­einem Pub ein Messer ins Gesicht rammte, kam er drei Jahre ins Gefängnis. Dort, heißt es, sei er zum Islam konvertiert und habe sich radikalisiert. Nach seiner Haftstrafe unterrichtete Khalid, wie er sich nun nannte, zwei Jahre Englisch in Saudi-­Arabien. Nach seiner Rückkehr aus der islamistischen Diktatur zog er vielfach um, zuletzt nach Birmingham. Da war ­Khalid Masood dem Geheimdienst MI5 schon als potenzieller Extremist bekannt – aber sie hielten ihn nur für eine „Rand­figur“. Bis zu diesem Mittwoch im März 2017.

Für Gina Khan, 50, alleinerziehende Mutter eines Sohnes und einer Tochter, klingt das alles nicht überraschend. Sie weiß, warum Birmingham heute einen Ruf als „Djihadisten-Hauptstadt“ Großbritanniens hat. Sie kommt aus einer muslimischen Familie und hat seit ihrer Jugend in Birmingham unzählige Männer gesehen, die sich auf die gleiche Art radikalisiert haben wie Adrian Russell Elms – nicht zuletzt ihr eigener ­Vater. Und sie warnt schon lange vor dieser Entwicklung. ­

Nur, dass ihr keiner zuhören wollte. Heute verschafft Gina Khan sich Gehör, als eine der Sprecherinnen der Kampagne gegen Scharia-Gerichte in Großbritannien: „One Law For All“. Ein Gesetz für alle!

Gina, als Sie von dem Attentat in Westminster gehört haben - was war Ihr erster Gedanke?
Ich habe ja inzwischen gelernt abzuwarten, so wie wir alle. Es hätte ja auch kein Muslim sein können. Aber am Ende des Tages dachte ich: Es ist soweit, sie stehen vor unseren Toren. Sie sind hier, im Herzen unserer Demokratie, die sie so sehr hassen. Dieser Mann war ja nicht einfach irgendein Muslim, er war ein Konvertit! Ein in Großbritannien geborener, schwarzer Lehrer, der zum Islamismus und zum Dschihadismus bekehrt wurde.

Frauenrechtlerin Gina Khan aus Birmingham: Polygamie ist Missbrauch!
Frauenrechtlerin Gina Khan aus Birmingham: Polygamie ist Missbrauch!

Inwiefern sind diese Attacken nur die Spitze des Eisbergs?
Was wir gerade überall erleben ist etwas, das ich den gewaltlosen Dschihad nenne. Eine intellektuelle Strömung, die den Menschen eine Ideologie nahe bringt, die inzwischen sogar unsere Schulen und unsere Universitäten unterwandert hat. Und diese Ideologie ist die Rampe zum gewalttätigen Dschihad. Die Generation meiner Eltern, die vor 40 Jahren aus Pakistan nach Europa gekommen ist, hat den Westen nicht gehasst. Sie sind nach Großbritannien gezogen, weil sie sich eine Zukunft erhofft haben, einen guten Job, mit dem sie Geld verdienen können. Warum haben Menschen irgendwann angefangen, ihre Nachbarn zu hassen? Weil sie ideologisch verhetzt worden sind, und diese Ideologie kommt aus Saudi-Arabien und aus dem Nahen Osten.

Der Attentäter kommt aus der Umgebung von Birmingham. Sie sind dort aufgewachsen.
Ja, ich bin in einer damals noch sehr beschaulichen Ecke groß geworden. Für uns PakistanerInnen war das in den 70er und 80er Jahren eine aufstrebende Gegend, viele haben Grundstücke gekauft und Geschäfte eröffnet. Ich komme aus einer sehr liberalen muslimischen Familie. Wir sind in Museen gegangen, wir haben Musik geliebt, ich habe mir meine Jeans erkämpft. Und wenn meine Eltern meinen Bruder mal wieder bei einem Disco-Besuch erwischt haben, hielt sich der Ärger in Grenzen. Meine Mutter war eine Feministin, eine sehr gebildete Frau. Sie hat nie ein Kopftuch getragen, meine Großmutter auch nicht. Kein Mann in unserer Familie wäre auf die Idee gekommen, uns dazu aufzufordern. Ich bin mit Kindern aus Jamaika, aus China, aus Indien und aus Griechenland aufgewachsen. Das war alles sehr multikulti. Wir haben einander akzeptiert, wir waren integriert.

Gab es auch Hürden für Sie als junge, britisch-pakistanische Frau?
Ja, die Unterschiede habe ich häufig im Kleinen bemerkt. Meine Mutter hatte nie einen Bikini an. Ich erinnere mich noch, wie ich die Mutter einer Freundin das erste Mal in einem Bikini gesehen habe, da sind mir fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Meine beste Freundin durfte einen Freund haben, ich nicht. Wegen meiner Religion, hat meine Mutter gesagt. Denn natürlich waren die Tradition und die Religion trotzdem ein Thema bei uns. Die Philosophie meiner Eltern war: Wir bringen dir alles bei, was wir über den Islam wissen - wie und wann man betet, wie man den Koran liest. Was du daraus machst, ist deine Entscheidung.

Dann hat sich die Gegend, in der Sie aufgewachsen sind, verändert. Woran haben Sie das gemerkt?
Daran, dass die Mullahs meinen Vater zum Islamisten gemacht haben. Nicht in Pakistan, sondern mitten in Birmingham! Da war er schon Pensionär. Er hat sich vorher nie für Religion interessiert. Aber plötzlich ist er immer häufiger in eine bestimmte Moschee gegangen. Dann ist er nach Mekka gereist, wollte, dass meine Mutter ihm zu Hause aus dem Koran vorträgt und dass sie indische Saris trägt. Mein Vater und ich, wir waren uns sehr nah. Ich war erst 13, aber ich war seine Vertraute. Mit mir hat er über alles geredet. Über seinen Hass auf Juden. Dass der Islam bald die Welt übernehmen wird. Dass es dann überall Moscheen geben wird. Mein Vater hat das alles geglaubt.

Wie ging es weiter?
Sie haben ihn überzeugt, eine Koranschule in Pakistan zu bauen. Wissen Sie, was sie ihm erzählt haben? Dass sieben Generationen seiner Familie direkt in den Himmel kommen, wenn er diese Schule baut. So haben sie ältere Menschen in Großbritannien bekommen. Nachdem meine Mutter gestorben war, hat mein Vater seinen ganzen Besitz in diese Koranschule gesteckt. Diese Schule gibt es heute noch. Er ist auf dem Gelände sogar begraben. Uns Kinder hat er irgendwann gar nicht mehr richtig wahrgenommen. Es ging nur noch um das Leben nach dem Tod.

Und wie haben Sie, seine Tochter, reagiert?
Mir hat das Angst gemacht. Juden, Christen, all diese Menschen, die von den Dschihadisten diskriminiert wurden, waren ja meine Freunde. Sie gingen bei uns ein und aus. Meine Mutter kam aus einer Generation, die in einer Demokratie leben wollten - nicht unter der Scharia. Viele Pakistaner wussten ganz genau, dass die Mullahs gefährlich waren, dass sie uns ins Mittelalter zurückwerfen wollten. In den 1980er Jahren sind sie mit ihren schweren Mercedes-Wagen durch das Viertel gefahren und mein Bruder hat immer nur gesagt: Wie kann das sein, dass die hier in ihren dicken Wagen rumfahren, während alle anderen um sechs Uhr aufstehen müssen, um wenigstens noch Milch und Brot kaufen zu können?

Aber warum hat Ihre Community nicht reagiert?
Die Menschen hatten auch große Angst, vor allem um ihre Töchter. Sie dachten anfangs, dass der Islam ihre Töchter schützt. In den 1990er Jahren sind die Mullahs in Birmingham dann immer einflussreicher geworden. Da, wo früher noch Geschäfte waren, gab es plötzlich Moscheen. Und es kam immer mehr extremistische Literatur auf den Markt. Und eine Flut von Koranen.

Und wie hat sich das auf das Leben der muslimischen Frauen ausgewirkt?
Das kam ganz auf die Familie an. Und auf die Moschee, in die sie gegangen sind. Es gab Familien, die den Islamismus in all seinen Facetten akzeptiert haben. Die Frauen sollten sich plötzlich verschleiern und keine Jeans mehr anziehen, weil das angeblich unislamisch wäre. Früher gab es ja gar keine Regeln, was Musliminnen zu tragen haben. Zumindest solange nicht, bis diese Männer behauptet haben: Es gibt nur noch den einen Islam! Niemand hat zu dem Zeitpunkt begriffen, dass wir von Wahhabiten und von Salafisten unterwandert werden, von einer extremen Ideologie, die nicht mit einer säkularen Demokratie vereinbar ist. Ich habe beobachtet, dass die häusliche Gewalt, dass Zwangsheiraten, dass Ehrenmorde, dass die Geschlechtertrennung und auch dass die Genitalverstümmelung bei Mädchen zunimmt. Dass die Mädchen nicht in die Schule geschickt werden. Und dann habe ich den Feminismus entdeckt, Frauen aus Ägypten und aus Indien, die etwas ändern wollten. Und je mehr ich wusste, umso wütender wurde ich. Als ich, eine Pakistanerin aus Birmingham, vor Jahren auf diese Veränderung hingewiesen habe, wurde ich als islamophob und anti-islamisch beschimpft. Mir wurde vorgeworfen, dass ich die Community verrate.

Wir haben auch in Deutschland das Problem, dass jede Kritik am radikalen Islam sofort als islamfeindlich denunziert wird.
Ja, und vergessen Sie nicht: Das haben sie als allererstes den Muslimen eingetrichtert! Wenn Frauen wie ich auftreten, bekommen wir Todesdrohungen. Sie wollen uns zum Schweigen bringen. Dennoch melden sich immer mehr Ex-Musliminnen zu Wort.

Es gibt auch innerhalb der westlichen feministischen Bewegung Frauen, die den Islamismus verteidigen, im Namen des Anti-Rassismus.
Ja, das erlebe ich auch immer wieder. Gerade erst in Birmingham mit einer muslimischen Frauenorganisation. Ich finde es ja lobenswert, dass sie den Koran unter feministischen Aspekten interpretieren. Aber dafür müssen sie nicht finanziell gefördert werden. Als wir zum Beispiel die Anti-Scharia-Kampagne gestartet haben, haben viele dieser Frauen das Thema nicht einmal mit den Fingerspitzen angefasst. Das hat mich wirklich getroffen, weil ich eine Schwester habe, die die Scharia das Leben gekostet hat. Sie haben den Frauenhass kleingeredet. Sie reden es klein, wenn ein Prediger erklärt, dass eine Vierjährige in der Schule einen Hidschab tragen muss. Sie haben die Polygamie komplett ignoriert. Sie verteidigen die Scharia, anstatt sie zu entlarven!

Was hat Ihre "One law for all" Kampagne bisher bewirkt?
Wir versuchen, den muslimischen Frauen klar zu machen, dass das britische Gesetz sie schützt. Das sage ich aus Erfahrung, ich war selbst Opfer von häuslicher Gewalt und Polygamie. Die Vielehe ist Missbrauch! Das eskaliert fast immer in physische Gewalt. Was tun Männer, um ihre Frauen in Schach zu halten? Sie schlagen sie! Viele dieser Frauen sind nicht mal legal verheiratet. Und das alles rechtfertigen die Männer dann mit ihrer Religion. Warum kommen diese Männer damit durch?

Und: Warum?
Bevor wir es selbst begreifen konnten, wurden wir plötzlich nicht mehr nach unser Herkunft bezeichnet, wir wurden alle in eine Schublade gesteckt: die Muslime. Sie haben uns unsere Identität weggenommen. Vor zwanzig, dreißig Jahren hat die Religion gar keine große Rolle gespielt für uns. Jeder aus meiner Generation kann sich daran noch erinnern! Heute gibt es in Birmingham zum Beispiel eine muslimische Organisation, die eine 70-seitige Policy erstellt hat, wie muslimische Kinder erzogen werden sollen. Die Mädchen müssen den Hidschab tragen und es soll feste Gebetszeiten geben. Wissen Sie, jemand wie ich hätte geheult, wenn ich als Mädchen einen Hidschab hätte tragen müssen. Den Ratgeber haben sie dann an den Schulen verteilt.

Was muss Ihrer Meinung nach jetzt passieren?
Wir müssen uns endlich gemeinsam gegen den Dschihadismus positionieren, MuslimInnen wie Nicht-MuslimInnen. Der Islamismus ist die gefährlichste Ideologie, mit der wir es heute zu tun haben. Wir dürfen dieses Thema nicht nur den Rechten überlassen! Wir müssen diese menschenfeindliche Ideologie klar benennen, weil das der einzige Weg ist, die Islamisten von den Muslimen zu unterscheiden. Denkt an den Kampf unserer Mütter! An den Kampf der Iranerinnen. Den Kampf vieler Frauen im arabischen Raum. Sie alle haben umsonst gekämpft, wenn wir im Westen uns nicht endlich an ihre Seite stellen. Dass wir das bisher nicht getan haben, ist beschämend. Vor allem die muslimischen Frauen müssen sich endlich positionieren! Steht ihr auf der Seite der Mullahs oder auf der Seite der Menschenrechte?

Das Gespräch führte Alexandra Eul

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Aktualisiert am 24.4.2017

 

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